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In frühester Zeit gab es keinen Krieg. Bei allen Stämmen herrschte Frieden. Zu jener Zeit war da ein Mann, der hatte eine wunderschöne Tochter. Viele junge Männer wollten sie heiraten, aber immer, wenn jemand um ihre Hand anhielt, schüttelte sie nur den Kopf und sagte, sie wolle keinen Mann. „Was hast du?“ fragte sie ihr Vater. „Einige dieser jungen Männer sind reich, schön und tapfer.“ „Warum sollte ich heiraten?“ antwortete das Mädchen. „Ich habe einen reichen Vater. Unsere Wohnung ist gut. Unsere Vorratskammern sind nie leer. Wir besitzen viele gegerbte Häute und weiche Felle für den Winter. Mir fehlt es an nichts.“ Die Sippe der Raben hielt einen Tanz ab, und alle trugen ihre schönsten Kleider und ihren besten Schmuck, und jeder von ihnen gab beim Tanz sein Bestes. Danach hielten einige der Männer um das Mädchen an, aber wieder sagte es nein. Dann hielten die Büffel, die Füchse und andere Sippen ihre Tänze ab, und unter ihnen waren reiche und berühmte Krieger, die den Mann baten, er möge ihnen seine Tochter zur Frau geben, und abermals sagte sie bei jedem, der sie umwarb, nein. Da wurde der Vater zornig und sagte: „Was soll das? Die besten Männer des Stammes haben um dich angehalten, und immer noch sagte du nein. Ich glaube, du hast heimlich einen Liebhaber.“ „Oh!“ rief die Mutter. „Schande über uns, ein Kind wird geboren werden, und unsere Tochter ist immer noch ledig.“ „Vater und Mutter!“ sprach das Mädchen. „Habt doch ein Einsehen. Ich habe keinen geheimen Liebhaber. Jetzt sollt ihr die Wahrheit erfahren. Die Sonne hat zu mir gesprochen: „Heirate keinen dieser Männer“, hat sie gesagt, „du bist mein. Wenn du mir gehorchst, wirst du immer glücklich sein und lange leben. Aber halte mein Gebot. Du darfst nicht heiraten. Du gehörst mir.“ „Wenn das so ist“, antwortete der Vater, „müssen wir uns daran halten.“ Und sie sprachen nicht mehr darüber. Es gab da einen jungen Mann. Sehr arm war er. Sein Vater, seine Mutter und all seine Verwandten waren zu dem Sandhügel gezogen. Er besaß keine Hütte, keine Frau, die seine Häute hätte gerben und ihm Mokassins nähen können…Mal lebte er bei dieser, mal bei jener Familie. Er war gut gewachsen, nur hatte er auf der einen Wange eine Narbe, und seine Kleider waren alt und abgerissen. Nach einem der großen Tänze trafen die Männer das Narbengesicht. Sie lachten es aus und sagten: „Warum wirbst du nicht um das schöne Mädchen, wo du doch so reich und gut gewachsen bist!“ Narbengesicht lachte nicht, er antwortete: „Gut, ich will auf euren Rat hören. Ich werde um sie anhalten.“ All die jungen Männer hielten das für einen guten Spaß. Sie lachten. Narbengesicht aber ging hinunter zum Fluß. Er wartete dort an der Stelle, wo die Frauen Wasser schöpften, und nach einiger Zeit kam auch das schöne Mädchen. „Mädchen“, sagte er, „warte. Ich will mit dir sprechen. Nicht wie einer, der etwas im Schilde führt, sondern offen und ehrlich, dort, wo die Sonne zuschauen und jeder es sehen kann.“ „Sprich nur“, sagte das Mädchen. „Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet“, sagte der junge Mann, „du hast alle jungen Männer, die reich und tapfer waren, abgewiesen. Heute haben sie mich ausgelacht und zu mir gesagt: „Warum hältst du nicht um sie an?“ Ich bin arm, sehr arm. Ich habe keine eigene Hütte, keine Nahrung, keine Kleider, keine Felle und keine warmen Pelze. Ich habe keine Verwandten dennoch bitte ich dich, erbarme dich meiner und werde meine Frau.“ Das Mädchen verhüllte sein Gesicht mit seinem Umhang, mit der Spitze seines Mokassins scharrte es im Sand. Es dachte nach. Nach geraumer Zeit sagte es: „Es ist wahr. Ich habe die anderen jungen Männer abgewiesen, aber jetzt fragst du mich, und ich bin froh. Ich werde deine Frau werden. Du bist arm, aber das macht nichts. Mein Vater wird dir einige seiner Hunde schenken. Meine Mutter wird uns eine Hütte bauen. Meine Verwandten werden uns Felle und Pelze geben. Du wirst nicht länger arm sein.“ Da wollte der junge Mann es umarmen und küssen, aber es hielt ihn zurück und sagte: „Warte! Die Sonne hat zu mir gesprochen. Sie hat mir gesagt, ich dürfe nicht heiraten, ich gehöre ihr. Die Sonne sagte, falls ich gehorchte, würde ich lange leben. Jetzt sage ich Dir: Geh zum Sonnengeist. Sag ihm, daß du mich heiraten willst. Sag ihm, er soll die Narbe auf deiner Wange verschwinden lassen. Das soll ein Zeichen sein, daß er einwilligt. Aber wenn er sich weigert, oder wenn du seine Wohnung nicht finden kannst, dann darfst du auch nicht zu mir zurückkommen.“ „Oh!“ rief der junge Mann. „Zuerst klangen deine Worte gut. Ich war froh. Nun aber ist alles dunkel. Mein Herz ist tot. Wo ist diese Hütte, in der der Sonnengeist wohnt? Wie soll ich den Weg finden, den noch niemand gereist ist?“ „Nur Mut“, antwortete das Mädchen, und es ging zu seiner Hütte zurück. Narbengesicht war traurig. Er verhüllte seinen Kopf mit seinem Umhang und versuchte, sich schlüssig zu werden, was er tun solle. Nach einer Weile stand er auf und ging zu einer alten Frau, die immer freundlich zu ihm gewesen war. „Hab Mitleid mit mir“, sprach er, „ich bin sehr arm. Ich muß eine lange Reise machen. Nähe mir ein paar Mokassins.“ „Wohin willst du reisen?“ fragte die alte Frau. „Wir haben doch keinen Krieg, alles ist friedlich.“ „Ich weiß nicht, wohin ich gehen werde“, antwortete Narbengesicht, „ich habe Kummer, aber ich kann mit dir nicht darüber sprechen.“ Also nähte die alte Frau ein Paar Mokassins, nein, nicht nur ein Paar – sieben Paar nähte sie ihm mit guten Sohlen, und sie gab ihm auch einen Sack mit getrockneten Beeren, gedörrtes Fleisch und Fett vom Rücken des Büffels, denn sie hatte ein gutes Herz. Sie mochte den jungen Mann gern.
Ganz allein und mit traurigem Herzen stieg der junge Mann den Abhang hinauf und warf von oben einen letzten Blick auf das Lager. Er fragte sich, ob er seine Liebste und sein Volk je wiedersehen werde. „Hab Mitleid mit mir, Sonnengeist“, betete er, dann wandte er sich um und suchte den Weg. Viele Tage reiste er, über weite Prärien, durch dichte Wälder, über Flüsse und Gebirge – und jeden Tag wurde der Knappsack etwas leichter, aber er hob von den Lebensmitteln, die ihm die alte Frau mitgegeben hatte, so viel auf, wie er nur irgend konnte, und aß Beeren und Wurzeln und manchmal tötete er ein Tier. Eines Nachts hielt er an vor der Wohnung des Wolfs: „Hay-yah!“ sagte der .„Was tut mein Bruder hier, so fern von seinem Dorf?“ „Ach“, antwortete Narbengesicht, „ich suche den Ort, an dem der Sonnengeist wohnt, ich muß mit ihm reden.“ „Ich bin weit herumgekommen“, sagte der Wolf, „ich kenne alle Prärien, die Täler und Gebirge, aber die Wohnung des Sonnengeistes habe ich nirgends gesehen. Aber warte. Ich weiß, wer dir helfen könnte. Frag den Bären. Vielleicht kann er dir sagen, wo der Sonnengeist wohnt.“ Am nächsten Tag reiste der junge Mann weiter. Hier und da blieb er stehen, um ein paar Beeren zu pflücken, und als die Nacht kam, erreichte er die Hütte des Bären. „Hilf mir!“ sagte der junge Mann. „Ich suche die Sonne. Ich muß den Sonnengeist etwas fragen. Das Mädchen hat es mir aufgetragen.“ „Ich weiß nicht, wo er rastet“, antwortete der Bär, „ich bin vielen Flüssen gefolgt, ich kenne die Gebirge, aber an die Wohnung des Sonnengeistes bin ich nie gekommen. Dort drüben wohnt einer mit einem gestreiften Gesicht, der ist sehr schlau. Geh und frage ihn.“ Der Dachs saß in seinem Loch.
Sich vorbeugend, rief der junge Mann: „Oh, du kluger Dachs, du gutmütiges Tier. Komm hervor, ich muß mit dir reden.“ „Was willst du?“ frage der Dachs und steckte seinen Kopf aus dem Loch hervor. „Ich suche die Wohnung des Sonnengeistes“, antwortete Narbengesicht, „ich will mit dir sprechen.“ „Ich kann dir auch nicht sagen, wo er wohnt“, knurrte der Dachs, „ich reise nie sehr weit. Aber dort drüben, in diesem Wäldchen wohnt ein Faultier, das kommt weit herum und kennt sich aus. Vielleicht kann es dir weiterhelfen.“ Da sah sich Narbengesicht im Wald nach dem Faultier um, aber er konnte es nirgends finden. „Hai-yu!“ rief der junge Mann. „Faultier, hab Erbarmen mit mir. Mein Proviant ist zu Ende. Meine Mokassins sind durchgelaufen. Ich muß sterben.“ „Was gibt’s denn, mein Bruder?“ hörte er da jemand sagen, und als er sich umsah, saß das Tier dicht vor ihm. „Das Mädchen, das ich heiraten möchte“, erzählte Narbengesicht, „ist der Sonne versprochen. Jetzt versuche ich, den Sonnengeist zu finden und bei ihm um sie anzuhalten.“ „Ich weiß, wo der Sonnengeist lebt“, sagte das Faultier. „Warte, jetzt ist es bald Nacht. Morgen will ich dir den Weg zu dem großen Wasser zeigen. Er wohnt am anderen Ufer.“
Ganz allein und mit traurigem Herzen stieg der junge Mann den Abhang hinauf und warf von oben einen letzten Blick auf das Lager. Er fragte sich, ob er seine Liebste und sein Volk je wiedersehen werde. „Hab Mitleid mit mir, Sonnengeist“, betete er, dann wandte er sich um und suchte den Weg. Viele Tage reiste er, über weite Prärien, durch dichte Wälder, über Flüsse und Gebirge – und jeden Tag wurde der Knappsack etwas leichter, aber er hob von den Lebensmitteln, die ihm die alte Frau mitgegeben hatte, so viel auf, wie er nur irgend konnte, und aß Beeren und Wurzeln und manchmal tötete er ein Tier. Eines Nachts hielt er an vor der Wohnung des Wolfs: „Hay-yah!“ sagte der .„Was tut mein Bruder hier, so fern von seinem Dorf?“ „Ach“, antwortete Narbengesicht, „ich suche den Ort, an dem der Sonnengeist wohnt, ich muß mit ihm reden.“ „Ich bin weit herumgekommen“, sagte der Wolf, „ich kenne alle Prärien, die Täler und Gebirge, aber die Wohnung des Sonnengeistes habe ich nirgends gesehen. Aber warte. Ich weiß, wer dir helfen könnte. Frag den Bären. Vielleicht kann er dir sagen, wo der Sonnengeist wohnt.“ Am nächsten Tag reiste der junge Mann weiter. Hier und da blieb er stehen, um ein paar Beeren zu pflücken, und als die Nacht kam, erreichte er die Hütte des Bären. „Hilf mir!“ sagte der junge Mann. „Ich suche die Sonne. Ich muß den Sonnengeist etwas fragen. Das Mädchen hat es mir aufgetragen.“ „Ich weiß nicht, wo er rastet“, antwortete der Bär, „ich bin vielen Flüssen gefolgt, ich kenne die Gebirge, aber an die Wohnung des Sonnengeistes bin ich nie gekommen. Dort drüben wohnt einer mit einem gestreiften Gesicht, der ist sehr schlau. Geh und frage ihn.“ Der Dachs saß in seinem Loch.
Sich vorbeugend, rief der junge Mann: „Oh, du kluger Dachs, du gutmütiges Tier. Komm hervor, ich muß mit dir reden.“ „Was willst du?“ frage der Dachs und steckte seinen Kopf aus dem Loch hervor. „Ich suche die Wohnung des Sonnengeistes“, antwortete Narbengesicht, „ich will mit dir sprechen.“ „Ich kann dir auch nicht sagen, wo er wohnt“, knurrte der Dachs, „ich reise nie sehr weit. Aber dort drüben, in diesem Wäldchen wohnt ein Faultier, das kommt weit herum und kennt sich aus. Vielleicht kann es dir weiterhelfen.“ Da sah sich Narbengesicht im Wald nach dem Faultier um, aber er konnte es nirgends finden. „Hai-yu!“ rief der junge Mann. „Faultier, hab Erbarmen mit mir. Mein Proviant ist zu Ende. Meine Mokassins sind durchgelaufen. Ich muß sterben.“ „Was gibt’s denn, mein Bruder?“ hörte er da jemand sagen, und als er sich umsah, saß das Tier dicht vor ihm. „Das Mädchen, das ich heiraten möchte“, erzählte Narbengesicht, „ist der Sonne versprochen. Jetzt versuche ich, den Sonnengeist zu finden und bei ihm um sie anzuhalten.“ „Ich weiß, wo der Sonnengeist lebt“, sagte das Faultier. „Warte, jetzt ist es bald Nacht. Morgen will ich dir den Weg zu dem großen Wasser zeigen. Er wohnt am anderen Ufer.“