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Der Sultan von der Insel und der Sultan vom Festlande

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Es war ein Sultan, der lebte auf einer Insel, und ein anderer, der auf dem Festlande wohnte. Zwischen ihnen war Krieg, sie kämpften mit einander. Der Sultan, der auf der Insel wohnte, hatte einen Bruder, der alt geworden war; er that nichts als Fische fangen im Meere.
Eines Tages nun ging er an’s Meer, um Fische zu fangen, und gerade an dem Tage liess der Sultan das Kriegshorn blasen in seinem Lande, um die Soldaten seines Heeres zusammenzurufen, in der Absicht und dem Gedanken, Krieg anzufangen und den Sultan vom Festlande zu schlagen.
Als alle Leute sich versammelt hatten, fragte er sie: »Ist keiner zurückgeblieben, der etwa noch fehlt?« Sie antworteten ihm: »Jener Alte, Dein Bruder, fehlt noch, er ist nach dem Meere gegangen.« Der Vezier des Sultans antwortete und sprach: »An diesem Greise verlieren wir nichts, denn er kann nicht kämpfen.«
Danach liess der Sultan die Soldaten Wache halten an den Thoren, jede Abteilung an ihrem Thor. Bald darauf kehrte der Alte vom Meere zurück. Als er zurückkam, da kam jener Mann, der dem Sultan gesagt hatte, »es fehlt noch der Alte, Dein Bruder, der ist an’s Meer gegangen, um Fische zu fangen.« Er ging auf den Alten zu und sagte zu ihm: »Weisst Du das Neueste aus der Stadt?« Der Greis erwiderte: »Ich weiss nichts«; und er sprach: »Gieb mir meinen Anteil von den Fischen, dann will ich es Dir mitteilen.« Er nahm Fische und gab sie ihm und sprach: »Erzähle es mir.« Und er sprach: »Als Du weggingst nach dem Meere, da liess der Sultan das Horn blasen in der Stadt, um die Leute zu versammeln, und sie kamen alle; dann fragte der Sultan: ›Ist keiner zurückgeblieben?‹ Ich antwortete ihm: ›Dein alter Bruder fehlt noch, er ist an’s Meer gegangen.‹ Da stand der Vezier auf und sprach: ›An dem Alten verlieren wir nichts. Was vermag der noch? Denn kämpfen kann er nicht mehr.‹ Der Sultan befahl alsdann, Posten auszustellen, und jedes Stadtthor bekam seine Wache. Das sind die Ereignisse in der Stadt.«
Als er mit der Darstellung fertig war, erwiderte der Greis kein Wort. Er ging und schlief bis zum Morgen; dann begab er sich an den Strand, nahm sein Boot und fuhr hinüber an’s andere Ufer zu dem Sultan des Festlandes und kam dort an.
Auch dieser hatte sich zum Kriege gerüstet und wollte den Sultan der Insel schlagen. Als der Alte ankam, fragte ihn der Sultan vom Festlande: »Wozu kommst Du her, Alter? Erzähle was Du im Schilde führst.« Er antwortete: »Ich komme, um Dich zu begrüssen, und erbitte auch etwas von Dir.« Der Sultan fragte: »Was wünschest Du?« Er antwortete: »Ich wünsche, dass Du mir einen Block Ambra giebst.« Ohne Anstoss daran zu nehmen, nahm der Sultan einen Block Ambra und gab ihm den.
Der Alte stieg wieder in sein Boot und kehrte nach der Insel zurück. Als er in der Nacht ankam, waren die Thore geschlossen, und die wachthabenden Soldaten fragten ihn, als er klopfte: »Wer bist Du?« Er sagte: »Ich bin es, ich komme vom Meere.« Da öffneten sie das Thor, der Alte trat ein, ging dann zum Sultan und klopfte an. Sofort antwortete man ihm und fragte: »Wer bist Du?« Er sprach: »Ich bin es, der alte Soundso, ich will den Sultan sprechen.« Dem Sultan wurde das berichtet; er kam heraus und fragte ihn, was er habe: »In welcher Sache kommst Du, es ist doch Nacht jetzt?« Er erwiderte: »Ich komme vom Meere; heute morgen stand ich auf und ging an’s Meer, um Fische zu fangen. Da fand ich einen Block Ambra, ich bin damit hergekommen, er liegt im Boot am Strande, ich kann ihn nicht tragen, denn ich bin alt und schwach.«
Als er ihm das erzählt hatte, sandte der Sultan Leute, um den Block zu holen, und sie kamen damit zum Sultan. Dann entliess der Sultan ihn und sprach: »Geh‘ jetzt nach Hause und schlafe.« Es war Nacht und der Alte ging nach Hause und schlief.
Als der Morgen graute, kehrte er zu seinem Boote zurück, fuhr hinüber an’s andere Ufer zum Sultan des Festlandes und sagte zu ihm: »Heute brauche ich zwei Blöcke Ambra.« Ohne Anstoss zu nehmen, gab er sie ihm. Er packte sie in sein Boot und kehrte zur Insel zurück. Ebenso wie früher kam er in der Nacht an, klopfte an das andere Thor, wo die Wache stand, und sie fragten ihn: »Wer bist Du?« Er antwortete: »Ich bin’s, der alte Soundso.« Sie öffneten ihm das Thor, er trat hinein und ging direkt zum Hause des Sultans. Der Sultan kam und sie trafen sich gerade wie das erste Mal. Und er sagte zu ihm: »Heute habe ich zwei Blöcke gefunden, schicke Leute an den Strand, dass sie dieselben holen.« Der Greis bat alsdann, ihn zu entlassen, und er ging fort zu schlafen.
Als der Morgen kam, ging er zum dritten Mal zum Sultan auf’s Festland, verlangte drei Blöcke und erhielt sie. Er kehrte ebenso in der Nacht zurück und liess sie zum Sultan bringen. Darauf sprach der Sultan zu den Wachehabenden: »Wenn jetzt der Alte kommt und es Nacht sein sollte, so sollen die Thore offen bleiben; dass keiner die Thore der Wache schliesse; Ihr dürft sie des Nachts offen lassen, denn wenn der Alte vom Meere kommt, soll er nicht dadurch aufgehalten werden.«
Nachdem dieser Befehl gegeben worden, ging der Alte, als es Tag wurde, wieder nach dem andern Ufer zum Sultan des Festlandes, verlangte vier Blöcke Ambra und erhielt sie. Auch diese brachte er hin und ging so sechs Tage lang unangehalten hindurch. Als der siebente Tag verflossen war, kam er zum Sultan auf’s Festland und sagte zu ihm: »Jetzt sammle ein Heer und führe es nach der Insel, denn die Thore der Mauer sind alle offen; aber gieb während Deines Kampfes den Soldaten Befehl, weder den Sultan noch den Vezier zu töten.«
Er gab ihnen den Befehl; sie zogen in den Krieg und drangen in der Nacht in die Stadt ein. Der Sultan wurde gefangen genommen und sein Vezier gefesselt. Als der Morgen graute, kam der Alte, sah sie gefesselt und sprach zu dem Sultan und seinem Vezier: »Als Ihr einst zusammenkamt und Leute haben wolltet für den Krieg, da fragte der Sultan nach, bis sie auch mich erwähnten; ich fehlte nämlich und war an’s Meer gegangen; da sagtest Du, Vezier: ›An dem verlieren wir nichts, er kann nicht kämpfen, denn er ist alt.‹ Habe ich Euch heute nun geschadet oder nicht?«
Und es kam Befehl, dass sie alle beide getötet würden. Der Sultan vom Meere wurde also getötet mit seinem Vezier; und der Sultan vom Lande herrschte in dem Reiche des Sultans vom Meere.

[Afrika: Ostafrika. Märchen der Welt]

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