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Krokodil und Dinka

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Die den Krokodilfluss nördlich überschreitenden Ausläufer der großen Dinkasteppe erfuhren längs des Wasserlaufes durch hohe Galeriewälder, durch weite, in Sumpf und Moor stehende Ambatschforste mannigfaltige Unterbrechung. Nun dort, wo der Krokodilfluss dem See entspringt, um in vielfach gekrümmten Lauf auf der Höhe der Teufelsinsel in den Weißen Nil zu münden, reichte die lichte Baum – und Grassteppe bis unmittelbar an das Wasser heran, eingesäumt auf zwei Seiten von himmelhoch anstrebenden Bambussiedlung.
Flache Sandbänke waren dem Wasser vorgelagert; auf ihnen sonnten sich Krokodile in Scharen. Ein einzelnes tupfergrünes, uraltes Tier lag am Spätnachmittag, als alle übrigen bereits das Wasser aufgesucht hatten, im glühenden Sand. Träge blinzelnd hob es den Kopf und öffnete den unheimlichen Rachen, ohne ihn wieder zu schließen. Die scharfen Zahnreihen blinkten an den Kinnladen. Ein Madenhacker, aus der Familie der Stare, tänzelte auf dem Rücken des Untiers herum, pickte aus den Hautfalten und schließlich gar zwischen den Lücken der großen Rundzähne. Blutegel und andere Schmarotzer hinweg, was sich das Ungeheuer gerne gefallen ließ. Dieses idyllische Spiel währte so lange, bis die gefürchtetste aller Riesenechsen unversehens mit dem Ruderschweif den Sand peitsche, wie ein Schatten ins Wasser glitt und dort mit Pfeilschnelle die Fluten teilte.
Der Madenhacker, der das Wild vor Gefahren zu warnen gewohnt ist, hatte diesmal, wohl infolge des emsigen Nahrungssuchens, den herannahenden Feind des Krokodils nicht so schnell wahrgenommen wie es sonst seine Art war.
Ein Schar Schillukrieger nährte sich schweigend dem Fluss. Auf einen Wink des Häuptlings Mena löste sich die Ordnung der langen Marschreihe und die Krieger stürzten sich begierig zum Uferrande, neigten die Knie und tranken schlürfend aus der hohlen Hand.
Dann machten sich einige eilfertig auf den Weg, das flussabwärts liegende Schillukdorf aufzusuchen, um den Ortsältesten die Ankunft des Schillukfürsten zu verkünden.
Mena und die zurückbleibende Schar, unter der sich auch der alte Medizinmann und Baumtöter Kahu befand, lagerten indes auf freiem, übersichtlichem Platz. In den Graswald wurden nach allen Richtungen Wachposten vorgeschoben. Unbeweglich stehend, leicht auf den Speer gestützt, den Schild bei Fuß, beobachteten sie das Gelände. Kein verdächtiges Geräusch entging ihrer gesammelten Aufmerksamkeit; selbst den Flug der Vögel verfolgten sie.
Ein Schwarm Nashornvögel zog westwärts hoch in den Lüften seine schwerfälligen Kreise. Plötzlich schwirrten die Hornraben unruhig und krächzend durcheinander. Sogleich wussten die Wächter, dass irgend etwas Ungewöhnliches im Anzuge war. Sie verdoppelten ihre Aufmerksamkeit, duckten sich, schoben den Körper lauschend vor und öffneten den Mund, bereit, augenblicklich den schrillen Warnruf auszustoßen.
Das Ohr des westlich stehenden Wächters vernahm das Geräusch schreitender Füße, unterschied deutlich das Klappern harter Ledersandalen auf dem trockenen, rissigen Boden. Sein scharfes Auge erspähte zwischen den übermannshohen Grashalmen hellfarbene, bunte Gewänder. Ein befriedigtes Lächeln flog über das dunkle Gesicht des Kriegers; er stieß kurz und scharf ein „Lo!“ durch die Zähne und zeigte, sich voll aufrichtend, den Ankommenden seine schlanke Gestalt.
Pat begrüßte den Schilluk durch ein freundliches Brummen, der Bei und Wandervogel schüttelten ihm die Hand.
„Mena erwartet seine weißen Freunde“, berichtete der Krieger. „In der Nähe jenes Bäumchens, dessen Krone ihr über dem Graswald seht, werdet ihr den Häuptling finden.“
„Ein unkluger Gedanke, auf freier, heißer Steppe zu lagern, statt unter schattigen Waldbäumen“, bemerkte Pat und schritt weiter.
Mena kam den Weißen entgegen. Stolz wippte die Schwanzfeder des Schreiseeadlers in seinem Haar; aber die dunkelbraunen Augen blickten schwermütig. Der Häuptling trauerte um Aischa, seine Schwester. Die schnellsten Krieger des Stammes waren hinter den Dinkas hergejagt, hatten jedoch die Räuber nicht einholen können. „Wenn ein Dinka läuft, hält selbst die schnellfüßige Antilope beschämt still“, sagte düster der Häuptling.
Zudem hatte sich die Spur der verfolgten geteilt; die Fährte des einen Trupps führte zum See „Keule des Titu-Tim“; Luwegu, der Stumme, hatte mit seinem unfehlbaren Spürsinn sogleich festgestellt, dass Aichas kleine Fußspur nebst der Fährte des Flinken Strauß sich bei jenem Trupp befand, der westwärts des Sees ins Dinkaland führte.
„Wir müssen den Räubern meiner Schwester bis zu ihren Kralen folgen“, sagte Mena. „Ich kenne den Wohnsitz des Flinken Strauß am Fuße des Berges ´Büffel verweile`. Dort also wird der Kampf stattfinden, bei dem die Steppenhunde ihre Frechheit zu büßen haben.“
Wandervogel erzählte von dem Kampf mit den Dinkas in der Bucht. Mena horchte auf. „Es war eine Falle, die man euch gestellt hat! Wie kam es, dass ihr so ahnungslos hineingingt?“ „Dieser elende ‚Weißling‘ ist schuld!“ erwiderte Pat. „Seine Dummheit brachte uns in die üble Lage.“ „Wie?“ rief der Häuptling, „ein Lichtfarbener? Wo ist er? Ich will ihn sehen.“
„Er schlich zuletzt wie ein geprügelter Hund hinter uns her. Möglich, dass er noch bei jenem Baum ist, wo wir unsere Waffen niederlegten; dort sah ich ihn zuletzt. He, Matibo, rufe Mbiti!“
Gehorsam erteilte Matibo, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken bestürzt zurück. „Herr, Mbiti ist fort, und …“
„Was und …?“
„Eure Waffen sind auch fort!“
Pat stieß einen Fluch aus und stürmte vorwärts; der Bei mit Wandervogel und dem Häuptling folgten unmittelbar.
Sie fanden den Platz unter dem Schattenbaum, den sie für ihr Lager ausgewählt und wo sie ihre Waffen niedergelegt hatten, in der Tat leer; – die Gewehre waren fort!“
„Geht! Geht!“ schrie Matibo aufgeregt und wies mit dem arm zum Waldrand hin, wo an erhöhter Stelle das Gelände auf eine kurze Strecke zu übersehen war. „Dort läuft der Halunke!“ wetterte Pat. Der Bei riss, ohne Zeit zu verlieren, die Pistolen aus dem Wams und schoss mehrmals.
„Feuerhand!“ rief die herbeigeeilten Schilluks bewundernd. „Habt ihr es gesehen? Das Feuer kam unmittelbar aus seiner Hand. Er braucht kein langes Donnerrohr wie die andern; mit einem ganz kurzen Ding erzeugt er denselben Blitz.“
Die Schilluks hatten nicht so Unrecht; nur taten die Pistolen nicht auch die gleiche Wirkung. Die Entfernung war zu groß: die Schüsse waren fehl gegangen.
„Wer ist der Lichtfarbene?“ fragte Mena.
„Ein Schilluk namens Mbiti; so sagte er selbst.“
„Er belog euch! Jener Lichtfarbene ist ‚Königsschlange‘, der ob seiner Tücke verrufene Medizinmann der Dinkas!“
Die Weißen waren sprachlos. Wandervogel fand als erster seine Worte wieder. „So hätte uns der Albino absichtlich in die Falle geführt?“
„Ebenso absichtlich, wie er euch mit Überlegung folgte, um eure Waffen zu stehlen. Niemand kommt der Königsschlange an List gleich.
„Nun wird mir alles klar,“ rief Pat erbost: „Seine angebliche große Körperschwäche, die sich wunderbarerweise so schnell behob, und der hartnäckig zur Ausführung gebrachte Plan, uns zum Nordende der Bucht zu locken, wo er seine Stammesgenossen auf der Lauer wusste. Was bin ich für ein Esel, dass ich nicht hinter diese Schliche gekommen bin!“
„Wir haben uns ja auch betölpeln lassen“, tröstete Wandervogel.
„Ihr beide seid im Vergleich zu mir altem Waldgänger noch Grünhörner. Laufe ich doch schon manches Jahrzehnt in der Wildnis herum. Nein, ich bin ein Esel; es bleibt dabei. Auf, wir wollen den Dieb folgen!“
„Die Nacht bricht schnell herein. Ruht euch aus, bis morgen der Tag graut, dann setzt mit frischer Kraft hinter ihm her“, riet Mena.
„Der Vorsprung des Diebes wird, wenn wir bis morgen warten, ein zu großer sein.“
Mena schüttelte den Kopf. „Der Vorsprung bedeutet gar nichts, wenn ihr wisst, wohin sich die Königsschlange wendete, und dies wird Luwegu unfehlbar in Erfahrung bringen. Lasst diesen darum der Fährte folgen.“
„Ich werde den Stummen begleiten“, erklärte Pfeilspitze. „Unterwegs wollen wir Zeichen auf dem Weg hinterlassen, so dass uns die weißen Männer leicht folgen können.“
Luwegu war bereit. Ehe sie das Lager verließen, hielt er den Zeigefinger warnend an dem Mund und blickte seinen Gefährten eindringlich an.
Pfeilspitze nickte verstehend. „Ich weiß, was du meinst. Wir wollen vorsichtig sein, denn wie die Zunge von Zähnen, so ist der Mensch von Feinden umgeben.“ „Und vermeidet jedes Geräusch“, warnte Mena. „Was Geräusch macht, während ihr den Feind anschleicht, das will euern Tod.“ Bewaffnet mit Speer, Schild und Bogen eilten die beiden davon.
Nichts würde Pat und seine Freunde von der sofortigen Teilnahme an der Verfolgung abgehalten haben, wenn der Tag sich nicht bereits gewaltig dem Abend zugeneigt hätte. Da die afrikanische Dämmerung sehr kurz ist, war mit einem baldigen Hereinbrechen der Nacht zu rechnen. Und selbst Pat mit seiner schier unheilbaren Abneigung gegen die Schwarzen musste zugeben, dass eine Verfolgung unter diesen Umständen überhaupt nur Aussicht auf Erfolg hatte, wenn sie von eingeborenen ausgeführt wurde, deren Spür – und Orientierungssinn ans Wunderbare grenzte.
Die Sonne versank hinter den Wipfeln hoher Urwaldbäume, lange Schlagschatten breiteten sich über die Erde.
Flussabwärts teilte eine lange Weiberkarawane den Graswald. Fein gestampftes Durrhamehl in Körben und geflochtenen breiten Schalen, goldgelbe Bananentrauben, Kürbisse und Maniokknollen trugen die Frauen auf den Wollköpfen herbei. Voran schritt Bimbila, ein schöngebauter, bis auf einen winzigen Lendenschurz, völlig nackter Schilluk, der Schulze des Dorfes flussabwärts.
Bimbila trieb das im Sudan übliche Bewillkommnungsschaf vor sich her, überreichte es dem Häuptling und hieß die Frauen ihre Lasten zu Boden setzen. Dann schüttelte er dem jungen Schillukfürsten väterlich die Hände, begrüßte die übrigen mit einem: „Habt ihr Glück gehabt unterwegs?“, wunderte sich über die Anwesenheit von Weißen, betrachtete sie misstrauisch von allen Seiten und wurde erst anderen Sinnes, als Mena sie für seine Freunde erklärte. Nun reichte er auch ihnen die Hand und verfehlte dabei nicht, Pat zu dessen Missvergnügen ‚Abu Turk‘ zu nennen.
Das Geschnatter der sich eifrig mit den Kriegern unterhaltenden Weiber wurde durch lauten, eintönigen Männergesang unterbrochen. Zahlreiche Schwarze stampften den Graswald nieder, eine breite Straße entstand, und auf dieser schwankte – die staunenden Weißen täuschten sich nicht – ein fix und fertiges Haus heran: aus Bambus fest gefügt, mit Durrhastroh gedeckt und in der üblichen Weise mit einem niedrigen Eingang versehen.
Vor Menas Füßen wurde es niedergelegt. Da stand es nun, als wäre es, wer weiß wie lange schon, mit diesem Ort verwachsen! Der Häuptling brauchte nur einen Schritt zu tun und in die Hütte hineinzugehen, in der Bimbilas Leute eine bequeme Bettstelle soeben niedersetzten.
Weitere Häuser schwankten auf die gleiche Weise herbei; Kahu, der Alte, und sämtliche Krieger fanden darin Unterkunft.
Die Weißen bekamen eine eigene Hütte.
Damit war aber Bimbilas Gastfreundschaft noch nicht erschöpft. Vor den Hütten des wie durch Zauber entstandenen Dorfes loderten bald luftige Lagerfeuer empor, die Weiber kochten in Töpfen Durrhabrei und ‚ägyptische Zehrwurzel‘, die Männer schlachteten das Schaf und rösteten die Stücke über offenem Feuer.
Als der Mond auf seiner Bahn den hohen Galeriewald überklettert hatte, beschien er ein friedliches afrikanisches Dorfbild: eifrig schmatzende, lachende, sich harmlos des Lebens und der Ruhe freuende friedliche Eingeborene. Vom Lichtschein angelockt, schlich mit gesträubtem Rückenfell eine gefleckte Zibetkatze heran und starrte so lange mit verglasten Augen in die Flammen, bis sie von den Kriegern durch Stein – und Stockwürfe verjagt wurde.
Auf gleiche Weise betört, stieg ein Schwarm weißgefiederter Eisvögel auf, die an einer steilen Stelle des Flussufers in selbstgegrabenen Höhlen nisteten. Kurze, schrille Töne ausstoßend, kreisten sie über dem Lager und beruhigten sich erst, als sie mit nach Süden ins Dunkle gerichteter Flugrichtung dem ihnen unheimlichen Spuk zu entrinnen vermochten.
Vom Feuerschein verblendete, mit Vorliebe Krokodileier vertilgende Pharaonenmäuse machten Männchen im Sand, und eine schwarze Wasserschlange mit plattgedrückten Körper, beinahe einem Bandwurm ähnelnd, krümmte sich unbemerkt so nah an die Ahnungslosen heran, dass sie mehrere der Mäuse mit erstaunlicher Schnelligkeit verschlingen konnte, ehe die anderen zu flüchten vermochten.
Draußen auf dem See platzten mit eigentümlichen leisen Geräusch die Kelchhüllen des aufblühenden Lotos und betupften die Nacht, die geisterhaft auf der großen weiten Wasserfläche lag, mit prächtigen, handgroßen, milchweißen Blumenkronen.
Im Lager schrie plötzlich ein Mann auf; ein Skorpion hatte ihn ins Bein gestochen. Die Afrikaner haben unempfindliche Nerven, aber dieser Schmerz rast auch bei ihnen wie Feuer durch den Körper. Der Mann sprang auf und tanzte wie besessen auf dem gesunden Bein. Indes entdeckte der schnell herbeigerufene Kahu den Übeltäter im Sand, packte ihn mit zwei Stäbchen und zerquetschte den schwarzen Spinnenleib auf der Stichstelle. Damit wurden nach der Meinung der Schilluks die Schmerzen behoben. Wirklich beruhigte sich der Betroffene schnell, hinkte nur noch ein wenig umher und ließ sich dann, den Vorfall vergessend als wäre nichts geschehen, erneut im Kreise seiner Freunde nieder.
Wandervogel hatte die wunderliche Behandlung durch den Medizinmann mitangesehen; unwillkürlich erinnerte sie an den Amulettendoktor vom Brunnen Sun Sim, der ja auch Skorpionstiche auf merkwürdige Weise heilte. Mena saß vor seiner Hütte auf einer schönen, aus Palmblattstreifen von Bimbilas Dorffrauen geflochtenen Matte und kostete aus einer Kürbiskelle von dem gestifteten Durrhabier des eifrigen und unerschöpflichen Gastgebers. „Verteile es an die Krieger“, sagte Mena, „sie werden sich freuen.
Kahu und die Weißen saßen am Häuptlingsfeuer, das steil empor loderte und mit spitzen Flammenzungen nach den blutgierigen Moskitos leckte, die in singenden, summenden Schwärmen vom Flusse kamen.
„Wann werde ich meine Schwester wiedersehen?“ klagte Mena.
Nach einer Pause bedrückenden Schweigens antwortete Kahu: „Wir wollen das ‚Bänge‘ fragen.“
„Tu es!“ versetzte Mena. Bimbila, der Unerschöpfliche, reichte dem Medizinmann einige Hühner, die für das Orakel erforderlich waren.
Indes die Weißen mit neugierigen Blicken dem Beginnen des Alten folgten und Pat hierbei ein bedenkliches Kopfschütteln nicht unterdrücken konnte, während sie aus den Pfeifen Bimbilas Tabak rauchten, versammelten sich sämtliche Schwarze im Kreise um das Häuptlingsfeuer und warteten gespannt auf den Verlauf des Zauberspiels.
Mehrere mit Tabak gefüllte hohle Antilopenknochen gingen unter den Kriegern eifrig von Mund zu Mund. Warum sich die Schilluks nicht auch aus Bambusrohr Pfeifen herstellten, wie es dir Weißen bereits getan, blieb Wandervogel unerfindlich.
Kahu entnahm einem Ziegenhorn, das, wie alle wussten, Gift enthielt, ein rötliches Pulver, vermengte diese mit Wasser, riss einem Huhn eine Feder aus, tauchte diese in den Gifttrank und führte sie dem unglücklichen Opfer dunklen Aberglaubens tief in den gewaltsam aufgerissenen Schnabel ein.
„Wenn das Huhn am Leben bleibt, dann wirst du Aicha, die Taube, die wir alle lieben, in Bälde wiedersehen!“ verkündete Kahu dem Häuptling mit feierlicher Stimme und gab das Huhn frei.
Diese machte einige verzweifelte Versuchte, die Feder aus dem Schnabel zu schütteln, bekam Zuckungen, sank zu Boden und verendete im Augenblick. „Kein Wunder“, brummte Pat, „ich kenne dieses rote Gift; es ist von einer fürchterlichen Wirkung, die kein Elefant, geschweige ein armseliges Huhn übersteht.“
Durch die Reihen der Krieger ging ein Ruf des Schreckens; Menas dunkles hübsches Gesicht wurde aschgrau und selbst Kahu, der Alte, verfärbte sich.
„Das Bänge hat gegen uns gesprochen. Es ist ganz zwecklos, die Dinkas weiter zu verfolgen,“ erklärte ein Krieger. Die übrigen stimmten lebhaft zu.
Es war ein kritischer Augenblick; ging er ungenützt vorüber, dann blieb Aischa, die liebliche Häuptlingstochter, für immer der Freiheit beraubt. Als Sklavenmädchen musste sie bei den Viehhirten ein unglückliches Dasein fristen, stets der Gefahr ausgesetzt, an den nächstbesten ins Land kommenden Elfenbeinhändler verschachert zu werden.
Während noch bedrückendes Schweigen auf allen lastete, sprang Wandervogel auf und verkündete mit heller Stimme: „Kahu hat sich geirrt! Nie und nimmer war es richtig, das Bänge so zu fragen, wie er es getan hat.“
„Wie meinst du das, Schnelle Büchse?“ fragte Mena mit neu keimender Hoffnung.
„Ihr seid alle tapfere Krieger,“ fuhr Wandervogel fort. „Solchen geziemt es das Bänge in erster Linie über den bevorstehenden Kampf zu befragen:“
„Es ist ganz klar, dass wir Schilluks im offenen Kampf über die feigen und listigen Steppenhunde siegen werden“, erklärte der Krieger von vorhin.
„Dann ist es gut“ sagte Wandervogel, während sein Gehirn blitzschnell arbeitete. „Fragen wir also das Bänge, ob es zum offenen Kampf kommen wird. Ist dieses der Fall dann wird Aischa frei, denn die besiegten Dinkas müssen sie herausgeben,“
„Ich verstehe dich nicht,“ murrte Kahu, ärgerlich über die unbefugte Einmischung des Weißen in sein seit Menschenalter von ihm mit ehrlicher geübtes Amt.
„Gibt dem nächsten Huhn von dem Gift oder gleich allen beiden, die noch da sind. Bleiben sie am Leben, dann siegt Dinkalist, verenden sie, wie das erste, so siegen wir im offenen Kampf!“
Kahu nahm kopfschüttelnd den Palmblatthut vom Kopf und kratzte sich den kahlen Schädel. „Umgekehrt muss es doch sein!“ rief er. „Bleiben die Hühner am Leben so siegen wir.“
„Mache es nur wie ich sage!“ erwiderte Wandervogel ungeduldig.
„Ich vertraue dem Rate der Schnellen Büchse“, erklärte Mena; „Tu also wie er sagt.“
Wandervogel taten die noch zu opfernden beiden Hühner leid. Sie konnten die Wirkung des Giftes ebenso wenig überstehen wie das erste Huhn. Aber um der guten Sache, um Aischas willen, mussten sie ihr Leben lassen.
Wirklich orakelte das Bänge diesmal günstig. Die Hühner verendeten schnell wie das erste. Schilluktapferkeit musste also siegen über Dinkalist. Ein ungeheurer Jubel entstand, der erst abflaute, als sich alle befriedigt zur Ruhe begaben. Nur die Wächter standen im Dunkeln und hielten Wacht.
Kahu trat, ehe er sich selber in seine Hütte zurückzog, an Wandervogel heran, legte die Stirn nachdenklich in Falten, schaute den jungen Weißen dabei freundlich an und sagte: „Du bist sehr klug; ich erkenne es an. Schade, dass du ein weißes Gesicht hast. Dies ist kein Vorwurf gegen dich und deine Freunde. Aber ich habe ein langes Leben hinter mir, ich weiß es: Wohin die Weißen kommen, dort gehen die Dunkelhäutigen zugrunde. Der Schatten des weißen Mannes ist der Tod des Schwarzen. Wärst du ein Schilluk, du müsstest zusammen mit unserem Häuptling über den Stamm regieren. Es würde zu unser aller Vorteil sein.“
Als Wandervogel nicht antwortete, sondern nur leise lächelte, fuhr der Alte eifrig fort: „Dann müsstest du dir eine Frau nehmen, Aischa etwa, wenn sie erwachsen ist. Ein Mann ohne Frau und ohne Kinder ist wie ein Dornbaum ohne Früchte.“
Wandervogel lächelte nicht mehr; er war ernst geworden, schwieg aber noch immer.
„Was meinst du zu meinen Vorschlägen?“ fragte Kahu.
„Ich bin lieber allein, Kahu. Ich tauge nicht zum Leben unter vielen Menschen.“
Der Alte schüttelte missbilligend den Kopf. „Es ist nicht gut, allein zu sein, weißer Mann; der Mensch ist Medizin dem Menschen.“
Mit diesen tiefsinnigen Worten schritt Kahu hinweg, seiner Hütte zu. Die Lagerfeuer waren erloschen.

Quelle:
(Sudan)

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