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Der wunderbare Vogel

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Es war einmal ein armer Mann, der eines Morgens das Haus verließ, um für sein Weib und seine Kinder irgendwo Brod zu suchen. Wie er so ging, erblickte er ein buntes Vögelein, das mit den Flügeln flatterte und nach ihm sah, da fing er es und kehrte damit nach Hause zurück. Dort setzte er es unter ein Sieb, damit es nicht entwischen könne, worauf er wieder fortging Brod zu suchen, da er aber nirgend welches erhalten konnte, so kehrte er kleinmüthig und betrübt wieder heim. Kaum aber hatte er die Schwelle betreten, so kamen die hungrigen Kleinen auf ihn zugesprungen, und erzählten, daß der Vogel zwei Eierchen gelegt habe, und eines von den Kindern sagte ihm, er möge sie auf den Markt tragen, und für den Erlös derselben Brod mitbringen. Der Vater lächelte zwar über diesen Vorschlag, sprach aber seufzend zu ihnen: »Arme Kinder! was werde ich für zwei so kleine Eier bekommen können?« sie aber antworteten, »man wird dir viel, sehr viel dafür geben.«
Da ging er denn wirklich mit den Eierchen auf den Markt, und wie er vor das Thor der Stadt kam, begegnete er einem fremden Manne, der, als er die Eier erblickte, auf ihn zueilte und gleich fragte, was er dafür verlange? der Mann antwortete: »So viel du geben willst, daß ich für mich und die Meinen Brod kaufen kann.« Der fremde Mann reichte ihm eine goldne Zechine mit den Worten: »Da hast du eine Zechine, und hier noch eine zweite, wenn du mir sagen willst, woher du diese Eier hast.« Da erzählte er ihm Alles, und als hierauf der Fremde fragte, ob er ihm nicht auch den Vogel verkaufen wollte, sagte er ihm: »Ja, wenn du mir ihn gut bezahlst,« und so gingen sie Beide miteinander zurück. Als sie ins Haus kamen, und der fremde Mann den Vogel erblickte, sprach er: »Hier hast du hundert goldene Zechinen.« Da gab ihm der Arme den Vogel. Der Fremde nahm ihn, riß ihm zuerst das Köpfchen ab, dann nahm er das Herz heraus und sprach: »Bratet mir dieses Köpfchen und dies Herz, daß ich es essen kann.« Und die armen Leute steckten beides an einen Spieß und gaben ihn einem der Kinder zu drehen.
Während sich nun der Fremde im Gespräch mit den übrigen Hausleuten unterhielt, versammelten sich die Kinder alle um jenen Braten, und wollten sehen, ob er bald gar würde, zuletzt aber aßen zwei von ihnen, hungrig wie sie waren, das eine den Kopf, das andere das Herz auf und liefen weg. Bald darauf trat auch der Kaufmann an das Feuer, nachzusehen, ob das Gericht schon gar wäre, wie er aber vernahm, was geschehen, da schlug er sich mit der Hand vor die Stirn und brach in lauten Jammer aus, nicht um die hundert Goldstücke, die er für den Vogel bezahlt hatte, sondern daß er so betrogen worden sei, und nun das Glück in dieser und jener Welt verloren habe, und jämmerlich wehklagend ging er fort. Des andern Tages als jene zwei Kinder erwachten, lagen unter dem Kopfe desjenigen, der das Herz gegessen hatte, hundert blanke Zechinen, und der Knabe, welcher den Kopf verzehrt hatte, fing dem Vater und der Mutter zu erzählen an, was auf der ganzen Erde vorgehe, und was die Könige dächten. Und so ging es von nun an jeden Morgen: der Eine fand stets hundert Zechinen unter seinem Kopfe, der Andere wußte immer was in der Welt gethan und gedacht wurde. Und in dieser Weise bereicherten sie sich, und sammelten zuletzt viel Volk, von welchem sie verlangten, daß es einen von ihnen zum Könige ernennen sollte, und da traf die Wahl den der das Herz gegessen hatte. Nun fing aber der, welcher den Kopf des Vogels verzehrt hatte, voll Neides, und gleichsam als der verständigste der Menschen, den König, seinen Bruder, zu hassen an und sann darüber nach, wie er ihn aus dieser Welt schaffen könnte, um an seiner Stelle zu herrschen, und als der Bruder eines Abends eingeschlafen war, erschlug er ihn, schlitzte ihm den Leib auf, fand darin das Vogelherz, verschluckte es, und nähte hierauf den Leib wieder zu. Den nächsten Tag ging die Kunde durch das Volk: »Der König ist gestorben! Wen werden wir nun zu seinem Nachfolger machen?« Und da wählten sie hin und her, von Einem zum Andern, vom Hohen zum Niedern, und kamen zuletzt auf des Königs Bruder, bei dem blieben sie und der ward König. Und nachdem er König geworden war, fand er auch jeden Morgen unter dem Kopfe hundert Goldstücke, warb um des Kaisers Tochter, und der Kaiser gab sie ihm, und sie wurden getraut wie es der Glaube vorschreibt. Als die junge Kaiserin den ersten und zweiten Morgen gewahrte, daß unter dem Kopfe ihres Mannes hundert Goldstücke lagen, verwunderte sie sich, und am dritten Morgen entwendete sie ihm fünfzig, die andern fünfzig ließ sie liegen; als aber der Mann erwachte und das Hundert nicht voll fand, fiel er über sie her als wollte er sie ermorden; da warf sie voll Angst die Goldstücke von sich, er aber fiel aus Aerger in Ohnmacht, fing an sich zu erbrechen, und brach auch das Herz heraus. In dem Augenblicke erschien eine Hand, so weiß wie der Schnee auf dem Gebirge, die erfaßte das Herz, und eine Stimme ließ sich vernehmen, die rief: »Das war mein, doch es soll dir vergeben sein!« Diese Stimme war die Seele seines Bruders und jene Hand sein Schatten. Bald darauf kam auch der König wieder zu sich, und als er sah und vernahm, was sich zugetragen, fing er seine Sünden zu bereuen an, theilte den Armen Almosen, und that Buße bis an seinen Tod.

[Serbien: Vuk Stephanovic Karadzic: Volksmärchen der Serben]

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