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Märchenbasar

Mitscha-Makwe oder der Krieg mit dem Riesenbären, der den Wampumgürtel besaß

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Hoch oben im Nordwesten lebte ein großer Magier namens Jamo mit seiner Schwester, die außer ihm nie ein anderes menschliches Gesicht gesehen hatte. Jamo führte ein recht bequemes Leben; auf der Jagd brauchte er sich nicht hungrig und müde zu laufen, denn wenn ihm Fleisch mangelte, so steckte er einfach am Abend einige Pfeile vor seinem Wigwam in den Boden, und am anderen Morgen fand seine Schwester an jedem davon ein fettes Tier stecken.
Eines Tages sagte Jamo: »Schwester, ich ahne, daß die Zeit nicht mehr fern ist, in der du krank werden wirst, deshalb beachte meinen Rat: Nimm einige notwendige Geräte zu dir und mache dir irgendwo im Wald ein Feuer an. Wenn du Fleisch brauchst, so will ich dir zeigen, wo welches ist; wenn du unwohl bist, so meide meine Wohnung und bringe auch nichts von deinen Sachen hinein. Was mich anbelangt, so werde ich alles für dich tun, was ich kann; doch wenn du meinem Rat nicht folgst, so ist dies mein Tod.«
Sie versprach, ihm zu gehorchen. Kurze Zeit danach, als ihr Bruder einmal ausgegangen war, um dem Gesang der Vögel zu lauschen, und sie ihr langes Haar kämmte, nahte jener Augenblick, von dem er gesprochen hatte. Gleich lief sie aus der Hütte, vergaß jedoch in der Eile ihren Gürtel mitzunehmen. Als sie dies später bemerkte, stand sie eine Zeitlang unschlüssig da und wußte nicht recht, ob sie wieder umkehren oder den Gürtel im Stich lassen sollte. Doch, dachte sie, mein Bruder ist ja nicht da und sieht mich nicht; ich kann ihn also holen.
Das tat sie denn auch, und kurz darauf kam der Bruder. Er wußte gleich, was ihr fehlte, und rief weinend: »O Schwester, jetzt hast du mich getötet; es ist nun einerlei, ob du gehst oder bleibst.«
Dann legte er sein Jagdgewand ab und setzte sich traurig in die Ecke. Bald fingen seine Füße und Beine an zu schwellen, so daß er sich nicht rühren konnte. Die Geschwulst verbreitete sich allmählich über den ganzen Körper, und er fühlte sein Ende herannahen.
Da sagte er zu seiner Schwester: »Dort in jenem Winkel hängen mein Medizinsack und meine Streitaxt, die sehr scharfe Ecken hat. Sobald die Geschwulst meine Brust erreicht hat, schlägst du mir damit den Kopf ab, steckst ihn dann in jenen Sack, den du aber etwas offen lassen mußt, und dann hänge mich mit dem Kopf so, daß ich stets die Tür sehen kann; und vergiß auch nicht, Pfeile und Bogen in meine Nähe zu legen. Behalte nur einen Pfeil für dich; er wird dir schon genug Lebensmittel verschaffen.«
Die Schwester versprach, seinem Willen nachzukommen, doch fürchtete sie sich ein wenig, als der bezeichnete Moment kam. Aber der Bruder lächelte ihr Mut zu, und mit einem gewaltigen Hieb wurde der Kopf vom Rumpf getrennt. Danach hängte sie ihn an den besagten Ort, wo er immer aus seinem Sackloch hervorsah, als ob er noch lebe. Das war übrigens auch der Fall, denn er sprach sogar ständig mit seiner Schwester, unterhielt sich über allerlei, gab ihr mancherlei Ratschläge und erzählte ihr auch, daß ihm noch verschiedene weitere unangenehme Schicksale bevorständen, die ein mächtiger Manitu, dessen Willen er sich beugen müsse, über ihn verhängt habe. – Lassen wir ihn nun einige Minuten hängen.

In einer waldigen Gegend des Nordens hatte sich ein kriegslüsternes Volk niedergelassen, das mit allen Nachbarstämmen in ständigem Kampf und Streit lag. Zu jenem Stamm gehörte auch eine Familie, die aus zehn kräftigen Männern bestand. Der jüngste davon hatte erst kürzlich sein Gesicht geschwärzt, sich zum Fasten hingelegt und dabei außergewöhnlich günstige Träume gehabt.
Als er diese seinen anderen Brüdern erzählte, erkannten sie darin die Fingerzeige des Kriegsgottes und wünschten unter seiner Anführung einen Kriegszug zu unternehmen. Darauf setzten sie sich nieder, sangen ihre wilden Lieder und schlugen ihre weithin hallenden Trommeln dazu. Der drittälteste davon, mit Namen Mudschikihwis – bekannt durch seine Dummheit und Hanswursterei –, nahm eine dicke Keule, zerschmetterte damit den dicksten Pfosten der Hütte und rief: »Seht, so wird es allen Feinden meines jüngsten Bruders ergehen!«
Doch von dieser Heldentat wurde weiter keine Notiz genommen.
»Ihr müßt euch«, sagte der jüngste Bruder darauf, »im geheimen vorbereiten, so daß eure Weiber nicht merken, was ihr vorhabt.«
Das versprachen sie denn auch alle; Mudschikihwis wie gewöhnlich zuerst. Dann wurde eine bestimmte Nacht festgesetzt, in der sie sich zur Abreise versammeln sollten.
Als diese Zeit erschien, sagte Mudschikihwis zu seiner Frau: »Hol mir schnell meine neuen Mokassins herbei, denn du mußt wissen, daß ich den Kriegspfad betreten will.«
So verriet er also das Geheimnis.
Bei ihrer Abreise schneite es, so daß man ihre Spuren deutlich sehen konnte. Da machte denn der Anführer einen großen Schneeball, warf ihn in die Luft und rief: »Seht, solche Schneeflocken sah ich in meinen Träumen fallen!« Und bald fielen auch wirklich Flocken von dieser Größe.
So schneite es nun einen ganzen Tag und eine ganze Nacht; die Brüder hielten sich stets nahe beisammen, damit sie sich bei diesem Unwetter nicht aus den Augen verlören. Mudschikihwis war dabei stets der letzte. Doch einst lief er hastig an die Spitze, ließ den wilden Kriegsruf ertönen, spaltete mit seiner Keule einen dicken Baumstamm und rief: »Brüder, so will ich unsere Feinde zerschmettern!«
»Langsam, langsam, Mudschikihwis«, sagte der Anführer; »mit dem Feind, den ich dir vorführen werde, wirst du nicht so leicht fertig werden.«
Darauf blieb Mudschikihwis allmählich wieder zurück; sein Gesicht zog sich bedenklich in Falten, und er wünschte heimlich, daß er lieber zu Hause geblieben wäre.
Nachdem sie noch einige Tage lang weitergewandert waren, kamen sie auf eine große Ebene, an deren Grenze die menschlichen Knochen haufenweise umherlagen. »Das sind«, sagte der jüngste Bruder, »die Gebeine derjenigen, die vor uns hierher gekommen sind.«
Mudschikihwis wurde nun immer unruhiger, doch um seine Furcht die anderen nicht merken zu lassen, ließ er abermals den Kriegsruf ertönen, zerschmetterte einen mächtigen Felsen am Weg und rief: »Brüder, so werde ich unsere Feinde zermalmen!«
Aber der Anführer erwiderte: »Dieser Fels hält mit unserem Feind keinen Vergleich aus!«
Nun wurde Mudschikihwis noch ängstlicher zumute; was das für ein furchtbarer Feind sein müsse, konnte er sich gar nicht erklären.
Inzwischen waren die Brüder auf einer kleinen Anhöhe angelangt, von wo aus sie auf einem gegenüberliegenden Berg den schlafenden Mammutbären entdeckten. Obwohl die Entfernung bedeutend war, so konnten sie das Riesentier noch ganz deutlich erkennen.
»Seht«, sagte darauf der jüngste, »dort liegt der Feind, dem ich euch entgegenführe; es ist Mitscha- Makwe oder der große Bär mit dem kostbaren Wampumgürtel, dem schon so mancher tapfere Kämpfer sein Leben geopfert hat. Doch fürchtet euch nicht, denn meine Träume haben mir den Sieg verkündet!«
Da der Bär sehr fest schlief, so konnten sie sich unbemerkt heranschleichen und sogar der Reihe nach probieren, ihm den heiligen Wampumgürtel über den Kopf zu ziehen, was sie jedoch nicht fertigbrachten. Der jüngste zog ihn glücklich bis zum Kopf, aber drüberbringen konnte er ihn nicht. Da halfen ihm denn die anderen zusammen aus Leibeskräften ziehen, und das Werk gelang. Dann packte der Stärkste den heiligen Schatz auf die Schulter, und dann liefen sie fort, so schnell, wie sie ihre Beine nur tragen konnten.
Der Bär schlief noch immer; doch als die Abenteurer die Knochenhaufen erreicht hatten, sahen sie, wie er sich langsam erhob und seinen Verlust bemerkte. Bald ertönte auch seine Donnerstimme, und die Erde krachte unter seinen Sprüngen.
Die Brüder suchten sich nun gegenseitig Mut zuzusprechen, und der jüngste fragte: »Hat denn keiner von euch je von einem guten Manitu geträumt, der ihm versprochen hat, zur Stunde des Unglücks Hilfe und Schutz zu gewähren?« Doch es erfolgte keine Antwort. »Gut«, sprach er weiter; »ich habe kürzlich im Traum eine rauchende Hütte gesehen, in der ein alter Mann wohnte, der mich beschützte.«
Dieser Traum bewahrheitete sich nun auch bald, denn die Hütte mit dem alten Bewohner stand plötzlich vor ihnen. »Memescho«, sagte der Führer, »gewähre uns Schutz, denn ein mächtiger Bär verfolgt uns.«
»Seid unbesorgt«, erwiderte der Alte freundlich; »laßt euch nur ruhig nieder, denn es gibt keinen mächtigeren Manitu auf der ganzen Erde, als ich bin.«
Darauf stellte er ihnen Speise und Trank vor und ging vor die Tür, um sich seinen Feind einmal anzusehen. »Ja, meine Kinder«, sagte er, als er wieder hereintrat, »das ist wahrhaftig ein kräftiger und gefährlicher Manitu, der mir zu schaffen machen wird. Aber ich habe euch einmal meines Schutzes versichert und werde auch mein Wort halten, und wenn es mich mein Leben kostet. Wenn jetzt der Bär vor die Hütte kommt, so entschlüpft ihr durch die Hintertür und laßt mich dann für das übrige sorgen.«
Darauf öffnete er seinen großen Medizinsack und nahm zwei kohlschwarze Hunde heraus, die er gewöhnlich brauchte, wenn er Krieg führte. Er streichelte sie, wodurch sie allmählich so groß wurden, daß sie zuletzt die ganze Hütte ausfüllten. Ihre Knochen wurden so fest wie Feuerstein und ihre Zähne so lang und so spitz wie Wurfspieße. Sie sprangen dem Bären entgegen, und es entspann sich ein so schrecklicher Kampf, daß Himmel und Erde erdröhnten und Sonne und Mond herunterzufallen drohten.
Die zehn Brüder hatten sich glücklich durch die Hintertür in Sicherheit gebracht. Bald aber hörten sie den Todesschrei des einen Hundes, dem auch kurz danach der des anderen folgte. Auch der alte Manitu wurde getötet, und der Bär holte darauf die Fliehenden in kurzer Zeit wieder ein.
»Kann denn keiner etwas zu unserer Rettung tun?« fragte der jüngste Bruder wieder; doch er erhielt keine Antwort. »Nun«, fuhr er fort, »ich habe im Traum einen mächtigen Manitu gesehen, der mir half, und ich glaube, dort steht seine Hütte.«
So war es denn auch.
»Kinder«, sagte der Alte, »kommt herein, eßt und trinkt, und seid nicht ängstlich, denn es gibt keinen stärkeren Manitu auf der ganzen Welt, als ich bin!« Sie gingen auch hinein und setzten sich nieder, und bald zitterten alle Pfosten des Wigwams von den gewaltigen Sprüngen des Bären.
»Wahrhaftig«, sagte der Alte, zur Tür hinaussehend, »dieses Tier wird mir den Angstschweiß heraustreiben. Sobald der Bär kommt, entflieht ihr durch die Hintertür, damit ihr bei unserem Kampf keinen Schaden nehmt.«
Darauf holte er seinen großen Medizinsack herbei und nahm seine Kriegskeulen heraus, die in seinen Händen immer größer und größer wurden. Dann trat er damit vor die Tür und versetzte dem Bären einen so kräftigen Schlag, daß die eine Keule in tausend Stücke sprang. Nun nahm er die andere und versetzte dem Bären abermals einen furchtbaren Schlag, worauf dieser besinnungslos zu Boden stürzte. Aber er erholte sich bald wieder und setzte den Kampf mit erneuten Kräften fort. Bald verkündete ein gellender Schrei den Fliehenden, daß ihr Schutzgeist sein Leben für sie geopfert hatte, und kurz darauf war der Bär auch schon wieder dicht hinter ihnen.
»Ach«, klagte der Anführer, »meine Träume sind nun bald erschöpft, und wenn wir uns nicht schnell in Sicherheit bringen, so sind wir verloren. Ich sehne mich jetzt nach einem großen, tiefen See, an dessen Ufer ein geräumiges Kanu mit zehn Rudern steht.«
Es kam wieder so; sie setzten sich in das Schifflein und fuhren ab. Der Bär stand eine Weile unschlüssig am Ufer und überlegte, was hier zu tun sei. Er versuchte hineinzuwaten, aber seine Beine waren zu kurz. Danach wollte er schnell auf die andere Seite des Ufers laufen, doch die zehn waren klug und blieben stets in der Mitte des Sees.
Nun blieb ihm kein anderes Mittel übrig, als den ganzen See auszusaufen. Er öffnete seinen Rachen himmelweit, und das Wasser strömte so reißend in diesen hinein, als liefe es in einen bodenlosen Abgrund.
Die Brüder gaben sich alle mögliche Mühe, schnell ans andere Ufer zu kommen, aber die Strömung war zu stark und trieb sie pfeilschnell dem Bärenmaul zu. »Mudschikihwis«, rief der jüngste Bruder, »jetzt ist es Zeit, deinen Mut und deine Kraft zu zeigen. Setz dich vorn an die Spitze des Kanus und versuche, wenn wir nahe genug sind, deine Keule am Hirnschädel des Bären.«
Mudschikihwis folgte und versetzte ihm auch wirklich einen solchen Schlag, daß er ohnmächtig hin und her taumelte. Doch als er gerade zum zweiten Schlag ausholen wollte, gab der Bär plötzlich das gesoffene Wasser wieder von sich, und sie wurden mit ihrem Kanu mit Blitzesschnelle ans andere Ufer getrieben. Dort verließen sie das Boot und liefen weiter.
Doch bald war ihnen der Bär wieder auf den Fersen, und der Jüngste seufzte: »Ach, jetzt kommt mein letzter Traum, in dem mir geholfen wurde. Der letzte Zufluchtsort, den ich weiß, ist der Wigwam Jamos oder des unsterblichen Kopfes, der hier in der Nähe sein muß.«
So war es auch. Jener lebende Kopf, der von Pfeilen und Kriegsfedern umgeben in seiner Wigwamecke hing und die jungen Leute kommen sah, sprach zu seiner Schwester: »Liebe Schwester, ich bin in einer traurigen Lage, denn bald werden mich zehn verfolgte Krieger um Schutz anflehen, und ich kann doch nicht, wie ich will; drum tu, was ich dir befehle. Zuerst nimm zwei starke Pfeile, und stecke sie vor die Tür, damit du mit dem Wild, das sich daran aufspießen wird, unseren Gästen ein stärkendes Mahl bereiten kannst. Wenn dann der schreckliche Bär kommt, so nimmst Du ruhig meinen Medizinsack von der Wand, gehst damit vor die Tür, legst alle darin enthaltenen Federn, Farben, Pfeilspitzen usw. um dich herum und nennst dabei stets meinen Namen. Sollte dies nun nicht die erwünschte Wirkung haben, so wirfst du dem Bären meinen Kopf entgeten und rufst: ›Das ist der Kopf meines verstorbenen Bruders!‹ Dann wird er besinnungslos hinfallen, und die fremden Leute, die inzwischen wohl gegessen haben werden, können dann zu deinem Beistand herbeieilen und ihn vollends töten. Danach zerschneidest du seinen Körper in kleine Stücke und streust diese über die ganze Erde; denn wenn du das nicht tust, wird er wieder lebendig.«
Die Schwester versprach, ihm zu gehorchen, und gleich darauf erschienen die erwarteten zehn Brüder und der grimmige Bär ebenfalls. Sie stellte den Männern ein prächtiges Mahl vor, ging dann vor die Tür und zog mit dem Inhalt des Medizinsacks einen magischen Kreis um sich. Der Bär schauderte, als er diese Dinge erblickte; doch als sie ihm nun gar den Kopf entgegenhielt, fiel er ohnmächtig nieder, und der Schaum kam ihm aus Maul und Nase.
Als dies die Krieger sahen, sprangen sie schnell herbei, und Mudschikihwis versetzte ihm mit seiner gewaltigen Keule solche Hiebe, daß das Gehirn nach allen vier Richtungen spritzte. Darauf zerschnitten die anderen seinen Körper und verstreuten die Stücke in alle Weltgegenden. Aber sobald ein Stück den Boden berührte, wurde ein kleiner Schwarzer Bär daraus, woraus sich denn der Umstand erklärt, daß diese Tiere im Norden einst so zahlreich waren.
Darauf gingen sie wieder in die Hütte zurück und aßen ruhig weiter. Das Mädchen sammelte inzwischen die Sachen des Bruders wieder ein und gab sie in den Sack; aber der Kopf sprach nicht mehr.
Die Krieger freuten sich ungemein über ihre glückliche Rettung, doch wußten sie nicht recht, was sie nun eigentlich mit ihrem heiligen Wampumgürtel machen sollten. Da sie sich sehr weit von ihrer Heimat entfernt hatten, so gaben sie die Idee völlig auf, wieder dahin zurückzukehren.
Eines Tages, als sie sich auf der Jagd befanden und ihren Wampumschatz der Obhut des Mädchens anvertraut hatten, sagte der eine: »Kommt, laßt uns zu unserer Schwester gehen und den Kopf ihres Bruders holen, dem es zu Hause doch zu langweilig sein mag.« Das geschah denn auch. Sie nahmen ihn mit auf ihre Jagdzüge und suchten ihn durch allerlei Spaße zu erheitern; aber nur selten bewegte er seine Augen.
Nun wurden sie einst auf einem solchen Zug von feindlichen Indianern angefallen und, trotzdem sie wie die Löwen fochten, nach verzweifeltem Widerstand alle getötet. Einer der feindlichen Krieger eroberte den Medizinsack und nahm alle schönen Farben und Federn heraus, schmückte sich damit und rief dann die anderen herbei, die nun allerlei Unsinn mit dem Kopf trieben. Ja zuletzt gingen sie sogar so weit, daß sie ihn wie einen Ball umhertanzen ließen und ihm alle Haare ausrissen. Doch ihre Strafe blieb nicht aus; denn alle, die sich entweder mit den Farben oder den Federn Jamos geschmückt hatten, starben plötzlich. »Werft nur alle Sachen weg, die ihr von unseren toten Feinden genommen habt!« schrie darauf der Chief. »Nur den Kopf laßt uns mit nach Hause nehmen, damit wir ihm die Augen für immer schließen können.« Sie nahmen ihn also mit und hängten ihn über das heilige Feuer ihrer Medizinhütte, um ihn zu braten.
Während dieser Zeit saß Jamos Schwester einsam in ihrer Hütte und wartete auf die Rückkehr der zehn Brüder. Doch da diese zu lange ausblieben, ging sie ihnen entgegen und fand sie alle erschlagen. Die Skalps waren ihnen abgezogen, und der Kopf und der Medizinsack ihres Bruders schienen ebenfalls in die Hände der Feinde gefallen zu sein.
Nun färbte sie ihr Gesicht schwarz, lief weinend und klagend auf der ganzen Erde herum und kam zuletzt wieder in ihrer alten Hütte an. Dort sah sie zu ihrer größten Freude noch einen magischen Pfeil und einen Bogen ihres Bruders in der Ecke liegen – die besten Werkzeuge, mit denen sie den Unglücklichen wiederfinden konnte.
Nachdem sie nun abermals eine bedeutende Strecke gewandert war, fand sie wirklich einige bekannte medizinene Farben und Federn, die sie sorgfältig sammelte und in einem Baum versteckte. Gegen Abend erreichte sie auch die erste Hütte der Feinde, wo sie besonders von den bejahrten Indianern sehr freundlich aufgenommen wurde. Ja einer davon versprach ihr sogar, zur Erlangung des Kopfes behilflich zu sein, und führte sie auch darauf vor die Tür der betreffenden Medizinhütte.
Dort sah sie nun, wie die wilden Krieger um ein kolossales Feuer standen und den Kopf zu rösten versuchten. Dabei rollten ihr die Tränen über die Wangen, und auch der Kopf des Bruders weinte.
»Ha«, rief lachend der Chief, »endlich beginnt er doch die Hitze zu fühlen; seht doch, was für dicke Tränen er schwitzt!«
Während sie so darüber ihre Spaße machten, bemerkte der Chief den alten Mann mit dem Mädchen. »Wer ist das«, fragte er ihn, »den du bei dir hast? Ich habe diese Frau noch nie in unserem Dorf gesehen.«
»O ja«, erwiderte der Alte, »es ist ja eine Verwandte von mir, die aber sehr selten ausgeht.«
»Ja, ja!« schrien einige alberne Bürschlein, die neben ihm standen. »Das ist wahr; sie geht sehr selten aus, und wir machen ihr dafür allabendlich den Hof in ihrem eigenen Wigwam.«
Jamos Schwester entfernte sich nun und bereitete sich wieder zu Heimreise vor. Als sie wieder an jene Stelle kam, wo die Knochen ihrer zehn Adoptivbrüder lagen, las sie diese sorgfältig auf und legte sie mit den Gesichtern nach Osten. Dann nahm sie einen Stein, warf ihn in die Luft und rief: »Brüder, erwacht und springt auf, damit ihr nicht zerschmettert werdet!« Plötzlich sprangen auch alle wieder gesund und munter auf, und Mudschikihwis rieb sich verwundert die Augen und sprach: »Brüder, ich habe mich verschlafen.«
»Dummkopf«, erwiderte ein anderer, »weißt du denn nicht, daß wir erschlagen worden sind und daß uns unsere Schwester wieder lebendig gemacht hat?«
Aber Mudschikihwis konnte dies weder begreifen noch sich eines solchen Vorfalls entsinnen.
Nun trugen die zehn alle Körper der gefallenen Feinde auf einen Haufen zusammen und verbrannten sie. Dann ging die Schwester in ein fremdes Land und holte jedem ein Weib. Mudschikihwis hätte sich zwar gern die Schönste ausgesucht, aber er mußte nehmen, was er bekam, und war zuletzt ganz zufrieden damit.
Nun befahl Jamokwa den Frauen, die sich alle unsichtbar machen konnten, jeden Abend zum Kopf ihres Bruders zu gehen und zu versuchen, ihn loszubinden, was sie auch alle bereitwilligst versprachen. Die älteste flog sogar gleich hin, konnte aber nur einen Knoten des Seils lösen. Dann kam die nächste, die ebenfalls nur einen Knoten löste, und so ging es fort, bis die Reihe an die jüngste Frau kam, die, da die Hütte voll dicken Rauchs war, die übrigen Knoten öffnete und dann den Kopf glücklich entführte.
Darauf suchten sie auch die anderen Körperteile Jamos zusammen, aber sie waren bereits ganz schwarz geworden. Sie schnitten daher mehrere Öffnungen hinein, daß das Blut hervorquoll, das ihnen die natürliche Farbe wiedergab. Dann steckte Jamokwa den Kopf darauf, und ihr Bruder bekam seine frühere Gestalt und Schönheit wieder.
»Da wir einmal gestorben sind«, sagte er, »so werden wir nun ewig leben; aber nicht als Menschen, sondern als Geister, und jedem wird sein bestimmter Wohnort für alle Zeiten angewiesen werden.«
Jeder nahm sich nun ein Stück des heiligen Wampumgürtels und ließ sich dann von einem göttlichen Boten seine neue Wohnung anweisen. Nur von Mudschikihwis weiß man bestimmt, daß er jetzt den Westwind regiert; doch das Tun und Treiben der übrigen, die teils in die Höhe, teils in die Tiefe wanderten, ist bis auf den heutigen Tag unbekannt geblieben.

Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas

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