Am südlichen Ufer des Oberen Sees lebte ein berühmter Jäger namens Odschig, den alle seine Nachbarn für einen mächtigen Manitu hielten, da ihm nämlich alles gelang, was er unternahm.
Auch sein Sohn schien viel für die Zukunft zu versprechen, denn obgleich er erst dreizehn Jahre alt war, machte er doch schon auf die stärksten Tiere Jagd, und selten flog sein Pfeil am Ziel vorbei. Das einzige nun, was diesem in der Welt nicht gefiel, war der kalte, lange Winter alljährlich; denn da erfror er sich stets die Finger so sehr, daß er den Bogen nicht mehr spannen und folglich auch nichts mehr schießen konnte. Dann saß er oft tagelang zu Hause und weinte über den tiefen Schnee, über die anhaltende Kälte und über die Seltenheit des Wildes in den unwegsamen Wäldern.
Eines Tages, als er sich wieder einmal vergebens auf der Jagd müde gelaufen hatte und sich nun niedergeschlagenen Herzens an einen Baumstamm lehnte, bemerkte er ein rotes Eichhörnchen vor sich, das begierig an einem Tannenzapfen nagte.
»Mein Enkel«, sagte das Tierlein zu ihm, »töte mich nicht, sondern merke auf meine Worte. Ich habe deine Klagen gehört und deine Tränen gesehen und kenne auch deinen heißesten Wunsch: Du sehnst dich nämlich nach dem Sommer. Wohlan denn! Wenn du meinem Rat folgst, so wirst du dich des ewigen Sommers erfreuen und Vögel und Tiere in Hülle und Fülle zu schießen haben; auch ich, da ich nahe am Verhungern bin, werde mich dann stets zu sättigen wissen. Höre also: Sobald du nach Hause kommst, wirfst du Pfeil und Bogen unwillig weg, legst dich weinend in eine Ecke und weist jede Speise und jeden Trank mürrisch zurück. Wenn dich deine Mutter fragt, so antwortest du ihr nicht. Dann wird dich dein Vater bitten, ihm doch mitzuteilen, was dir fehle, und dir auch zugleich sagen, daß er dir sicherlich helfen könne, da er ein mächtiger Geist sei. Darauf erzählst du ihm in gebrochenen Worten, daß du deshalb so traurig seist, weil die Kälte so anhalte und der Schnee nicht wegschmelze, und bittest ihn dann um den ewigen Sommer. Dann wird er dir sagen, daß er, obgleich dies eine harte Arbeit sei, sein möglichstes zur Erfüllung deines Wunsches tun wolle.«
Hier hielt das Eichhörnchen inne. Der Knabe versprach, seinen Rat zu befolgen, und er tat es auch. »Du verlangst viel von mir, mein Sohn«, sagte Odschig; »aber bei meiner großen Liebe zu dir kann ich dir nichts abschlagen, obwohl ich wegen des Erfolgs im Zweifel bin.«
Am folgenden Tag veranstaltete Odschig ein großes Fest und lud alle seine Freunde dazu ein. Sie erschienen auch alle recht pünktlich, taten sich am fetten Hirsch- und Bärenfleisch gütlich und versprachen ihm, an seiner Reise teilzunehmen – ein Versprechen, das sie auch nach drei Tagen wirklich erfüllten.
Als sie sich nun zwanzig Tage auf der Wanderschaft befanden, kamen sie an den Fuß eines Berges und erblickten dort die Fußstapfen eines Menschen und die Blutstropfen eines frisch getöteten Wildes. Da sie sehr hungrig und erschöpft waren, so folgten sie jenen Spuren in der Hoffnung, irgendeine mitleidige Menschenseele zu finden, die sie zur Fortsetzung ihrer Reise stärken sollte. Bald sahen sie auch eine kuriose Hütte vor sich, und Odschig riet seinen Begleitern, sich beim Hineingehen ja recht ernst zu verhalten und beileibe nicht zu lachen.
Diese Ermahnung war übrigens auch sehr nötig, denn an der Tür stand ein Mensch von so merkwürdiger Figur, daß sie im Zweifel waren, ob sie ihn überhaupt zur Menschenrasse rechnen sollten. Sein Kopf war ganz abscheulich groß und häßlich, die Zähne standen ihm nach auswärts, die Augen waren viereckig, und Arme hatte er gar keine. Alle wunderten sich, wie dieser Mensch Tiere töten könnte. Doch dieses Geheimnis klärte sich bald auf.
Der Alte lud darauf alle freundlichst ein, bei ihm zu übernachten, und kochte ihnen ein treffliches Mahl in seinem hölzernen Topf. Doch beim Herumreichen des Fleisches machte er solche possierliche Bewegungen, daß sich einer namens Otter des Lachens nicht enthalten konnte und laut damit herausplatzte.
Der Alte sah ihn wütend an, sprang mit einem Satz auf und suchte ihm den Kopf einzutreten. Aber Otter war auch sehr flink, schüttelte den bösen Manitu ab und entfloh durch die offene Tür. Die anderen verbrachten die Nacht in angenehmster Unterhaltung, und der Alte versicherte Odschig, daß er ihm zur Erreichung seines Zweckes behilflich sein wolle, obgleich es ihn unzweifelhaft das Leben kosten würde.
Am anderen Morgen zeigte er ihnen den Weg, auf dem sie auch bald den unglücklichen Otter wieder antrafen, der beinahe verhungert war. Odschig hatte aber glücklicherweise heimlich ein Stück Fleisch eingesteckt, so daß er nun seinem Freund doppelt willkommen war.
Nun reisten sie abermals zwanzig Tage lang weiter und ließen sich dann auf einem hohen Berg nieder, von dem ihnen der Alte vorher erzählt hatte. Sie stopften sich gemütlich ihre Pfeifen, verneigten sich der Sitte gemäß gegen alle vier Himmelsgegenden sowie gegen die Erde und den Himmel und baten dabei inbrünstig den Großen Geist um Erfolg. Dann fingen sie an zu rauchen.
Der Himmel schien auf dieser hohen Bergspitze so nahe zu sein, daß es ihnen vorkam, als könnten sie mit Leichtigkeit hineinspringen. »Odschig«, sagte Otter, »laß uns doch einmal versuchen, ob wir kein Loch hineinmachen können.«
Odschig nickte und bat ihn, gleich den Anfang zu machen. Otter sprang also hinauf, konnte aber oben unglücklicherweise keinen Halt fassen und fiel besinnungslos den Berg hinunter. Als er seine Lebensgeister wieder gesammelt hatte, dachte er: Das ist das letztemal, daß ich einen solchen Todessprung unternehme, und er begab sich allein auf den Heimweg.
Nun kam die Reihe an Biber, dem ging’s aber ebenso, und Luchs und Dachs erlitten dasselbe Schicksal.
»Vielfraß«, sagte darauf Odschig, »ich verlasse mich auf deine Geschicklichkeit und Behendigkeit; springe du nun.«
Vielfraß tat’s, aber sein Sprung war erfolglos; doch verlor er den Mut nicht und sprang zum zweitenmale, und die Himmelsdecke gab ein wenig nach. Dann sammelte er alle seine Kräfte zum letzten Sprung, der vollständig gelang; der Himmel bekam ein Loch, und beide marschierten mutig hinein.
Dort fanden sie sich auf einer großen, weiten Ebene, die so weit, wie ihre Augen reichten, über und über mit den herrlichsten Blumen bedeckt war. Die Ströme enthielten das klarste Wasser; ihre Ufer wimmelten von allerlei prächtigen Tieren, und von den hohen Bäumen ertönten die anmutigsten Lieder lieblicher Singvögel. Aber die allerschönsten Vögel flogen nicht frei umher, sondern waren in große Käfige gesperrt, die vor den Häusern der Himmelsbewohner hingen. Als Odschig dies bemerkte, wurde er so ärgerlich, daß er jeden Käfig ohne weiteres öffnete und die Vögel durch das himmlische Loch entfliehen ließ. Auch die warme Himmelsluft verflüchtigte sich allmählich durch jene Öffnung; es fing an, oben empfindlich kalt zu werden, und die Leute flüchteten ängstlich in ihre warmen Wohnungen. Doch das half gerade soviel, als wenn der verfolgte Strauß seinen Kopf in den Sand steckt, und einige klügere Leute liefen so schnell wie möglich zu jenem Loch, um es zuzustopfen und zu retten, was noch zu retten sei. Aber es war damit beinahe zu spät; Frühlings-, Herbst- und Sommerluft waren schon entwichen, ja sogar die Hälfte des ewigen Sommers war schon weg, ehe sie das Unglücksloch erreichten.
Vielfraß, der die wütenden Leute noch zur rechten Minute kommen sah, gewann in aller Eile soviel Zeit, um glücklich durchzubrennen. Odschig aber war nicht so glücklich; das öffnen der vielen Vogelkäfige hatte ihn so in Anspruch genommen, daß er weder hörte noch sah, was um ihn vorging, und als er zur Öffnung kam, war diese bereits verstopft.
Wie ein gehetztes Wild rannte er nun über die endlosen Ebenen des Himmels und mußte zuletzt, da ihn seine Feinde zu hart bedrängten, auf einem dicken Baum Schutz suchen. Die Pfeile der Angreifer pfiffen ihm zu Hunderten um die Ohren; viele trafen ihn auch, verwundeten ihn aber nicht, da sein Körper, mit Ausnahme der Schwanzspitze, unverwundbar war.
Doch gegen Abend hatte er das große Unglück, an der bezeichneten Stelle getroffen zu werden. Er sah herunter, und da er zufällig einige Leute seines Totems – des Fischtotems nämlich – bemerkte, so bat er sie kläglich, doch von der Verfolgung abzulassen, was sie denn auch mit Anbruch der Nacht taten.
Odschig kletterte nun herab und suchte nach einem besseren Zufluchtsort, fand aber leider keinen. Seine Schwanzwunde schmerzte ihn unsäglich, denn sie war tödlich, weshalb er sich zum Sterben bereit hinlegte und seufzte: »Mein Sohn, ich habe mein Versprechen erfüllt, aber es hat mein Leben gekostet. Doch ich bin zufrieden und sterbe gelassen, denn ich habe nicht allein dir, sondern allen Menschen und Tieren der Erde Gutes gestiftet, und diese werden sich jährlich nur noch wenige Monate über Schnee und Kälte zu beklagen haben.«
Am anderen Morgen fand man ihn tot mit einem Pfeil im Schwanz, und seit jener Zeit erblickt man das Zeichen des Fisches am Sternenhimmel.
Quelle: Karl Knortz, Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas