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Die Stieftochter

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In einer Stadt lebte einmal eine Witwe, die eine häßliche Tochter namens Hata, eine schöne Stieftochter namens Fata hatte. Da geschah es, daß in der Nachbarschaft eine große Hochzeit gefeiert wurde, zu der, wie sich das von selbst versteht, alle Nachbarn eingeladen waren. Die Witwe schmückte ihre eigene Tochter, die eine Nase hatte, wie ein Brunnenschwengel, so gut sie es nur vermochte und führte sie auf das Hochzeitsfest zum Reigentanze. Die Stieftochter aber mußte das Haus hüten. Darüber war Fata natürlich sehr betrübt, und als es dunkelte, litt es sie nicht mehr im Hause, so allein wie sie war, und sie ging in den Stall zu der Kuh, die breit auf der Streu lag und kaute. »O, du gute Kuh, meine liebe Schwester«, seufzte das Mädchen, »leicht findet sich ein Gefährte zum Singen, aber schwer einer zum Weinen!«
»Wo fehlts denn?« brummte die Kuh Fata an.
Das Mädchen schüttete nun ihr Herz aus. Die Kuh dachte lange, lange nach, wie das die Kühe schon so tun, und sagte dann bedächtig: »Wenn es zu trocken ist, so braucht man Regen, aber keinen Freund. Faß also mein rechtes Ohr an und schüttle es!«
Fata tat wie ihr geheißen, und aus dem Kuhohr fiel eine große Schachtel heraus. Sie öffnete diese und wahrlich, sie hatte Grund zum Staunen! Ganz obenauf lag eine Dimije1 aus Atlas, dann kam ein seidener Flaus und ein Jäckchen, ganz bedeckt mit goldenem Stickwerk; dann kamen blaue Samtpantöfflein, benäht mit goldenen Schnürchen, und endlich kam der Fes, auf dem die gelben Golddukaten schuppenartig aneinander gereiht blinkten und kostbare Edelsteine funkelten.
»Jetzt also gehe zum Tanze«, brummte die Kuh, »denn Mädchen, die davon fern bleiben müssen, zerschlagen das Küchengerät!«
Hurtig schlüpfte Fata in die Gewänder, die ihr wie angegossen sassen, und eilte nach dem Nachbarhause. Verhüllten Angesichtes huschte sie scheu an den Gemächern der Männer vorüber, durchschritt auch schnell das Frauenhaus, wo die Mütter rauchend und schwätzend beisammen saßen, und ging gleich in den Hofraum, um den Reigen der Mädchen anzuführen. In ihren Kleidern aus blankem Golde, war sie noch hundertmal schöner als gewöhnlich, und da sie niemand erkannte, so brannten alle vor Neugierde, wer sie sei; aber der Anstand verbietet zu fragen. Die jungen Burschen, die durch die Zäune und die Gartentüre nach den Mädchen lugten und ihnen ab und zu feine, süße Worte zuriefen, hatten jetzt nur mehr Augen für Fata. Dies ärgerte die Mädchen. Insbesondere Hata war es zumute, als wäre ihr Pfeffer in die Augen gekommen und sie lief ins Haus zu ihrer Mutter, die sich alles vom Fenster mitangesehen hatte, und beide gingen nach Hause. Fata aber eilte ihnen voraus, zog im Stall rasch die Kleider aus, legte sie in die Schachtel zurück, steckte diese der Kuh ins Ohr, und als die Stiefmutter mit ihrer Tochter ankam, saß Fata bereits wieder am Herdfeuer und putzte das Kupfergeschirr blank.
Die beiden waren sehr übler Laune; am nächsten Tage gingen sie aber doch wieder auf das Hochzeitsfest. Fata lief auch schnell zu ihrer lieben Kuh, umarmte sie und zog sie am Ohr, und brummend ließ diese wieder die Schachtel fallen.
In des Nachbars Haus war alles wie am Tage vorher, nur befand sich unter den jungen Burschen hinter dem Zaun auch des Sultans Sohn, der von der schönen Fremden gehört hatte und nun gekommen war, sie zu sehen. Er war so berückt von ihrem Anblick, daß er den Kopf zur Gartentüre herein steckte, um ihr ein Basilikum-Stenglein zu bieten. Kreischend flohen die Mädchen, wie dies der Anstand gebietet, und mit ihnen Fata.

Zuhause gab sie die Gewänder wieder der treuen Kuh, und als Stiefmutter und Stiefschwester scheltend heimkamen, da entnahm sie aus den Reden, daß es des Sultans Sohn gewesen sei, der ihr das duftende Zweiglein reichen wollte, und ihr Herz hüpfte vor Freude. Kaum vermochte sie es den dritten Festtag, der – ach! – der letzte war, zu erwarten, und als sie endlich wieder allein im Hause war, lief sie zu der Kuh und zog sie derart am Ohr, daß diese brüllend die Schachtel fallen ließ. Mochte sie nun brummen, Fata hörte gar nicht darauf, und bald stand sie wieder in jenem Hofraume und führte den Reigen an, zu dem der Gesang der Mädchen weithin über die Dächer schallte. Aber die Gartentüre öffnete sich nicht wieder, so sehr auch die Mädchen nach ihr schielten, und Fata’s Singen erstickte bald in aufsteigenden Tränen. Traurig schlich sie sich fort; aber als sie über die Gasse huschte, da sah sie ihn, des Kaisers Sohn, plötzlich neben sich. Er faßte sie, ohne auf Gesetz und Herkommen zu achten, an der Hand, sie aber riß sich los und lief, was sie laufen konnte, wobei ihr ein Pantoffel vom Fuße fiel. Weinend kam sie zu ihrer Kuh in den Stall: »O, meine Schwester«, jammerte sie, »viel habe ich verschuldet!«
Der Kuh tat noch immer das Ohr weh, an dem sie Fata gezogen hatte, so daß sie gar nicht hörte. Traurig gab ihr Fata die Schachtel zurück, und nun war es wieder wie alle Tage.
Der Sultanssohn jedoch konnte das fremde Mädchen nicht vergessen und wurde immer magerer. Da sich Husten und Liebe nicht verheimlichen lassen, so kam auch der Sultan bald dahinter, was seinen Sohn drückte. Er ließ nun in allen Stadtteilen ausrufen, daß alle Mädchen, die bei jener Hochzeit im Reigen getanzt hätten, ins Schloß kommen mögen, und welcher der gefundene Pantoffel passe, diese werde seine Schwiegertochter. Die Mädchen kamen nun von allen Seiten gelaufen, auch Hata mit der schiefen Nase, alle aber mußten beschämt abziehen, da sie zu große Füße hatten und der Prinz obendrein erklärte, er würde keine von ihnen küssen, nicht einmal durch neun Leintücher. Fata aber wagte aus Angst vor ihrer Stiefmutter nicht hinzugehen, und deßhalb wurde der Sultanssohn immer magerer.
Das Ungemach sucht immer nach Gefährten, und so erkrankte gleicherzeit auch der Lieblingsschimmel des Prinzen. Der Kaiser sandte neuerdings Ausrufer nach allen Richtungen, die es verkündeten, daß eine hohe Belohnung dem sicher sei, der den Schimmel heilen könne. Wäre es ein Mann, so mache ihn der Kaiser zum Pascha, wäre es ein Weib, so erhalte sie so viel Gold, als sie forttragen könne. Natürlich wollte nun jedermann Roßarzt sein, aber auch das geht nicht so leicht wie man glaubt. Der Schimmel kam immer mehr herunter, und der Prinz reiste fort in ein anderes Schloß seines Vaters, um die Roßkuren nicht zu sehen. Als Fata all das hörte, wurde ihr Herzleid übermächtig, und sie ging nach des Kaisers Schloß, vor dem auf einer Wiese traurig der Schimmel stand, umgeben von vielen Dienern, die ihm seidene Kissen und Hafer und Heu auf goldenen Schüsseln hinhielten. Dem Mädchen liefen die Tränen aus den Augen, wie der Regen aus den Wolken strömt, und sie begann ihres Liebsten Pferd zu streicheln.

Wo ihre Hand es berührte, da begann sein Haar zu wachsen. Es hob den Kopf, und als das Mädchen es unter fortwährendem Streicheln umschritten hatte, begann es zu wiehern, schlug übermütig aus, so daß die Diener ins Gras kollerten, und sprang lustig herum. Alles wunderte sich, und der Kaiser, der vom Fenster aus zugesehen hatte, kam nun selbst schnell mit dem Pantoffel gelaufen, um ihn Fata anzuprobieren. Der Pantoffel paßte natürlich, da er doch der ihre war. Darüber hatte der alte Kaiser fast eine ebenso große Freude, wie über des Schimmels Genesung, und er hieß das Mädchen heim gehen und sich waschen und verhüllen, da sie jetzt die Braut seines Sohnes wäre. Er werde kommen sie zu holen, um sie seinem Sohne zuzuführen.
Die Stiefmutter und deren Tochter ließen es sich nicht merken, daß sie das Glück der armen Waise mit Haß erfüllte. Sie taten sogar sehr freundlich, und die Stiefmutter sagte zu Fata: »Höre, meine liebe Tochter! Du bist aus gutem Hause; da schickt es sich, daß dich eine Verwandte als Beistand deinem Bräutigam zuführt. Es wird dir also Hata das Geleite geben. Und nun sage, was du dir als Aussteuer wünschest.«
Fata wünschte sich nur ihre Kuh, und darüber war diese so erfreut, daß sie die Schachtel aus dem Ohre fallen ließ. Als Fata nun so herrlich geschmückt dastand und die Stiefmutter in ihr jenes fremde Mädchen wieder erkannte, da war es ihr, als ob eine Schlange sie ins Herz bisse, und sie sagte heimlich zu ihrer Tochter: »Der wollen wir jetzt einen Brei einrühren! Warum sollst nicht du des Sultansohnes Frau werden? Du wirst mit ihr in die Sänfte steigen, und wenn ihr mitten im Walde sein werdet und sie durstig wird, so sage ihr, daß man für einen Trunk Wassers seine Augen hingeben müsse. Nimm ihr dann die Augen, lasse sie im Walde und zieh‘ aufs Schloß, als des Prinzen Braut.«
Diese Rede hörte Hata sehr gerne. Der alte König, der mit vielen vornehmen Hochzeitsgästen, alle auf fetten, goldgezäumten Rossen, bereits ungeduldig vor dem Hause wartete, mahnte zur Eile, und die Mädchen warfen daher schnell ihre Tücher über und stiegen in die Sänfte, die von zwei Pferden getragen wurde, an denen alles von Edelsteinen blitzte. Wie sie mitten im Walde waren, begann es die Braut zu dürsten, und sie jammerte:

»Ojj, hätt‘ ich jetzt ein Wässerlein!
Was nützt mir Gold und Edelstein?«

Hata erwiderte: »Ein Trunk Wasser kostet hier das Augenlicht. So hat der Sultanssohn es anbefohlen.« – Erschrocken schwieg Fata, doch als Stunde auf Stunde verging und sie noch immer im Walde waren, da konnte sie es, vor Durst gar nicht mehr aushalten und sie jammerte:

»So nimm die schwarzen Äugelein,
Für ein frisches, klares Wässerlein.«

Darauf hatte die Stiefschwester nur gewartet. Sie ließ den Sänftenführer halten und sich abwenden, wie es der Brauch, und führte Fata zum nächsten Quell. Dort grub sie ihr die Augen aus dem weißen Angesichte, eilte zu der Sänfte zurück und hieß den Führer rasch den übrigen folgen.
Als für Fata plötzlich das Sonnenlicht der finstern Nacht wich, als auf ihr angstvolles Rufen niemand antwortete, die Dornbüsche ihr die weiße Stirne blutig rissen und sie an dem langen Seidenhaare zerrten, da fiel die Verratene in tränenlosem Schmerze auf den Boden nieder. Mit einemmale fühlte sie ein sanftes Streicheln. Es war die Kuh, welche ihrer Spur gefolgt war und die sie nun hinausführte aus dem finsteren Wald in ein kleines Dorf. Die Menschen staunten über das schöne, blinde Mädchen in den goldenen Gewändern, das von einer Kuh zu ihnen geführt wurde.
Und Fata sagte; »Meine lieben Brüder! Wenn ihr Menschenherzen habt und wisset, was Kummer ist, so nehmt mich auf bei euch und seid dafür gesegnet bis in euer zehntes Glied!« – Alle öffneten ihr Haus und Herz. Doch die Kuh führte sie zu dem Ärmsten, einem frommen Graubart mit weißem Turban, der alljährlich zum Grabe des Propheten pilgerte. Und staunend sahen es die Leute, daß unter den Tritten des Mädchens Blumen aufsproßten.
Still saß sie nun Tag um Tag an dem Fensterchen der Hütte und ließ die Sonnenstrahlen auf ihr lichtloses Antlitz fallen. Die Kuh aber ging in aller Gemütsruhe auf die Weide und versorgte das Haus reichlich mit Milch, Butter und Käse, so daß es dem alten Hadschi so gut ging, wie nie zuvor.
Eines abends, als sie allein waren, sprach die Kuh zu dem Mädchen: »Da du doch ohne Augen nicht weinen kannst, wie das schon so Menschenart ist, so haben andere für dich geweint und ich habe diese Tränen gesammelt. Zieh‘ mich einmal am linken Ohre, und es werden zwei Kästchen herausfallen, gefüllt mit kostbaren Perlen. Diese Kästchen gib unserem Hadschi, und er möge im Lande herumziehen und rufen: ‚Wer kauft schöne, echte Perlen?‘ Und wird er gefragt, was sie kosten, so möge er antworten: ‚Ein Kästchen ein Auge und das zweite Kästchen das zweite Auge!’«

Der fromme Graubart war gleich bereit zu tun, was die Blinde von ihm verlangte, und machte sich mit den Kästchen auf den Weg. Lange konnte er keinen Käufer finden, denn der geforderte Preis war jedem zu hoch. So kam er auch zu des Sultans Schloß, ging dort in den Hof und rief: »Wer kauft schöne, echte Perlen?« Als dies die Frau des Sultansohnes, die schiefnasige Fata, hörte, lief sie ans Fenster, ließ sich von dem Hadschi die Perlen zeigen und fragte nach dem Preise. Der Hadschi sagte: »Ein Kästchen ein Auge, das zweite Kästchen das zweite Auge.«

»Warte, ich kaufe beide Kästchen!« rief die häßliche Prinzessin, suchte dann die beiden Augen hervor, die sie ihrer Schwester im Walde aus dem Gesichte gegraben hatte, und schickte damit eine Sklavin zu dem Hadschi hinab. Willig gab er die Kästchen für die Augen hin und brachte diese Fata.
»Die Perlen sind verkauft«, sagte er ihr, »hier hast du die Augen.«
Das Mädchen verhüllte fromm ihr Haupt wie zum Gebet, nahm die Augen, wusch sie mit dem heiligen Wasser aus dem Brunnen Sem-Sem, das der Hadschi aus Mekka mitgebracht, wusch dann ihre leeren Augenhöhlen, tat im Namen Allahs und seines Propheten Muhamed die Augäpfel hinein, und Allah tat ein Wunder und die Sonne leuchtete auch wieder für sie.
Das ganze Dorf freute sich darüber, und der fromme Graubart, das schöne Mädchen und die gute Kuh lebten friedlich miteinander weiter. – Da zog ein Ausrufer des Sultans durchs Land und verkündete überall laut, des Sultans Schwiegertochter wäre von einer schlimmen Krankheit befallen worden und wer sie heilen könne, bekäme eine große Belohnung. Wäre es ein Mann, so würde er Pascha werden, wäre es eine Frau, so erhielte sie soviel Gold, als sie davonzutragen vermöge.
Auch Fata hörte dies und dachte sich, daß sie vielleicht zu Allahs Preis ein gutes Werk tun könne. Darum zog sie mit dem Hadschi und der Kuh nach dem Kaiserschlosse. Schon im Hofe hörte sie das Schreien und Wehklagen der Kranken, und als sie zu ihr in die Stube trat, da erkannte sie in des Sultans Schwiegertochter ihre Stiefschwester Hata. Die schien von Sinnen zu sein vor Schmerz und riß immerfort an ihren kostbaren Perlenhalsbändern, die ihr niemand abzunehmen vermochte und von denen jede einzelne Perle sie wie ein siedender Bleitropfen brannte. Da erbarmte sich des Mädchens weiches Herz, und sie hub leise an zu singen:

»Höre Schwester, meines Vaters Tochter,
Dessen Freude du wie ich einst waren:
Deine Schuld will ich ins Wasser werfen,
In die Wolken, in die Lüfte streuen …
Was im tiefen Walde einst auch sei geschehen,
Nimmer will ich dessen düst’re Schatten sehen.
Heil ward mir das Herze, hell der Augen Schein,
Drum um Allahs willen will ich dir verzeih’n …«

Da fielen die Perlenschnüre von Hatas Halse ab, und sie sank tot auf den Teppich nieder.
Der Sultan und sein Sohn, der noch immer so mager war wie früher, erkannten in dem fremden Mädchen die eigentliche Braut wieder, und wie sie ihre Schicksale erzählte, wurde der Sultan bis zu Tränen gerührt. Schon am nächsten Tage fand die Hochzeit der schönen Fata mit dem Prinzen statt. Vorher aber ging der Sultan noch mit der Stiefmutter, die alles Unglück angestiftet hatte, ins Gericht. Er ließ sie an zwei windschnelle Hengste binden, steckte unter deren Mähnen glimmende Schwämme, und so wurde die böse Witwe von den Pferden in Stücke gerissen.
Der fromme Hadschi erhielt einen Sack Dukaten und konnte für immer nach Mekka ziehen, wo er sein gottgefälliges Leben beschloß. Die gute Kuh wurde gehegt und gepflegt und brauchte keine Milch mehr zu geben. Sie hätte auf Samt und Seide schlafen können, aber sie war eben eine Kuh und erhob sich nicht gerne über ihren Stand. Deshalb war ihr Stroh lieber.
Und der Sultanssohn, der jetzt zu seines Vaters Freude täglich fetter wurde, lebte mit der armen Waise glücklich und zufrieden.

Quelle:
[Bosnien: Milena Preindlsberger-Mrazovic: Bosnische Volksmärchen]

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