Dort, wo der Fluß ins Meer mündet, lebte einst ein Indianerstamm. Wie die Alten erzählten, waren ihre Urahnen vor langer, langer Zeit dem Meer entstiegen und hatten sich in den um die Mündung gelegenen Felsen angesiedelt.
Die Indianer ernährten sich von Fischen und Muscheln, sie liebten Gesang und
Tanz. Auf den Felsen errichteten sie einen mächtigen Tempel, zu dem sie in den Mondnächten hinaufstiegen, um sich vor der weißen Statue der Meerjungfrau zu verneigen. Ihren Saiteninstrumenten entlockten sie geheimnisvolle Klänge, wie wenn der Wind das Laub der Bäume bewegt.
Gut ging es den Indianern.
Eines Tages legten Schiffe aus einem fremden Land am Ufer an, und den Schiffen entstiegen Soldaten. Sie besetzten die Küste und ein Stück Land nach dem anderen.
In dieser Zeit erschien eines Abends im Indianerdorf ein Mann mit einem langen weißen Bart. Mit einem Saiteninstrument rief er alle Angehörige des Stammes zusammen. Bis spät in die Nacht hinein spielte und sang er vom Ruhm des Stammes, vom Blut, mit dem die weißen Eroberer die Prärie tränken würden. Über den Felsen rollte der rote Mond dahin, und noch immer spielte und sang der Alte, doch seine Schritte nahmen den Weg ins Tal hinunter. Und hinter ihm trugen Männer die Statue der Meerjungfrau. Der Greis ging zum Flußufer, schritt in den Fluß und bewegte sich auf dem Wasserspiegel leicht und sicher.
Und der Fluß begann mit geheimnisvoller Stimme zu singen, von Ufer zu Ufer klang es, als sei der Fluß aus dem Schlaf erwacht und erinnere sich an einen heiteren Traum. Die Indianer lauschten den Klängen die aus der Tiefe des Wassers kamen. Der Greis aber teilte die Wogen mit der Hand und ließ sich langsam in den Fluß hinab. Und das Wasser sang weiter das Lied der erwachten Fluten. Stumm standen die Indianer, doch dann stieg einer nach dem anderen in den Fluß. Als auch der letzte Angehörige des Stammes im singenden Fluß verschwunden war, bewegte sich der Fluß wie gewöhnlich still zum Meer.
Die weißen Eroberer fanden das Dorf verlassen. Der ganze Stamm war verschwunden, im Fluß untergetaucht. Aber seit damals ertönt an dieser Stelle die geheimnisvolle Musik aus der Tiefe. Seltsame Klänge schweben über dem Wasser, werden von den Felsen zurückgeworfen, tönen von Ufer zu Ufer.
Es ist der Gesang des Flusses, ebenso wie der Indianerstamm der es vorzog,
eher für immer in der Tiefe unterzutauchen, als sich den weißen Eroberern
zu beugen.
Quelle:
Nordamerika