Einstmals hatte Ahewáuwen, der Seelöwe, ein Mädchen am Ufer stehen sehen, das ihm über die Maßen schön und begehrenswert schien. Seitdem streifte er ruhelos um die Kaps des Süd- und Südostufers der Großen Insel herum in der Hoffnung, es einmal wiederzusehen.
Eines Tages bemerkte er vom Meer aus, dass Weiber den Strand entlanggingen, um Muscheln zu sammeln und Fische zu fangen. Zu seiner Freude entdeckte Ahewáuwen unter ihnen die Angebetete. Das war in Yáiuwa am Kap San Diego, der äußersten Südspitze der Insel.
Lange beobachtete der Seelöwe die Frauen und wartete auf eine günstige Gelegenheit, sich der Geliebten zu nähern. Diese Gelegenheit kam, als das Mädchen beim Fischen hinter den anderen zurückblieb. Ahewáuwen sah, wie es den Angelhaken mit einem Fleischköder spickte und die Angel auswarf. Da tauchte er und schwamm in weitem Bogen auf das Mädchen zu, erreichte die Stelle, an der es stand, und biss den Köder ab, ohne von dem Mädchen gesehen zu werden. Es nahm ein anderes Fleischstück und warf wiederum die Angel aus. Und der Seelöwe biss auch den neuen Köder von der Angel ab. Da befestigte das Mädchen noch ein Stück Fleisch sorgsam am Haken und warf ihn aus. Es ereignete sich genau das gleiche. Wiederum schwamm der Seelöwe unter Wasser und vom Mädchen ungesehen heran, zerrte an der Angel und verzehrte das Fleisch.
Das Mädchen wurde nun ungeduldig. „Das ist merkwürdig“, sagte es vor sich hin. Es war aber nun so von der Jagdleidenschaft besessen, dass es die anderen Frauen vergaß, die weitergewandert waren. Als es nun ein neues und noch größeres Stück Fleisch abschnitt, kam der Seelöwe ans Ufer. Er fasste das Mädchen und zog es mit sich ins Wasser. Erschreckt und vor Angst schrie sie auf und rief um Hilfe. Doch die anderen Frauen konnten sie nicht mehr hören, sie waren schon zu weit entfernt. Ahewáuwen, der Seelöwe, aber verschwand mit ihr im Meer.
Ahewáuwen nahm das Mädchen mit sich fort. Behutsam trug er es auf seinem breiten Rücken durch die Wellen. Die Entführte konnte nicht schwimmen, fürchtete sich aber nicht, weil der Seelöwe sie mit aller Zuvorkommenheit behandelte und sehr auf ihr Wohl bedacht war. Von diesem starken Mann so sanft durch die Wellen getragen, legte sich ihre anfängliche Scheu vor ihm.
Weit nach Südosten, um die Spitze der Insel herum, führte die Reise. In der Bahia Buen Suceso gingen sie an Land, nachdem sie sich überzeugt hatten, dass dort keine Menschen waren. Sie erklommen das Ufer, sonnten sich auf den flachen Steinen und ruhten sich aus. Hin und wieder, wenn der Hunger es trieb, sammelte das Mädchen am Ufer essbare Algen.
Inzwischen bemerkten die anderen Frauen den Verlust ihrer Kameradin. Sie suchten den Strand ab und riefen nach ihr, aber sie bekamen keine Antwort. Das Mädchen war auf eine für sie unerklärliche Art verschwunden. Da eilten die Frauen aufgeregt zum Lager zurück und berichteten den Brüdern des Mädchens das wenige, was sie wussten. Diese machten sich sogleich auf die Suche nach ihrer Schwester. Gewissenhaft durchforschten sie den ganzen Strand, lange ohne Ergebnis.
Schließlich entdeckten sie die Schwester an der Küste der Bahia Buen Suceso. Sie winkten ihr zu, und sie winkte auch zurück, aber sie dachte nicht mehr daran, ihn zu verlassen, denn in der Zwischenzeit hatte sie Ahewáuwen liebgewonnen. Als die Brüder dann nach Überwindung einer Klippe, die ihnen lange die Sicht nahm, diese Stelle erreichten, fanden sie ihre Schwester nicht mehr auf den Steinen am Ufer. Sie schwamm bereits weit draußen auf dem Meer, auf dem Rücken des Seelöwen sitzend. Da gingen die Brüder traurig in ihre Hütte zurück. Der Seelöwe aber und das Mädchen blieben seitdem zusammen als Mann und Frau. Auch das Mädchen wurde zu einem Seelöwen, und beide bekamen viele Kinder.
Quelle:
(Argentinien)