5
(1)
Es war einmal ein König und der hatte zwei Söhne. Das waren ein paar recht verwegene Burschen, denen alle Augenblicke eine andere Tollheit im Kopfe steckte. So ruderten sie eines Tags in einem kleinen Nachen allein ins weite Meer hinaus. Anfangs hatten sie das schönste Wetter, als sie hinausruderten; kaum waren sie aber eine Strecke weit vom Land entfernt, erhob sich ein furchtbarer Sturm. Die Ruder wurden ihnen gleich weggerissen und das kleine Boot schaukelte wie ein Nußschälchen auf den wilden Wogen auf und nieder, und wurde so hin- und hergeschleudert, daß die Prinzen nichts anderes thun konnten, als sich so fest als möglich an den Ruderbänken anzuhalten, um nicht über Bord geworfen zu werden.
Da trafen sie auf ein wunderliches Fahrzeug, und das war ein Backtrog, in dem ein einzelnes altes Weib saß. Sie rief ihnen zu und sagte, daß sie glücklich ans Land kommen könnten, wenn sie ihr den Sohn, den ihre Mutter, die Königin bald bekommen werde, dafür versprechen wollten. »Das können wir nicht!« riefen die beiden als Antwort, »er gehört nicht uns und so können wir ihn auch nicht hergeben.« – »Ja, dann könnt ihr meinetwegen alle beide auf dem Grund des Meeres verfaulen,« sagte das alte Weib; »und ich möchte fast glauben, daß eure Mutter lieber ihre zwei Söhne, die sie schon hat, behalten wollen wird, als einen der erst auf die Welt kommen soll.«
Damit ruderte sie in ihrem Backtrog davon, während der Sturm noch lauter als vorher heulte und das Wasser das Boot der beiden Prinzen allmählich füllte, sodaß sie bereits nahe daran waren unterzusinken. Da dachten die Prinzen, daß doch etwas daran sei an dem, was das Weib gesagt hatte, und sie selbst wollten auch gerne ihr Leben retten, und sie riefen dem Weibe nach und versprachen ihr, daß sie bekommen solle, was sie verlangte, nämlich ihren noch ungebornen Bruder, wenn sie sie nur erretten wollte aus dieser gräßlichen Lebensgefahr, in der sie sich da auf dem offenen Meer befanden. Im selben Augenblick legte sich der Sturm und hörte zu heulen auf, die Wellen und Wogen beruhigten sich plötzlich und der Nachen trieb mit den beiden unversehrten Prinzen vor des Königs Schloß. Sie kamen also gut heim und wurden mit offenen Armen von Vater und Mutter empfangen, die schon eine gräßliche Angst ihretwegen ausgestanden hatten.
Die Brüder sagten aber gar nichts von ihrem Versprechen; jetzt nicht und auch dann nicht, als die Königin den dritten Sohn, einen hübschen Knaben, den sie über alles in der Welt liebte, gebar. Er wurde aufgezogen und erzogen und unterrichtet und belehrt am Hofe seines Vaters bis er erwachsen war, aber noch immer hatten seine Brüder von der Hexe nichts gesehen und nichts gehört, der sie ihn versprochen, bevor er noch geboren war.
Da erhob sich eines Abends plötzlich ein schrecklicher Sturm mit Finsterniß und Nebel; es brauste und sauste um den Hof des Königs und zugleich pochte es heftig an der Thüre des Saales, in welchem sich der jüngste Prinz befand. Da ging er zur Thüre hin und öffnete, und vor ihm stand ein altes Weib mit einem Backtrog am Rücken und sagte zu ihm, daß er ihr augenblicklich folgen müsse, denn seine Brüder hätten ihr ihn dafür versprochen, daß sie ihnen das Leben rettete. »Ja, wenn du meinen Brüdern das Leben gerettet hast und sie mich dir dafür versprochen haben, dann will ich dir auch folgen,« antwortete der Königssohn. Dann gingen sie zusammen zum Strand hinunter und er mußte sich mit der Hexe in den Backtrog setzen, und sie segelte mit ihm fort übers Meer, oder über eine Bucht des Meeres, heim in ihre Wohnung.
Nun war der Königssohn in der Gewalt der Hexe und in ihren Diensten. Das erste, was er von ihr zu thun bekam, war, daß er Federn schleißen sollte. »Diesen Haufen Federn, den du hier siehst, mußt du bis heute Abend, wenn ich wiederkomme, fertig geschlissen haben,« sagte die Hexe, »sonst bekommst du eine noch viel schwerere Arbeit.« Er machte sich gleich darüber und zupfte und schliß, bis nur noch eine einzige Feder übrig war, die er noch nicht in der Arbeit gehabt hatte. Da erhob sich plötzlich ein Wirbelwind und zauste alle Federn herum und fegte sie auf dem Boden wieder zu einem Haufen zusammen, daß sie so dalagen, wie sie gelegen als sie noch nicht geschliffen waren. So mußte er seine Arbeit von vorne an beginnen; aber es fehlte nur noch eine Stunde bis zum Abend, an dem ja die Hexe zurück nach Hause kam, und er sah leicht ein, daß es ihm rein unmöglich war, zur bestimmten Zeit fertig zu werden.
Da hörte er etwas an der Fensterscheibe picken und eine feine Stimme sagte: »Laß mich herein, dann will ich dir helfen!« Und das war eine weiße Taube, die vor dem Fenster saß und mit dem Schnabel an die Scheibe pickte. Er öffnete und die Taube flog herein und begann sofort mit dem Schnabel alle Federn auseinander zu schleißen. Und ehe eine Stunde vorüber war, lagen alle Federn wundernett geschlissen da; die Taube flog zum Fenster hinaus und im selben Augenblick kam auch die Hexe zur Thüre herein.
»Schau, schau!« sagte die alte Hexe, »das ist ja mehr als ich dir zugetraut hätte, daß du die Federn so hübsch in Ordnung bringen konntest! Es muß doch etwas besonders Flinkes in den Fingern von so einem Königssohn stecken.« Am andern Morgen sagte dann die Hexe zu dem Prinzen: »Für heute sollst du eine ganz leichte Arbeit bekommen. Hier draußen vor der Thüre habe ich einen Haufen Brennholz liegen, das sollst du mir alles klein spalten, damit ich es zum Feuermachen brauchen kann. Das ist schnell geschehen, aber du mußt fertig werden, bis ich wieder heimkomme.«
Der Prinz bekam eine kleine Hacke und begab sich sogleich an die Arbeit. Er hackte und spaltete munter drauf los, und es schien ihm, als ginge es recht rasch von der Hand, aber der Tag verging, und Mittag war längst vorbei und er war bei weitem noch nicht fertig. Es schien ihm, als würde der Holzstoß eher größer als kleiner, so viel er auch davon wegnehmen mochte. Da ließ er die Hände sinken, trocknete sich den Schweiß von der Stirne und es wurde ihm recht übel zu Muthe, denn er wußte ja, daß es ihm nicht gut ergehen würde, wenn er bis zur Heimkunft der Hexe nicht fertig mit seiner Arbeit wäre.
Da kam die Taube geflogen, setzte sich auf den Holzstoß, girrte und sagte: »Soll ich dir helfen?« – »Ja, ich danke dir recht schön dafür, daß du mir gestern geholfen und heute helfen willst!« sagte der Königssohn. Und sogleich machte sich die weiße Taube an die Arbeit und spaltete ein Scheit Holz nach dem andern mit ihrem Schnabel. Und es ging so schnell, daß ihr der Königssohn das gespaltene Holz gar nicht schnell genug wegräumen konnte. Und in kürzester Zeit war alles Holz in ganz kleine Spähne gehackt und gespalten.
Darauf flog die weiße Taube zu ihm hin und setzte sich auf seine Schulter; und der Prinz dankte ihr, schmeichelte und streichelte ihr die weißen Federn und küßte sie auf den kleinen, rothen Schnabel. Da war plötzlich keine Taube mehr da, sondern eine blühend schöne Jungfrau stand an seiner Seite. Sie erzählte ihm dann, daß sie eine Prinzessin sei, die die Hexe entweder gestohlen oder auf dieselbe Weise, wie jetzt ihn, in ihre Gewalt bekommen und dann zur Taube verwünscht habe. Mit seinem Kuß aber bekam sie ihre menschliche Gestalt wieder; und wenn er ihr treu bleiben und sie zur Frau nehmen wolle, so könne sie sowohl ihn, als sich selbst leicht aus der Gewalt der Hexe befreien.
Der Königssohn war sogleich ganz eingenommen von der Schönheit der Prinzessin und gerne bereit, alles was immer zu thun, um sie für sich zu gewinnen und als Gemahlin zu bekommen. Da sagte sie zu ihm: »Wenn jetzt die Hexe heimkommt, so bitte sie, dir einen Wunsch zu erfüllen, weil du alles, was sie dir aufgetragen, so gut verrichtet hast. Und wenn sie »Ja« sagt, so bitte sie gerade heraus um die Prinzessin, die sie hier auf ihrem Hof hält und die jetzt als weiße Taube herumfliegen muß. Zuerst mußt du mir aber einen rothen Seidenfaden um den kleinen Finger winden, damit du mich in jeder Gestalt, in die sie mich verwandeln wird, immer sogleich wiedererkennst.«
Der Prinz wand ihr schnell einen rothen Seidenfaden um den kleinen weißen Finger und im selben Augenblick war die Prinzessin wieder eine Taube und flog davon. Und gleich nach ihr kam die alte Hexe mit ihrem Backtrog auf dem Rücken heim. »Na, das muß ich sagen,« rief sie verwundert aus, »du bist flink bei deiner Arbeit; und so etwas sind Prinzenhände doch sonst nicht gewöhnt!« Da sagte der Königssohn: »Weil Ihr so zufrieden seid mit meiner Arbeit, werdet Ihr mir wohl auch ein kleines Vergnügen bereiten wollen und mir etwas geben, das ich zu besitzen Lust hätte?« – »O ja, recht gerne,« sagte das Weib, »und was ist es denn, was du haben willst?« – »Ich möchte die Prinzessin, die sich hier auf deinem Hof befindet und als weiße Taube verwandelt herumfliegt,« antwortete der Prinz. »Ah, papperlapapp!« rief die Hexe, »wie kommst du denn auf den Gedanken, daß Prinzessinnen in meinem Hofe als weiße Tauben herumfliegen. Aber wenn du schon durchaus eine Prinzessin haben willst, so sollst du auch eine solche bekommen, wie wir sie hier auf dem Hofe haben.« Und dann kam sie dahergeschleppt mit einer kleinen, grauwolligen und langohrigen Eselin. »Willst du diese haben?« fragte das Weib; – »eine andere Prinzessin kannst du nicht bekommen.«
Jetzt strengte der Königssohn seine Augen scharf an und sah den kleinen rothen Seidenfaden um den einen Huf der Eselin gewunden, und da sagte er gleich: »Ja, die ist mir schon recht, gieb sie nur her!« – »Ah, was willst du denn damit machen?« fragte die Hexe. »Ich will darauf reiten,« antwortete der Prinz. »Ja, thue es nur!« rief die Hexe und zog aber zugleich die Eselin fort. »Wo kommt denn meine Eselin hin?« sagte der Prinz, »sie gehört ja mein und ich will sie haben!« – »Ja, ganz gewiß!« erwiderte die Hexe und kam mit einem alten, runzlichen zahnlosen Weib, das an den Händen zitterte, daher. »Eine andere Prinzessin kriegst du nicht,« sagte sie, »willst du diese haben?« – »Ja, die will ich,« antwortete der Prinz, denn er hatte seinen rothen Seidenfaden am Finger des alten Weibes schon gesehen.
Da wurde die Hexe so fuchsteufelswild, daß sie tobte und herumfuhr und alles in Stücke schlug, was sie nur erreichen konnte, so daß die Scherben dem Prinzen und der Prinzessin, welche jetzt in ihrer eigenen schönen Gestalt dastand, um die Ohren flogen und sausten.
Darauf sollten sie also Hochzeit halten, denn die Hexe mußte halten, was sie versprochen hatte, und der Prinz mußte die Prinzessin um jeden Preis bekommen. Da sagte die Prinzessin zu ihm: »An der Hochzeitstafel darfst du essen, was du willst, aber keinen Tropfen trinken; denn wenn du das thust, so vergissest du mich.« Aber am Hochzeitstag hatte der Prinz längst darauf vergessen und er streckte die Hand aus und nahm einen Becher Wein. Die Prinzessin jedoch paßte genau auf und gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen, daß er den Wein über das Tischtuch verschüttete. Da fuhr die Hexe wieder auf und schlug um sich auf Kannen und Schüsseln, daß ihnen die Scherben um die Ohren flogen, gerade so wie das erstemal, als sie toll wurde.
Dann wurden sie in die Brautkammer geführt; die Thüre wurde verschlossen und die Prinzessin sagte: »Jetzt hat die Hexe gehalten, was sie versprochen, aber fernerhin wird sie uns gutwillig nichts Gutes mehr erweisen; daher müssen wir auf der Stelle fliehen. Ich werde zwei Scheiter Holz ins Bett legen, welche für uns antworten müssen, wenn die Hexe mit uns spricht. Du mußt noch den Blumentopf und das Glas Wasser, das dort am Fenster steht, mitnehmen und dann müssen wir uns durch dieses Fenster hinausschleichen und schauen, daß wir weiter und davon kommen.«
Wie gesagt, so gethan. Sie schlichen sich durchs Fenster und eilten in der finsteren Nacht davon, und die Prinzessin machte den Wegweiser, denn sie kannte den Weg, den sie ausspionirt hatte, während sie als Taube herumflog. Gegen Mitternacht kam die Hexe an die Thüre der Brautkammer und rief hinein, und die zwei Scheiter Holz antworteten ihr, so daß sie glaubte, das Brautpaar sei drinnen, und ging wieder. Vor Tagesanbruch war die Hexe schon wieder vor der Thüre und rief hinein, und abermals antworteten ihr die zwei Scheiter Holz. Da glaubte sie, das junge Ehepaar sei drinnen; und als die Sonne aufging – da war die Brautnacht vorbei – und sie hatte ihr Versprechen gehalten! und konnte nun Gift und Galle über die beiden ergießen und all‘ ihren Zorn um sich zu rächen an ihnen auszulassen. Mit dem ersten Sonnenstrahl stürzte die Hexe in die Kammer hinein; – aber da fand sie jetzt weder einen Prinzen noch eine Prinzessin, und nichts anderes, als die zwei Scheiter Holz, welche da im Bett lagen und sie anglotzten, ohne ein Wort zu sagen. Diese packte sie und schleuderte sie so um den Boden, daß sie in tausend Spähne zersplitterten; und dann fuhr sie davon und den Fliehenden nach.
Als der erste Sonnenstrahl hervorbrach, sagte die Prinzessin zu ihrem Prinzen: »Sieh dich um! Siehst du etwas hinter uns?« – »Ja, ich sehe in weiter Ferne eine dunkle Wolke,« antwortete er. »Dann wirf den Blumentopf rückwärts über dein Haupt,« sagte die Prinzessin. Als er dies gethan, war hinter ihnen ein großer, dichter Wald entstanden; und als die Hexe zu diesem hinkam, konnte sie nicht eher durch denselben kommen, als bis sie nach Hause eilte und sich ihre Axt holte und sich mit derselben einen Weg durch den Wald bahnte.
Bald darauf sagte die Prinzessin abermals zu dem Prinzen: »Sieh dich um, siehst du etwas hinter uns?« – »Ja,« sagte der Prinz, »die große schwarze Wolke ist wieder da.« – »Dann wirf das Glas Wasser rückwärts über dein Haupt!« sagte die Prinzessin. Und als er es gethan hatte, war hinter ihnen ein großer See entstanden; und über diesen konnte die Hexe nicht eher hinüber kommen, als bis sie noch einmal nach Hause gelaufen war und ihren Backtrog geholt hatte.
Inzwischen waren die Flüchtlinge aber gerade vor das Schloß gekommen, in dem der Prinz zu Hause war. Sie kletterten geschwinde über die Gartenmauer und liefen quer durch den Schloßpark und schlüpften durch ein offenes Fenster hinein. Jetzt war die Hexe schon dicht hinter ihnen; da stellte sich die Prinzessin ans Fenster und blies auf die Hexe hinunter; und – hundert weiße Tauben flogen aus ihrem Mund heraus und sausten und flatterten der Hexe um den Kopf, daß sie darüber fuchsteufelswild wurde und in lauter Kieselsteine zersprang, und da liegt noch ein Stück von ihr als ein großer Kieselstein vor dem Fenster.
Aber auf dem Schlosse herrschte jetzt die größte Freude über den wiedergekehrten Prinzen und seine schöne Braut. Und seine zwei älteren Brüder kamen, fielen vor ihm nieder und bekannten ihre Sünde. Er sollte nun allein das ganze Reich erben und regieren und sie wollten seine treuen Unterthanen werden.
Da trafen sie auf ein wunderliches Fahrzeug, und das war ein Backtrog, in dem ein einzelnes altes Weib saß. Sie rief ihnen zu und sagte, daß sie glücklich ans Land kommen könnten, wenn sie ihr den Sohn, den ihre Mutter, die Königin bald bekommen werde, dafür versprechen wollten. »Das können wir nicht!« riefen die beiden als Antwort, »er gehört nicht uns und so können wir ihn auch nicht hergeben.« – »Ja, dann könnt ihr meinetwegen alle beide auf dem Grund des Meeres verfaulen,« sagte das alte Weib; »und ich möchte fast glauben, daß eure Mutter lieber ihre zwei Söhne, die sie schon hat, behalten wollen wird, als einen der erst auf die Welt kommen soll.«
Damit ruderte sie in ihrem Backtrog davon, während der Sturm noch lauter als vorher heulte und das Wasser das Boot der beiden Prinzen allmählich füllte, sodaß sie bereits nahe daran waren unterzusinken. Da dachten die Prinzen, daß doch etwas daran sei an dem, was das Weib gesagt hatte, und sie selbst wollten auch gerne ihr Leben retten, und sie riefen dem Weibe nach und versprachen ihr, daß sie bekommen solle, was sie verlangte, nämlich ihren noch ungebornen Bruder, wenn sie sie nur erretten wollte aus dieser gräßlichen Lebensgefahr, in der sie sich da auf dem offenen Meer befanden. Im selben Augenblick legte sich der Sturm und hörte zu heulen auf, die Wellen und Wogen beruhigten sich plötzlich und der Nachen trieb mit den beiden unversehrten Prinzen vor des Königs Schloß. Sie kamen also gut heim und wurden mit offenen Armen von Vater und Mutter empfangen, die schon eine gräßliche Angst ihretwegen ausgestanden hatten.
Die Brüder sagten aber gar nichts von ihrem Versprechen; jetzt nicht und auch dann nicht, als die Königin den dritten Sohn, einen hübschen Knaben, den sie über alles in der Welt liebte, gebar. Er wurde aufgezogen und erzogen und unterrichtet und belehrt am Hofe seines Vaters bis er erwachsen war, aber noch immer hatten seine Brüder von der Hexe nichts gesehen und nichts gehört, der sie ihn versprochen, bevor er noch geboren war.
Da erhob sich eines Abends plötzlich ein schrecklicher Sturm mit Finsterniß und Nebel; es brauste und sauste um den Hof des Königs und zugleich pochte es heftig an der Thüre des Saales, in welchem sich der jüngste Prinz befand. Da ging er zur Thüre hin und öffnete, und vor ihm stand ein altes Weib mit einem Backtrog am Rücken und sagte zu ihm, daß er ihr augenblicklich folgen müsse, denn seine Brüder hätten ihr ihn dafür versprochen, daß sie ihnen das Leben rettete. »Ja, wenn du meinen Brüdern das Leben gerettet hast und sie mich dir dafür versprochen haben, dann will ich dir auch folgen,« antwortete der Königssohn. Dann gingen sie zusammen zum Strand hinunter und er mußte sich mit der Hexe in den Backtrog setzen, und sie segelte mit ihm fort übers Meer, oder über eine Bucht des Meeres, heim in ihre Wohnung.
Nun war der Königssohn in der Gewalt der Hexe und in ihren Diensten. Das erste, was er von ihr zu thun bekam, war, daß er Federn schleißen sollte. »Diesen Haufen Federn, den du hier siehst, mußt du bis heute Abend, wenn ich wiederkomme, fertig geschlissen haben,« sagte die Hexe, »sonst bekommst du eine noch viel schwerere Arbeit.« Er machte sich gleich darüber und zupfte und schliß, bis nur noch eine einzige Feder übrig war, die er noch nicht in der Arbeit gehabt hatte. Da erhob sich plötzlich ein Wirbelwind und zauste alle Federn herum und fegte sie auf dem Boden wieder zu einem Haufen zusammen, daß sie so dalagen, wie sie gelegen als sie noch nicht geschliffen waren. So mußte er seine Arbeit von vorne an beginnen; aber es fehlte nur noch eine Stunde bis zum Abend, an dem ja die Hexe zurück nach Hause kam, und er sah leicht ein, daß es ihm rein unmöglich war, zur bestimmten Zeit fertig zu werden.
Da hörte er etwas an der Fensterscheibe picken und eine feine Stimme sagte: »Laß mich herein, dann will ich dir helfen!« Und das war eine weiße Taube, die vor dem Fenster saß und mit dem Schnabel an die Scheibe pickte. Er öffnete und die Taube flog herein und begann sofort mit dem Schnabel alle Federn auseinander zu schleißen. Und ehe eine Stunde vorüber war, lagen alle Federn wundernett geschlissen da; die Taube flog zum Fenster hinaus und im selben Augenblick kam auch die Hexe zur Thüre herein.
»Schau, schau!« sagte die alte Hexe, »das ist ja mehr als ich dir zugetraut hätte, daß du die Federn so hübsch in Ordnung bringen konntest! Es muß doch etwas besonders Flinkes in den Fingern von so einem Königssohn stecken.« Am andern Morgen sagte dann die Hexe zu dem Prinzen: »Für heute sollst du eine ganz leichte Arbeit bekommen. Hier draußen vor der Thüre habe ich einen Haufen Brennholz liegen, das sollst du mir alles klein spalten, damit ich es zum Feuermachen brauchen kann. Das ist schnell geschehen, aber du mußt fertig werden, bis ich wieder heimkomme.«
Der Prinz bekam eine kleine Hacke und begab sich sogleich an die Arbeit. Er hackte und spaltete munter drauf los, und es schien ihm, als ginge es recht rasch von der Hand, aber der Tag verging, und Mittag war längst vorbei und er war bei weitem noch nicht fertig. Es schien ihm, als würde der Holzstoß eher größer als kleiner, so viel er auch davon wegnehmen mochte. Da ließ er die Hände sinken, trocknete sich den Schweiß von der Stirne und es wurde ihm recht übel zu Muthe, denn er wußte ja, daß es ihm nicht gut ergehen würde, wenn er bis zur Heimkunft der Hexe nicht fertig mit seiner Arbeit wäre.
Da kam die Taube geflogen, setzte sich auf den Holzstoß, girrte und sagte: »Soll ich dir helfen?« – »Ja, ich danke dir recht schön dafür, daß du mir gestern geholfen und heute helfen willst!« sagte der Königssohn. Und sogleich machte sich die weiße Taube an die Arbeit und spaltete ein Scheit Holz nach dem andern mit ihrem Schnabel. Und es ging so schnell, daß ihr der Königssohn das gespaltene Holz gar nicht schnell genug wegräumen konnte. Und in kürzester Zeit war alles Holz in ganz kleine Spähne gehackt und gespalten.
Darauf flog die weiße Taube zu ihm hin und setzte sich auf seine Schulter; und der Prinz dankte ihr, schmeichelte und streichelte ihr die weißen Federn und küßte sie auf den kleinen, rothen Schnabel. Da war plötzlich keine Taube mehr da, sondern eine blühend schöne Jungfrau stand an seiner Seite. Sie erzählte ihm dann, daß sie eine Prinzessin sei, die die Hexe entweder gestohlen oder auf dieselbe Weise, wie jetzt ihn, in ihre Gewalt bekommen und dann zur Taube verwünscht habe. Mit seinem Kuß aber bekam sie ihre menschliche Gestalt wieder; und wenn er ihr treu bleiben und sie zur Frau nehmen wolle, so könne sie sowohl ihn, als sich selbst leicht aus der Gewalt der Hexe befreien.
Der Königssohn war sogleich ganz eingenommen von der Schönheit der Prinzessin und gerne bereit, alles was immer zu thun, um sie für sich zu gewinnen und als Gemahlin zu bekommen. Da sagte sie zu ihm: »Wenn jetzt die Hexe heimkommt, so bitte sie, dir einen Wunsch zu erfüllen, weil du alles, was sie dir aufgetragen, so gut verrichtet hast. Und wenn sie »Ja« sagt, so bitte sie gerade heraus um die Prinzessin, die sie hier auf ihrem Hof hält und die jetzt als weiße Taube herumfliegen muß. Zuerst mußt du mir aber einen rothen Seidenfaden um den kleinen Finger winden, damit du mich in jeder Gestalt, in die sie mich verwandeln wird, immer sogleich wiedererkennst.«
Der Prinz wand ihr schnell einen rothen Seidenfaden um den kleinen weißen Finger und im selben Augenblick war die Prinzessin wieder eine Taube und flog davon. Und gleich nach ihr kam die alte Hexe mit ihrem Backtrog auf dem Rücken heim. »Na, das muß ich sagen,« rief sie verwundert aus, »du bist flink bei deiner Arbeit; und so etwas sind Prinzenhände doch sonst nicht gewöhnt!« Da sagte der Königssohn: »Weil Ihr so zufrieden seid mit meiner Arbeit, werdet Ihr mir wohl auch ein kleines Vergnügen bereiten wollen und mir etwas geben, das ich zu besitzen Lust hätte?« – »O ja, recht gerne,« sagte das Weib, »und was ist es denn, was du haben willst?« – »Ich möchte die Prinzessin, die sich hier auf deinem Hof befindet und als weiße Taube verwandelt herumfliegt,« antwortete der Prinz. »Ah, papperlapapp!« rief die Hexe, »wie kommst du denn auf den Gedanken, daß Prinzessinnen in meinem Hofe als weiße Tauben herumfliegen. Aber wenn du schon durchaus eine Prinzessin haben willst, so sollst du auch eine solche bekommen, wie wir sie hier auf dem Hofe haben.« Und dann kam sie dahergeschleppt mit einer kleinen, grauwolligen und langohrigen Eselin. »Willst du diese haben?« fragte das Weib; – »eine andere Prinzessin kannst du nicht bekommen.«
Jetzt strengte der Königssohn seine Augen scharf an und sah den kleinen rothen Seidenfaden um den einen Huf der Eselin gewunden, und da sagte er gleich: »Ja, die ist mir schon recht, gieb sie nur her!« – »Ah, was willst du denn damit machen?« fragte die Hexe. »Ich will darauf reiten,« antwortete der Prinz. »Ja, thue es nur!« rief die Hexe und zog aber zugleich die Eselin fort. »Wo kommt denn meine Eselin hin?« sagte der Prinz, »sie gehört ja mein und ich will sie haben!« – »Ja, ganz gewiß!« erwiderte die Hexe und kam mit einem alten, runzlichen zahnlosen Weib, das an den Händen zitterte, daher. »Eine andere Prinzessin kriegst du nicht,« sagte sie, »willst du diese haben?« – »Ja, die will ich,« antwortete der Prinz, denn er hatte seinen rothen Seidenfaden am Finger des alten Weibes schon gesehen.
Da wurde die Hexe so fuchsteufelswild, daß sie tobte und herumfuhr und alles in Stücke schlug, was sie nur erreichen konnte, so daß die Scherben dem Prinzen und der Prinzessin, welche jetzt in ihrer eigenen schönen Gestalt dastand, um die Ohren flogen und sausten.
Darauf sollten sie also Hochzeit halten, denn die Hexe mußte halten, was sie versprochen hatte, und der Prinz mußte die Prinzessin um jeden Preis bekommen. Da sagte die Prinzessin zu ihm: »An der Hochzeitstafel darfst du essen, was du willst, aber keinen Tropfen trinken; denn wenn du das thust, so vergissest du mich.« Aber am Hochzeitstag hatte der Prinz längst darauf vergessen und er streckte die Hand aus und nahm einen Becher Wein. Die Prinzessin jedoch paßte genau auf und gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen, daß er den Wein über das Tischtuch verschüttete. Da fuhr die Hexe wieder auf und schlug um sich auf Kannen und Schüsseln, daß ihnen die Scherben um die Ohren flogen, gerade so wie das erstemal, als sie toll wurde.
Dann wurden sie in die Brautkammer geführt; die Thüre wurde verschlossen und die Prinzessin sagte: »Jetzt hat die Hexe gehalten, was sie versprochen, aber fernerhin wird sie uns gutwillig nichts Gutes mehr erweisen; daher müssen wir auf der Stelle fliehen. Ich werde zwei Scheiter Holz ins Bett legen, welche für uns antworten müssen, wenn die Hexe mit uns spricht. Du mußt noch den Blumentopf und das Glas Wasser, das dort am Fenster steht, mitnehmen und dann müssen wir uns durch dieses Fenster hinausschleichen und schauen, daß wir weiter und davon kommen.«
Wie gesagt, so gethan. Sie schlichen sich durchs Fenster und eilten in der finsteren Nacht davon, und die Prinzessin machte den Wegweiser, denn sie kannte den Weg, den sie ausspionirt hatte, während sie als Taube herumflog. Gegen Mitternacht kam die Hexe an die Thüre der Brautkammer und rief hinein, und die zwei Scheiter Holz antworteten ihr, so daß sie glaubte, das Brautpaar sei drinnen, und ging wieder. Vor Tagesanbruch war die Hexe schon wieder vor der Thüre und rief hinein, und abermals antworteten ihr die zwei Scheiter Holz. Da glaubte sie, das junge Ehepaar sei drinnen; und als die Sonne aufging – da war die Brautnacht vorbei – und sie hatte ihr Versprechen gehalten! und konnte nun Gift und Galle über die beiden ergießen und all‘ ihren Zorn um sich zu rächen an ihnen auszulassen. Mit dem ersten Sonnenstrahl stürzte die Hexe in die Kammer hinein; – aber da fand sie jetzt weder einen Prinzen noch eine Prinzessin, und nichts anderes, als die zwei Scheiter Holz, welche da im Bett lagen und sie anglotzten, ohne ein Wort zu sagen. Diese packte sie und schleuderte sie so um den Boden, daß sie in tausend Spähne zersplitterten; und dann fuhr sie davon und den Fliehenden nach.
Als der erste Sonnenstrahl hervorbrach, sagte die Prinzessin zu ihrem Prinzen: »Sieh dich um! Siehst du etwas hinter uns?« – »Ja, ich sehe in weiter Ferne eine dunkle Wolke,« antwortete er. »Dann wirf den Blumentopf rückwärts über dein Haupt,« sagte die Prinzessin. Als er dies gethan, war hinter ihnen ein großer, dichter Wald entstanden; und als die Hexe zu diesem hinkam, konnte sie nicht eher durch denselben kommen, als bis sie nach Hause eilte und sich ihre Axt holte und sich mit derselben einen Weg durch den Wald bahnte.
Bald darauf sagte die Prinzessin abermals zu dem Prinzen: »Sieh dich um, siehst du etwas hinter uns?« – »Ja,« sagte der Prinz, »die große schwarze Wolke ist wieder da.« – »Dann wirf das Glas Wasser rückwärts über dein Haupt!« sagte die Prinzessin. Und als er es gethan hatte, war hinter ihnen ein großer See entstanden; und über diesen konnte die Hexe nicht eher hinüber kommen, als bis sie noch einmal nach Hause gelaufen war und ihren Backtrog geholt hatte.
Inzwischen waren die Flüchtlinge aber gerade vor das Schloß gekommen, in dem der Prinz zu Hause war. Sie kletterten geschwinde über die Gartenmauer und liefen quer durch den Schloßpark und schlüpften durch ein offenes Fenster hinein. Jetzt war die Hexe schon dicht hinter ihnen; da stellte sich die Prinzessin ans Fenster und blies auf die Hexe hinunter; und – hundert weiße Tauben flogen aus ihrem Mund heraus und sausten und flatterten der Hexe um den Kopf, daß sie darüber fuchsteufelswild wurde und in lauter Kieselsteine zersprang, und da liegt noch ein Stück von ihr als ein großer Kieselstein vor dem Fenster.
Aber auf dem Schlosse herrschte jetzt die größte Freude über den wiedergekehrten Prinzen und seine schöne Braut. Und seine zwei älteren Brüder kamen, fielen vor ihm nieder und bekannten ihre Sünde. Er sollte nun allein das ganze Reich erben und regieren und sie wollten seine treuen Unterthanen werden.
[Dänemark: Svend Grundtvig: Dänische Volksmärchen]