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Wie der Rabe die Meise freien wollte

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Der Rabe hatte die Meise getroffen und beschloß, sie zu freien. Auch die Meise fand am Raben Gefallen, so war sie es einverstanden. Am Abend, als man sich zu Tisch setzte, um sich zu stärken, fragte der Rabe seine Braut: »Sag, warum bist du nur so klein?« — »Ich bin noch sehr jung, ich bin noch sehr jung«, antwortete die Meise. »Du wirst also noch wachsen?« — »Aber ja doch! Natürlich werde ich noch wachsen!«
Nach dem Abendessen wurde es der Braut langweilig. Sie gähnte ohne Unterlaß und sagte schließlich zum Bräutigam: »Es ist so langweilig bei dir, erzähle mir irgendeine Geschichte, damit es nicht mehr so langweilig ist.« — »Gut«, meinte der Rabe und begann sofort zu erzählen: »Im vorigen Jahr wuchs im Dorf hinterm Wald, wo mein Onkel lebt, eine so hohe Bohne, daß die Schnecke daran dreimal zur Regenwolke kletterte, um zu trinken.« — »Ach, was ist das schon für ein Wunder«, sagte die Meise. »Im vorvorigen Jahr hab‘ ich solch eine lange Erbse gesehen, daß die Heuschrecke daran zur Sonne kletterte, um sich die Pfeife anzuzünden.«
Der Rabe erzählte sofort eine andere Geschichte: »Vor drei Jahren kam im selben Dorf hinterm Wald solch ein Wind auf, daß die Menschen auf allen vieren gingen. Sie konnten diese Gewohnheit erst nach mehreren Monaten loswerden.« — »Ach, was ist das schon für ein Wunder«, sagte die Meise. »Vor fünf Jahren habe ich einen Wind erlebt, daß die Windmühlen ohne Flügel zu sein schienen, so schnell drehten sie sich.«
Da erzählte der Rabe nun die dritte Geschichte: »Vor zehn Jahren soll es solch einen harten Frost gegeben haben, daß die Fichten von den Wurzeln bis zu den Wipfeln entzweisprangen. « — »Ach, was ist das schon für ein Wunder!« rief die Meise. »Vor ungefähr einem Dutzend Jahren, als ich noch um meine dritten Söhnchen trauerte, gab es um Neujahr solch einen harten Frost, daß der vor dem Ofen den Brotteig knetenden Frau die Hand im Teig einfror und die Suppe im Topf auf dem Herd auf einer Seite kochte, auf der anderen aber zu Eis gefroren war.« — »So, so, das muß damals ja wirklich ein sehr harter Frost gewesen sein…« meinte der Rabe, seufzte und bat um Erlaubnis, kurz vor die Tür zu gehen. Danach kam er nie wieder.
War es nun die Geschichte mit der Bohne, mit der Erbse oder mit dem Frost, ganz gleich, welche es war, nein, ein solch altes Weib, das das alles gesehen und miterlebt hatte, wollte er nun doch nicht.

Quelle:
(Estland)

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