In einer großen Stadt wohnte einst ein armer Schuster. Er stand mit den Hühnern auf und arbeitete, bis es dunkel wurde. Er schnitt zu, nähte, flickte und nagelte Absätze an. Und damit verdiente er das tägliche Brot für seine Familie. So schlug er sich von einem Tag zum anderen durch, denn andere Einkünfte hatte er nicht. Nie ging er in eine Weinstube, und auch nie gab er unnütz Geld aus; seinen ganzen Verdienst brachte er nach Hause und war jeden Abend mit Frau und Kindern zusammen.
Einmal wollte aber der König wissen, wie es den Menschen in seiner Stadt gehe. Er verkleidete sich als Basaraufseher und wanderte nachts durch die Stadt. Alles schlief bereits, nur in einem Haus erklangen Stimmen. Der König klopfte an und trat ein. Da sah er den Schuster mit seiner Familie beim Abendbrot sitzen. Sie aßen Hammelfleisch und tranken Wein dazu. Der Hausherr, die Hausfrau und die Kinder — alle waren fröhlich und guter Dinge.
Der Schuster bat den Gast zu Tisch: „Setz dich, mein Lieber, iß mit uns und sei mit uns fröhlich.“ Der König nahm Platz und fragte: „Entschuldige die Frage, Bruder, aber was bist du? Wie kannst du an einem Wochentag fröhlich sein, als wär’s ein Feiertag?“ — „Ich bin ein einfacher Schuster, Bruder, aber das ist nun einmal Brauch bei mir: Was ich am Tage verdient habe, das verspeise ich abends mit meiner Familie.“ — „Was wirst du aber tun, wenn man deine Werkstatt schließt!?“ — „Ein solches Unglück möchte ich nicht einmal meinem Feinde wünschen! Ich würde verhungern!“ antwortete der Schuster.
Der König ging. Am nächsten Morgen befahl er, daß keiner an diesem Tage arbeiten oder handeln solle, es sei ein Feiertag. Alle Werkstätten und Läden mußten schließen, auch die Werkstatt des Schusters.
Abends verkleidete sich der König abermals und sah nach, was der Schuster trieb. Der war aber genau so fröhlich und freundlich wie am Abend zuvor. Als er den Gast sah, rief er erfreut: „Ah, sei gegrüht, bester Freund! Setz dich zu uns an den Tisch!“ Der König nahm Platz. „Wie hast du dir denn heute dein Brot verdient?“ fragte er. „Alle Werkstätten und Läden waren doch auf Geheiß des Königs geschlossen?“ — „Verflucht sei unser König!“ sagte der Schuster. „Meine Werkstatt wurde geschlossen, und ich durfte nicht arbeiten. Was sollte ich tun? Ich ging auf die Straße, brachte dem einen Wasser, für den anderen hackte ich Holz, kurz, ich machte mich nützlich und verdiente ein wenig dabei, so daß meine Kinder nicht hungrig zu Bett zu gehen brauchen.“
Der König entfernte sich. Am nächsten Morgen befahl er den Schuster in seinen Palast. Dem Schuster fiel gar nicht ein, daß er vor seinem gestrigen Gast stand — er erkannte ihn nicht in den Königsgewändern.
Der König ließ dem Schuster ein Schwert geben und stellte ihn als Wache an die Tür. „Bleib hier stehen und rühr dich nicht vom Fleck! Bewache den Eingang!“ sagte der König.
Den ganzen Tag stand der arme Schuster Wache.
Abends ließ ihn der König rufen und sprach: „Morgen früh kommst du wieder und stehst wieder Wache an der. Tür.“ Der Schuster kehrte betrübt nach Hause zurück, setzte sich hin und hing seinen Gedanken nach: Den ganzen Tag über hatte er nichts verdienen können. „Warum bist du denn so traurig, lieber Mann?“ fragte ihn seine Frau. „Andere Leute haben wochenlang nichts zu beißen. Ich habe gehört, daß manche zwanzig und sogar vierzig Tage hungern müssen, und da sollten wir es einen Tag nicht aushallen können? Wenn es weiter nichts ist! Mach dir nichts draus!“
Dem Schuster wurde es langweilig, einfach so herumzusitzen. Er griff nach einem Stock und begann an ihm zu schnitzen. Und wie er so schnitzte, da sah er, dah die eine Seite des Stockes scharf geworden war wie bei einem Schwert. Nun schnitzte er auch die andere Seite, und nach einer Weile hielt er ein Holzschwert in den Händen. Da zog der Schuster das stählerne Schwert aus der Scheide, das der König ihm gegeben hatte, und steckte sein Holzschwert hinein. Das Schwert des Königs aber brachte er auf den Basar. Dort verkaufte er das Stahlschwert, erstand verschiedene Speisen, brachte sie nach Hause und setzte sich lustig wie immer mit Frau und Kindern zu Tisch.
Der König aber hatte sich wieder als Basaraufseher verkleidet und begab sich zum Schuster. Der Schuster forderte den König auf, am Tisch Platz zu nehmen, bewirtete ihn und erzählte: „Heute hat mich unser dummer König Wache stehen lassen, überleg selber, wie sollte ich da etwas verdienen? Als ich nach Hause zurückkehrte und mir der Magen knurrte, war ich sehr niedergeschlagen, denn wir haften nichts zu essen. Da überlegte ich: Der König wird mich doch nie und nimmer jemanden mit dem Schwert töten lassen, das er mir umgehängt hat. Ich nahm also das Schwert und verkaufte es. Und in die Scheide habe ich ein Holzschwert gesteckt. Woher soll der König wissen, was in der Scheide ist? Hör, Frau, wir wollen unserem Freund einmal zeigen, was für ein Schwert ich habe!“ riet der Schuster lachend. Der König sah sich das Schwert an und ging davon, ohne etwas zu sagen.
Am nächsten Morgen griff der Schuster nach dem Holzschwert und ging zum Palast, um die Tür des Königs zu bewachen. Der König frohlockte im Innern: Jetzt soll er aber was erleben! Er rief nach dem ersten besten Diener, schrie ihn an und schlug auf ihn ein, als habe der Diener sich tatsächlich etwas zuschulden kommen lassen. „Holt sogleich meinen Wachposten, er soll diesen Halunken, diesen Lügner
und Verräter um einen Kopf kürzer machen!“ donnerte der König. Der Schuster wurde geholt. Der König befahl ihm, dem Diener den Kopf abzuschlagen. „Grober und gnädiger König, vergib ihm!“ flehte der Schuster. „Dieser Mann führt nichts Böses im Schilde und hat dir nichts antun wollen. Wenn er aber gefehlt hat, so verzeihe ihm!“ — „Nie und nimmer!“ schrie der König. „Schlag ihm unverzüglich den Kopf ab. Tu es sofort in meiner Gegenwart, sonst; lasse ich dir den Kopf abhauen!“ Da war guter Rat teuer. Der Schuster seufzte und rief dann: „Wenn der unglückliche Diener unschuldig ist, so möge sich dieses stählerne Schwert in ein hölzernes verwandeln.“
Damit riß er das Holzschwert aus der Scheide.
Der Konig war so verblüfft, daß er nicht wußte, wie er sich verhalten und was er dem findigen Schuster antworten sollte. Er sann hin und her und sagte: „Geh und lebe, wie du gelebt hast!“ Der Schuster kehrte zu seiner Familie zurück und lebte wie zuvor; Er arbeitete den ganzen Tag, schnitt zu, nähte, flickte, nagelte Absätze an, und des Abends war er mit seiner Frau und den Kindern fröhlich und guter Dinge.
Quelle:
(georgisches Märchen)