Es war einmal ein Mann – ich weiß nicht wo, ich weiß auch nicht wann -, der hieß Hetscho. Man nannte ihn den Faulpelz, weil er jeder Arbeit aus dem Wege ging. Und weil er so faul war, mußte Hetscho hungern.
Schließlich wurde er des Hungerns überdrüssig und beschloß, zu dem alten, weisen Gerbatu zu gehen, von dem das Volk sagte, er lenke die Geschicke der Menschen.
Hetscho machte sich auf den Weg und gelangte endlich zum Hause Gerbatus. Er öffnete die Tür, nahm seine Mütze ab und blieb an der Schwelle stehen. Gerbatu erblickte ihn und sprach: „Nanu, der Faulpelz Hetscho! Du lebst also noch? Ich dachte, deine Faulheit hätte dich längst ins Grab gebracht. Und weshalb besuchst du mich?“
„Ich will Euch bitten, mein Schicksal zu ändern. Ich mag nicht mehr hungern!“
Gerbatus Augen unter den buschigen Brauen blickten Hetscho prüfend an: „Du scheinst das Sprichwort vergessen zu haben: Was der Mensch sät, das wird er ernten! Du mußt hungern, wenn du nicht arbeitest. So steht es geschrieben im Buche des Schicksals.“
„Ich will aber nicht hungern. Ich will jeden Tag satt sein – ohne zu arbeiten!“
„Schau an, wie großartig! Ja weißt du denn nicht, daß alle Menschen ihr Glück mit ihren eigenen Händen schmieden? Du liegst tagaus, tagein auf der Bärenhaut und zählst die Krähen am Himmel.“
Davon wollte Hetscho aber nichts hören, er blieb stehen, drehte seine Mütze in den Händen und bat und bettelte.
Schließlch wurde Gerbatu ungeduldig. „Also gut“, sagte er. „Ich will dir eine Wohltat erweisen, du Faulpelz – wert bist du’s ja nicht. Geh nach Hause und warte auf den nächsten Feiertag! In der Nacht davor wird es ein Gewitter geben. Aber schlaf nicht ein, sondern paß auf! Sobald der erste grelle Blitz am Himmel aufleuchtet, wird dein Wunsch erfüllt werden. Beim zweiten Blitz geht dein zweiter Wunsch in Erfüllung und beim dritten Blitz dein dritter Wunsch. Aber ich weiß, daß du es nicht einmal fertigbringst, dir etwas Gescheites zu wünschen. Mein Geschenk wird dir gar nichts nützen.“
Hetscho dankte Gerbatu, verabschiedete sich und ging heim.
In der Nacht zum Feiertag setzte er sich geduldig auf die Schwelle seines Hauses und wartete auf das Gewitter. Er saß und wartete, gähnte und rieb sich mit den Fäusten die Augen, um nicht einzuschlafen. Langsam kamen von den weißen Bergspitzen schwere schwarze Wolken gezogen. Von Norden her stürmte ein wilder Wind heran, die ersten Regentropfen fielen. Jeden Augenblick konnte der Donner rollen.
Als Hetscho darüber nachdachte, was er sich wohl wünschen könnte, fing es in seinem Bauche an zu kneifen, und gleich so arg, daß dem armen Hetscho alle Wünsche vergingen. „Das kommt aber zur Unzeit!“ dachte Hetscho wütend. „Daß der Teufel den Bauch hole!“
Krach! Da zuckte der Blitz, der Donner rollte – und wie Hetscho hinguckte, hatte er keinen Bauch mehr. Er griff unter seinen Kittel und fühlte dort nur die mit Haut überzogene Wirbelsäule.
Da heulte er vor Schreck und Entsetzen: „Oje, oje! Was ist denn das? Wie soll ich denn ohne Bauch leben? Da wäre es schon besser, mir wüchse ein riesengroßer!“ Kaum hatte er’s gesagt, da blitzte es wieder.
Und als er hinguckte, da wuchs ihm ein Bauch – oh, was für ein Bauch! Ein riesengroßer Riesenbauch wuchs ihm da, so groß, daß Hetschos Beine ihn nicht mehr zu tragen vermochten. Hetscho fiel um, stöhnte und röchelte: „Oh, oh, oh! Mit solch einem Bauch kann ich doch nicht leben. Wenn er doch wieder so wäre, wie er immer gewesen ist!“
Zum dritten Mal zuckte der Blitz und der Donner rollte. Da wurde Hetscho wieder so, wie er immer gewesen war. Darüber war nun der Faulpelz maßlos erbittert. Er verfluchte sein Schicksal und rannte los, um Gerbatu sein Leid zu klagen.
Als er so rannte und hastete, kam ihm ein Wolf entgegen, alt, geschunden und so mager, daß man alle Rippen zählen konnte. Der Wolf stürzte Hetscho entgegen, versperrte ihm den Weg und fragte: „Wohin des Weges, Freund Hetscho?“
Hetscho schüttelte es vor Schreck. „Laß mich laufen, Wolf! Ich geh zum weisen Gerbatu und will ihm mein Leid klagen.“
Der Wolf erwiderte: „Erfülle mir eine Bitte, Hetscho. Frage doch Gerbatu, was ich machen soll – mit jedem Tage werde ich dünner und dünner, und nie kann ich mich satt essen. Aber vergiß ja nicht, danach zu fragen, sonst fress ich dich auf.“
„Gut, grauer Wolf, ich frage ganz bestimmt“; sagte Hetscho und lief weiter. Er lief und lief, bis ihm die Füße weh taten. Dann blieb er stehen, schaute sich nach allen Seiten um und erblickte am Wege einen großen weitverzweigten Apfelbaum.
Hetscho pflückte den dicksten Apfel, biß hinein – und schrie auf: „Pfui! So etwas nennt man Äpfel! Gallebitter!“ Und schleuderte den Apfel weit von sich.
Traurig rauschten die Äste des Apfelbaumes, und von seinen grünen Blättern fielen Tränen wie strömender Regen. „Da sieh! So leide ich immer! Wer meine Äpfel kostet, flucht und schimpft. Ich würde aber gern dem müden Wanderer eine Freude bereiten. Ach, Hetscho, hilf mir doch, daß ich von meiner Krankheit geheilt werde.“
„Gut“, sprach Hetscho, „wenn ich zu Gerbatu komme, frage ich ihn um Rat.“ Er lief weiter und vermochte bald vor Müdigkeit kaum mehr Luft zu schnappen. Da bemerkte er schließlich in der Ferne Gerbatus Haus. Es plagte ihn heftigen Durst, und da sah er auch schon unter Bäumen ein Bächlein glitzern. Er lief hin zu ihm, beugte sich über das klare Wasser – und was erblickte er da? Auf dem Grunde lag ein riesengroßer Fisch mit weit aufgesperrtem Maul. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf, er atmete schwer, vermochte aber das Maul nicht zu schließen.
Als er Hetscho sah, fing er vor Freude an mit dem Schwanze zu schlagen und sprach: „Guter Hetscho, kannst du mir nicht helfen? Zwanzig Jahre lang kann ich nun schon mein Maul nicht mehr schließen.“
„Warte“, sagte Hetscho, „vielleicht weiß Gerbatu Rat.“ Und weiter lief er.
Endlich erreichte er das Haus und sah Gerbatu mit finsterer Miene vor der Tür sitzen und in einem großen Buch lesen. Als Gerbatu Hetscho erblickte, fragte er: „Was hast du bei mir zu suchen?“
„Ach, Euer Gnaden“, sagte Hetscho, „wolltet Ihr mich zum Narren halten? Ihr hattet versprochen, mir drei Wünsche zu erfüllen; aber im entscheidenden Augenblick habt Ihr mir eine Krankheit geschickt. Wenn man schon einmal gibt, dann sollte man wirklich geben, sich aber nicht über den armen Hetscho lustig machen.“
„Du willst also immer noch satt werden, ohne zu arbeiten?“ fragte Gerbatu. „Gut. Noch einmal schenke ich dir großen Reichtum. Freilich, es wird dir wohl kaum etwas nützen.“
„Ach, gütiger Herr“, erwiderte Hetscho und verneigte sich tief, „dieses Mal bin ich gescheiter.“
„Hast du niemand getroffen, als du zu mir kamst?“ fragte Gerbatu mit listigem Lächeln.
„Doch, doch!“ antwortete Hetscho. „Ich sah in einem schnellen Bache einen Riesenfisch, der seit zwanzig Jahren sein Maul nicht mehr schließen kann. Sagt mir bitte, wie er von diesem schrecklichen Übel befreit werden kann.“
„Unter seiner Zunge ist ein Edelstein steckengeblieben“, erwiderte Gerbatu. „Man muß ihn herausnehmen, dann kann der Fisch sein Maul wieder schließen. Und was hast du sonst noch gesehen?“
„Ich sah auf meinem Weg noch einen herrlichen Apfelbaum. Seine Früchte waren rotbackig und schön, schmeckten aber bitter wie Galle. Der Apfelbaum läßt Euch grüßen und um Rat fragen, wie er wohl von diesem Übel befreit werden könnte.“
„Unter seinen Wurzeln liegt ein Schatz begraben. Gräbt man ihn aus, so werden seinen Äpfel süßer sein als Feigen. Geh nun, ich bin müde.“
„Ich traf unterwegs noch einen grauen Wolf“, fuhr Hetscho fort. „Was er auch essen mag, er kann nie satt werden und wird von Tag zu Tag dünner. Sagt mir, wie kann er das Übel loswerden?“
Hier lächelte Gerbatu noch listiger und klappte das große Buch laut zu. „Jetzt habe ich aber genug von dir! Sag dem Wolf, er würde satt werden, wenn er das allerdümmste und allerfaulste Geschöpf auf Erden auffrist.“
Hetscho verneigte sich tief und ging davon. Als er an dem schnellen Bach vorbeikam, fragte ihn der Fisch: „Nun, was hat Gerbatu gesagt?“
„Er sagte, ein Edelstein läge unter deiner Zunge. Nimmt man ihn heraus, dann kannst du das Maul schließen!“
„Dann befreie mich bitte von diesem Übel!“ bat der Fisch. „Und nimm dir zur Belohnung den Edelstein.“
Hetscho aber schüttelte abwehrend den Kopf und tat sehr großspurig: „Was soll ich mir damit die Hände schmutzig machen? Gerbatu hat mir ohnehin großen Reichtum versprochen. Da habe ich keine Zeit, mich mit dir rumzuplagen!“ Und er ging weiter und kam zu dem Apfelbaum.
Dieser fragte Hetscho: „Nun, was hat dir Gerbatu gesagt?“
„Er sagte, man müßte den Schatz, der unter deinen Wurzel liegt, ausgraben; wenn dies geschehen sei, dann würden deine Äpfel süßer schmecken als Feigen.“
„So befreie mich doch von diesem Übel!“ bat der Apfelbaum. „Und nimm dir zur Belohnung den Schatz!“
„Habe ich es nötig, mir Schwielen an die Hände zu arbeiten?“ grinste Hetscho. „Gerbatu hat mir ohnehin ein riesiges Vermögen versprochen.“ So mußte der Apfelbaum seine bitteren Früchte weiterbehalten.
Hetscho aber lief eilig weiter. Da sah er mitten auf dem Wege den Wolf liegen. Der hatte seinen grauen Kopf auf die Pfoten gelegt und erwartete ihn. „Nun, Hetscho, hast du Gerbatu gefragt, wie ich von meinem Übel erlöst werden kann? Sag es schnell, sonst freß ich dich!“ Da war nun nichts mehr zu machen. Hetscho ließ sich neben dem Wolf nieder und erzählte ihm genau all seine Erlebnisse.
„Gerbatu sagt also, ich würde von meinem Leiden geheilt, wenn ich das allerdümmste und allerfaulste Geschöpf dieser Erden fräße?“
„Ja“, sagte Hetscho. Da sperrte der Wolf sein Maul auf, gähnte laut und sagte: „So hat denn dein letztes Stündlein geschlagen.“ Und er stürzte sich auf Hetscho und fraß ihn auf.
So ging der Faulpelz Hetscho an seiner eigenen Dummheit zugrunde.
Quelle:
(Georgien)