Es lebte einmal ein Schah, der einen Papagei besaß. Er liebte ihn so, dass er keine Stunde ohne ihn verbringen wollte. Der Papagei sagte ihm gefällige Worte und zerstreute ihn. Eines Tages bat der Papagei: „In meiner Heimat, in Indien, habe ich Vater und Mutter, Bruder und Schwestern. Schon lange lebe ich in Gefangenschaft und bitte Euch nun, mich für zwanzig Tage freizulassen. Ich will in meine Heimat fliegen. Sechs Tage brauche ich um hinzugelangen, sechs für den Rückflug, und acht Tage werde ich dort weilen, um Vater und Mutter, Brüder und Schwestern zu sehen.“ – „Nein“, erwiderte der Schah. „Wenn ich dich freilasse, kehrst du nicht mehr zurück, und ich werde mich grämen.“ Da beteuerte der Papagei: „Ich gebe Euch mein Wort, hoher Gebieter, und werde es halten.“ – Also gut, wenn dem so ist, dann lasse ich dich hinfliegen, aber nur für zwei Wochen“, sagte der Schah. „Lebt wohl, ich werde es irgendwie bewältigen“, dankte der Papagei erfreut. Er flog aus seinem Käfig auf den Zaun, nahm von allen Abschied und wandte sich gen Süden. Der Schah sah ihm nach. Er glaubte nicht, dass der Papagei zurückkehren würde.
In sechs Tagen erreichte der Papagei seine Heimat Indien und fand auch seine Eltern. Wie freute sich der Arme! Er flatterte vergnügt umher, flog von Hügel zu Hügel, von Ast zu Ast, von Bäumchen zu Bäumchen, tauchte ein in das Grün der Wälder, besuchte Verwandte und Bekannte und merkte nicht einmal, wie die zwei Tage vergingen. Nun war es Zeit, in die Gefangenschaft, in seinen Käfig zurückzufliegen. Schwer fiel dem Papagei der Abschied von Vater und Mutter, Brüdern und Schwestern. Auf die Augenblicke der Fröhlichkeit folgten Stunden der Trauer und des Grames. Er ließ seine Flügel hängen. Wer konnte denn wissen, ob es ihm noch einmal gelingen würde, herzukommen!
Verwandte und Bekannte fanden sich ein, alle bedauerten den Papagei und rieten ihm, nicht zurückzukehren. Der Papagei aber entgegnete: „Ich habe es doch versprochen. Darf ich denn mein Wort brechen?“ – „Ach“, sagte einer der Papageien, „wann hast du je gesehen, dass Herrscher ihre Versprechen halten? Wäre dein König gerecht, würde er dich dann vierzehn Jahre lang gefangen halten und nur für vierzehn Tage in die Freiheit lassen? Bist du etwa auf die Welt gekommen, um in Gefangenschaft zu leben? Opfere deine Freiheit nicht für irgendjemandes Zeitvertreib! Im Herzen des Schahs wohnt mehr Grausamkeit als Gnade! Es ist unvernünftig und gefährlich, in der Nähe eines Herrschers oder eines Tigers zu weilen.“
Der Papagei aber hörte nicht auf diese Ratschläge und schickte sich an davonzufliegen. Da nahm seine Mutter das Wort: „Für alle Fälle gebe ich dir einen Rat. In unseren Gegenden gedeihen Lebensfrüchte. Wer auch nur eine solche Frucht isst, wird sofort wieder jung. Ein Greis verwandelt sich in einen Jüngling, eine Greisin in eine junge Maid. Bringe deinem König von diesen kostbaren Früchten und bitte ihn, dass er dir die Freiheit schenke. Vielleicht erweichst du sein Herz, und er gewährt dir deine Bitte.“ Alle billigten diesen Ratschlag und brachten geschwinde drei Lebensfrüchte. Der Papagei nahm von seinen Verwandten und Bekannten Abschied und flog gen Norden. Alle sahen ihm voller Hoffnung nach. Nach sechs Tagen war der Papagei wieder zurück, überreichte dem Schah die Geschenke und erklärte ihm, welche Bewandtnis es mit den Früchten habe. Der Schah freute sich und versprach dem Papagei die Freiheit. Eine Frucht gab er seiner Frau, die übrigen legte er in eine Schale.
Der Wesir, in dessen Herzen Neid und Missgunst nagten, beschloß, die Dinge einen anderen Verlauf nehmen zu lassen. „Rührt die Früchte, die der Vogel gebracht hat, vorläufig nicht an!“ sagte er. „Wollen wir sie erst erproben! Wenn sie gut sind, ist es nicht zu spät, sie zu verspeisen.“ Der Schah willigte ein. Der Wesir aber benutzte einen unbeobachteten Augenblick und tat in die Lebensfrüchte ein starkes Gift. Danach sprach er zum Schah: „Wollen wir sie nun erproben!“ Man brachte zwei Pfauen und ließ sie an den Früchten picken. Sofort fielen beide tot um. „Und was wäre mit Euch geschehen, hättet Ihr die Früchte gegessen?“ fragte der Wesir. „Auch ich wäre tot!“ schrie der Schah, zerrte den armen Papagei aus dem Käfig und riss ihm den Kopf ab. So erhielt der arme Papagei seinen „Lohn“. Kurz danach erzürnte der Schah über einen Greis und beschloss, ihn hinzurichten. Er befahl ihm, die übrig gebliebene Frucht zu essen. Aber kaum hatte der Greis sie verspeist, da wuchs ihm schwarzes Haar, er bekam neue Zähne, seine Augen nahmen jugendlichen Glanz an, und er glich einem Zwanzigjährigen. Da begriff der Schah, dass er den Papagei zu Unrecht getötet hatte, aber es war zu spät.
Und jetzt will ich Euch erzählen, was geschah, als Ihr schliefet, sagte Kendsha zum Schluss. Er ging in den Garten und brachte von dort die zwei Hälften der zerhackten Schlange. Der Schah bat den Recken Kendsha um Verzeihung. Kendsha-Batyr entgegnete: „Erlaubt mir, mein Gebieter, dass ich mit meinen Brüdern in mein Land heimkehre. Mit Herrschern in Frieden und Eintracht zu leben, ist unmöglich.“ Wie sehr der Schah auch bettelte und flehte, die Recken ließen sich nicht erweichen. „Wir können keine Höflinge werden und nicht im Palast leben. Wir wollen uns durch unsere Arbeit ernähren“, sagten sie. „Dann sollen wenigstens meine Töchter hier bleiben“, verlangte der Schah. Aber die Töchter schrieen durcheinander: „Wir werden uns von unseren Männern nicht trennen!“ Die jungen Recken kehrten also mit ihren Frauen heim und lebten glücklich in Fleiß und Eintracht.
Quelle:
(Usbekistan)