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Die geraubte Sulaiden-Königin

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Es war einmal ein fernes, unbekanntes, orientalisches Reich. Mitten in der heißen, sonnenverbrannten Wüste hatte sich auf wundersame Weise eine sehr große und reiche Oase entwickelt. Dieses blühende Land wurde von dem hartherzigen Sultan Abdullah Ben Ali Khan beherrscht. Ungerechterweise war Ali Khan mit einer überaus schönen, wie warmherzigen und klugen Tochter gesegnet. Sie linderte oft heimlich die Not, welche ihr Vater den Menschen zufügte. Der Sultan ließ Fatma von dem jungen, griechischen Gelehrten Angos in allem fürs Leben Notwendige unterrichten. Der junge Mann und die Prinzessin fanden bald Gefallen aneinander. Sie verliebten sich unsterblich, schworen gegenseitig ewige Treue und trafen sich heimlich Nacht für Nacht am Schwanenteich des Palastgartens. In einer schönen Vollmondnacht nahm das Schicksal seinen Lauf:

Fatma sehnte sich nach ihrem Liebsten, schaute immer wieder in den Spiegel, ob sie auch schön genug für ihn sei, betupfte die winzigen Ohrläppchen mit duftendem Rosenwasser und lauschte den Glockenschlägen der Turmuhr. Endlich schlug es elf Mal. Leichtfüßig, wie ein tanzender Schmetterling, huschte sie in den Schlosspark hinaus. Angos wartete bereits am Teich. Ungestüm warf sich die Schöne in seine starken Arme und herzte ihn inniglich.
,,Du mein Augenstern“, flüsterte der Jüngling zärtlich, ´´wann wirst du endlich mit mir fliehen? Dein Vater duldet ja nur einen Prinzen an deiner Seite.“
Im süßen Rausch ihres kurzen Schäferstündchens bemerkte das junge Paar den Lauscher im Schatten des uralten Feigenbaumes nicht. Als Achmed, der missgünstige Großwesir des Sultans, genug gesehen und gehört hatte, eilte er umgehend zu seinem Herrn, um diesem haarklein vom heimlichen Liebesglück der Prinzessin zu berichten. Abdullah Ben Ali Khan erfasste ein blinder, hasserfüllter Wutrausch. Laut brüllend befahl er dem Wesir:
,,Schaffe mir augenblicklich den buckligen Schwarzmagier aus dem Dattelpalmenviertel herbei!“
Achmed preschte, schnell wie der Wind, auf seinem schwarzen Hengst an der Palastwache vorbei, um den Hexenmeister zu holen. Immer noch zornig schleuderte der Herrscher eine seiner kostbaren Wasserpfeifen gegen die Wand. Im selben Moment betrat Fatma unbemerkt die Halle.
,,Verzeiht, Vater, wenn ich störe. Aber was ist denn geschehen, dass ihr so ungehalten seid?“
Irritiert wandte sich der stattliche Mann dem Mädchen zu.
,,Hm, … Ja, eigentlich habe ich mich nur über den neuen Stallburschen geärgert“, log er hinterhältig und verschwieg bewusst den wahren Grund.
,,Ich wünsche euch einen süßen Traum zur Nacht, liebster Vater,“ antwortete die Tochter nichts ahnend und zog sich in ihre Gemächer zurück.

Ungeduldig lief der Sultan, wie ein jagdfiebriger Tiger im Käfig, auf und ab, bis Achmed endlich mit dem Zauberer eintraf. Der Wesir schleifte den sich sträubenden Mann am Genick packend vor seinen Herrn. Ali Khan umkreiste den am Boden liegenden Hexer und befahl ihm aufzustehen. Fest sah er in dessen listig blitzenden Augen und sprach in drohendem Ton:

,,Du höckeriger Wurm bist mir sehr wohl als gieriger Raffzahn bekannt. Nun, du kannst tausend Golddukaten dein nennen, wenn du mir einen kleinen Dienst erweist!“

,,Oh, erhabener Herrscher“, schmeichelte der Magier gekonnt, ´´meine Künste stehen Euch jederzeit zur Verfügung. Sagt an, was ist Euer Begehr?“

,,Du wirst mir den Griechen Angos aus dem Weg schaffen. Aber er soll nicht sterben, sondern aufs Schlimmste leiden. Verhexe ihn in etwas Abstoßendes, sodass man ihn nicht mehr erkennt.“

,,Euer Wunsch geht noch heute Nacht in Erfüllung“, versprach der boshafte Schwarzmagier hämisch grinsend.

Völlig aufgelöst erschien die Prinzessin am nächsten Morgen bei ihrem Vater.
,,Was ist geschehen, mein Kind, weshalb bist du so erregt?“, spielte er den Ahnungslosen.

,,Oh Vater, welch ein Unglück! Der Lehrer Angos ist heute nicht zu meiner Unterrichtung erschienen. Er war stets sehr pünktlich und gewissenhaft.“

,,Deshalb bist du so außer dir? Er wird sich in der Zeit geirrt haben,“ log der Sultan dreist.

,,Nein, nein! Es muss etwas Schlimmes passiert sein, denn im ganzen Palast wurde er von niemandem gesehen.“

,,Das glaube ich gern“, rief der eintretende Wesir, ´´ich habe den Halunken in der Schatzkammer beim Stehlen ertappt. Er schlug mich brutal nieder und floh augenblicklich.“

,,Du lügst doch“, hauchte Fatma erbleichend und sank ohnmächtig zu Boden.
In den Armen ihrer treuen Amme Nesrin kam das Mädchen langsam wieder zu sich.
,,Mein armes Kind, was ist dir denn geschehen?“
,,Nessi, oh meine liebe Nessi! Ich bin ja so unglücklich.“
Schluchzend barg die Prinzessin ihr Tränen nasses Antlitz am Herzen der gütigen Frau.
,,Dein Schmerz scheint sehr tief zu sitzen, Liebes“, meinte die Amme besänftigend. Nachdem die Schöne sich ein wenig beruhigt hatte, vertraute sie der alten Kinderfrau ihren Liebeskummer an und meinte:
,,Mein Herz sagt mir, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.“
,,Hm, das stimmt. Hier liegt der Gestank von hinterhältigen Intrigen in der Luft“, bestätigte Nesrin die Vermutung ihres Schützlings.
,,Komm, gehen wir zur weisen Wahrsagerin Leyla. Die kann uns bestimmt deuten, was deinem Angos widerfahren ist.“

Fatma war sofort einverstanden. Um unerkannt zur Seherin zu gelangen, legte sie noch rasch schlichte Kleider an, dann verließen die Frauen unbemerkt den Palast. In den Straßen und Gassen des Reiches lag flirrende Mittagshitze, aber trotzdem herrschte reges Treiben. Auf einmal fielen der Prinzessin Kinder auf, die sich neugierig um etwas drängten. Sie trat näher und sah den Grund der Ansammlung. Unter einem Schatten spendenden Baldachin saß auf seinem Nagelbrett ein uralter, spindeldürrer Fakir. Sein verblichener, blauer Turban wurde von riesigen Segelohren gehalten. Darunter schauten zwei große, traurige Augen hervor. Sein knapper Lendenschurz war arg zerschlissen und verschmutzt. Hinzu kam, dass sein ausgemergelter Körper von vielen schorfigen Stellen verunstaltet war.
Der Fakir ließ keine Schlange mittels Flötenspiel tanzen, sondern er erzählte den Kindern wundersame Märchen und Geschichten. Am liebsten würde Fatma es den kleinen Zuhörern gleich tun, aber Nesrin duldete keinen Aufschub. So eilten sie zum Haus der Wahrsagerin. Erstaunt blickte Leyla auf, als die seltenen Gäste eintraten:
,,Das bedeutet nichts Gutes, wenn des Sultans Tochter mich aufsucht. Macht es euch auf den Kissen bequem und lasst mich den Anlass eures Besuches wissen.“

So erfuhr die Hellseherin vom Kummer der Prinzessin. Die freundliche Frau ergriff des Mädchens zarte Hände, schloss die Augen und murmelte unverständliche Worte. Danach schaute sie ganz genau ihre Tarotkarten an, ergriff abermals Fatmas Hände und sprach lächelnd zu ihr:

,,Seid unbesorgt, Hoheit, Euer Herzallerliebster ist am Leben. Doch ist er vom Äußeren nicht mehr derselbe, denn ein böser Fluch liegt auf ihm. Aber es kommt der Tag, an dem Euer liebendes Herz ihn erkennt. Erschreckt nicht vor seinem Anblick.“

,,Weißt du denn nicht, wann und wo ich meinen Angos finden kann?“, flehte Fatma unter Tränen.
,,Nein,“ war die knappe aber bestimmte Antwort. Gleich darauf fuhr Leyla fort: ,,Aber wenn ihr ihn gefunden habt, dann sucht den Magier El Hakim auf. Gebt ihm dieses Briefchen von mir und er wird euch mit seiner Zauberkunst weiter helfen.“

Dankend verbeugte sich die Prinzessin, nahm wortlos ihren kostbaren Armreif ab und reichte ihn der Wahrsagerin. Schweigend kehrten die beiden Frauen auf dem gleichen Weg in den Palast zurück. Jedoch würdigte die unglückliche Fatma diesmal den Märchenfakir keines Blickes. Kaum in ihren Gemächern angekommen, erschien Wesir Achmed:

,,Euer Vater wünscht Euch zu sehen. Ihr wart unauffindbar,“ bemerkte der Großwesir lauernd.
,,Nein! Du hast wohl nicht richtig nach mir gesucht. Ich wandelte mit meiner Kinderfrau im Schlosspark,“ entgegnete das Mädchen barsch und sah dem hinterlistigen Kerl fest in die verschlagenen Augen.
Ali Khan präsentierte seiner Tochter den neuen, siebzigjährigen Lehrer.
Demütig verneigte sie sich vor dem zittrigen Alten und zog sich wieder zurück.

Nun begann die Prinzessin mithilfe ihrer Amme täglich nach Angos zu suchen. Viele Male durchkämmten sie alle Straßen und Gassen. Eines Tages nun verhielt Fatma, um ein wenig zu verschnaufen, ihren Schritt bei dem Märchenfakir. Sie lauschte seiner Erzählung, betrachtete ihn dabei genauer und ihr Blick verfing sich in dem Seinen. Wache, strahlende junge Augen hielten sie gebannt. Plötzlich begann ihr Herz zu rasen, glühende Hitze stieg in ihr empor und da wusste sie es:

,,Liebster, oh Liebster, du bist es,“ stammelte die Prinzessin mit Tränen überströmten Gesicht, „ich werde dich bald erlösen, vertraue mir.“

Jetzt hieß es, schnellstens El Hakim aufzusuchen. Die kluge Nesrin bestand darauf, den alten, schwachen Fakir auf der Stelle mitzunehmen. So setzten sie ihn auf einen Esel und erreichten problemlos des Magiers Hütte.

,,Ich erwarte euch schon,“ begrüßte der Zauberer die Ankommenden, „legt den Ärmsten auf meinen Diwan.“
Seelenruhig las er die Nachricht der Wahrsagerin Leyla, nickte dabei wissend und fing an, ein Elixier zuzubereiten. Während er so hantierte, räusperte er sich verlegen und meinte zu Fatma:
,,Es ist an der Zeit, Kind, dich über deine Herkunft aufzuklären.“

,,Nein! Tut das nicht, El Hakim,“ rief Nesrin beschwörend. Sie befürchtete, durch die Wahrheit ihren Schützling zu verlieren. Der Alte fuhr aber unbeirrt fort:

,,Dieser herzlose Sultan ist nicht dein leiblicher Vater. Er stahl dich während einer Stammesfehde seinem Erzfeind, dem Herrscher des Sulaiden-Reiches. Im Sterben liegend verfluchte dein Vater Abdullah Ben Ali Khan. Dieser Unmensch wird mit all seinen teuflischen Handlangern zur Hölle fahren, sobald du, die rechtmäßige Herrscherin der Sulaiden, die Grenze zu deinem Reich überschreitest.“

Aschfahl im Gesicht, starrte das Mädchen geistesabwesend vor sich hin.
,,Da siehst du, was du angerichtet hast,“ keifte die Amme und schüttelte ihr kleines Mädchen sanft.
,,So, nun machen wir aus dem Greis dort wieder einen schönen jungen Mann,“ bemerkte der Zauberer. Er hob das Haupt des Fakirs leicht an und flößte ihm langsam von dem Entzauberungstrunk ein. Es begann augenblicklich zu wirken, der Leib des Mannes zuckte und wand sich wie im Fieberwahn. Seine Haut straffte sich, das Haar wurde immer dunkler. Von Sekunde zu Sekunde wurde er jünger, bis er wieder jener junge Gelehrte war.

,,Fatma! Liebste, schau mich an“, rief Angos überglücklich.
Die Stimme des jungen Mannes riss Prinzessin Fatma aus ihrer Starre. Vor Freude weinend lagen sie sich in den Armen, küssten und herzten einander. Als der Rausch ihrer Wiedersehensfreude verflogen war, sprach die Sulaiden-Herrscherin:

,,Ich danke dir von ganzem Herzen, guter El Hakim. Aber sage mir, ist es wirklich wahr, was Sultan Ali Khan meinem Volk, meiner Familie und mir angetan hat?“

,,Ja, genau so hat es sich zugetragen. Aber nun ist Eile geboten Kinder, ihr müsst noch heute Nacht die Grenze des Nachbarreiches passieren, dort seid ihr in Sicherheit. Nehmt meine beiden Schimmelstuten, ihr benötigt sie dringender als ich.“

Die alte Kinderfrau Nesrin schluchzte zum Stein erweichen.
,,Aber Nessi, hast du geglaubt ich lasse dich hier allein zurück?“
Mit diesen Worten half Fatma ihrer Amme aufs Pferd und dann hob Angos sie zu sich hinauf. Sie winkten dem Magier ein letztes Mal zu und ritten in Windeseile davon.

Inzwischen vermisste man des Sultans Tochter schon seit Stunden. Der Herrscher tobte vor Wut, hieß seinen Großwesir Nichtsnutz und warf mit Krummsäbeln nach ihm. Vom Minarett verkündete der Muezzin gerade die Mitternachtsstunde, als im selben Moment drei glückliche Menschen, auf zwei erschöpften Pferden, im Sulaiden-Reich eintrafen und der Sultan Abdullah Ben Ali Khan mitsamt seinem Palast zur Hölle hinunter fuhr.

Fatma und Angos hielten Hochzeit. Viele Tage lang feierten sie mit ihrem ganzen Volk. Im Laufe der Zeit bekamen die beiden sechs Söhne und sechs Töchter, denen Nesrin bis an ihr Lebensende eine liebevolle Amme war. Das Herrscherpaar aber regierte weiseund gerecht.

Quelle: Ulla Magonz

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