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Es geschah im Bodetal

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Es geschah vor sehr langer Zeit im wild romantischen Bodetal des Harzes. Dort lebte der schmucke Jüngling Kilian mit seinen fünfzehn braunen Harzziegen. Seine bescheidene Hütte stand nahe der lustig plätschernden Bode. Das eiskalte, glasklare Wasser schlängelte sich geschickt über Stock und Stein. Gleich neben Kilians Kate befand sich ein geräumiger Pferch mit einem Ställchen für die Ziegen. Puck, der zottige Hütehund, bewachte und beherrschte die Geißenherde so gut, dass der Bursche sich kaum darum kümmern musste. Er ließ die Tiere bei Sonnenaufgang hinaus und wenn der bleiche Mond Frau Sonne ablöste, dann brachte Puck die Herde gesättigt heim. Kilian, auch Ziegenburli genannt, zählte jeden Abend gewissenhaft durch. Aber noch nie war dem braven Hund eine Geiß verloren gegangen. Gewöhnlich sprach Burli lobend zu Puck:

,,Potz Blitz! Wie hast du das gemacht, mein Freund?”, und zog ihn dabei liebevoll am Ohr. Vergaß er es aber mal, dann warf der Vierbeiner seinen Herrn zu Boden und forderte knurrend die fällige Belobigung ein. Mitunter kam es vor, dass die beiden zu lange herumbalgten und die Geißen laut meckernd protestierten. Sofort rief Kilian scherzhaft:

,,Da hast du es, du altes Flohkissen. Den Ziegen läuft die Milch schon über. Schaff mir flugs den Melkeimer herbei!”

Als verstünden sie diese Worte, stellten sich die Braunen artig zum Abmelken auf. Flink entleerten Kilians geschickte Hände die prallen Euter. Alle drei Tage stellte er seinen heiß begehrten Ziegenkäse her. Die Leute waren verrückt danach. Oft kamen Käufer sogar von weit her, weil sein Käse im ganzen Harz einfach der Beste war. So hatte der Jüngling sein Auskommen, lebte mit seinen Tieren und der Natur im Einklang und freute sich, dass es ihm so richtig gut ging.

Eines schönen Tages nun kam es ihm in den Sinn, doch mal nach Jockel, dem Köhlerburschen zu sehen. Der lebte am anderen Ende des Tales. Als kleine Buben waren sie ständig beieinander gewesen. Wenn er sich bei Tagesanbruch auf den Weg machte, konnte er bereits das Mittagsmahl zusammen mit Jockel verputzen. Am Abend würde er wieder bei seiner Geißenherde sein. Also schnürte Kilian sein Bündel, holte den Wanderstab aus der Truhe, steckte die selbstgeschnitzte Weidenflöte ein, richtete sich eine kleine Wegzehr und legte einige Käse für den Freund dazu. Zum Abschied trug er dem Hund noch auf:

,,Puck, mein Junge, ich verlasse mich auf dich. Halte die übermütigen Ziegen in Schach. Du bist ihr Meister und ich bin der Deine.”

Dann marschierte Kilian im Morgengrauen wacker drauflos. Ein fröhliches Liedchen pfeifend kam er flott voran. Die Vögel des Waldes begleiteten lautstark seine Melodie. Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Burli begegneten auf seiner Wanderung Hasen, Rehe, Dachse, Füchse und sogar Meister Isegrim lief ihm über den Weg. An einer idyllisch gelegenen Biegung der Bode machte der Bursche Rast. Er packte sein köstliches Käsebrot aus und biss genüsslich hinein.

Plötzlich knackte es im Unterholz. Schwer keuchend trat ein altes, hässliches Weib, mit einem großen Reisigbündel auf dem Buckel, hervor:

,,Ach, ach”, jammerte es erbärmlich, “wie drückt mich die Last gar so sehr. Kein helfend Hand mir zu Hilfe eilt.”

Beim Anblick der bedauernswerten Frau sprang Kilian fix hinzu und nahm ihr die Bürde vom Rücken:
,,Was plagt ihr euch so schwer mit dem Holz herum, Mütterchen?”
,,Jungchen, Jungchen, ohne Brennholz wird mein Wassersüppchen nicht genießbar und ich habe schon seit Tagen nichts Essbares in meinen Wanst bekommen.”
Mit einer freundlichen Handbewegung lud Ziegenburli die Alte ein:
,,So kommt, setzt euch zu mir, teilt mein Vesperbrot mit mir und ruht etwas aus.”

Dankend nahm das Weiblein an, langte kräftig zu und Kilian ging fast leer aus. Kaum war der letzten Bissen hinuntergeschlungen erhob sich die Fremde, um weiter zu ziehen.
,,So verweilt doch noch einen kleinen Moment”, ermunterte der Jüngling die Alte, “ich spiel euch ein lustig Liedchen auf meiner Flöte.”
,,Gerne würde ich deiner Melodie lauschen, Söhnchen, aber mein Heimweg ist lang und das Reisig schwer.”
,,Grämt euch nicht, erst erfreut ihr euch an meinem Spiel und dann trage ich das Bündel zu eurer Kate.”

Das gefiel dem hässlichen Frauenzimmer wohl, es willigte ein und ergötzte sich am lieblichen Flötenspiel des Burschen. Hernach lud er sich die hölzerne Last auf und schritt forsch voran. Doch nicht lange, da fing die Alte erneut an zu jammern:

,,Du Heißsporn, bringst mich ja um mit deiner Eile. Das halten meine alten Knochen nicht aus. Ich kann keinen Fuß mehr vor den andern setzen.”

Burli hielt inne, zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen und meinte beschwichtigend:
,,Mitnichten will ich, dass euch etwas zustößt, Mütterchen. Setzt euch getrost oben auf das Holzbündel. So schmächtig wie ihr seid wiegt ihr gewiss weniger als eine Fliege.”

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, und hui hast du nicht gesehen sprang sie mit einem riesen Satz dem Jüngling auf den Buckel. Der setzte frohen Mutes seinen Weg fort. Aber nach kurzer Zeit wurde seine Last schwerer und schwerer. Er hatte große Mühe voranzukommen, seine Schritte erlahmten mehr und mehr.
Dieser Umstand schien die Alte recht wütend zu machen. Sie schlug mit einer Gerte auf ihn ein, ritt ihn dreist wie einen störrischen Esel und krächzte giftig:

,,Nur nicht so faul, du schlappes Bürschchen. Lauf gefälligst ein bisschen schneller. Los! Los!”

Am liebsten hätte Kilian das boshafte Geschöpf einfach abgeworfen. Was ihm allerdings sein Respekt vor dem Alter verbot. So schleppte der brave Ziegenhirt die doppelte Bürde bis zur Hütte des Weibes. Völlig entkräftet bat er um einen Schluck Wasser. Wortlos ging sie hinein und kam nicht zurück.

,,Nun”, dachte Burli, “entweder hat sie mich vergessen oder sie verweigert mir eine kleine Erfrischung.”
Enttäuscht wollte er sich gerade abwenden und seines Weges ziehen, als sie vor die Tür trat.
,,Nanu?”, schoss es ihm durch den Kopf, “das böse hässliche Mütterchen wirkt ja auf einmal so freundlich und sanft wie eine liebe Großmutter.”

Sie reichte ihm einen rissigen blauen Krug und sprach mit warmherziger Stimme:
,,Der kühle Nektar möge dich erquicken und stärken, sowohl jetzt als auch in allen Zeiten und an allen Orten.”

In einem Zug leerte er das Gefäß. Als er es absetzte, waren die Alte und ihre Kate verschwunden.
,,Seltsam sollte das ein Traum gewesen sein?”, sprach er zu sich selbst. Doch da fiel sein Blick auf den Krug in seiner Hand und er spürte deutlich, wie seine Kräfte zurückkehrten.
Kilian schaute sich um. Die Gegend kam ihm so fremd vor, konnte er sich etwa verlaufen haben? Er kannte sich nicht mehr aus und schlug deshalb die nächstbeste Richtung ein. Kaum zwanzig Schritte gemacht tauchte vor ihm die Köhlerlichtung auf. Er lief rasch zu dem Ruß verschmierten Jockel hinüber. Hocherfreut über den seltenen Besuch rief dieser fröhlich:

,,Sieh an, der verehrte Großmeister des Ziegenkäses gibt mir die Ehre.”
,,Und bringt einen Bärenhunger mit”, entgegnete Kilian den Freund umarmend.

Während ihres Mittagsmahles tauschten sie Neuigkeiten aus. Jockel entdeckte den schäbigen Krug bei Kilians Bündel und fragte nach dessen Bewandtnis. Nun erfuhr er von der Begegnung mit der fremden Alten.

,,Sakrisch!”, entfuhr es ihm, “das muss die Muhme Oyaika gewesen sein.”
,,Meinst du etwa den tausendjährigen sagenumwobenen Harzgeist?”
Der junge Köhler nickte sorgenvoll: ,,Hoffentlich bringt dir die Muhme kein Unglück.”
,,Was bewegt dich denn zu solch düstere Gedanken?”
,,Nun ja, die alten Harzbewohner erzählen, dass Oyaika sowohl der weißen als auch der Schwarzen Magie mächtig sei. Manch einer habe schon unangenehme Bekanntschaft damit machen müssen. Sie soll sogar aus reiner Launenhaftigkeit bösartig werden.”
,,Jetzt hör aber auf Jockel. Ich wüsste nicht, weshalb sie mir ans Leder wollte, hab ich ihr doch nur das Reisig heimgetragen.”
,,Nimm dich trotzdem vor diesem Frauenzimmer in acht und geh ihm aus dem Weg.”

,,Schon gut. Aber heißt es nicht auch, dass die Muhme schon vielen armen Schluckern in der Not geholfen hat?”
,,Mag ja sein, jedoch verlasse dich nicht darauf.”

Ein schwaches Stündchen half Ziegenburli dem Köhlerburschen noch bei seinem Tagewerk, dann verabschiedete er sich und begab sich auf den Heimweg.

Gerade rechtzeitig zum Abmelken kam Pucks Herrchen bei der Hütte an.
Nach ausgiebiger Begrüßungszeremonie widmete sich Kilian der abendlichen Milchernte und traute seinen Augen nicht. Im Pferch befand sich ein fremdes Tier. Die Geiß von sehr kleiner Rasse hatte ein pechschwarzes Fell. Auf ihrer Stirn ein weißer Fleck.
,,Puck! Was soll das? Seit wann schleppst du mir hier fremde Ziegen an?” Unberührt ließ der Hund die Schelte über sich ergehen. Zutraulich kam die kleine Schwarze näher. Da bemerkte der Jüngling verwundert, dass ihr Tränen aus den Augen liefen.
,,So was Verrücktes, eine weinende Geiß”, murmelte er und wollte sie packen. Doch sie sprang behände zur Seite und rief mit dünnem Stimmchen:

Mäh, mäh, Milch die geb ich nicht
doch schau mir genau ins Gesicht.
Mäh, mäh, Muhme nahm die Gestalt,
du allein kannst mich erlösen bald!”

Während Kilian das sprechende Zicklein argwöhnisch beobachtete, kam ihm in den Sinn, dass es wohl ein magischer Schabernack des Harzgeistes sein musste. So beschloss er, dem Tier keine weitere Beachtung zu schenken und suchte sein Nachtlager auf. In der Hoffnung der Spuk sei am nächsten Tag vorbei schlief er ein. Jedoch weit gefehlt. Die schwarze Geiß verschwand nicht und sie sprach jeden Tag aufs Neue zu ihm:

Mäh, mäh, Milch die geb ich nicht
doch schau mir genau ins Gesicht.
Mäh, mäh, Muhme nahm die Gestalt,
du allein kannst mich erlösen bald!”

So vergingen drei volle Wochen, bis er in einer Neumondnacht etwas sehr Seltsames träumte:
Die fremde Ziege kam zu ihm gelaufen, schlüpfte aus ihrem schwarzen Haarkleid und stand plötzlich als wunderschöne Maid vor ihm. Ihre blanke Nacktheit wurde nur von den langen feuerroten Haaren verhüllt. Sie flehte ihn an:

,,Kilian, ach mein Kilian
das hat die Muhme mir angetan.
Gab ihr nicht mein rotes Haar
und gleich ich eine Ziege war.

Erlösen kann mich nur deine Hand,
durch den güldnen Sternensand.
Kilian, ach mein Kilian
im nächsten Neumond ist`s vertan!”

Er ging zu ihr, wollte ihre Hand nehmen, griff ins Leere und erwachte durch seinen Sturz vom Nachtlager. Benommen schaute er sich um, aber da war weder ein Mädchen noch eine Geiß zu sehen. Merkwürdigerweise konnte sich Kilian an jedes einzelne Wort erinnern, dass sie im Traum zu ihm gesprochen hatte. Auf einmal erfasste ihn große Unruhe und er lief hinaus zum Pferch, um nachzuschauen. Die Schwarze ruhte friedlich inmitten der Herde. Erleichtert schlüpfte er wieder unter die Decke.

Obwohl seine täglichen Besorgungen ihre Aufmerksamkeit forderten, ließ ihn das intensive Traumerlebnis nicht mehr los. Bald fragte er jeden, der Käse bei ihm kaufen kam, ob er etwas über goldenen Sternensand wüsste. Dann sahen sie ihn komisch an und schüttelten nur die Häupter. An einem trüben Nachmittag ging der junge Hirte zur Bergquelle, um ein nur dort wachsendes Kräutlein für den Ziegenkäse zu pflücken. Aber er kam nicht sehr weit, denn er fand einen Dachs im Unterholz mit seiner Pfote in einem Fangeisen.
,,Ich sehe du brauchst meine Hilfe”, sprach er beruhigend, während er sich dem verletzten Tier vorsichtig näherte und das Eisen auseinanderzog. Humpelnd trollte sich der Dachs von dannen. Bei der Befreiung hatte Kilian etwas Blut an die Hände bekommen. Das wollte er nun in der nahen Bode abwaschen. Aus dem klaren Wasser blickte ihn sein Spiegelbild an.

,,Was schaust du mich denn so an?”, meinte er scherzhaft, “du weißt wohl nicht zufällig, was das mit dem Sternensand auf sich hat?”
Ihm war plötzlich, als würde das Rauschen des Bodewasser anders klingen. Und tatsächlich vernahm er eine leise gurgelnde Stimme:

,,Nein! Aber ich weiß jemand der dir weiterhelfen kann, Jüngling.”
,,Wasser? …. Du … Bitte so sage es mir:”
,,Du musst auf den Brockenberg steigen, bis ganz oben auf die höchste Spitze. Dort wartest du auf den Sonnenuntergang. Wenn die rote Scheibe genau über der fünftausend Jahre alten Tanne steht dann frage sie.”
,,Wie … Was? Ich soll den Baum …
,,Nein, die Sonne! Die Sonne musst du fragen.”
,,Jetzt habe ich es verstanden. Vielen Dank.”

Kilian hatte Glück. Schon am nächsten Tag gab es eitel Sonnenschein. Er nahm seinen Wanderstab und machte sich auf zur Brockenbesteigung. Die goldene Himmelsscheibe stand schon ganz schön tief, als er oben ankam. Nicht lange mehr und sie hatte die Tannenspitze erreicht. Wie sollte er mit der Sonne reden? Was sagen? Da! Es war so weit. Er nahm all seinen Mut zusammen und rief mit klopfendem Herzen:

,,Guten Tag, liebe Sonne.”
Es kam keine Antwort und so versuchte er es noch einmal.
,,Guten Tag, liebe Sonne.”
Eine klare hallende Stimme antwortete:

,,Wer ruft mich und hindert mich am Untergehen?”
,,Ich rufe dich. Kilian der Ziegenhirt aus dem Bodetal.”
,,Was willst du von mir?”
,,Ich brauche deine Hilfe.”
,,So sprich. Aber wehe dir, du störst mich grundlos.”
,,Kannst du mir bitte sagen, was es mit dem Sternensand auf sich hat?”
,,Weshalb willst du das wissen?”
,,Bitte sag es mir, gute Sonne. Es hängt ein Leben davon ab.”
,,Nun, dieser Sand besitzt die stärksten magischen Kräfte des ganzen Universums.”
,,Dann kann ich also damit eine verwunschene Maid erlösen?”
,,Ja!”
,,Was muss ich tun und woher bekomme ich ihn?”
,,Du musst den Sand bei Vollmond, nahe der Bergquelle, nur über die Verzauberte rieseln lassen. Den Sternensand kann dir allerdings allein der Mond beschaffen.
Doch jetzt lass mich gehen. Meine Zeit ist schon überfällig.”
,,Danke liebe Sonne, tausend Dank”, rief er der schnell sinkenden glutroten Scheibe nach.

Nun konnte jeden Moment der Mond am Himmel erscheinen. Erwartungsvoll blickte Burli hinauf. Eine große freche Wolke schob sich heran und verdeckte die Sicht. ,,Nein, nicht. Hau bloß ab da”, dachte er verärgert. Wenig später verzog sie sich wieder und ein heller Halbmond erstrahlte.

,,Guten Abend, lieber Mond.”
,,Wer wünscht mir da so freundlich einen guten Abend?”
,,Kilian, der Ziegenhirte aus dem Bodetal.”
,,So! Und was will der Bursche von mir?”
,,Bitte Mond, verschaff mir ein wenig Sternensand.”
,,Du kommst daher und verlangst so mir nichts dir nichts Zaubersand?”
,,Nicht für mich selber. Das Leben eines Mädchens hängt davon ab. Die Muhme Oyaika wollte ihr rotes Haar für sich haben. Aber die Maid mochte es nicht hergeben und da wurde sie in eine Ziege verhext. Wenn die Ärmste nun nicht bis zum nächsten Neumond erlöst wird, dann muss sie auf ewig eine Geiß bleiben.”
,,Dieser Harzgeist treibt es aber auch manchmal ganz schön arg. Nun, ich sehe du hast das Herz am rechten Fleck, da soll dir auch geholfen werden.”

Der Mond pflückte aus dem Sternenmeer einen heraus und rief:
,,Da, pass auf, er gehört dir.”
Dann schleuderte er ihn zur Erde hinunter.

Geschwind breitete der Jüngling sein Schnupftuch aus und erhaschte damit geschickt das Wurfgeschoss. Er bedankte sich ganz herzlich bei dem freundlichen Mond, verknotete das Tuch recht fest, damit ja kein einziges Körnchen verloren ging, und sputete sich heimzukommen. Tags darauf berichtete er dem kleinen Zicklein von seinem geglückten Unterfangen und meinte erklärend:
,,Aber ein wenig Geduld braucht es noch bis zum Vollmond”, dabei strich er ihr sanft über den weißen Stirnfleck und zum zweiten Mal sah er eine Geiß weinen.

Der gute Puck hatte wohl von Anfang an gespürt, dass die Schwarze keine gewöhnliche Ziege war und sie deshalb aus dem Wald mit heimgebracht. Die lang ersehnte Vollmondnacht war angebrochen. Kilian zog seinen Sonntagsstaat an, verstaute sein Sacktuch sicher im Wams und bat den Hund gut auf die Geißenherde aufzupassen. Er begab sich zum Pferch, um das Zicklein zur Quelle zu schaffen. Behutsam legte er es sich über die Schulter und schritt kräftig voran.

Die Bergquelle wirkte zu dieser späten Stunde wie ein breites silbernes Band. Unverzüglich schickte sich der Ziegenhirt Kilian an, die Entzauberung des Mädchens zu vollziehen. Er zog sein Schnupftuch hervor, entknotete es und eine Handvoll Sternensand erstrahlte im Mondlicht so stark, dass er für einen Moment geblendet war. Seine Finger glitten durch den Sand und ließen ihn über das Tier rieseln. Der Jüngling prallte entsetzt zurück, als erst ein Blitz aufzuckte und dann schien die Geiß in Flammen zu stehen. Schon wollte er sie packen und in die Quelle tauchen, doch die lohenden Flammen wandelten sich zu dem feuerroten Haar der Maid. Plötzlich stand die Schöne aus dem Traum unversehrt vor ihrem Retter. Weinend und gleichzeitig lachend fiel sie ihm um den Hals:

,,Kilian, ach mein Kilian
ich bin von Herzen dir zugetan.
Will dir meine Liebe schenken
und dich gar niemals kränken!”

Er nahm sie zärtlich in den Arm und entgegnete:

,,Willst du denn wirklich die Gemahlin eines einfachen Ziegenhirten werden, und mit ihm bescheiden in einer schlichten Hütte leben?”
,,Aber ja, genau das will ich.”

Bald darauf nahm Kilian die schöne Maid vor Gott und Jockel zur Frau. Sie lebten glücklich und zufrieden, bekamen zwei Söhne und eine Tochter. Onkel Jockel war stets ein willkommener Gast. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann findet man sie immer noch im Harzer Bodetal.

Quelle: Ulla Magonz

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