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Der Schlaf der Tiere

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Einstmals lebten alle Tiere zusammen in einem unermesslichen großen Walde am Amazonasstrom. Es gab dort reichlich Nahrung und Raum für die vielen, vielen unterschiedlichen Geschöpfe. Jedes Tier hatte seine Aufgabe im Walde und erfüllte diese sehr gewissenhaft. Alle betrachteten den Wald als ihr zu Hause.

Am Rande des Waldes lebte hoch auf den Bäumen das Tier Ai mit seiner Frau Aia. Beide hatten die Pflicht die weite Steppe zu beobachten und die anderen Tiere zu warnen falls von dort Gefahr im Anzug war etwa ein Wirbelsturm oder ein Feuer. Über lange Jahre hatten sie dies tagein tagaus getan. Da aber meistens rein gar nichts geschah, gewöhnten sie sich mit der Zeit daran zwischendurch oben auf ihrem Beobachtungsposten kleine Päuschen einzulegen. An einem besonders heißen Tage nun schlief das Tier Ai oben auf seinem Baum fest ein und lag so Stunde um Stunde in der stechenden Sonne. Als es gegen Abend endlich erwachte, war es ganz benommen und träge und auch am nächsten Tag hatte sich hieran nichts geändert. So blieb es und auch seine Frau Aia gewöhnte sich bald an dieses träge schläfrige Leben.

Nach einiger Zeit aber sagten sie: „Wollen wir nicht einmal wieder in den Wald hineingehen und nach den anderen Tieren sehen? Hier am Waldesrand ist es doch allzu öde und eintönig.“ Da aber schon nach einigen Metern einer von beiden erschöpft war und eine Rast einlegen wollte, kamen sie nur sehr langsam voran. Nach einigen Tagen gelangten sie endlich auf eine kleine Lichtung und legten sich zu einem Mittagsschläfchen ins Gras.

Kurz darauf kam die Schlange Boa, die mit ihrem Schwanz den Waldboden fegte und stieß auf die schlafenden Tiere. „Was macht ihr denn da am helligten Tage ; schlaft ihr etwa ihr Faulpelze?“ „Keineswegs“, sagte Aia die als erste erwachte, „wir erholen uns nur ein wenig. Das ist sehr wichtig damit wir gesund bleiben. Du solltest es auch einmal probieren und sehen, ob es dir nicht auch gut tut.“ „Nun ja ein wenig erschöpft bin ich schon. Ich versuche es einmal aber nur für eine kleine Weile.“ Und schon lag die schöne Boa neben den beiden und döste vor sich hin. Okapi die Giraffe stolzierte einige Zeit später auf die Lichtung und da sie so in ihre Arbeit vertieft war, dürre Äste aus den Bäumen zu entfernen, wäre sie fast auf den schlafenden Ai getreten „Was macht ihr denn hier ihr faulen Tiere, habt ihr nichts zu tun?“ „Aber ja doch wir erholen uns!“ „Wofür ist das denn wichtig?“ „Um sich wohl zu fühlen.“ antwortete die Schlange. „Versuchen schadet nichts,“ dachte Okapi und legte sich zu den anderen Tieren.

Schon bald wurden alle unsanft aus dem Schlummer gerissen, als der Elefant ächzend mit seinem Rüssel einen dicken morschen Baumstamm vor sich her schob. „Hey Pachy, was für ein Lärm an diesem friedlichen Nachmittag!“, zischte die Schlange. „Lärm? Ich arbeite, ich muss die alten Stämme von den Wegen entfernen.“ , erwiderte der Elefant. „Lege doch ein wenig zu uns, wir erholen uns.“ lud ihn Okapi ein. Pachy sträubte sich nicht lange und legte sich zu den anderen Tieren.

Nach und nach fanden immer mehr Tiere im Wald Gefallen am Schlafen und am geruhsamen Leben. Einige, wie die Bären, so sehr, dass sie gleich Monate lang nur auf der faulen Haut lagen. Nur einige kleinere Tiere, die sich noch nie viel aus den Gewohnheiten der anderen gemacht hatten, wie die Ameisen oder die Bienen gingen weiter ihren Arbeiten nach.

Im Wald aber wilderte und wucherten die Lianen und Flechten zwischen morschen Stämmen und Geäst, sodass bald kein Durchkommen und wenig Nahrung für die Tiere blieb. Die Flüsse und Bäche wurden schlammig und versandeten und viele Fische wagten sich ins offene Meer hinaus, wo sie lernten im salzigen Wasser zu leben. Ihnen folgte der weiße Bär, der bald von einer Strömung gepackt und immer weiter nach Norden bis zu den Eismeeren getragen wurde. So mussten immer mehr Tiere den Wald verlassen, weil sie dort nicht mehr das nötige zum Leben fanden.

Dies alles beobachtete der weise Orang Utah voll Sorge und er ließ alle Tiere zusammen kommen. „Unser gemeinsames zu Hause der Wald verwildert und verkommt von Tag zu Tag mehr. Schon haben uns viele Tiere verlassen, weil sie hier nicht mehr satt wurden. Die faulen Tiere Ai und Aia haben euch mit ihrer Bequemlichkeit angesteckt. Ich bitte euch, helft alle wieder mit, sodass der Wald wieder schön wird und Nahrung für jeden von uns bietet.“ „Ja richtig und weise hast du gesprochen“ , riefen viele der Tiere. „So soll jeder wieder seine Arbeit tun!“ fuhr Orang Utah fort, „Ihr aber, Ai und Aia, dürft euch nicht mehr am Boden blicken lassen und die Tiere von ihrer Beschäftigung abhalten.“

So machten sich alle Tiere wieder eifrig an die Arbeit aber leider hatten die meisten ihr Handwerk in der Zwischenzeit verlernt. Manche, wie das Nilpferd, das früher immer die Flussufer sauber gehalten hatte, gingen sogar so tollpatschig zu Werke, dass sie mehr Schaden als Nutzen anrichteten. So wurden viele unzufrieden und es gab viel Streitereien zwischen den Tieren. Und nach einiger Zeit begannen von neuem die Tiere den Wald zu verlassen. Okapi die Giraffe ging, da sie mit ihrem langen Hals sich ständig in den wuchernden Lianen verfing und mit ihr wanderte auch Pachy der Elefant in Richtung der weiten Savannen.

Manche Tiere gingen nach Norden und manche nach Süden, manche suchten nach warmen Gegenden und andere nach kühlen und auch der weise Orang Utah verließ schließlich auf einem im Fluss treibenden riesigen Baumstamm mit seiner Sippe den Wald. Nur die meisten Vögel blieben und natürlich Ai und Aia die beiden Faultiere lebten weiter im Wald am Amazonas – bis auf den heutigen Tag.

Quelle:
(© 2002-Thomas Schukai)

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