Es war einmal ein armer Bauerssohn, der hatte nichts in der Welt als seine Mutter und ein kleines Häuschen am Waldrand. Die Mutter spann Flachs, und der Sohn arbeitete beim Bauern, doch trotz aller Mühe reichte es kaum zum Leben.
Eines Abends, als er heimkam, fand er auf dem Weg einen alten, zerbrochenen Kamm. Da hob er ihn auf, putzte den Schmutz ab, und siehe da – der Kamm glänzte golden. Verwundert nahm er ihn mit nach Hause. Die Mutter aber sprach: „Mein Sohn, das ist kein gewöhnliches Ding. Hüte ihn gut, er bringt dir Glück oder Verderben.“
In derselben Nacht träumte der Bauerssohn, eine weiße Taube komme geflogen, setzte sich auf das Fensterbrett und sprach: „Wenn du dreimal den Kamm durch dein Haar ziehst, wird ein Wunsch dir erfüllt.“
Am Morgen tat er, wie im Traum gesagt. Er wünschte sich ein Stück Brot – und wahrhaftig, es lag ein warmes Brotlaibchen auf dem Tisch.
Am zweiten Tag wünschte er sich ein Schaf – und sogleich stand ein schönes, wolliges Tier im Hof.
Am dritten Tag wünschte er sich eine Truhe voller Gold – und da war sie, schwer und prächtig, sodass die Mutter sprach: „Nun, mein Sohn, unser Glück ist gekommen.“
Doch das Glück blieb nicht verborgen. Der König im nahen Schloss erfuhr von dem Wunder und schickte seine Knechte, den Bauerssohn vor ihn zu bringen. Gierig verlangte er den Kamm. Doch der Bauerssohn sprach: „Hoher Herr, der Kamm gehört nicht Euch. Ich habe ihn gefunden, und er erfüllt mir Wünsche.“
Der König aber sprach: „Wenn du so vermessen bist, so stelle ich dir drei Aufgaben. Gelingt es dir, bleibst du frei und darfst deinen Kamm behalten. Misslingt es, so gehörst du mir.“
Die erste Aufgabe war: Er solle den großen Schlossteich in einer Nacht ausschöpfen. Der Bauerssohn saß verzweifelt am Wasser, da kam die weiße Taube und sprach: „Zieh dreimal den Kamm durchs Haar.“ Er tat es – und siehe da, das Wasser rann wie durch ein Sieb in die Erde, bis der Teich trocken lag.
Die zweite Aufgabe war: Er solle den ganzen Speicher des Königs mit Korn füllen. Wieder kam die Taube, und mit einem Kammstrich fielen goldene Ähren vom Himmel, bis der Speicher fast barst.
Die dritte Aufgabe aber war die schwerste: Er solle die Königstochter herbeibringen, die in einem Turm jenseits des schwarzen Waldes gefangen sei, bewacht von einer bösen Hexe. Der Bauerssohn machte sich mutig auf den Weg. Als er den Kamm zog, verwandelte sich die weiße Taube in ein schönes Mädchen. Sie sprach: „Ich war einst selbst die Königstochter, verzaubert von der Hexe. Mit deiner Treue hast du mich erlöst.“
Hand in Hand gingen sie heim. Der König, blind vor Staunen, musste seine Tochter in die Arme schließen. Doch der Bauerssohn erhielt sie zur Frau und wurde selbst König, nachdem der alte bald darauf starb.
Und so lebten sie lange und glücklich, und der goldene Kamm aber wurde hoch oben im Schloss verwahrt, auf dass er nie wieder in falsche Hände gelange.
© 2025 Mario Eberlein