Vor langer Zeit, da lebte einmal in der Nähe von Karlshamn (Karlshafen) ein Schmied, der Alvis Sturm hieß. Er war eigentlich ein liebenswerter Mensch, allerdings etwas einfältig, was man auch sein muss, damit man sich auf das hier Erlebte einlassen kann.
Der besagte Schmied fuhr jedenfalls eines Tages im März, zusammen mit seinem Schmiedeknecht Borg, nach Karlshamn, um Kohlen für die Schmiede einzukaufen. Am großen Marktplatz, da, wo auch die Kirche steht, befanden sich auch damals auch Wirtshäuser. Nachdem der Schmied zusammen mit seinem Knecht die Kohlen verladen hatten, gingen die beiden wie immer ins Wirtshaus, um den Staub der Säcke, aber auch den Kohlenstaub herunterzuspülen.
Doch diesmal war es anders: Im Wirtshaus da saß ein Admiral am Tisch, der sich eine große Tafel hatte auffahren lassen: Bier und Wein, Schinken, Speck, Rebhuhn, einen knusprigen Braten, Fisch, Käse, frisches Brot und noch viele andere Köstlichkeiten. Da stieß der Schmied seinen Gesellen an: „Sieh einmal, so lässt es sich trefflich leben, wir haben den falschen Beruf, Admiral müsste man sein.“ Der Knecht nickte nur: „Wir haben es leider nicht so groß getroffen und auch keine Ahnung von der Seefahrt.“ Das bekam auch der Admiral mit. Daraufhin prostete er den beiden zu und meinte im Scherz: „Ach, die Herren, das ist doch kein Problem, ein Offizierspatent kann man sich heute kaufen, und von der Seefahrt müsst ihr als Admiral doch auch keine Ahnung haben, dafür habt ihr doch eure Kapitäne. Es wäre allerdings nicht schlecht, wenn ihr über die eine oder andere Fähigkeit verfügtet, die normale Menschen nicht haben.“ Dass der Admiral den beiden dabei zuzwinkerte, ja, das bekam der Schmied dabei gar nicht mit.
So beendete er sein altes Leben als Schmied. Bei der nächsten Gelegenheit verkaufte er seine Schmiede, sicherte seinem Knecht zu, dass er ihn begleiten könne, und erwarb mit dem ganzen Erlös tatsächlich ein Offizierspatent, um neu anzufangen, wie er es nannte. Danach bezeichnete er sich einfach als Admiral und prahlte damit, dass er das zweite Gesicht habe. Nun lebte er in einer Zeit, in der es in Schweden auch viele fremde Offiziere gab, die aus verschiedenen Ländern kamen und irgendwie glaubte man ihm, da er ja auch entsprechend auftrat.
Nun war es aber auch die Zeit, in der man in Schweden in unruhigen Zeiten lebte und einiges an Tribut an Dänemark abführen musste. In der Bevölkerung regte sich so langsam der Widerstand, und so gab es auf der Ostsee auch so manchen Seemann, den man als Piraten bezeichnen konnte. Diesen Piraten gelang es immer wieder, die eine oder andere wertvolle Fracht zu ergaunern. So war es auch an diesen Tagen, als wieder einmal eine kostbare Ladung nach Dänemark verschifft werden sollte. Der verantwortliche Admiral hatte keine Lust, seinen Kopf erneut in die Schlinge stecken zu müssen, als er erfuhr, dass in Karlshamn ein Admiral namens Sturm verfügbar wäre. Er war gerade dabei, das nächste Schiff, zusammen mit ein paar Begleitschiffen, für die Reise auszustatten und so bestellte er den neuen Admiral auf sein Schiff ein.
An Bord befanden sich allerdings vier Seeleute, die zu den Piraten gehörten und auch vorhatten, das Schiff unterwegs an ein anderes Piratenschiff durch Signale zu verraten, damit dieses gekapert werden konnte. Als sie jedoch hörten, dass ein neuer Admiral das Kommando über das Schiff und die Begleitschiffe übernehmen sollte, der über das zweite Gesicht verfügte, da wurde ihnen ganz anders zumute, denn Seeleute sind und waren meist immer etwas abergläubisch. So versuchten sie dann herauszubekommen, was der neue Admiral mit dem alten besprach, als Admiral Sturm zusammen mit seinem ehemaligen Schmiedeknecht an Bord kam. Unser Schmied hatte sich zumindest gedacht, die eine oder andere schlaue Bemerkung fallen zu lassen, damit seine Unfähigkeit nicht auffiel, als er das Schiffsdeck betrat. So hielt sich der erste der Piraten in seiner Nähe auf, zumal gerade neues Tauwerk geladen wurde. Das Tauwerk war etwas kräftiger, da es zum Setzen der Segel verwendet wurde, damit war es hervorragend dafür geeignet, um seinen Kopf beim Tragen hinter der Taurolle zu verstecken. Alvis Sturm meinte nur zum amtierenden Admiral: „Das ist ja ein richtiger Galgenstrick“, sobald er das Tauwerk sah, wobei der Admiral zwar etwas die Nase rümpfte, der erste der Piraten aber furchtbare Angst bekam und zu den anderen sprach: „Er hat uns erkannt, wir sind verraten, er hat mich Galgenstrick genannt.“
So musste der zweite der Piraten die Aufgabe des Belauschens fortführen. Die beiden Admiräle standen noch an Deck, als weitere Seile verladen wurden. Sie dienten dazu, die Segel an den Rahen zu reffen oder auch zu packen, wenn diese nicht gesetzt wurden. Der Admiral deutete nur darauf und meinte: „Wir bekommen für diese Reise neue Segel und neues Tauwerk, die Ladung wird gerade an Bord gebracht.“ Die Antwort von Alvis war daraufhin: „Ja, hier wird nur das baumeln und hängen, was auch dazu bestimmt ist.“ Der Admiral rümpfte noch mehr die Nase, allerdings wurde auch dem zweiten Piraten ganz anders: „Ihr habt recht! Er will auch mich aufhängen, er hat uns erkannt.“ Der dritte der Piraten hatte schon gar keine rechte Lust mehr, den neuen Admiral zu beobachten und das weitere Gespräch zu belauschen. Gerade als er zuzuhören begann, da wurden die Kanonenkugeln und das Schießpulver geladen. Als Alvis das sah, dachte er an seine Vergangenheit als Schmied und meinte nur: „Ja, mit Eisen kenne ich mich aus, das ist meine Grundlage für all das hier, ich werde schon die richtigen Entscheidungen fällen und zunächst alles darein legen!“ Jetzt lief auch der dritte Pirat zu den anderen: „Wir müssen fliehen oder uns etwas anderes ausdenken, der neue Admiral will uns zuerst in Eisen legen, erst danach wird er uns wohl hängen!“ Nun gingen die beiden Admiräle unter Deck, hier hatte sich der vierte der Piraten in einem Schrank der Admiralskajüte versteckt. Der Schmiedeknecht folgte den beiden, als sich der amtierende Admiral umdrehte und etwas missbilligend auf den Knecht deutete. Alvis schüttelte nur mit dem Kopf und meinte zum Admiral: „Der ist auch dabei.“ Jetzt bekamen es die Piraten mit der Angst zu tun: „Wir sind verraten, wir müssen aufgeben! Er hat selbst zu unserem letzten Mann, der ja nun wirklich im Schrank versteckt war, gesagt “Er ist auch dabei!“ “
Nun wollte aber auch der amtierende Admiral wissen, ob das mit dem zweiten Gesicht stimmte. Da nun Alvis am Tisch des Admirals saß und dieser ihm einen Becher Wein angeboten hatte, da blickte er auf das Wetterglas, das hinter unserem Schmied an der Kajütenwand hing, von ihm nicht gesehen werden konnte, aber aus dem das Wasser fast herauslief, was kein gutes Zeichen war: „Na, wie wird denn das Wetter auf der Reise?“ Etwas ratlos meinte Alvis da: „Oh je, jetzt stehe ich alleine hier, komplett im Regen und auch im Sturm, worauf habe ich mich da nur eingelassen“, wobei er an seinen Namen dachte. Für den amtierenden Admiral war damit alles klar: Der neue Admiral hatte das zweite Gesicht, bekam den Auftrag, die anderen Kapitäne unterstellt und eine gute Entlohnung, falls die Ladung sicher ihr Ziel erreichte. Das war natürlich der Fall, denn die Piraten trauten sich nicht, das Schiff zu kapern oder kapern zu lassen, ganz im Gegenteil: Die vier zahlten ihm eine hohe Summe aus ihrer letzten Kaperfahrt, damit er sie nicht verriet oder gar hängen ließ.
So hatte Alvis Sturm denn tatsächlich ausgesorgt und musste auch nie wieder eine Reise wagen. Mit dem Geld der Krone für diese eine Fahrt und dem Schweigegeld der Piraten ließ es sich bis zu seinem Ende vortrefflich leben. Ja, und wenn er nicht gestorben ist, dann sitzt er heute noch in Karlshamn im Wirtshaus, erzählt dort über die schwedische Admiralität sowie weitere Märchen und Geschichten.
Bemerkungen:
Das Märchenthema ist mit ähnlichen Motiven in europäischen Märchenbüchern zu finden. In Deutschland findet sich ein verwandtes, aber kaum bekanntes Motiv in der Grimmschen Sammlung unter der Überschrift „Doktor Allwissend“.
In der schwedischen Fassung heißt der Schmied im Märchen „Storm“, hier wörtlich übertragen als „Sturm“.
Wettergläser, auch Donnergläser genannt, sind heute kaum noch bekannt, da sie durch Barometer ersetzt wurden. Sie bestehen aus einer bauchigen Kugel und einem kleineren, schmalen Hals. Dabei werden sie mit Wasser befüllt. Steigt der Luftdruck, wird die Luftblase in der Kugel zusammengedrückt, damit fällt der Wasserstand im Hals. Bei fallendem Luftdruck ist es umgekehrt. Bei sehr starkem Tiefdruck kann es sogar sein, dass das Wasser aus dem Hals herausgedrückt wird.
von: Larissa Tjärnväg
aus: Kalle-Nisses Träume und Erzählungen – März – / Copyright 2016-2025 – WeyTeCon Förlag – Årjäng