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Mutters Mütze und Vaters Hut

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Vor vielen Jahren, da lebte in der Nähe der Gemeinde von Ljungs ein kleiner Bergschmied. Ja, nun sollte man wissen, dass es in Ljungs Gemeinde das Gut Brattefors gab, und auf dem großen Gelände des Gutes lag ein kleiner Berg. Denn ein Bergschmied muss natürlich in einem Berg leben. Jetzt darf man sich aber keinen Zwerg vorstellen, der in seinem Berg der Schmiedekunst frönt. Nein, es war ein kleiner Troll, denn auch Trolle haben eigene Schmiede und Schmieden. Es war auch kein böser oder großer Troll, nein, es war ein liebes und nettes Wesen, das seine Arbeit, die Natur und das Leben liebte.

Eines Tages, es war eine sternenklare Nacht, so wie es sie im März oft gibt, da ging der kleine Schmied müde und, erschöpft wie er war, aus seinem Berg hinaus und legte sich auf das Gras, um die Sterne zu betrachten und etwas in Gedanken zu versinken. Wer die Ruhe in der schwedischen Natur kennt und das Flimmern der Sterne am Himmel, in klaren und mondlosen Nächten liebt, der kann den kleinen Bergschmied durchaus verstehen.

Dort lag er nun, bewunderte die Sterne am Himmel und merkte kaum, dass seine Augenlider immer schwerer wurden und schließlich schlief er ein.

Am nächsten Morgen wurde er durch die Sonnenstrahlen geweckt, die seine Nase kitzelten und auf die Augenlider schienen. Jetzt war der Schreck groß! Die steile Felswand, in der sich der Eingang in seine Trollhöhle befand, war durch den Felsen verschlossen und lag im hellen Sonnenschein. Hier funktionierten seine Zauberkräfte nicht, da musste er schon auf die Dämmerung oder die Nacht warten, aber das war nicht das Schlimmste. Er hatte seinen Duldehatt nicht dabei, das war das Übelste, was ihm passieren konnte. Ihr kennt einen Duldehatt? Ja, dann seid ihr schon älter, den Jüngeren unter euch sei erklärt, dass es eine Mütze, ein Hut oder manchmal auch ein Zylinder ist, der seinen Träger oder seine Trägerin unsichtbar macht. 

Es kam aber noch schlimmer. Da saß nun der kleine Bergschmied mit dem Verlust seiner Zauberkräfte vor dem verschlossenen, heimischen Felseneingang, als der Gutsherr von Anfasteröd mit seinem Fuhrwerk vorbeikam. Anfasteröd war damals ein sehr großer Hof und der Besitzer ein mächtiger Mann, der es schon verstand seine Knechte, Großknechte und Mägde bei der Arbeit zu halten. Müßiggang duldete er in keinster Weise. Als er den schwachen und kleinen Troll da jammernd sitzen sah, brüllte er gleich los: „In meinen Wälder dulde ich keine Trolllumpen und anderes Gesindel!“ Ehe sich der Bergschmied auch nur umdrehen konnte, wurde er vom Gutsherren gepackt und auf das Fuhrwerk geworfen, dass danach holpernd weiterrollte. Vollkommen erschöpft jammerte der kleine Troll: „Ich habe euch doch nichts getan, was habt ihr mit mir vor?“ Da lachte der Großbauer dreckig: „Ich bringe dich in die Festung Bohus, da wird man sich schon um dich kümmern!“ 

„Überall hin, nein, nur nicht in die Festung Bohus“, jammerte der Bergschmied, „weißt du Bauer, ich bin ein fähiger Schmied und ich verspreche dir, dass ich dir dein Leben lang die schönsten und besten Gerätschaften und Werkzeuge schmiede.“ Doch das interessierte dem Gutsherren wenig, er verhöhnte den kleinen Troll weiter: „So Lumpen wie du gehören eingesperrt! Da lasse ich nicht mit mir reden.“ Da sagte der kleine Bergschmied nur noch einen Satz: „Dann merke dir jetzt eines, Besitzer und Herr über Brattefors und Anfasteröd, es wird deinen Gütern in der Zukunft sehr schlecht gehen, dass verspreche ich dir heute schon!“ Doch der Großbauer lachte nur über den kleinen Troll: „Erst einmal kenne ich jemand anderen, dem es sehr schlecht gehen wird.“ Er sollte auch recht behalten. Der kleine Troll wurde, kurz nachdem das Fuhrwerk die Festung erreicht hatte, festgenommen und in einen der dicken sowie riesigen Türme eingesperrt, ganz oben, da wo er nicht entkommen konnte. Jetzt saß er zwar wieder in der Dunkelheit und jammerte über sein Schicksal, aber zaubern konnte er hier auch nicht, da hatten die Baumeister der Türme durch irgendeinen Bann vorgesorgt.

Jetzt war der kleine Bergschmied nicht allein, er hatte auch eine Frau und als die hörte, was geschehen war, immerhin rühmte sich der Gutsherr mit seiner Tat, da brüllte die kleine Trollfrau so laut vor Wut los, dass man es in drei Gemeinden hören konnte. Ihr könnt mir glauben, ihr wollt nicht dabei gewesen sein, vor allen Dingen, was jetzt geschah. Auf schnellstem Weg eilte sie nach Brattefors und setzte da, so nennt man es heute wohl, die Möbel gerade. Es bleibt nur zu berichten, dass danach auf dem Gut alle Bierfässer zertrümmert, alle Kopftöpfe zertreten, sämtliche Pflüge und Eggen zerlegt waren, die Scheunen eingerissen wurden usw.. Kurzum, sie sorgte für mächtig Ärger. Es muss da wirklich sehr schlimm ausgesehen haben. Vorbeiziehende Handwerker und andere Bauern fragten ängstlich nach, ob ein Krieg ausgebrochen sei und der Hof geplündert worden wäre.

Zum Schluss zerlegte sie dann noch die Schmiede des Hofes. Der Amboss soll zwei Meter in der Erde gesteckt haben und musste erst mühsam wieder ausgegraben werden. Bevor sie den Hof schließlich wütend verließ, brüllte sie noch: „Wenn ihr glaubt, dass ich nichts tun kann, dann wartet einmal ab, ich werde es euch schon zeigen“, wobei sie ein Hufeisen in der Hand zum Schmelzen brachte, so, als ob es aus Butter oder einem anderen Fett bestehen würde.

Am nächsten Morgen machte sie sich dann zur mächtigen Festung Bohus auf, ihr Entschluss stand dabei fest: „Ich werde meinen Mann befreien.“ So setzte sie sich ihren eigenen Duldehatt auf, der bei ihr eher eine Mützenform hatte und ging los. Da sie nun vor der Festung stand,  kamen ihr schon Zweifel auf. Sie sah die dicken Festungsmauern, die Kanonen, die riesigen und mächtigen Türme. Vor allem aber sah sie die ganzen Soldaten. „Das ist doch etwas anderes, als alle die Bauern“, dachte sie sich, „wie kann ich meinen Mann hier herausholen? Ich weiß ja noch nicht einmal wo er gefangen gehalten wird.“ 

„Ach, ich bin doch hier meine liebe Frau“, hörte sie es da aus einem der Türme rufen und sie sah ihren Mann, wie er ihr aus einer der Turmöffnungen zuwinkte. Jetzt war sie zufrieden, da holte sie den Duldehatt ihres Mannes aus ihrem Mantel hervor und warf ihn in die Fensteröffnung des Turmes hinein: „Flieg in die Arme meines Mannes!“. Das muss man den Trollfrauen ja lassen, werfen und zielen können sie wie kein Mensch, der Rest ist dann auch Zauber. Lachend und zufrieden fing der kleine Bergschmied seinen Duldehatt auf, setzte ihn sich auf den Kopf und wurde sofort unsichtbar. Seine Rechnung ging auf! Als am Abend die Wachen kamen um ihm Brot und Wasser zu bringen, da fanden sie die Turmzelle vermeintlich leer vor und ließen sie offen stehen: „Das hätte mit einem gefangenen Troll nur noch mehr Ärger gegeben“, meinten seine Bewacher. So gelang es dem kleinen Bergschmied sich unsichtbar aus dem Turm zu befreien, und am nächsten Morgen, als die Festungstore wieder geöffnet wurden, ja, da marschierte er lachend hindurch und direkt in die Arme seiner Frau.

Von diesem Tag an, wurden die beiden Festungstürme der Festung Bohus „Vaterhut“ und „Mutterhut“, bei manchen auch „Mutters Mütze“ genannt.
Wie ging es nun aber mit den Gütern und den Menschen auf Brattefors und Anfasteröd weiter? Schlecht, sogar sehr schlecht, das könnt ihr mir glauben. Der kleine Bergschmied hat sein Wort hier schon gehalten, aber das ist eine andere Geschichte.

Erläuterungen:

Das Märchen beruht auf einer schwedischen Legende über die Festung Bohus. Es ist ein regionales Märchen aus Bohuslän (Bohusland). In den Volksarchiven befinden sich mehrere Aufzeichnungen: Eine Erzählung ist aus dem Jahr 1927 von Anders Andersson, geb. 1848 aus Ljungs/Bohuslän, eine weitere ist aus 1928 von Svante Örtberg, geb. 1839 aus Bäve/Bohuslän.

Ein Bergschmied ist diesmal kein Zwerg sondern ein Troll, ja, auch die Trolle haben ihre eigenen Schmiede. Der Hut, um den es sich handelt, ist ein sogenannter „Duldehatt“. Ein Duldehatt macht seinen Träger unsichtbar. Diese Art von Hüten kommen öfters in schwedischen Märchen vor.

Die Festung Bohus wurde 1308 als Verteidigungsanlage gebaut, sie war aber auch zeitgleich, und das fast 500 Jahre, ein Gefängnis. Es wird hier versucht zu erklären, wie die ursprünglichen zwei Türme der Festung:  „Vaterhut“ und „Mutterhut“, hier im Märchen als „Mutters Mütze“ bezeichnet, zu ihrem volkstümlichen Namen kamen. Von den Türmen ist heute nur noch einer vollständig erhalten.

von: Larissa Tjärnväg
aus: Kalle-Nisses Träume und Erzählungen – März – / Copyright 2016-2025 – WeyTeCon Förlag – Årjäng

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