Die Knäblein wuchsen heran und wurden immer schöner, die arme Frau dachte wieder an ihren Gemahl, wenn er die Knäblein sähe, würde er alles gut machen, was seine böse Mutter an ihr verschuldet. Da träumte ihr, sie solle unter einem großen Lindenbaum am Kreuzweg gehen, dort werde sie einen Haufen Leinknotten finden, mit denen solle sie sich die Taschen füllen, aber ja nicht mehr nehmen und dann nach Portugal gehen, wo ihr Gemahl in den Liebesnetzen einer Zauberin oder Fee verstrickt sei. Die Frau ging an den Baum, fand die Leinknotten und füllte sich die Taschen damit an. In einem Walde wurde sie von Räubern überfallen und ganz ausgeplündert, so daß sie keinen Pfennig behielt; denn sie mußte sich durch Betteln weiter helfen, ihre Füße waren blutig gerissen und noch war ihres Weges kein Ende. Da tröstete sie abermals ein Traum in ihrem Elend und verhieß ihr endlich Gelingen. Einst bettelte sie an der Pforte eines schönen Schlosses; die Edelfrau sah ihre Knaben und war von ihrer Schönheit auf’s Höchste überrascht. Sie bat die arme Frau um einen ihrer Knaben und versprach dafür, ihr jede Bitte zu erfüllen. Der Armen ging es schwer an, eines ihrer Kinder zu missen, aber sie willigte endlich doch ein und bat dagegen um das goldne Spinnrädchen, das die Edelfrau eben vor sich stehen hatte. Diese wunderte sich über das Verlangen, gab jedoch das Rädchen hin, und einer der beiden Knaben blieb bei ihr zurück. Die arme Frau war weiter und weiter gegangen und mußte sich endlich auch noch von ihrem zweiten Knaben trennen, für den sie ein goldnes Weiflein erhielt. Diese beiden Kleinodien verwahrte sie sehr sorgfältig und setzte ihre beschwerliche Wanderschaft fort. Nach unendlichen Mühseligkeiten kam sie denn doch in Portugal an und kam an das Schloß, wo ihr Gemahl wohnte. Die Diener erzählten ihr, ihr Herr sei verheiratet, aber noch niemand habe das Antlitz seiner Gemahlin gesehen, dass sie nur des Nachts im Schlosse sei, und des Tags wisse niemand, wohin sie gekommen.
Als nun die Sonne untergegangen war, schlich sie sich in den Schloßgarten, setzte sich unter das Fenster der Gräfin und drehte ihr Spinnrädlein, daß es wie ein Stern durch die Nacht leuchtete. Dies aber sah die Zauberin, welche die Gemahlin des Grafen war, und trat zu der Frau und fragte sie nach dem seltsamen Spielzeug. Die Frau bot es ihr als Geschenk an, wenn sie ihr dafür eine Bitte gewähre, sie bitte nämlich, eine Nacht bei ihrem Gemahl bleiben zu dürfen. Die Frau wunderte sich darüber sehr, willigte jedoch ein; heimlich aber gab sie dem Grafen einen Schlaftrunk, so daß er die ganze Nacht nicht erwachte, und die verzweifelte Frau an seiner Seite den Morgen heranbrechen sah, wo die Zauberin sie abholte. Den nächsten Abend saß die Frau wieder vor dem Schloß und drehte ihr goldnes Weiflein; die Zauberin kam wieder und mußte ihr dieselbe Bitte gewähren. Diesmal hatte sie’s versehen und ihrem Mann den Schlaftrunk nicht stark genug gemischt; ehe der Morgen anbrach, erwachte er daher, wunderte sich, die abgemagerte, verkümmerte Frau neben sich zu finden, die nun vor ihm ihr ganzes Herz ausschüttete. Da ergriff den Grafen eine namenlose Sehnsucht nach seinen Kindern und versprach ihr, sie wieder als Gattin anzuerkennen. Dann stellte er sich schlafend, als die Fee kam und die Frau von dannen führte. Der Fee aber erzählte er, er habe einen sonderbaren Traum gehabt. Ein Mann habe irrtümlich seine Frau verstoßen und eine andere gefreit; die erste aber habe ihn aufgesucht. Was der Gatte nun tun solle, wenn sie ihn gefunden? „Dann muß er sich von der zweiten scheiden und zu der Treuen zurückkehren!“ sprach die Fee. – „Du hast dein Urteil gesprochen“, antwortete der Graf und erzählte ihr alles, was geschehen war. Da trennte die Fee sich schmerzlich von ihm. Der Graf aber kehrte mit der treuen Gattin in die Heimat zurück, nachdem er seine Knäblein ausgelöst. Die böse Mutter durfte ihm nicht wieder vor’s Antlitz kommen; die Gattin dagegen hielt er lieb und wert; den mitleidigen Bedienten belohnte er reich. Die Knaben mit den goldenen Sternlein wuchsen heran zu der Eltern Freude und wurden später wackere Kriegshelden, die viele Schlachten schlugen und gewannen.
Ludwig Bechstein