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Fürchten lernen

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In einem Dorf war ein Mann, der war nur ein Bauer, aber Geld hatte er genug und einen einzigen Buben dazu. Auf den hielt er große Stücke und dachte, er wolle ihn was Rechtes lernen lassen für sein Geld, damit er einen gelehrten Sohn an ihm bekäme. Also ging er zum Schulmeister und ward einig mit ihm über das Lehrgeld, dass der Peter außer der gewöhnlichen Schule noch alle Tage seine Extra-Stunden haben und selber auf den Schulmeister studieren sollte.
Von Stund an saß der Junge vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein in dem Schulhaus und alle Samstag bekam er ein Zeugnis mit nach Hause, wie viel er’s schon weiter gebracht hätte, also dass der Alte ganz zufrieden damit war. Auf einen Abend aber schickte ihn der Bauer noch hinaus auf den Acker, ein Bündel Klee holen, das aus Versehen war liegen geblieben. Als nun der Junge draußen das Bündel aufheben wollte, war es ihm zu schwer und sah er sich um, ob Keiner da wäre, der ihm dazu helfen wollte. Mit einem Male stand ein dunkler Mann neben ihm, hob ihm das Bündel auf den Kopf und fragte dabei – es war schon recht dunkel – ob er sich denn nicht fürchte, so allein auf dem Feld? „Fürchten?“ – der Peter hatte noch nichts davon gehört und wusste nicht was es heißen sollte, also gab er dem Mann keine Antwort und ging ruhig heim. Bei dem Alten aber erzählte er die Geschichte und fragte ihn, was denn der Mann wohl damit habe sagen wollen? „Weißt du denn nicht, was Fürchten ist?“ sprach der Bauer. „Nein“ sagte der Peter, da schlug der Alte die Hände über dem Kopf zusammen und rief: „Der Schulmeister muss mir mein Geld wiedergeben! Schon ein Jahr geht der Bube zu ihm und weiß noch nicht was Fürchten ist!“
Des andern Morgens in aller Früh kam er mit seinem Peter an der Hand ins Schulhaus und „wenn ihr ihn bis morgen nicht gelehrt habt was Fürchten heißt“ sprach er zum Schulmeister, „so müsst ihr mir mein Geld wiedergeben!“ „Gebt euch zufrieden“ sprach der Lehrer, „bis morgen früh soll er’s aus dem Fundament verstehen.“
Da es nun gegen die Nacht ging, führte er den Peter in die Kirche und schloss das große Tor hinter ihm zu. Dadrinnen konnte einer das Fürchten freilich lernen wenn er gesund wieder davon kam, denn es war von Alters her nicht richtig in der Kirche. Der Peter nun stieg wohlgemut auf die Emporbühne, legte sein Wams unter den Kopf und fing an zu schlafen – aber nicht lange; denn auf einmal fing es in der alten Kirche zu krachen, zu tappen und zu rumpeln an, als wenn alle Kirchenstühle wären lebendig geworden, dann stiegen drei schwarze Männer hinter dem Altar hervor und kamen hinauf auf die Emporbühne zum Peter. Der Junge hob sich auf dem Ellenbogen in die Höhe und war neugierig, was die drei Kerls denn eigentlich wollten – da stellten sie ein Kegelspiel hin, fingen an zu schieben, und Einer rief: „Junger Knabe setz uns die Kegel auf!“
„Meinetwegen!“ sprach der Peter, stand auf und tat wie ihm geheißen, als aber die Dreie ihre Kugeln alle hinuntergeschoben hatten, rief er: „Wer aufsetzt darf auch kegeln, jetzt bin ich an der Reihe!“ Dabei nahm er die Kugeln und warf eine nach der andern hinauf, den Männern zwischen die Beine, dann erwischte er die Kegel und fing an, sie den Geistern auf die Köpfe zu schleudern, zuerst den König, dann die andern. Sie warteten aber den neunten nicht ab, sondern machten sich aus dem Staub, und nun konnte der Peter ruhig weiter schlafen, bis der helle Morgen zum Kirchenfenster hereinschien.
Da kam denn auch der Schulmeister um den Tag anzuläuten und war ganz begierig, nachzusehen, ob denn dem Jungen das Genick nicht abgedreht sei. Der Peter aber gähnte ihn recht faul und verdrießlich an, und als ihn der Lehrer fragte: ob er jetzt wisse was es mit dem Fürchten zu bedeuten habe? „Nein“ sprach der Bube „es waren so ein paar schwarze Kerls da und haben mich geheißen die Kegel aufsetzen, aber von dem Fürchten hat Keiner was zu mir gesprochen.“ Da hieß ihn der Schulmeister einen vernagelten Dummkopf, tröstete aber den alten Bauern, als der hinzukam, er solle sich nur zufrieden geben und es abwarten bis zum andern Tag, er wollte es noch weiter versuchen mit dem Jungen.
Sobald es dunkel ward, musste sein Peter wieder allein in der Kirche bleiben. „Diesmal sollen sie mich in Frieden lassen“ sprach er und stieg hinauf, ganz oben auf die Orgel, damit er seine ordentliche Nachtruhe hätte. Es hatte aber kaum elf Uhr auf dem Turm geschlagen, so ging das Getöse wieder los, nur diesmal viel ärger als in der vorigen Nacht, und auf einmal kam eine pechschwarze Dame mit einem großen feuerfarbenen Umhängetuch hinter dem Altar vor und ließ sich auf die Knie fallen, gleich als ob sie eifrig beten wollte. „Zu unserm Herrgott betet die gewiss nicht“ sprach zu sich selber der Peter, „aber das goldige Umhängetuch sollte meiner Schwester auch nicht schlecht stehen, wenn sie Sonntags darin spazieren ginge.“ Wie er nun trotz seiner Bequemlichkeit doch eigentlich ein naseweiser Bursch war, kletterte er leise von seiner Orgel herab und schlich sich von hinten herbei an das kniende Weibsbild, riss ihr auch in einem Nu das Tuch von den Schultern herab und sprang wie ein Eichhorn wieder hinauf auf sein Plätzchen. Gar jämmerlich bat ihn da die Dame, er solle ihr doch das Tuch wieder herabwerfen, sie hätte ja kein anderes mehr, aber hinauf konnte sie nicht und dort unten redete sie dem Peter lange gut. Er legte sich wieder ruhig aufs Ohr bis zum anderen Morgen, und als der Alte mit dem Lehrer hineinkam hatten sie wohl Mühe ihn droben zu finden und aufzuwecken, aber im Fürchten hatte er es noch um kein Haar breit weiter gebracht. Diesmal war der Schulmeister fuchswild und sprach, es sei an dem Bengel Hopfen und Malz verloren; aber zum dritten Male sollte es denn doch noch mit dem dummen Peter probiert werden.
In der dritten Nacht war es dem Jungen doch nicht so ganz einerlei und es kam ihm beinahe vor, als wenn er doch vielleicht etwas von dem Fürchten lernen könnte. „Ich will mich in des Herrn Pfarrers Stuhl setzen“ sprach er, „dadrinnen bin ich sicher, wenn mich das Weibsbild auf der Orgel sucht.“ Gesagt, getan; er schlief auch bald wieder ein, aber da tat es auf einmal einen Schlag, dass alle Fenster zitterten und ein gelber Schein fuhr von oben herunter. „Man meint, der Teufel wolle selber kommen und Kirche halten“ dachte der Peter und so war es auch ungefähr, denn der Teufel fuhr herab in leibhaftiger Gestalt und setzte sich dicht neben den Peter, in den Stuhl bei dem Pfarrsitz. Der Junge war so still wie eine Maus, der Böse aber langte in seinen Rocksack, brachte einen Pack Papier heraus und fing an, darin herumzublättern. Das waren lauter Handschriften von vornehmen und geringen Leuten, die sich dem Teufel sündhaft verschrieben hatten. Wie er nun so damit hantierte und sie nachzählte, ließ er aus Versehen ein paar davon auf den Boden fallen. Das merkte sich der Peter; eh es der Schwarze gewahr wurde, hatte er sie aufgerafft und eingesteckt und der Böse fuhr wieder hinaus, ohne ihn gesehen zu haben. Als aber am Morgen der Schulmeister kam, erzählte er ihm alles: die Papiere da hätte er sich aufgelesen, und des Herrn Schulmeisters Name stehe ja auch darauf.
Da riss ihm der Lehrer in großem Zorne die Handschrift weg und sprach zu dem alten Bauern, er wolle ihm das Lehrgeld für seinen ungeratenen Sohn wiedergeben, für den Jungen wisse er ihm aber keinen andern Rat mehr, als dass er ihn fortschicke in die weite Welt, denn alle Mühe und Weisheit sei an ihm verloren, wenn ihm nicht in der Fremde ein Licht im Kopf aufginge. Also gab der Alte dem Buben zweihundert Gulden und hieß ihn nicht eher wiederkommen, als bis er ein gescheiter Mann wäre.
Der Peter verwunderte sich selber, dass ein Mensch so dumm sein könnte wie er, war deshalb Alles zufrieden, nahm sein Geld und ging. Als er über drei Feldwege gegangen war, kam ihm ein Junge mit einer Herde Schweine entgegengefahren. „Geh mit mir in die Welt“ sprach der Peter, „was brauchst du die Schweine zu hüten, ich habe so viel Geld, dass es gar nicht all werden kann!“ Der junge Schweinehirt sagte zwar anfangs, er müsse heim zu seinem Brotherrn, ließ sich aber bald überreden und ging mit.
So marschierten denn die Zweie einträchtiglich in die Welt hinein, bis es Abend wurde und sie Hunger bekamen. Da war ringsum nichts mehr als Wald und Wald! Endlich kamen sie an ein Schloss, und weil die Tür offen stand, gingen sie auch hinein und betrachteten sich Alles. Keine lebendige Seele war darin zu finden, nur in dem Hofe lief Geflügel von jeder Art herum: Gänse, Hinkel und welsche Hühner. Mein Peter, nicht faul, hob Steine auf und warf ein paar Stück von dem Federvieh tot. „Nun haben wir zu essen“ sprach er, ging mit dem Schweinehirten in die Schlossküche und machte sich ein Feuer an. Dann stellten sie einen Kessel bei, rupften das Geflügel und fingen an, es zu kochen.
Wie es aber in dem Kessel kochte, dass es ein Vergnügen war, kam der Schlossherr nach Haus und das war Niemand anderes als der Teufel selber. Schon in dem Hofe fing er an zu riechen und zu schnuffeln, und als der Peter gerade mit der Gabel in den Kessel fuhr, um sich etwas herauszulangen, stand mit einem Mal der Schwarze dabei und sprach: „Da will ich mitessen.“
„Geh erst hinaus und werfe dir was von dem Federvieh tot, sonst kannst du’s nicht kochen“ sprach der Peter „und wenn du nichts zu kochen hast, hast du nichts zu essen, denn wenn du was von mir kriegst, will ich mein Leben lang ein dummer Kerl bleiben.“ Also machte sich der Teufel wieder hinunter in den Hof und fing an zu werfen aus Leibeskräften, weil er großen Hunger hatte, kam aber bald wieder hinauf und sprach: „Ich kann nichts treffen.“ „Das kommt von deinen dicken Klauen“ sagte der Junge, „aber geh hin und hol mir den Schraubstock dort, ich will dir aus Gefälligkeit die Nägel schneiden.“ Da hatte der dumme Teufel nichts Eiligeres zu tun, als wirklich den Schraubstock herzubringen und seine schwarzen Pfoten hineinzulegen. „Halt still“ sprach der Peter, drehte zu mit allen Kräften und der Böse war gefangen, die beiden Jungen aber griffen nach ihren Stecken und prügelten auf ihn hinein, wie auf einen störrigen Esel. „Lasst mich heraus!“ schrie der Böse „so will ich euch geben was ihr nur haben wollt!“ Lange half ihm kein Heulen und kein Schreien, endlich sprach der Peter, er wolle ihn loslassen, wenn er ihm die Verschreibung geben wolle über das ganze Schloss, dass es sein eigen wäre mit Allem, was er drin fände. Der Böse war es zufrieden, und gleich lag auch schon die Handschrift auf dem Tisch. Da wollte der Schweinehirt den Schraubstock aufdrehen, aber „Halt!“ rief der Peter „ich will erst sehn ob es seine Richtigkeit hat; ich kann Geschriebenes lesen und bin nicht umsonst beim Schulmeister in der Lehre gewesen.“ Also las er die Verschreibung nach und fand, dass der Böse ihn hatte betrügen wollen, denn die Handschrift lautete nur auf die Scheuer und den Seitenbau, nicht aber auf das ganze Schloss. „So gescheit wie du sind wir auch noch“ sprach der Peter „aber die Schläge sind noch nicht all“ und damit fingen sie von neuem zu prügeln an, so dass nur der Teufel es bei lebendigem Leibe abhalten konnte und ließen nicht eher nach, bis er ihnen die richtigen Verschreibungen herausgegeben hatte, über das ganze Schloss und alle Äcker, die dabei lagen und den Wald der dazu gehörte. Als sie alle Papiere richtig hatten sagte der Peter: „Dafür sollst du herauskommen, aber nicht gleich, sondern morgen bei lichtem Tag, wenn du keine Gewalt über uns hast; wir wollen einstweilen die Zimmer nachsehen, ob Alles richtig ist.“ Somit gingen sie im ganzen Schloss mit Licht herum und mit dem Schlüsselbund, den ihnen der Böse auch hatte geben müssen und schlossen an allen Zimmern die Türen auf. Als sie aber in das letzte Gemach kamen, traten ihnen drei kohlschwarze Damen entgegen, erzählten ihnen, sie seien drei Prinzessinnen, die der Teufel also hierher verwünscht hätte, und da sie hörten, wie Alles zugegangen, baten sie gar sehr die beiden Jungen, sie möchten doch dem Bösen noch ein wenig besser zusetzen, auf dass er sie wieder weiß machen müsste, wie sie zuvor gewesen. Das ließ sich der Peter nicht zweimal sagen, und die letzten Schläge wurden die besten. Je mehr aber der Böse schrie und jammerte, desto mehr verlor sich an den Damen die schwarze Farbe vom Leib und von dem Angesicht, und bald standen statt der drei schwarzen Weibsleute drei wunderschöne, strahlende Prinzessinnen da. Sie bedankten sich gar sehr bei den Beiden, baten sie aber, den Teufel jetzt loszulassen, weil es schon heller Morgen war. Der Peter hatte den Schraubstock aber noch nicht halb aufgedreht, so riss sich der Böse schon heraus, ließ die Haut und die Nägel von den Krallen darin hängen und fuhr hinaus in seinen Wald. Denn so dumm er war, hatte er den Peter doch angeführt und hatte sich die Verschreibung über ein kleines Stück von dem Walde zurückbehalten.
Der Peter und der Schweinehirt wurden nun bald einig mit den drei Prinzessinnen, also dass sie die beiden ältesten heirateten und die dritte als Magd im Schlosse blieb. So lebten sie miteinander in Lust und Vergnügen, aßen und tranken gut und gingen zur Unterhaltung auf die Jagd. Eines Tages aber begab es sich, dass der Peter einen Hasen angeschossen hatte und mit dem Schweinehirten eifrig hinter drein lief, bis in das Stück Wald hinein, das der Teufel noch in seiner Gewalt hatte. Das kam dem Bösen recht! Er hatte schon lange dagesessen und gewartet. Nun kam er mit großen Schritten herangegangen und fragte den Peter: „Was machst du hier in meinem Walde?“ Da stellte der Peter seinen Kameraden, den Schweinehirten, auf den Kopf, fasste seine Beine mit den Händen und klappte sie auf und zu wie einen Schraubstock: „Willst du wieder hinein?“ Da entsetzte sich der Teufel so sehr, dass er fortlief, so schnell er konnte und ist nimmer wieder gekommen.

Quelle: Johann Wilhelm Wolf

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