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Märchenbasar

Das Borstenkind

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Eine Königin saß vor ihrem Palast unter einer großen Linde und schälte sich Äpfel. Ihr dreijähriger Sohn spielte um sie herum und hätte auch gerne ein Stückchen gehabt. Weil ihm aber seine Mutter nichts geben wollte, hob er die Schalen auf und aß sie. Als die Königin das sah, vergaß sie sich und rief im Ärger: „Ei, dass du ein Schweinchen wärest!“ Siehe, da war der Königsknabe plötzlich ein Schweinchen und quiekte und lief hinaus zur Herde.
Nun lebten an dem Saume des Waldes zwei arme Leutchen, die hatten keine Kinder und das schmerzte sie sehr. Sie saßen aber gerade vor dem Hause, als am Abend die Schweine heimkehrten. Da sprach die Frau zu ihrem Manne: „Wenn uns Gott doch ein Kind bescherte, und wäre es auch so rau und borstig wie ein Schwein!“ und siehe, da kam gleich aus der Herde ein junges Schweinchen herangelaufen und schmeichelte und streichelte sich an die Alten und wollte nicht von ihnen, also dass sie sahen, ihr Wunsch wäre erfüllt. Nun nahmen sie es zu sich in die Stube wie ihr Kind, pflegten es fein, gaben ihm zu fressen Semmeln und Milch und machten ihm auch ein weiches Bettchen. Frühmorgens wenn man die Herde trieb und das Horn ertönte, konnte es daheim nicht aushalten, und man ließ es hinaus, und es lief mit. Abends kehrte es immer wieder heim, und dann liebkosten es der Mann und die Frau, und es grunzte vor Freuden.
Aber was merkwürdig war, es konnte auch sprechen wie ein ordentlicher Mensch. Es wuchs sehr langsam, und erst nach siebzehn Jahren war es endlich ein ganz großes Eberschwein. Da geschah es, dass eines Abends die beiden Eheleute untereinander sprachen: Der König habe ausgeschrieben, er wolle seine einzige Tochter nur dem zum Weibe geben, der drei Aufgaben löse, aber noch habe kein Königssohn die Aufgaben lösen können. Siehe, da richtete sich nur einmal ihr Borstenkind pfeilgerade empor und sprach:
„Vater, führet mich zum König und verlangt für mich seine Tochter!“ Der Mann aber erschrak über diese Kühnheit so sehr, dass ihm der Atem eine Zeitlang stehen blieb. „Wo denkst du hin, mein Sohn, was würde mir der König tun, wenn ich es wagte, so ein Verlangen zu stellen!“ Aber das Borstenkind ließ nicht ab und schrie und grunzte dem Manne tagtäglich in die Ohren: „Vater, kommt zum König, ich kann das nicht länger aushalten, kommt nur, es wird Euch nichts geschehen!“
Endlich gab der Mann nach, nahm Abschied von seiner Frau und wanderte der Königsstadt zu. Sie kamen ans Schloss. Es wurde das Tor geöffnet, das Schwein aber wollte man nicht hineinlassen, doch drängte es sich durch alle Wachen hindurch bis in das Vorzimmer des Königs. Hier blieb es zurück. Der Mann trat zitternd vor den König und bat für seinen Sohn um die Hand der Prinzessin. „So bringt ihn herein, dass ich ihn sehe!“ Als nun der Bauer die Türe öffnete, stürzte der Eber mit einem „Roh, roh!“ hinein. „Was ist das?“ schrie der König wütend, „ist das dein Sohn?“ – „Ja!“ stammelte der Mann. „Wie kannst du dich unterstehen, mit dem garstigen Tier zu mir zu kommen?“ Da rief er schnell seine Diener und ließ den Mann samt dem Schwein in den tiefsten Kerker werfen. Nun klagte und jammerte der alte Mann und sprach zu seinem Borstensohn: „Siehst du es jetzt, wohin du mich gebracht hast!“ – „Lasset das nur gut sein, es wird schon anders werden!“ Am andern Morgen sollte der Alte gehenkt und das Schwein erschlagen werden. Da bedachte sich der König und sprach: „Wohlan, ich will Gnade ergehen lassen. Wenn dein Sohn, ob er nun auch ein garstiges Tier ist, die drei Aufgaben lösen kann, so soll er meine Tochter zum Gemahl bekommen und ich will dich dazu noch mit reichen Geschenken entlassen. Löst er sie nicht, so hat dein und sein Leben ein Ende!“ – Jetzt haben wir gewonnen!“ sprach das Borstenkind zu seinem Vater und tröstete ihn.
Abends ließ der König sagen: Bis zum anderen Tage solle das Schloss, in dem er wohne, von purem Silber sein, sonst nichts mehr. Da hörte man in der Nacht nur einige Male knarren und krachen, dann ward es still. Als am Morgen der König erwachte und die Sonne durchs Fenster schien, blendete ihn das Licht so sehr, dass er die Augen schließen musste. Er stand auf und sah, dass alles von Silber war. „Das ist gelungen. Aber die zweite Aufgabe wird er nicht lösen!“ Abends ließ der König sagen: Bis zum andern Morgen solle seinem Schlosse gegenüber sieben Meilen weit ein ebenso großes Schloss aus purem Golde gebaut sein. Man hörte in der Nacht wieder nur einige Mal krachen und brausen, und es ward still. Als am Morgen der König erwachte, strahlte ein so reicher Glanz auf ihn durch die Fenster, dass er fast erblindete. Er sprang aus dem Bette, und sowie sich seine Augen ein wenig gewöhnt hatten, sah er nur einmal in der Ferne das goldene Schloss. „Ha, auch das ist gelungen!“ rief der König und erstaunte nicht wenig. „Die dritte Aufgabe kann er mir dennoch unmöglich lösen!“
Abends ließ der König sagen: Bis zum anderen Morgen solle von dem einen Schlosse bis zum andern eine Brücke gebaut sein aus lauter Diamantkristall, so dass der König gleich darauf spazieren könne.
Man hörte wieder in der Nacht einige Mal klirren und klappern, dann war es still. Es war aber noch lange nicht Tag, als der König erwachte, und es schien so hell durch die Fenster, als stehe die Sonne schon lange am Himmel. Er sprang aus dem Bett und sah neugierig hinaus. Da konnte er sich vor Erstaunen nicht fassen, als er sah, dass aller Glanz von der wundervollen Brücke kam, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen. Er ließ nun seine Tochter vor sich rufen und sprach: „Du siehst, die drei Aufgaben sind gelöst. Du musst nun das Weib dessen werden, der sie gelöst hat!“ – „Ja, mein Vater!“ sprach die Königstochter, „das will ich auch gerne tun, da Ihr’s gelobt habt!“ Aber die Königin war untröstlich, wollte nicht und sprach: „Was, soll meine Tochter einen wilden Eber zum Gemahl haben und von den spitzen Borsten zerstochen werden?“ – „Das lässt sich einmal nicht ändern!“ sprach der König, „ich habe mein Wort gegeben“, und ließ alsbald den Mann aus dem Gefängnis holen mit seinem Sohne, und die Hochzeit wurde gefeiert. Dann zog der Alte reich beschenkt nach Hause. Als aber am Abend die Königstochter in das Schlafzimmer ging, zitterte und zagte sie, und ihre Mutter weinte immerfort und nahm zuletzt Abschied, als sähe sie ihre Tochter zum letzten Mal lebendig. Nur einmal, als alles still war, warf das Eberschwein plötzlich sein raues Kleid ab, und es lag neben der Königstochter ein Jüngling von wunderschöner Gestalt und mit goldenen Haaren. Die Königstochter verlor alsbald alle Furcht aus ihrem Herzen, und etwas anderes zog darin ein. Da erzählte ihr der Jüngling, er sei ein verwünschter Königssohn, er werde aber bald ganz erlöst sein, nur solle sie Geduld haben und schweigen. Am frühen Morgen, als es kaum dämmerte, ertönte das Horn des Hirten. Der Jüngling sprang auf, warf sein Borstenkleid um und lief grunzend zur Herde.
Die alte Königin hatte die Nacht nichts geschlafen. Sie kam ganz früh hin, um zu sehen, ob ihre Tochter noch lebe. Weil aber alle Türen offen standen, ging sie immer näher und näher, bis sie ihre Tochter allein im Bett erblickte. Sie schlief noch, allein ihr Gesicht war so verklärt, als habe sie einen lieblichen Traum. „Lebst du, mein liebes Kind ?“ rief endlich die Königin. Da erwachte sie und war munter und fröhlich. Die Mutter hätte nun gerne gleich alles gewusst. Allein sie konnte der Tochter lange nichts entlocken. Zuletzt aber sagte diese doch ganz leise und im Vertrauen: „Mutter, mein Gemahl ist kein Eberschwein, sondern ein wunderschöner Königssohn mit goldenen Haaren. Das Borstenkleid legt er ab, wenn er ins Bett kommt.“ Da war die Mutter aber ganz neugierig und passte in der kommenden Nacht und sah durch eine Mauerritze ins Schlafgemach. Da überzeugte sie sich, dass ihre Tochter Wahrheit gesprochen. Als das Horn des Hirten am frühen Morgen wieder ertönte und der Gemahl der Königstochter sein Borstenkleid umwarf und zur Herde eilte, da kam die Königin auch sogleich zu ihrer Tochter mit frohem Gesicht und sprach: „Warte nur, du sollst bald immerfort, auch am Tage, deinen Mann in seiner Schönheit sehen. Wenn er heute abends heimkehrt und im Bette schläft, lasse ich den Ofen heizen und das Borstenkleid hineinwerfen, dann muss er so bleiben, wie er ist!“
Der Königstochter pochte das Herz vor Freude und Angst, sie wollte und wollte auch nicht und dachte an das Verbot ihres Gemahls. Allein ihre Mutter redete ihr so viel zu, dass sie sich beruhigte. Nun geschah es, dass in der Nacht, als der Gemahl der Königstochter schlief, das Borstenkleid ihm heimlich fortgenommen und in dem Ofen verbrannt wurde. Als am andern Morgen das Horn des Hirten wieder ertönte, sprang er auf, suchte sein Kleid, aber vergebens.
Endlich merkte er, was vorgegangen war. Da ward er auf einmal ganz traurig und brach in die schmerzliche Klage aus: „Wehe, du hast nicht geschwiegen, meine Erlösung hast du vereitelt. Jetzt bin ich verwünscht weit weg ans Ende der Welt, und keine sterbliche Seele kann dahin gelangen, um mich zu erretten!“ Damit ging er hinaus und war auf einmal verschwunden.
Nun fing aber die Königstochter an zu jammern und zu klagen, dass es einen Stein hätte erbarmen müssen, und das ganze Schloss war bald auf, und ihre Mutter lief zu ihr hin und fragte: „Was fehlt dir denn, liebes Kind?“ – „O Mutter, Mutter, wie habt Ihr so schlecht getan. Mein Liebster ist nun verwünscht ans Ende der Welt, und keine Seele kann ihn erretten!“
Sie war auf keine Weise zu trösten, was man ihr immer sagen mochte. Nach einigen Tagen sprach sie: „Vater und Mutter, lebt wohl! Ich kann nicht länger hier bleiben. Ich muss hingehen ans Ende der Welt und meinen Liebsten suchen.“ – „Oh, mein Kind“, sagte der Vater, „das Ende der Welt ist gar weit, bis dahin kannst du nie und nimmer gelangen!“ – „Ich muss hin, Vater, ich kann das hier so nicht aushalten!“ Da gab man ihr sieben Kleider und sieben Paar Schuhe und einen Sack mit Brot auf den Weg, und als sie Abschied genommen, ging sie in einem fort, ohne zu ruhen und zu rasten, denn sie wollte keinen Augenblick verlieren. Endlich sah sie keine Menschenwohnungen mehr. Da ging sie noch schleuniger, denn sie dachte, das Ende der Welt müsse jetzt bald da sein. Aber es zeigte sich noch lange nicht.
Endlich erblickte sie in weiter, weiter Ferne wieder ein einsames Häuschen. sie eilte, wie sie nur konnte, darauf los, und als sie es erreicht hatte, kehrte sie ein. Es wohnte aber da der Wind. Sie fragte in bittendem Tone, ob es noch weit sei bis zum Ende der Welt.
Der Wind sah gleich, dass es eine Unglückliche war, und sprach: „Oh, mein gutes Kind, das kann ich dir nicht sagen. Aber siehe, schwinge dich hier auf mein Flügelross und reite zum Mond. Vielleicht kann der dir Auskunft geben. Wenn du da bist, so springe nur ab, dann kommt mein Ross schon allein zurück. Aber siehe, ich schenke dir ein Mäuschen, vielleicht kannst du es einmal brauchen!“ Die Königstochter dankte dafür, setzte sich auf das Ross des Windes und flog fort zum Mond.
Als dieser von weitem die traurige Gestalt kommen sah, erbarmte er sich und dachte gleich: „Die drückt ein Unglück!“
und kam ihr freundlich entgegen. Sie sprang ab, und sogleich lief das Ross des Windes zurück. Sie trug nun ihre Bitte vor, aber der Mond wusste leider auch keine rechte Antwort. „Besteige“, sagte er, „mein Ross und reite zur Sonne, die wird gewiss das Ende der Welt kennen, da sie sehr weit gereist ist! Ich schenke dir aber hier eine silberne Nuss, verwahre sie wohl, sie wird dir einmal gute Dienste tun!“ Sie dankte, setzte sich auf das Ross des Mondes und flog zur Sonne.
Es war schon Abend, als sie hingelangte, und die liebe Sonne war von ihrer Tagesarbeit eben nach Hause gekommen. Die Königstochter grüßte wie eine Unglückliche und sprach: „Liebe Sonne, kannst du mir nicht sagen, wo und wie weit noch das Ende der Welt ist?“ Da sah die liebe Sonne gleich, dass die Fremde ein schwerer Kummer drücke, und sprach mitleidig: „O mein armes Kind, das weiß ich wohl, aber das ist sehr weit! Wenn du bis morgen warten kannst, so will ich dich hinführen!“ Aber die Königstochter bat so flehentlich und sprach: sie dürfe keinen Augenblick ruhen, bis sie hinkomme. Da sagte die Sonne: „Wenn das so ist, so will ich dir meinen Wagen und meine Rosse geben. Fahre nur hier auf der Nachtsbahn fort, und meine Kinder, die Sterne, werden dir den rechten Weg zeigen! Wenn du beim Abendstern bist, so hast du nicht mehr weit zum Ziele, dann springe nur ab, und meine Rosse kommen mit dem Wagen schon zurück. Siehe, ich schenke dir eine goldene Nuss, vielleicht kannst du sie einmal brauchen!“
Die Königstochter dankte freundlich der milden Frau, setzte sich auf den Sonnenwagen und fuhr in einem den Himmel entlang. Sie kam zuerst zum Morgenstern. Der kam gleich dienstfertig heran und zeigte der Königstochter den rechten Weg, und nun kam sie zu allen Sternen, die wir am Himmel sehen, und jeder war willfährig und behilflich.
Endlich gelangte sie zum Abendstern. Dieser wohnte in einem einsamen Häuschen am Meere. Er war eben eingeschlafen und wunderte sich nicht wenig, als er den glänzenden Sonnenwagen sah, der doch vor kurzem da gewesen. Sogleich sprang er aus dem Bett und ging hinaus. Da stieg eben die Königstochter aus dem Wagen, und alsbald flogen die Sonnenrosse auf dem Nachtwege zurück, damit die liebe Sonne am Morgen ihre Fahrt zur rechten Zeit antreten könne. Nun erzählte die Königstochter dem Abendstern ihre ganze Geschichte, und dieser war sehr gerührt und sprach: „Harre nur aus, du bist bald am Ziel! Siehst du dort in der Ferne jene Insel, da weilt dein Gemahl, und morgen gerade soll er mit der Tochter des Königs vom Weltende Hochzeit halten! Ich führe dich jetzt gleich hinüber, stelle dich dann nur als Bettlerin vor den Königspalast. Das aber bist du in Wahrheit, denn von der weiten Reise sind deine Schuhe und Kleider, wie ich sehe, abgerissen. Wenn dann am Morgen der Zug in die Kirche geht, so öffne nur die Nuss, die dir der Mond gegeben, da findest du ein silbernes Kleid, lege es an und gehe mit zur Kirche, das übrige wird sich von selbst ergeben!“ Nun schenkte der Abendstern der Königstochter auch eine sterngefleckte Nuss und führte sie auf seinem goldnen Kahne hinüber, und sie stellte sich in ihrer zerrissenen Kleidung an die Pforte der Königsburg. Als nun die junge Frau in vollem Schmuck zur Kirche ging und die Arme erblickte, rief sie zornig: „Jagt mir fort die zerlumpte Bettlerin!“ Diese lief auf die Seite, nahm aber schnell ihre silberne Nuss hervor, öffnete sie, und alsbald erhob sich daraus ein wunderschönes silbernes Kleid. Sie zog es eiligst an und ging zur Kirche.
Als die Leute den wunderbaren Glanz sahen, so erstaunten sie, und alles blickte hin auf die Fremde im Silberkleid. Die Braut stand eben vor dem Altare neben ihrem Bräutigam und sah auch das wundervolle Kleid. Da rief sie ihrem Bräutigam zu:
„Nein, bis ich nicht ein solches Kleid habe, will ich nicht dein Weib werden!“ Sie ging vom Altare weg und nach Hause. Die Fremde in ihrem Silberkleid war aber zuerst aus der Kirche hinausgegangen, hatte schnell ihr Kleid abgelegt und sich wieder in ihre Lumpen gehüllt. Nun trug man sogleich im ganzen Königreich nach, aber ein solches Kleid war nirgends zu finden. Da ließ die Bettlerin der Königstochter sagen, wenn sie ihr erlaube, eine Nacht in dem Schlafgemach ihres Bräutigams zu wachen, so wolle sie ihr das Kleid verschaffen. Die Königstochter bewilligte das gern, sie ließ aber ihrem Bräutigam die Ohren verstopfen und Schlaftrunk geben. In der Nacht nun kniete die Bettlerin an der Lagerstatt ihres Gemahls und erzählte ihm wehklagend ihre Mühen und Leiden: „Siehe, ich bin dir gefolgt bis ans Ende der Welt, sieben Kleider und sieben Paar Schuhe habe ich zerrissen, so höre doch und erbarme dich meiner Not um des Kindes willen, das ich unter dem Herzen trage!“ Aber der Königssohn schlief einen eisernen Schlaf und hörte nichts.
Am folgenden Tag, als die Königsbraut das silberne Kleid angetan hatte, war sie fröhlich, und nun ging sie wieder zur Kirche, um sich trauen zu lassen. Da nahm die Bettlerin ihre goldne Nuss hervor, und darin lag ein Kleid aus lauter Gold.
Sie legte es an und ging auch zur Kirche. Eben sollte über das neue Paar der Segen gesprochen werden, da sah die Frau die Fremde im goldnen Kleide. Sogleich rief sie: „Nein, bis ich nicht ein solches Kleid habe, kann ich nicht dein Weib sein!“ und ging aus der Kirche wieder stracks nach Hause. Die Fremde war wieder zuerst hinausgegangen, hatte sogleich ihr goldenes Kleid in die Nussschalen gelegt und sich in ihre Lumpen gehüllt. Man fragte im ganzen Reiche umsonst nach einem solchen Kleide. Da ließ die Bettlerin der Königsbraut sagen: wenn sie ihr erlaube, wieder eine Nacht im Schlafzimmer ihres Bräutigams zu wachen, so wolle sie ihr das Kleid verschaffen. Die Königstochter willigte ein, ließ jedoch abermals ihrem Bräutigam die Ohren verstopfen und einen Schlaftrunk reichen. Als nun in der Nacht die Unglückliche wieder an der Lagerstätte ihres Gemahls kniete und ihm ihre Not klagte, so war alles umsonst, er schlief fest und hörte nichts.
Den folgenden Tag ging es wieder zur Kirche. Die Braut hatte das goldne Kleid angelegt, und Schöneres konnte man sich nicht denken. Die Bettlerin nahm jetzt ihre sterngefleckte Nuss vom Abendstern hervor, und daraus zog sie ein Kleid, darauf war der ganze Sternenhimmel der Nacht zu sehen. Als sie in die Kirche trat, sprach eben der Geistliche den Segen.
Kaum hatte die Braut aber die Fremde im Sternenkleid erblickt, so rief sie dem Priester zu: „Halt, bis ich nicht ein solches Kleid habe, will ich nicht das Weib dieses Mannes sein!“ Sie eilte stracks nach Hause, und man trug im ganzen Reich nach einem solchen Kleid Das war aber noch weniger zu finden als das goldne und silberne. Da ließ die Bettlerin der Königstochter wieder sagen, wenn man ihr erlaube, die Nacht im Schlafgemach des Bräutigams zuzubringen, so würde sie es ihr verschaffen. Die Braut war das zufrieden, sie ließ aber ihrem Bräutigam auch diesmal die Ohren wohl verstopfen und ihm einen Schlaftrunk reichen. Als in der Nacht die Arme zum drittenmal vor dem Bett ihres Gemahls kniete, fing sie an bitter zu weinen und zu klagen: „Ach, er wird wieder schlafen und nicht hören, und nun habe ich nichts mehr, das mich zu ihm führen kann!“ Da nahm sie das Mäuschen aus ihrem Busen und sprach: „Liebes Mäuschen, kannst du mir nicht helfen?“
Das Mäuschen sprang sogleich auf das Bett, kroch dem Schlafenden in die Ohren und nagte die Stöpsel durch, aber der Junge schlief noch fest, denn der Schlaftrunk tat seine Wirkung, da biss das Mäuschen ihn in die Ohren, dass das Blut rann.
Endlich schlug er die Augen auf und rief: „O weh, was ist das?“ Zugleich sah er die unglückliche Gestalt vor seinem Bette. „Lieber Gemahl, wachst du endlich? Siehe, das ist die dritte Nacht, dass ich bei dir war!“ und erzählte ihm nun ihre ganze Geschichte: „Ich bin dir gefolgt bis ans Ende der Welt, sieben Kleider und sieben Paar Schuhe habe ich zerrissen, erbarme dich doch meiner Not um des Kindes willen, das ich unter dem Herzen trage!“ Da fiel ihr Gemahl ihr um den Hals und rief:
„O du mein treues Weib, so war es kein Traumbild, das mir die beiden vergangenen Nächte während des Schlafes so lieblich vorschwebte, du bist es selbst, die ich so lange vermisst habe. Nun bin ich durch deine Treue vollends erlöst. Fahre wohl, du stolze Königstochter vom Weltende, dich brauche ich nicht, ich habe mein treues Weib wieder!“ Darauf machten sie sich auf der Stelle fort und flohen aus der Königsburg ans Meer. Da war eben der Abendstern mit seinem Kahn und hatte einen Weltpilger herübergeschifft. Er nahm die beiden freundlich auf und führte sie hinüber. Es wurde gerade Tag, und die Sonne trat auf der anderen Seite der Welt ihre Arbeit an. Da sprach der Abendstern: „Bleibet in meiner Hütte den heißen Tag über, wenn die Sonne abends mit ihrem Wagen kommt, so wird sie euch dann mitnehmen.“ Das taten sie auch, insbesondere die Königstochter, gern, denn sie hatte sich bisher ja keine Ruhe gegönnt.
Als aber am Morgen die Königstochter da drüben auf der Insel das prachtvolle Sternenkleid angelegt hatte und zur Kirche gehen wollte, so fand man ihren Bräutigam nicht. Man sagte ihr aber: in der Nacht sei so und so ein Jüngling mit einer Bettlerin zum Meere geflohen, und beide seien vom Abendstern im Kahne hinübergeschifft worden. „Ha, die verwünschte Bettlerin und der falsche Abendstern!“ Sie tobte und wütete noch lange fort, allein es half das alles nichts, denn über das Meer hinaus hatte sie keine Macht. Während aber die beiden Flüchtlinge in der Hütte des Abendsternes verweilten, so ging gerade das Jahr zu Ende seit ihrer Hochzeit, und die junge Frau gebar einen wunderschönen Knaben, der hatte ein Antlitz silberweiß wie der Mond und Locken von Gold wie die Sonne und Augen wie der Morgen- und Abendstern. Als die Sonne am Abend anlangte, so hatte sie große Freude über das glückliche Paar und das schöne Kind. Sie nahm sie willig in ihren Wagen auf und fuhr auf dem Nachtwege schnell zu ihrer Wohnung, wo sie am späten Abend anlangte. Hier war schon der Mond, der Aufträge von der Sonne erwartete.
Er freute sich auch, als er die Glücklichen sah. Die Sonne befahl ihm, er solle die guten Leute bis zu seiner Wohnung mitnehmen und dann dem Winde auftragen, sie bis zu den Menschenwohnungen zu begleiten. Der Mond nahm sie alsbald auf sein Ross und ritt heim. Da war auch schon der Wind und wartete auf den Mond, um Befehle zu empfangen. Der Wind freute sich auch über alle Maßen, als er die Königstochter wieder sah und ihren Gemahl und das schöne Kind und insbesondere als er hörte, dass sein Mäuschen so gute Dienste getan. Der Mond sagte ihm, was er zu tun habe, und der Wind nahm die Glücklichen auf sein Ross und führte sie in einem fort bis in die Nähe der Menschenwohnungen. Da setzte er sie nieder, nahm herzlichen Abschied und ritt heim. Sie aber wanderten jetzt zu Fuße fort und trugen ihr Kind abwechselnd auf den Armen und waren selig. Endlich gelangten sie in das Königreich, wo der Vater der Königstochter herrschte. Es ist nicht zu beschreiben, welch ein großer Jubel im ganzen Lande entstand und wie alle Wege mit Blumen bestreut und alle Tore festlich geschmückt waren, als sie einzogen! Der alte König gab bald die Krone seinem Schwiegersohne, und dieser lebte mit seiner Gemahlin noch lange glücklich und zufrieden.

Quelle: (Josef Haltrich)

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