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Ein Fest bei den Wurzelzwergen

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Tief im Wald, wo sich Siebenkehlchen und Gürtelfuchs „Gute Nacht“ sagen, leben im Schatten einer mächtigen Eiche die Wurzelzwerge. Heute ist ein ganz besonderer Tag, denn Opa Rumbum, der älteste Zwerg ihrer Gemeinschaft, wird 150 Jahre alt. Alle sind furchtbar aufgeregt und können es kaum erwarten, bis das Geburtstagsessen beginnt.

Am Nachmittag ist es endlich so weit. Aus dem Haus von Opa Rumbum strömt der süße Geruch von frischem Moossaft und auf dem Esszimmertisch warten bereits die herrlichsten Köstlichkeiten. Auf jedem Teller liegt eine reife Zimtbeere und in der Küche duftet es nach frischem Hummelkuchen und Fliegenschmalz. Alle Gäste haben am Tisch Platz genommen, nur der Stuhl von Opa Rumbum ist noch leer.
„Ich werde ihn mal wecken“, sagt Tante Rabenzweig und öffnet Opas Schlafzimmertür. Nach wenigen Minuten steht sie wieder am Geburtstagstisch und stöhnt leichenblass: „Ihr werdet es nicht glauben, aber Opa Rumbum traut sich nicht aus seinem Zimmer. Er kann seine Perücke nirgendwo finden!“
Ohne Haare unter anderen Wurzelzwergen zu erscheinen schickt sich einfach nicht, dafür haben alle Verständnis.
„Dann lass ihn doch in seinem Bett liegen bleiben“, ruft jemand aus der entfernten Verwandtschaft der Giftzwerge, doch Tante Rabenzweig schüttelt den Kopf.
„Nein, heute muss er mit dabei sein! Er soll doch sehen, wie viel Mühe wir uns mit seiner Geburtstagsfeier gemacht haben. Also helft mir bei der Suche!“
Das ist ein frommer Wunsch, denn ein richtiger Wurzelzwerg steht niemals von einem gedeckten Tisch auf. Und so schlürfen alle genüsslich weiter ihren Moossaft.
„Na gut“, schmollt Tante Rabenzweig, „wenn ihr mir nicht helfen wollt, dann muss sich heute noch jemand mit meiner Enkelin Mauli verloben, damit diese Fest auch einen Sinn hat!“
Das wirkt! Mauli ist nämlich abgrundtief hässlich – sie besitzt keinen Bart! Bei den Wurzelzwergen ist es seit ewigen Zeiten Sitte, dass sowohl Männer wie auch Frauen lange Rauschebärte tragen, die fast ihr gesamtes Gesicht bedecken. Sofort springen alle Zwerge auf und beginnen mit der Suche nach Opa Rumbums Perücke. Mauli, die schon ihr entzückendstes Lächeln aufgesetzt hatte, verschwindet heulend in die Küche, hatte sie doch gehofft, endlich einen Mann zu bekommen. Doch so sehr auch alle das ganze Haus auf den Kopf stellen, die Perücke bleibt verschwunden.

Da klopft es plötzlich an der Tür. Ein dürres Wichtelmännchen steht vor dem Eingang und zittert wie Fussellaub.
„Guten Tag“, stottert es, „brauchen Sie vielleicht einen neuen Staubfriedel?“
Alle im Raum lachen, denn die Wichtelmännchen lassen sich wirklich immer die verrücktesten Dinge einfallen, um ungeladen auf einem Festmahl zu erscheinen und sich dort satt zu essen. Da dies aber jeder im Wald weiß, werden sie meistens schon an der Haustüre wieder abgewiesen.
Tante Rabenzweig ist aber heute viel zu aufgeregt, um die Tür vor ihm zuzuschlagen. Daher huscht das Wichtelmännchen blitzschnell hinein und setzt sich auf den Platz von Opa Rumbum.
„Ach“, fragt Tante Rabenzweig verblüfft, „wolltest du mir nicht deinen Staubfriedel vorführen?“
„Eigentlich nicht“, antwortet das Wichtelmännchen keck und steckt sich rasch zwei Zimtbeeren in den Mund.
„Sehr merkwürdig“, murmelt Tante Rabenzweig und verschließt die Tür.
„Nicht so merkwürdig wie das, was ich gesehen habe“, schmatzt das Wichtelmännchen stolz.
„Was hast du denn gesehen?“, fragen die anderen Zwerge neugierig.

Das Wichtelmännchen genießt es sichtlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen und wischt sich sorgfältig mit einer Blattserviette den Mund ab.
„Ihr Zwerge scheint es ja sehr mit euren Haaren zu haben“, sagt es schließlich, „Als ich vorhin in euren Garten kam, sah ich in dem Rübisbaum ein Siebenkehlchen auf einem Nest aus Haaren sitzen.“
Sofort springen alle Zwerge auf und laufen in den Garten. „Tatsächlich“, staunt Tante Rabenzweig, „da hat sich doch das Siebenkehlchen Opas Perücke geklaut, um darin seine Eier auszubrüten.“
„Und was jetzt?“, fragt einer der Zwerge.
„Opa braucht auf jeden Fall seine Perücke, immerhin kann er die noch gut und gerne hundert Jahre tragen. Jemand von euch muss raufklettern und sie herunterholen!“
Tante Rabenzweig kann sehr energisch sein, wenn es um die Vermeidung unnötiger Ausgaben geht.
„Ich glaube kaum, dass dies dem Siebenkehlchen gefallen wird“, flüstert Tobar, der als der Tapferste unter den Wurzelzwergen gilt. Die anderen stimmen ihm heftig nickend zu.
Tante Rabenzweig wirft Tobar einen finsteren Blick zu: „Na gut, dann müssen wir das Siebenkehlchen eben ablenken. Hat jemand von euch eine Idee?“
„Wir könnten ein paar Krumen von deinem selbstgebackenen Knorrebrot auf die Wiese legen. Denen kann das Siebenkehlchen bestimmt nicht widerstehen!“
Tante Rabenzweig wiegt unschlüssig den Kopf. „Na gut – aber nicht zu viele, schließlich muss das Brot ja noch für alle reichen.“ Wie schon gesagt, Tante Rabenzweig kann sehr energisch sein, wenn es um die Vermeidung unnötiger Ausgaben geht.

Tatsächlich gelingt ihr Plan und Tobar kann die Perücke vom Baum holen, während sich das Siebenkehlchen über die Brotkrumen hermacht. Die Wurzelzwerge atmen erleichtert auf und rennen rasch ins Haus zurück, um sich wieder an den gedeckten Tisch zu setzen. Ganz verwundert erblicken sie Mauli und das Wichtelmännchen, die einträchtig nebeneinander sitzen und sich gegenseitig mit Zimtbeeren füttern.
„Er hat gesagt, er mag Frauen ohne Haare, Tante“, zwitschert Mauli und strahlt über ihre bartlosen Wangen.
„Ach wirklich?“, murmelt Tante Rabenzweig wenig begeistert, „ihr Wichtelmännchen lasst wohl nichts anbrennen?“
„Weder Essen noch andere Dinge“, schmunzelt das Wichtelmännchen und zwickt Mauli in die Hüfte.
„Ihh“, rufen alle Zwerge entsetzt und vergessen für einen Moment sogar, dass Essen auf dem Tisch steht.
„Na, da will ich mal nicht so sein“, lächelt Tante Rabenzweig, „immerhin hat das Wichtelmännchen ja Opas Perücke gefunden. Aber dann müsst ihr beide heute noch eure Verlobung feiern!“
„Kein Problem“, schmunzelt das Wichtelmännchen, „bei uns zählt eine Verlobung nicht viel!“
„Bei uns auch nicht“, lacht Tante Rabenzweig, „aber es ist immerhin ein guter Grund, um ein Fest zu feiern.“
„Dann können wir ja Opa Rumbum weiter in seinem Zimmer lassen!“, ruft der Giftzwerg begeistert. Damit sind alle einverstanden und so feiert man noch den ganzen Tag Maulis Verlobung.
 

Quelle: Josef Herzog

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