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Abenteuer des Johann Dietrich

3.7
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Und Johann ließ sie hingehen und Hauen, Karsten und Stangen holen und dann flugs wiederkommen. Und sie taten, wie er befohlen hatte, und waren bald wieder da. Er aber gedachte sie nun zu plagen, damit sie aus Not täten, was sie aus Liebe nicht tun wollten.
Er führte sie auf einen Felsenberg, der auf einem der Anger lag. Da mußten diese feinen und zarten Wesen, die für schwere Arbeit nicht geschaffen waren, Steine hauen, sprengen und schleppen. Sie taten das ganz geduldig und ließen sich nichts merken, sondern gebärdeten sich, als sei es ihnen ein leichtes und gewohntes Spiel. Er aber ließ sie sich plagen vom Morgen bis an den Abend, und sie mußten schwitzen und arbeiten, daß ihnen der Atem fast ausging, denn er stand immer dabei und trieb sie an. Sie aber hofften, er werde die Geduld verlieren, und der Jammer werde ihn überwinden, daß er sie und ihre Frauen und Kinder so bleich und welk werden sah, die sonst so schön und lustig waren. Und wirklich war Johann zu keinem König Pharao und Nebukadnezar geboren, denn nachdem er es einige Wochen so getrieben hatte, ging ihm die Geduld aus, und der Jammer, daß er die schönen kleinen Menschen so mißhandeln mußte, tat auch sein Teil dazu. Sie aber wurden nicht mürb, denn es ist ein gar eigensinniges Völkchen. Sie brauchten aber immer die List, daß die schönsten unter ihnen immer zunächst bei Johann arbeiten mußten; besonders stellten sie die niedlichen, kleinen Dirnen dahin, die sonst seine Tischgesellinnen waren, und die mußten auf seine Mienen und Gebärden achtgeben und hatten bald bemerkt, daß er sich oft verstohlen wegwendete und eine Träne aus den Augen wischte. Johann dachte nun darauf, wie er eine Plage erfände, die ihn geschwinder zum Ziele führte.
Und er machte sich hart und gebärdete sich noch viel härter und rief sie einen Abend zusammen und sprach: „Ich sehe, ihr seid ein hartnäckiges Geschlecht; so will ich denn viel hartnäckiger sein, denn ihr seid. Morgen, wann ihr zur Arbeit kommt, bringe sich jeder eine neue Geißel mit!“ Und sie gehorchten ihm und brachten die Geißeln mit. Und er hieß sie sich alle entkleiden und einander mit den Geißeln zerhauen, bis das Blut danach floß; und er sah grimmig und grausam dabei aus, als hätte ihn eine Tigerin gesäugt oder ein schwarzer Galgenvogel das Futter zugetragen. Aber die kleinen Leute zerhieben sich und bluteten und hohnlachten dabei und taten ihm doch nicht den Willen. So taten sie drei, vier Tage.
Da konnte er es nicht länger aushalten; es jammerte und ekelte ihn, und er hieß sie ablassen und schickte sie nach Hause. Und er dachte auf viele andere Plagen und Martern, die er ihnen antun könnte. Da er aber von Natur weich und mitleidig war und diese Wochen wirklich mehr ausgestanden hatte, daß er sie plagen mußte, als sie, die geplagt wurden, so gab er den Gedanken daran ganz auf; für sich und für seine Lisbeth wußte er aber auch gar keinen Rat und ward so traurig, daß sie ihn oft trösten und aufrichten mußte, der sonst immer so fröhlich und beherzt war. So lieb er die kleinen Leute sonst gehabt hatte, so unlieb wurden sie ihm jetzt. Er schied sich ganz aus ihrer Gesellschaft und von ihren Festen und Tänzen und lebte einsam mit seiner Dirne und aß und trank einsam in seinem Zimmer, so daß er fast ein Einsiedler ward und ganz in Trübsinn und Schwermut versank.
Als er einmal in dieser Stimmung in der Dämmerung spazierte, warf er im Unmut, wie man zu tun pflegt, kleine Steine, die ihm vor den Füßen lagen, gegeneinander, daß sie zersprängen. Vielleicht erquickte es seinen schweren Mut auch, daß er die Steine sich so aneinander zerschlagen sah, denn wenn ein Mensch in sich uneins und zerrissen ist, möchte er im Unmut oft die ganze Welt zerschlagen. Genug, Johann, der nichts Besseres tun mochte, zerwarf die armen Steine, und da geschah es, daß aus einem ziemlich großen Stein, der auseinandersprang, ein Vogel schlüpfte, der ihn erlösen sollte. Es war dies eine Kröte, deren Haus in dem Stein mit ihr gewachsen war, und die vielleicht seit der Schöpfung der Welt darin gesessen hatte. Kaum sah Johann die Kröte springen, so ward er ganz freudenfroh und sprang hinter sie drein und haschte sie und rief ein Mal über das andere: „Nun, hab‘ ich sie! Nun hab‘ ich meine Lisbeth! Nun will ich euch schon kirr machen, nun sollt ihr’s kriegen, ihr tückischen kleinen Gesellen! Habt ihr euch mit Ruten nicht wollen zum Gehorsam geißeln lassen, so will ich euch mit Kröten und Skorpionen geißeln.“ Und er barg die Kröte wie einen kostbaren Schatz in seiner Tasche und lief eilends nach Hause und nahm ein festes, silbernes Gefäß und setzte sie darein, damit sie ihm nicht entrinnen könnte. Und in seiner Freude sprach er überlaut für sich viele Worte und gebärdete sich so wunderlich, als sei er närrisch geworden, und sprang dann ins Freie hinaus. „Komm mit, mein Vöglein“, rief er, „nun will ich dich versuchen, ob du echt bist!“ Und er nahm das Gefäß mit der Kröte unter den Arm und lief hin, wo ein paar Unterirdische in der Einsamkeit des Weges gingen. Und als er ihnen näher kam, stürzten sie wie tot auf den Boden hin und winselten und heulten jämmerlich. Er aber ließ flugs von ihnen und rief: „Lisbeth, Lisbeth, nun hab‘ ich dich! Nun bist du mein!“ Und so stürmte er zu Hause, schellte den Diener herein und ließ ihn Lisbeth holen.
Und als Lisbeth kam, war sie ganz erstaunt, daß sie ihn so munter fand, denn seit einem halben Jahre hatte sie ihn nicht mehr froh gesehen. Und er lief auf sie zu und umhalsete sie und sprach: „Lisbeth! Süße Lisbeth! Nun bist du mein, nun nehme ich dich mit; übermorgen soll der Auszug sein, und juchhe, wie bald die lustige Hochzeit!“ Sie aber erstaunte noch mehr und sagte: „Lieber Johann, du bist geck geworden? Wie soll das möglich sein?“ Er aber lächelte und sprach: „Ich bin nicht geck geworden, aber die kleinen Schlingel will ich geck machen, wenn sie sich nicht zum Ziele legen wollen. Sieh hier! Hier ist dein und mein Erlöser.“ Und er nahm das silberne Geschirr und öffnete es und zeigte ihr die Kröte, vor deren Garstigkeit es ihr fast geschwunden hätte. Nun erzählte er ihr, wie er zu dem seltenen Vogel gekommen war, und wie herrlich ihm die Probe geglückt war, die er mit ihm an den Unterirdischen angestellt hatte, und wohlgefällig rief er noch einmal: „Sei froh, meine liebe Lisbeth! Du sollst es sehen, wie ich sie mit dieser zu Paaren treiben will.“
Nun muß ich auch das Geheimnis erzählen, das in der Kröte steckte. Klas Starkwolt hatte dem kleinen Johann oft erzählt, daß die Unterirdischen keinen Gestank vertragen könnten, und daß sie bei dem Anblick, ja bei dem Geruch von Kröten sogleich in Ohnmacht fielen und die entsetzlichsten Schmerzen litten; mit Gestank und mit diesen garstigen und scheußlichen Tieren könne man sie zu allem zwingen. Daher findet man auch nie etwas Stinkendes in dem ganzen gläsernen Reiche, und die Kröten sind dort etwas Unerhörtes, und man muß daher diese Kröte, die so wunderbar in einem Stein eingehäuft und fast ebenso wunderbar aus diesem ihrem steinernen Hause herausgekommen war, fast ansehen als von Gott von Ewigkeit her zu solcher geheimen Wohnung verdammt, damit Johann und Lisbeth zusammen aus dem Berge kommen und Mann und Frau werden könnten.
Johann und Lisbeth glaubten auch gern an ein solches Wunder, besonders Lisbeth, die Gottes liebes, frommes Kind war. Und als Johann ihr alles erzählt und erklärt hatte, was er ferner tun und wie er die Kleinen endlich zu seinem Willen zwingen wollte, da fiel sie ganz entzückt und gerührt auf ihr Gesichtchen zur Erde und betete und dankete Gott, daß er sie endlich von den kleinen Heiden erlösen und wieder zu Christenmenschen bringen wolle. Und sie ging ganz fröhlich heim und faltete ihre Händchen im Bette noch viel zum Gebete und hatte die Nacht die allersüßesten Träume. Johann legte sich auch nicht traurig nieder, und er überdachte und überlegte sich alles, wie er die Kleinen erschrecken und endlich mit seiner geliebten Braut aus dem Berge ziehen wollte.
Und den folgenden Morgen, als es getagt hatte, rief er seinen Diener und hieß ihn die fünfzig Vornehmsten holen mit ihren Frauen und Töchtern. Und sie erschienen alsbald vor Johann, und er sprach zu ihnen:
„Ihr wisset alle, und ist euch nicht verborgen, wie ich hierher gekommen bin, und wie ich diese manchen Jahre mit euch gelebt habe, nicht als ein Herr und Gebieter, sondern als ein Freund und Genosse. Und ich habe es wohl gewußt, wie ich hätte Herr sein und meiner Herrschaft gegen euch gebrauchen können; und das habe ich nicht getan, sondern nur einen einzigen von euch hab‘ ich als Diener gebraucht, und auch nicht als Diener, sondern mehr als Freund. Und ihr schienet mit mir zufrieden zu sein und mich lieb zu haben; als es aber dahin gekommen ist, daß ich endlich eine einzige kleine Freundlichkeit von euch begehren mußte, habt ihr euch gebärdet, als forderte ich Leben und Reich von euch, und mir sie trotzig abgeschlagen. Ihr wisset auch, was ich da ergriffen habe, und wie ich angefangen habe, euch mit Arbeit und Streichen zu plagen, damit ihr einsähet, daß ihr unrecht hättet, und mir die Liebe tätet. Aber ihr seid trotziger und hartnäckiger gewesen, als ich strenge, und aus Barmherzigkeit habe ich ablassen müssen von der Strafe. Ihr habt das aber nicht erkannt, sondern habt mich ausgelacht als einen Dummen, der keinen Rat wisse, euch zum Gehorsam zu zwingen. Ich aber weiß wohl Rat und will es euch bald zeigen, wenn ihr in eurer Verstocktheit bleibet und mir die Lisbeth nicht losgeben wollt. Darum zum letzten Male, besinnet euch noch eine Minute, und sagt ihr dann nein, so sollt ihr die Pein fühlen, die euch und euren Kindern von allen Peinen die fürchterlichste ist!“
Und sie säumten nicht lange und sagten mit einer Stimme nein und dachten bei sich: „Welche neue List hat der Jüngling erdacht, womit er so weise Männer einzuschrecken meint?“ Und sie lächelten, als sie nein sagten. Dies Lächeln ärgerte Johann mehr als alles andere und voll Zorns rief er: „Nun denn, da ihr nicht hören wollt, sollt ihr fühlen“, und lief geschwind wie ein Blitz einige hundert Schritt weg, wo er das Gefäß mit der Kröte unter einem Strauch versteckt hatte.
Und er kam zurück, und als er sich ihnen auf hundert Meter genahet hatte, stürzten sie alle hin, als wären sie mit einem Schlage zugleich vom Donner gerührt, und begannen zu heulen und zu winseln und sich zu krümmen, als ob sie von den entsetzlichsten Schmerzen gefoltert würden. Und sie streckten die Hände aus und schrien einer um den andern: „Laß ab, Herr! Laß ab, und sei barmherzig! Wir fühlen, daß du eine Kröte hast, und daß kein Entrinnen ist. Nimm die greulichen Plagen weg; wir wollen ja alles tun, was du befiehlst.“ Und er ließ sie noch einige Sekunden zappeln; dann entfernte er das Gefäß mit der Kröte, und sie richteten sich wieder auf, und ihre Züge erheiterten sich wieder, denn die Pein war weg, wie das Tier weggenommen war.
Johann behielt nur die sechs Vornehmsten bei sich und ließ die Weiber und Kinder und die übrigen Männer alle gehen, wohin jeder wollte. Zu den sechsen aber sprach er seinen Willen also aus:
„Diese Nacht zwischen zwölf und ein Uhr ziehe ich mit der Lisbeth von dannen, und ihr beladet mir drei Wagen mit Silber und Gold und edlen Steinen. Wiewohl ich alles nehmen könnte, was ihr in den Bergen habt, da ihr so widerspenstig und ungehorsam gegen mich gewesen seid, will ich euch doch so hart nicht strafen, sondern barmherziger gegen euch sein, als ihr gegen mich und die Lisbeth gewesen seid. Auch alle meine Herrlichkeiten und Kostbarkeiten und Bilder und Bücher und Geräte, die in meinem Zimmer sind, werden auf zwei Wagen geladen, also daß in allem fünf Frachtwagen bereit gemacht werden. Mir selbst aber rüstet ihr den schönsten Reisewagen, den ihr in euren Bergen habt, mit sechs schwarzen Rappen, worauf ich und meine Braut sitzen und zu den Unsrigen einfahren wollen. Zugleich befehle ich euch, daß von den Dienern und Dienerinnen alle diejenigen freigelassen werden, welche solange hier gewesen sind, daß sie droben zwanzig Jahre und drüber alt sein würden; und ihr sollt ihnen soviel Silber und Gold mitgeben, daß sie auf der Erde reiche Leute heißen können. Und das soll künftig ein ewiges Gesetz sein, und ihr sollt mir es hier diesen Augenblick beschwören, daß nimmer ein Menschenkind hier länger festgehalten werden soll als bis zu seinem zwanzigsten Jahre.“
Und die sechse leisteten ihm den Schwur und gingen dann traurig weg; er aber nahm jetzt die Kröte und vergrub sie tief in die Erde. Und sie und die übrigen Unterirdischen rüsteten alles zu, und auch Johann und Lisbeth bereiteten sich zur Reise und schmückten sich festlich gegen die Nacht, damit sie als Braut und Bräutigam erscheinen könnten. Es war aber jetzt beinahe dieselbe Zeit, in welcher er einst in den Berg hinabgestiegen war, die Zeit der längsten Tage, also Mittsommerszeit, die sie die Sonnengicht nennen. Und er war etwas über zwölf Jahre in dem Berge gewesen und Lisbeth etwas über dreizehn, und er ging in sein einundzwanzigstes Jahr und Lisbeth in ihr achtzehntes. Die kleinen Leute taten mit großem Gehorsam, aber sehr still alles, wie er ihnen befohlen hatte; desto lauter aber war die Schar der Diener und Dienerinnen, welche sein neues Gesetz über das zwanzigste Jahr mit erlöset hatte. Diese jubelten um ihn und um seine Lisbeth her und freueten sich sehr, daß sie mit ihnen auf die Oberwelt ziehen durften.
Und als alle Kostbarkeiten herausgeschafft und die erlöseten Diener und Dienerinnen hinaufgefahren waren, setzten Johann und seine Lisbeth sich zuletzt in die silberne Tonne und ließen sich hinaufziehen. Es mochte wohl eine Stunde nach Mitternacht sein. Und es deuchte ihnen ebenso als vormals, wie sie hinabgefahren waren. Sie waren von Jubel umrauscht und von Musik umtönt, und endlich klang es über ihren Köpfen, und sie sahen den gläsernen Berg sich öffnen, und die ersten Himmelsstrahlen blinkten zu ihnen hinab nach so manchen Jahren, und bald waren sie draußen und sahen das Morgenrot schon im Osten dämmern. Johann sah eine Menge Unterirdischer, die um ihn und Lisbeth und die Wagen geschäftig waren, dort hin und her wallen, und er sagte ihnen das letzte Lebewohl; dann nahm er seine braune Mütze, schwang sie dreimal in der Luft um und warf sie unter sie. Und in demselben Augenblick sah er nichts mehr von ihnen, sondern erblickte nun nichts weiter als einen grünen Hügel und bekannte Büsche und Felder und hörte die Glocke vom Rambiner Kirchturme eben zwei schlagen. Und als es still geworden war und er von dem unterirdischen und überirdischen Getummel nichts weiter hörte als einige Lerchen, die ihre ersten Morgenlieder anstimmten, da fiel er mit seiner Lisbeth im Grase auf die Knie, und sie beteten beide recht andächtig und gelobten Gott ein recht christliches Leben, weil er sie so wunderbar von den Unterirdischen errettet hatte. Und alle Diener und Dienerinnen, welche durch sie miterlöset waren, taten desgleichen.
Darauf erhuben sie sich alle, und die Sonne ging eben auf, und Johann ordnete nun den Zug seiner Wagen. Voran fuhren zwei Wagen, jeder mit vier Rotfüchsen bespannt, die waren mit eitel Gold und Dukaten beladen, so schwer, daß die Pferde von der Last stöhneten; diesen folgte ein anderer Wagen mit sechs schneeweißen Pferden, welche alles Silber und Kristall zogen; hinter diesem fuhren zwei letzte Wagen, jeder mit vier Grauschimmeln bespannt, und diese waren mit den herrlichsten Geräten und Gefäßen und Edelgesteinen und mit der Bibliothek Johanns beladen. Er mit seiner Braut fuhr zuletzt in einem offenen Wagen aus lauter grünem Smaragd, dessen Decke und Vorderseite mit vielen großen Diamanten besetzt waren, und sechs mutige, wiehernde Rappen zogen ihn. Er war aber nebst seiner Braut auf das kostbarste geschmückt, damit sie den Ihrigen auch durch den Schmuck und die Pracht als ein rechtes Wunder Gottes kämen. Denn beide waren von ihnen lange als tot betrauert und wer hätte wohl gedacht, daß sie jemals wiederkommen würden? Die erlösten Diener und Dienerinnen in gläsernen Schuhen und weißen Kleidern und Jäckchen mit silbernen Gürteln gingen vor und hinter und neben den Wagen und geleiteten sie; einige führten auch die Pferde. Denn sie wollten sie alle bis Rambin begleiten und von da jeder seines Weges weiter ziehen. Es waren ihrer in allem zwischen fünfzig und sechzig. Und sie jauchzeten vor Freuden, und einige, welche Geigen und Pfeifen und Trompeten mit hatten, spielten lustig auf. So zogen sie mit Jauchzen und Klingen die Hügel hinab auf die Straße, welche von Rambin nach Garz führt. Es war aber dem Johann und der Lisbeth gar wundersam zumute, als sie den Turm von Rambin wiedersahen und die Sturmweiden von Drammendorf und Giesendorf aus der Ferne, wo sie als Kinder soviel gespielt hatten. Als sie vor Rothenkirchen hinzogen, kam eben die Kuhherde über den Berg, und Klas Starkwolt mit seinem treuen Hurtig zog ihr langsamen Schrittes nach. Johann sah ihn und erkannte ihn stracks und dachte bei sich: „Den treuen Alten wirst du nicht vergessen.“ Und so zog er mit seiner Begleitung weiter, und alle Leute, die auf der Straße waren, hielten oder standen still, und viele liefen ihnen nach, ja einige liefen voraus und meldeten in Rambin, welche blanke und prächtige Wagen dort auf der Landstraße führen, und brachten das ganze Dorf auf die Beine. Der Zug ging aber sehr langsam wegen der schwer beladenen Wagen.
So zogen sie etwa um vier Uhr morgens in Rambin ein und hielten still mitten im Dorf, etwa zwanzig Schritt von dem Hause, wo Johann geboren war. Und es war alles Volk zusammengelaufen und aus den Häusern gegangen, damit sie die glänzende Herrlichkeit mit eigenen Augen sähen. Johann entdeckte bald seinen alten Vater und seine Mutter und erkannte unter den vielen auch seinen Bruder Andres und seine Schwester Trine. Auch der alte Pfarrer Krabbe stand da in schwarzen Pantoffeln und einer weißen Schlafmütze, wie er eben aus dem Bette gekommen war, und gaffte mit den andern; aber Lisbeth erkannt ihn nicht mehr, denn sie war zu klein gewesen, als sie in den Berg entführt worden. So hielten sie etwa zehn Minuten still, ohne sich etwas merken zu lassen. Und man kann wohl sagen, daß in dem Dorfe Rambin nie eine solche Herrlichkeit erschienen war und auch nicht erscheinen wird bis an der Welt Ende. Johann und seine Braut funkelten von Diamanten und edlen Steinen; die Wagen, die Pferde, die Geschirre waren auf das prächtigste geziert, die Begleiter und Begleiterinnen alle in der Blüte der Jahre, mit den schönen, weißen Kleidern angetan und den sonderbaren Mützen und gläsernen Schuhen. Alles war wie aus einer andern Welt, so daß der Küster, seines Handwerks ein Schuhmacher, der in seiner Jugendwanderschaft bis nach Moskau und Konstantinopel gekommen war, sagte: „Sind es keine tatarische und persische und asiatische Prinzen, so müssen sie vom Mond heruntergekommen sein, denn in dem Lande Europa habe ich dergleichen nie gesehen und bin doch auch in vielen Städten gewesen, wo Kaiser und Könige wohnen!“ Der gute Küster irrte sich aber; sie kamen weder aus Persien noch aus der Tatarei, sondern ganz aus der Nähe, aber freilich aus einer sehr wenig entdeckten Welt.
Als Johann nun glaubte, es sei genug, und sie hätten ihre Augen bis zur Sättigung geweidet, sprang er rasch vom Wagen und hob sein schönes Kind auch heraus und drang durch die Menge hin, die ihm ehrerbietig Platz machte. Und ohne sich lange zu besinnen, eilte er zu dem niedrigen, strohenen Häuschen, wo Jakob Dietrich mit seiner Frau stand, und umhalsete sie beide und küssete sie, die sich vor ihm zur Erde werfen und seine Knie küsse wollten. Er aber wehrte ihnen und sprach: „Mitnichten! Das darf nicht sein! Kennt ihr mich denn nicht? Ich bin euer verlornen Sohn Johann Dietrich, und diese hier ist meine Braut.“ Und die beiden Alten erstaunten und wußten nicht, ob sie wachten oder träumten; alles Volk aber, das dies sah und hörte, verwunderte sich und rief: „Johann Dietrich, der verlorne Johann Dietrich ist von den Unterirdischen wiedergekommen, und seht, was er mitgebracht hat!“
Johann Dietrich aber stand dort nicht lange müßig bei seinen Eltern, sondern, als er den alten Pfarrer Krabbe in der weißen Schlafmütze erblickte, lief er eilends hin und holte ihn fast mit Gewalt herbei; denn der alte Mann wußte nicht, was der ungestüme Jüngling im Sinn hatte. Und er führte den alten, ehrwürdigen Herrn zu Lisbeth und fragte ihn: „Kennst du diese?“ Ehe er aber noch antworten konnte, zog er ihm Lisbeth in die Arme und sprach: „Dies ist deine verlorene Tochter und meine Braut, die bringe ich dir wieder. Und nun sollst du uns segnen und christlich zusammensprechen, da wir auf eine so wundersame Weise wieder zu den Unsern gekommen sind.“ Und der alte Mann war lange sprachlos und hing an der Brust seiner Lisbeth und weinte vor Freude; denn sie war sein einziges Kind, und er hatte sie lange als eine Tote beweint. Und als er sich besonnen hatte von dem ersten Erstaunen, nahm er die Hände seines Kindes und legte sie in die Hände Johanns und hieß Jakob Dietrich und seine Frau auch hinzutreten und sprach: „So segnet euch denn der Gott des Friedens und der Barmherzigkeit, der euch so wunderbar zusammengebracht hat, und lasse euch Kinder und Kindeskinder sehen und in seiner Furcht wandeln bis ans Ende eures Lebens! Siehe, ich preise ihn, daß er mich diesen Tag hat sehen lassen.“
Als dies vorbei und noch viel gefragt und erzählt war, und als die Nachbarn und die Gespielen und Gespielinnen sich den Johann und die Lisbeth wieder besehen und jeder auf seine Weise an seinen Zeichen wieder erkannt hatten, da gingen die beiden zu den Eltern in die Häuser. Johann aber säumte nicht mit der Hauptlust, mit der Hochzeit, die binnen acht Tagen sein sollte. Und er schickte viele hundert Wagen in den Wald, welche Bäume und Zweige in unendlicher Menge herbeifuhren. Und er ließ viele Zimmerleute und Schreiner und Tapezierer kommen. Und wo jetzt das Kloster steht, einige hundert Schritt vor dem Dorfe, da ließ er einen hohen und weiten Laubsaal bauen und von beiden Seiten Tische aufschlagen und in der Mitte eine Tanzbühne, und der Saal war so groß, daß er wohl fünftausend Menschen fassen konnte. Zu gleicher Zeit schickte er nach Stralsund und Greifswald und ließ ganze Böte von Wein, Zucker und Kaffee laden; auch wurden ganze Herden Ochsen, Schweine und Schafe zur Hochzeit hergetrieben, und wieviele Hirsche, Rehe und Hasen dazu geschossen sind, das ist nicht zu sagen, sowenig als die Fische zu zählen sind, die dazu bestellt wurden. In ganz Rügen und Pommern ist auch kein einziger Musikant geblieben, der nicht dazu verdungen wurde. Denn Johann war sehr reich und wollte seine Pracht sehen lassen. Auch hatte er das ganze Kirchspiel zur Hochzeit geladen und auch alle die schönen, weißen Jünglinge und Jungfrauen dabehalten, die er erlöset hatte, und die nun seinen Ehrentag mitfeiern wollten.
Dies war die Ordnung der Hochzeit: Als der Morgen angebrochen war, gingen alle Gäste in die Kirche, und der alte Krabbe dankete Gott und erzählte die wunderbare Erhaltung und Errettung und Verlobung der Kinder; darauf segnete er sie ein und gab sie feierlich zusammen. Nun gingen sie in zierlicher Reihe alle in den großen Laubsaal, so daß Jakob Dietrich und seine Frau Lisbeth zwischen sich führten, Johann aber zwischen Vater Krabbe und seinem alten Klas Starkwolt ging. Denn diesen hatte er sogleich kommen lassen und ihn reichlich beschenkt, so daß er für seine übrigen Lebenstage geborgen war; auch hatte er ihm die schönsten Hochzeitskleider anmessen lassen. Und Klas hatte ihm versprechen müssen, bei ihm zu bleiben und mit ihm zu leben, so oft und viel er wollte; und das hat er redlich gehalten. Nach diesen Ehrenpaaren folgten die feinen Weißen aus dem Berge Paar um Paar, und darauf die ganze übrige Freundschaft, Nachbarschaft und Kirchspielschaft, nach Stand und Würden und Alter, wie es sich gebührte. Und sie hielten eine Hochzeit, wie sie in Rambin nie wieder gehalten worden, und wovon noch die Urenkel zu erzählen wissen. Vierzehn ausschlagene Tage und Nächte ist geschmaust und getanzt worden, und da hat man über vierzig Paare auf gläsernen Schuhen tanzen sehen, was seitdem etwas Unerhörtes gewesen. Und die Leute haben sich über die Tänzerinnen gewundert, so anmutigen Tanz haben sie gehalten; denn die Unterirdischen sind die ersten Tanzmeister in der Welt, und da hatten sie ja tanzen gelernt.
Und als die Hochzeit vorbei war, da ist Johann herumgereist im Lande mit seiner schönen Lisbeth, und sie haben sich viele Städte und Dörfer und Güter gekauft, und er ist Herr von beinahe ganz Rügen geworden und ein sehr vornehmer Graf im Lande. Und auch der alte Jakob, sein Vater, ist ein Edelmann geworden, und Johanns Brüder und Schwestern haben Junker und Fräulein geheißen. Denn was kann man sich nicht alles für Silber und Gold schaffen? Schier alles, nur nicht die Seligkeit; sonst hätte der arme Mensch auf Erden auch gar keinen Trost. Johann aber hat in all seinem Reichtum nie vergessen, auf welche wunderbare Weise Gott seine Jugend geführt hat, und ist ein sehr frommer, christlicher Mann gewesen. Und seine Frau Lisbeth ist noch fast frommer gewesen als er. Und beide haben Kirchen und Armen viel Gutes getan, auch selbst viele Kirchen gebauet und sind endlich, von allen, die sie kannten, gesegnet, seliglich im Herrn verschieden. Und diese Kirche, die jetzt in Rambin steht, hat der Graf Johann Dietrich auch bauen lassen und hat sie sehr reich beschenkt von seinem vielen Gelde. Und sie ist zum ewigen Andenken an seine Geburt da gebaut, wo Jakob Dietrichs Häuschen gestanden hat. Und er hat viele kostbare Geräte dahin geschenkt, goldene Becher und silberne Schalen von der allerkünstlichsten Arbeit, wie die Unterirdischen sie in ihren Bergen machen, nebst seinen und der Lisbeth gläsernen Schuhen, zum ewigen Andenken, was ihnen in der Jugend geschehen war. Diese sind aber weggekommen unter dem großen König Karolus XII. von Schweden, als die Russen hier auf die Insel kamen und schlimm hauseten. Da haben die Kosaken auch die Kirche geplündert und das alles mitgenommen.
So war der kleine Johann Dietrich aus einem armen Hirtenknaben ein reicher und vornehmer Herr geworden, weil er das Herz gehabt hatte, hinabzusteigen und sich die Schätze zu holen. Aber viele sind schon dadurch reich geworden, daß sie nur irgendein Pfand von den Unterirdischen gewonnen haben. Dadurch haben sie sie soweit in ihre Macht gekommen, daß sie ihnen etwas haben schenken oder zuliebe tun müssen. Manchen schenken sie auch freiwillig etwas und lehren sie schöne Künste und allerlei Geheimnisse; aber diesen, die ein Pfand oder etwas Verlornes von ihnen haben, müssen sie aus Not dienstbar und gefällig werden.

Quelle:
(Ernst Moritz Arndt)

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