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Märchenbasar

Aschenmarie

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In einem Dorf lebte einmal ein Mann, der war mutterseelenallein. Er hatte weder Bruder noch Schwester, weder Vater noch Mutter. Er war aber nicht arm und lebte wie alle anderen Menschen. Eines Tages heiratete er und nahm eine gute, verständige und kluge Frau, und er lebte mit ihr sehr gut. Nach einiger Zeit gebar die Frau ein Mädchen, und als das Kind ein Jahr alt war, starb die Mutter. Der Mann blieb mit dem kleinen Mädchen allein, und er wußte nicht, was er machen sollte, denn nun hatte er allein die Sorge um das Haus und das kleine Kind. Er wußte nicht mehr aus noch ein, da kamen seine Freunde und sagten zu ihm: „So kannst du nicht leben, so allein, du mußt heiraten und dir eine andere Frau nehmen.“ Er aber wollte nicht und sagte zu den Freunden: „Gut, ich würde heiraten, aber ich weiß nicht, wo ich jemanden finden kann.“
Da brachten die Freunde eine Frau und verheirateten ihn. So führte er sie in sein Haus, und sie versorgte das Mädchen und machte alle Hausarbeiten. Aber die Frau liebte das Kind nicht, sondern kümmerte sich nur widerwillig um sie aus Angst vor dem Mann. Nach einiger Zeit gebar auch sie eine Tochter, und dann noch eine. Zusammen mit der Tochter der ersten Frau hatte sie nun drei Töchter. Die Älteste hieß Marie, die zweite Lilo und die dritte Lena. Als die Mädchen heranwuchsen und etwa zehn Jahr alt waren, begannen sie das älteste Mädchen Aschenmarie zu nennen. Denn die Stiefmutter konnte sie gar nicht leiden, weil Aschenmarie sehr schön geworden war, ihre eigenen Töchter aber waren häßlich. Da wurde die Stiefmutter neidisch auf die älteste Tochter, aus Angst vor dem Mann wagte sie ihr jedoch nichts zu tun.
Als wieder einige Jahre vergangen waren, starb der Mann, und die Stiefmutter wurde die Hausherrin. Sie hatte jetzt alles in ihrer Hand, alle Einnahmen und Ausgaben. Und so kaufte sie ihren Töchtern schöne Kleider, die Stieftochter aber mußte in alten Lumpen gehen. Ihre Töchter brauchten nicht zu arbeiten, der Stieftochter gab sie alle schweren Arbeiten, sie schickte sie Holz schlagen, Wasser holen, Wäsche waschen. Das alles mußte Aschenmarie erledigen, und wenn sie nach Hause kam, bekam sie nur ein Stück verschimmeltes Brot, das sie trocken essen mußte. Die Stiefmutter aber lebte mit ihren Töchtern in Saus und Braus, sie aßen nur gute Sachen, sie schmückten sich, trugen schöne Kleider und gingen spazieren. Aber trotzdem waren sie neidisch auf Aschenmarie, denn sie war viel schöner als die beiden anderen Schwestern.
Die älteste Tochter, die sie Aschenmarie nannten, hatte eine Tante, die Schwester ihrer Mutter. Manchmal ging Aschenmarie zu ihr, und die Tante gab ihr zu essen. Aber Aschenmarie mußte heimlich zur Tante gehen, denn wenn es die Stiefmutter oder die Schwestern sahen, schimpften sie und schlugen Aschenmarie. So verging die Zeit, und die drei Mädchen kamen ins heiratsfähige Alter. Für ihre beiden eigenen Töchter hatte die Stiefmutter Hochzeitsbitter bestellt, die sie verheiraten sollten. Über Aschenmarie zerbrach sie sich nicht den Kopf, ob die heiraten würde oder nicht. Überall, wo sie und ihre Töchter hingingen, verspotteten sie sie und erzählten: „Seht, das ist unsere Aschenmarie. Ich sage ihr, daß sie sich gut anziehen und waschen soll, aber sie ist wie toll. Sie wäscht sich nicht, sie kämmt sich nie, sie zieht auch keine neuen Kleider an.“ Und das erzählte die Stiefmutter überall, so daß die Leute ihre Töchter anschauten, aber trotzdem wollte sie keiner nehmen. Allen Burschen, die wegen einer ihrer Töchter kamen, gefiel Aschenmarie. Darauf wurde die Stiefmutter noch böser auf Aschenmarie und sucht nach einem Weg, um sie loszuwerden. Schließlich kam sie darauf, das Mädchen in jene Mühle zu schicken, wo die Djinn hausten, denn dort würde sie umkommen. Und so sagte sie eines Tages: „Du nimmst das Getreide auf die Schulter und gehst in die Mühle, es mahlen.“ Aber es war schon Abend, das Mädchen würde auf jeden Fall in der Mühle von der Nacht überrascht werden. Und so sagte sie: „Soll ich jetzt gehen, wo es schon dunkel wird? Ich werde erst um Mitternacht dort sein, laß mich morgen früh aufbrechen.“ Die Stiefmutter aber erwiderte: „Du wirst jetzt gehen, und vor Tagesanbruch bist du wieder zurück. Wovor fürchtest du dich? Eine wie du braucht keine Angst zu haben, dich frißt nicht einmal ein Gespenst.“ Und sie schlug das Mädchen, lud ihr mit Gewalt das Getreide auf und schickte sie in die Mühle. Das Mädchen bat die Stiefmutter noch: „Gib mir die Spindel und drei Rocken Flachs, damit ich spinnen kann, wenn das Getreide gemahlen wird.“ Die Stiefmutter gab ihr die Spindel und den Flachs, und das Mädchen ging in die Mühle.
Als sie dort ankam, war es eine Stunde vor Mitternacht. Sie fand die Tür der Mühle offen, aber niemand war drinnen, denn die Müller blieben des Nachts nicht dort aus Angst vor den Djinn, die sich jede Nacht dort trafen. Sie ließen sogar das Mehl liegen, das sie gemahlen hatten, sie ließen auch die Tür der Mühle offen, denn aus Angst vor den Djinn kam kein Mensch dorthin, um zu stehlen. Das Mädchen trat ein, lud das Getreide ab, suchte ein Licht und fand eines von den Müllern. Sie entzündete das Licht, stellte die Mühle an, schüttete das Getreide hinein und es wurde gemahlen. Dann setzte sie sich und begann zu spinnen. Da kamen die Djinn, sie umringten sie, nahmen das Mädchen in die Mitte und begannen zu schreien und zu tanzen, das Mädchen aber rührten sie nicht an. Dann hörten sie damit auf und begannen das Mädchen zu fragen: „Was ist das, was du da spinnst?“ Das Mädchen antwortete: „Das ist etwas, was viel Mühe macht.“ Sie sagten. „Erzähl uns, was für Mühe es macht“, denn die Djinn suchten einen Grund, das Mädchen zu verhexen. Sie aber begann zu erzählen: „Also, wir bearbeiten die Erde und graben sie um, dann säen wir es aus, dann jäten wir, dann ziehen wir es heraus, dann legen wir es in die Sonne zum Trocknen, dann sammeln wir es wieder ein, dann binden wir es zusammen, dann brechen wir es, dann nehmen wir den Samen heraus, dann laden wir es auf, dann bringen wir es zum Fluß, dann weichen wir es ein, dann lassen wir es zehn Tage im Wasser liegen, dann nehmen wir es heraus; dann legen wir es breit, dann lassen wir es trocknen, dann binden wir es, dann bringen wir es nach Hause, dann hecheln wir es, dann kämmen wir es mit dem Wollkamm, dann machen wir Docken, dann legen wir es auf den Spinnrocken, dann spinnen wir, dann füllen wir die Spindel; dann drehen wir den Faden und wickeln einen Knäuel, dann weben wir es und machen Stoff, dann waschen wir es, dann bügeln wir es, dann nähen wir, dann ziehen wir es an.“ So erzählte Aschenmarie vom Flachs, und die Djinn schwiegen und hörten ihr zu. Und alle kamen und brachten einen goldenen Gegenstand zu dem Mädchen, und sie wurde von Kopf bis Fuß golden. Als das Mädchen ihre Erzählung über das Leinen beendet hatte, krähte der Hahn, die Djinn verschwanden, und das Mädchen blieb allein. Auch das Getreide war gemahlen, sie hielt den Mahlstein an, nahm das Mehl und ging weg.
Mit der Morgenröte kam sie zu Hause an. Die Stiefmutter und ihre Schwestern lagen noch im Bett und schliefen, als Aschenmarie kam. Der Hund saß auf der Treppe, und als er sah, daß sie voller Gold aus der Mühle kam, bellte er und rief: „Aschenmarie kam zurück, voller Gold ist sie zum Glück!“ Das hörte die Stiefmutter und sagte zu dem Hund: „Kusch! Bist du toll geworden! Aschenmarie haben die Djinn schon umgebracht, und du sagst, sie kommt in Gold gekleidet daher.“ Kaum hatte die Stiefmutter das gesagt, klopfte das Mädchen an die Tür: ,,Mach auf, ich bin zurück.“ Als sie Aschenmarie mit Gold übergossen sah, hätte sie platzen können vor Wut. Aber sie heuchelte Freundlichkeit und fragte: „Was ist passiert, daß du mit diesen goldenen Kleidern kommst?“ Und das Mädchen erzählte: „Dort in der Mühle versammeln sich die Djinn, und jeden, der dorthin geht, überschütten sie mit Gold wie mich.“ Da sagte die Stiefmutter: „Heute abend schicke ich Lilo dort hin.“
So brach am Abend Lilo mit wenig Getreide auf, denn sie konnte nicht viel tragen, da sie es nicht gewöhnt war. Die Mutter gab ihr auch die drei Rocken Flachs und die Spindel, und das Mädchen ging zur Mühle. Sie fand die Mühle auch verlassen und die Tür offen; sie trat ein, lud das Getreide ab, suchte ein Licht, wie Aschenmarie ihr gesagt hatte, fand es und zündete es an. Dann stellte sie die Mühle an, schüttete das Getreide hinein und es wurde gemahlen. Wieder kamen die Djinn und fanden das Mädchen dort, sie begannen wieder zu schreien und zu tanzen, wie es ihre Gewohnheit ist. Dann hörten sie auf und befragten das Mädchen: „Was ist das, was du spinnst?“ Und Lilo antwortete: „Das ist Flachs, seht ihr das denn nicht? Sind eure Augen etwa verkleistert?“ Und kaum hatte sie das gesagt, verrenkten ihr die Djinn einen Arm. Sie fragten noch einmal nach der Spindel, sie antwortete auf die gleiche Weise, da verrenkten sie ihr den anderen Arm. Dann fragten sie nach dem Mehl, Lilo antwortete ebenso, da verrenkten sie ihr die Beine, und schließlich verrenkten sie ihr den Kopf, so daß ihr Gesicht über dem Rücken saß. So verging die Zeit, der Hahn krähte, die Djinn verschwanden, und Lilo blieb allein in der Mühle, Arme, Beine, Kopf, alles verdreht und verrenkt. Am Morgen kamen die Müllei und fanden das Mädchen; da fragten sie, woher sie sei. Sie nannte den Ort, da holten sie ein Pferd und schickten sie nach Hause.
Die Mutter war schon aufgestanden, um ihre Lilo ganz in Gold gekleidet zu empfangen. Der Hund sah, wie Lilo ankam, er bellte und rief: „Lilo kommt, Kopf, Arme und Beine verkehrt, sie sitzt auf des Müllers Pferd.“ Da sagte die Mutter: „Kusch! Bist du toll geworden! Lilo kommt mit Gold überschüttet, so wie Aschenmarie. Nein! Meine Lilo kommt sogar noch schöner, denn sie versteht es besser zu erzählen als Aschenmarie.“ Kaum hatte das die Mutter zu dem Hund gesagt, sah sie Lilo, sie schrie auf, rannte hinaus, nahm Lilo vom Pferd und brachte sie ins Haus. Dann holte sie Ärzte und Priester, die sie besprachen, sogar einen Bischof rief sie, und alle brachten mit Mühe Lilos Kopf ein Stückchen in seine alte Lage zurück, so daß sie wieder nach vorn sah.
Als Lilo geheilt war, begann die Mutter wieder einen Bräutigam zu suchen, sie wollte die Mädchen verheiraten. Zu jener Zeit gab es in einem anderen Land einen Prinzen, der noch nicht verheiratet war, weil ihm alle Prinzessinnen, die er bisher gesehen hatte, nicht gefielen. Eines Abends schlief er nicht, er sah im Traum Aschenmarie, die aber ihren Namen dem Prinzen nicht sagte. Sie gefiel ihm sehr, und ihm schien, als ob er sie fragte, woher sie sei, und sie nannte das Dorf, in dem sie wohnte; und der Prinz nahm die Maße von ihrem Körper und ihren Füßen, um Kleider und Schuhe machen zu lassen. So beschäftigte sich der Prinz die ganze Nacht mit diesem Traum, und als er am Morgen aufstand, fand er die Maße genauso, wie er sie gemessen hatte. Da wunderte er sich sehr und sagte sich: „Ich werde ein Paar Schuhe nach diesen Maßen machen lassen, und dann gehe ich suchen und werde sehen, was es mit diesem Traum auf sich hat.“ Darauf ließ der Prinz die Schuhe machen und brach auf nach einer Stadt, die eine halbe Wegstunde von jenem Dorf entfernt war. Er stieg in einer Herberge ab und ließ verkünden: „Ich werde hier fünfzehn Tage bleiben und jeden Abend ein Essen geben, und jeder, der will, kann kommen, und jeder, der eine unverheiratete Tochter hat, kann sie mitbringen. Diejenige, die mir gefällt, werde ich zur Frau nehmen.“ Jeden Abend kamen viele zu dem Prinzen, sie aßen, tranken und unterhielten sich, und jeder, der eine unverheiratete Tochter hatte, brachte sie mit, und alle sprachen mit dem Prinzen.
Da gelangte diese Nachricht auch in das Dorf, in dem Aschenmarie wohnte, und auch dort wollte man zu dem Prinzen gehen und die unverheirateten Mädchen mitnehmen. Alle Mädchen des Dorfes gingen hin. Auch die beiden Schwestern von Aschenmarie und ihre Mutter machten sich fertig, sie bereiteten den ganzen Tag alles vor, richteten die Kleider, um dem Prinzen zu gefallen. Als sich die beiden schmückten, stand Aschenmarie dabei und sah ihnen zu. Sie sagten zu ihr: „Wenn du willst, dann geh auch du hin, du kannst Kleider von uns anziehen und auch zum Prinzen gehen“, und sie lachten über Aschenmarie. Sie erwiderte: „Ich bin nicht für so etwas. Ihr müßt hingehen, denn ihr seid schön.“ Und so brachen die beiden Schwestern und die Stiefmutter auf und fuhren in jene Herberge. Aschenmarie blieb allein zu Hause, und dann machte auch sie sich auf und ging zu ihrer Tante. Als die Tante sie sah, fragte sie: „Warum bist du so betrübt und traurig?“ Da erwiderte Aschenmarie bitter: „Von dem vielen Glück, das ich habe.“ Die Tante fragte wieder: „Willst du nicht auch zu dem Prinzen zusehen gehen?“ – „Wie sollte ich denn hinkommen?“ fragte Aschenmarie, „ich möchte nur zuschauen, dem Prinzen will ich nicht gefallen.“ Da sagte die Tante: „Gut, ich schicke dich hin.“
Aschenmaries Tante aber war eine Zauberin, und so erhob sie sich, fing zwei Mäuse, fing vier Heuschrecken und nahm einen großen Kürbis. Und die Mäuse machte sie zu zwei Pferden, die Heuschrecken wurden zu Kutschern und der Kürbis wurde eine Kutsche. Und für das Mädchen machte sie goldene Kleider, die Kutsche war golden und die Kutscher waren golden gekleidet, auch die Sättel, und die Zäume der Pferde waren von Gold. Und als alles vor der Tür bereitstand, sagte sie zu Aschenmarie: „Komm, steig in die Kutsche und fahre dorthin. Aber paß auf, bevor die Uhr um Mitternacht zwölf schlägt, mußt du dort weg sein. Am besten, du brichst schon auf, wenn die Uhr elf schlägt, denn wenn du dort bleibst und die Uhr zwölf schlägt, so werden die Pferde wieder Mäuse, die Kutsche wird ein Kürbis, die Kutscher werden wieder zu Heuschrecken und auch du wirst wieder in deinen alten Kleidern dastehen.“
So bestieg Aschenmarie die Kutsche und fuhr zu dem Prinzen. Sobald die Leute des Prinzen sie sahen, meldeten sie dem Prinzen: „Es kommt eine große Dame, vielleicht sogar eine Königstochter, nach diesem Prunk, der sie umgibt.“ Da kam der Prinz heraus, sie zu empfangen, er hob sie aus der Kutsche und führte sie ins Zimmer, und er setzte sie an seine Seite und unterhielt sich mit ihr. So fragte er sie auch, woher sie sei. Sie nannte ihm aber einen anderen Ort. Sie saßen die ganze Zeit beisammen, und das Mädchen gefiel dem Prinzen sehr. Da holte er die Schuhe heraus, die er hatte machen lassen, und gab sie allen unverheirateten Mädchen, damit sie sie anprobierten. Und so kamen alle Mädchen herbei, aber keiner paßten sie an die Füße, auch nicht den beiden Schwestern von Aschenmarie. Die Schwestern und die Stiefmutter erkannten Aschenmarie nicht. Dann nahm Aschenmarie die Schuhe, zog sie an ihre Füße, und die Schuhe paßten, als wären sie gerade für sie gemacht worden. Als der Prinz sah, daß ihr die Schuhe wie angegossen saßen, freute er sich sehr, denn dieses Mädchen gefiel ihm am meisten. Und so vergnügten sie sich und unterhielten sich bis elf Uhr. Als die Uhr elf schlug, erhob sie sich, um zu gehen. Der Prinz wollte, daß sie noch bliebe, aber sie lehnte ab, brach auf und kehrte zur Tante zurück.
Um zwölf Uhr wurden die Pferde zu Mäusen und auch alles andere, was es vorher war, und Aschenmarie saß wieder in ihren alten Kleidern da. Die Tante fragte sie, wie es gewesen sei. Sie antwortete: „Es war sehr schön, der Prinz hat nur mit mir gesprochen.“ Und sie erzählte ihr auch von den Schuhen, die der Prinz hatte und die alle Mädchen anprobiert hatten, aber keiner paßten sie, nur ihr. Dann ging Aschenmarie nach Hause, war vor ihren Schwestern da und legte sich nieder, um zu schlafen. Als die anderen kamen, fanden sie Aschenmarie zu Hause, wie sie sie verlassen hatten. Aschenmarie empfing sie und fragte die Schwestern, wie es beim Prinzen gewesen sei. Die erzählten ihr: „Es war sehr schön, wenn du dort gewesen wärst, hättest du alles gesehen, den Prinzen, aber auch eine fremde Königstochter, die ganz in Gold gekleidet war. Der Prinz saß die ganze Zeit nur an ihrer Seite, aber gleich neben ihr saßen wir beide.“ Aschenmarie erwiderte: „Es wäre schön, wenn ich auch hingehen könnte, um zuzusehen. Aber leider habe ich keine schönen Kleider und bin selber auch häßlich.“
Am nächsten Abend brachen die Schwestern und die Stiefmutter wieder auf, um zum Prinzen zu gehen. Auch Aschenmarie ging zur Tante, und sie gab ihr alles wie am Tag vorher, so daß auch Aschenmarie wieder dorthin fuhr. Der Prinz kam heraus, begrüßte sie und behielt sie die ganze Zeit an seiner Seite, und sie vergnügten sich wie am Abend vorher. Die Uhr schlug elf. Aschenmarie erhob sich, um zu gehen. Der Prinz aber bat sie, noch ein Weilchen zu bleiben. Dann ging er hinaus und sagte zu seinen Knappen: „Holt die Pferde und haltet sie bereit, und wenn jene Dame ihre Kutsche besteigt. reitet ihr nach, um zu sehen, wo sie wohnt. Darauf ging der Prinz wieder hinein, Aschenmarie blieb noch eine halbe Stunde, dann erhob sie sich und ging. Als sie in ihre Kutsche gestiegen war, bestiegen die Knappen des Prinzen ihre Pferde und folgten ihr. Aschenmarie fuhr geradewegs zum Haus der Tante, stieg aus der Kutsche und trat ein. Die Knappen, die ihr nachkamen, sahen nach der Kutsche, aber als sie an sie herankamen, schlug es gerade zwölf, und die Kutsche mitsamt den Pferden und Kutschern war plötzlich verschwunden. Sie warteten vor dem Haus, um zu sehen, was weiter geschehen würde. Es verging eine Stunde, Aschenmarie hatte mit ihrer Tante über den Ball gesprochen, dann ging sie nach Hause. Als Aschenmarie herauskam, liefen die Knappen des Prinzen ihr nach ohne daß sie es bemerkte. Als die Knappen sahen, daß sie in ein anderes Haus eingetreten war, versahen sie dieses Haus mit einem Zeichen. Dann kehrten sie zum Prinzen zurück. Der Prinz fragte sie aus, was geschehen war und bis wohin sie das Mädchen begleitet hatten. Die Knappen erzählten alles der Reihe nach, wie das Mädchen in ein Haus getreten war, wie die Kutsche direkt vor ihren Augen verschwunden war, als ob sie vom Erdboden verschluckt worden sei, und wie das Mädchen dann nach einer Stunde wieder herausgekommen und in ein anderes Haus gegangen war. Die Knappen hatten sich gewundert, denn das Mädchen hatte jetzt ganz alte Kleider an, aber sie hatten das andere Haus mit einem Zeichen versehen. Als der Prinz sie fragte, ob sie das Haus wiedererkennen würden, antworteten sie, daß sie sich sogar ohne das Zeichen erinnern könnten. Darauf gingen alle, die beim Prinzen waren, auseinander, ein jeder an seine Arbeit, und der Prinz fuhr nach Hause.
Zu Hause angekommen, bereitete der Prinz die Hochzeit vor, was zwei Monate dauerte. Er wollte heiraten, aber wo die Braut war, das wußte niemand. Schließlich brach er mit den Brautführern, mit einem Orchester und vielen anderen Dingen auf und ging wieder in jene Stadt, in der er schon gewesen war. Er hatte auch die Kleider und Schuhe bei sich, die er nach dem Traum hatte machen lassen. So kam er in jene Stadt, um die Braut abzuholen. Alle wunderten sich und fragten: „Sollte die Braut von hier sein! Hier war der Prinz zwar eine Zeitlang, aber nur jene Königstochter mit der Kutsche hatte ihm gefallen, sie wohnt aber hier nicht. Es scheint, er sucht den Wind.“ So sprachen die Leute, und als sie sahen, daß der Prinz in das Dorf ging, in dem Aschenmarie wohnte, kamen sie alle mit, um zu sehen, zu wem er gehen würde. Der Prinz ritt geradewegs zu jenem Haus, das die Knappen bezeichnet hatten. Er befahl, das Haus von allen Seiten zu umstellen, damit Aschenmarie nicht entweichen konnte. Dann ging der Prinz hinein und fand dort drei Mädchen und deren Mutter. Sogleich nahm der Prinz die Schuhe und gab sie den Mädchen, zuerst den beiden anderen, aber die Schuhe paßten ihnen nicht. Dann gab er sie Marie, sie zog sie an die Füße, und die Schuhe paßten wie angegossen, als ob sie für ihre Füße gemacht worden seien. Da nahm der Prinz auch die Kleider und gab sie ihr, sie zog sie an, und auch die Kleider paßten ihr, als ob sie für sie genäht worden seien. Als der Prinz sie so sah, da war es das gleiche Mädchen, das er im Traum gesehen hatte und das zu seinem Ball in jene Herberge gekommen war. Da freute sich der Prinz sehr und sagte zu Aschenmarie: „Alles habe ich getan, um zu finden, was ich suchte. Komm, wir fahren in meinen Palast, du wirst meine Frau, und ich werde dein Mann sein.“ Als die beiden Schwestern und die Stiefmutter das hörten, wurde ihnen schwarz vor Augen, und sie sagten: „Was soll das? Aschenmarie, die ein Niemand war, wird Prinzessin?“ Alle drei begannen zu weinen und zu klagen, wie leid es ihnen täte, daß Aschenmarie wegginge. So küßten sie Aschenmarie, die beim Abschied sagte: „Seid nicht traurig, nach einiger Zeit lasse ich euch holen, und wir werden wieder alle zusammen sein.“
Damit fuhr sie weg, der Prinz führte sie in seinen Palast, sie heirateten und liebten sich sehr. So vergingen zwei Monate, da sagte die Prinzessin Marie zum Prinzen: „Ich habe Sehnsucht nach den Schwestern und der Stiefmutter. Wenn es möglich ist, hole sie hierher, und gib ihnen eins von unseren Häusern, damit sie mir nahe sind.“ Weil der Prinz sie liebte, entgegnete er nichts, sondern ließ sie holen. Sie gaben ihnen ein schönes Haus, zu essen und zu trinken und schöne Kleider. Nach einiger Zeit verheiratete man auch Lilo, obwohl sie verrenkte Glieder hatte. Die Stiefmutter blieb mit Lena allein im Haus.
Zu dieser Zeit wurde die Prinzessin schwanger. Als die Stiefmutter das gehört hatte, beschloß sie herauszufinden, ob es ein Mittel gäbe, Aschenmarie loszuwerden und ihre eigene Tochter dem Prinzen zu geben. Die Stiefmutter ging also zu einer großen Zauberin, die viele Mittel kannte, und sagte zu ihr: „Wenn du machst, daß die Prinzessin verschwindet und ich meine Tochter dem Prinzen geben kann, bekommst du von mir, was du willst,“ Die Zauberin antwortete: „Ich habe ein solches Zaubermittel, und weder der Prinz noch ein anderer wird es bemerken. Aber du mußt mir hundert Lira bringen, damit ich das Zaubermittel machen kann, dann werde ich dir zeigen, wie du es anwenden mußt.“ Die Stiefmutter ging nach Hause und bat die Prinzessin um die hundert Lira, wobei sie sagte, daß sie sie einem Hochzeitsbitter geben wolle, der für Lena einen Mann finden solle. Die Prinzessin gab ihr das Geld, was die Stiefmutter sogleich zu der Zauberin brachte, die ihr sagte, daß sie nach zehn Tagen wiederkommen solle, das Zaubermittel abzuholen.
Da ging die Stiefmutter zufrieden nach Hause, und die Zauberin stellte das Mittel her. Als die zehn Tage vergangen waren, ging die Stiefmutter wieder zur Zauberin. Die nahm eine Nadel und sagte: „Da, diese Nadel ist das ganze Zaubermittel! Wenn die Prinzessin gebären soll, verwickle die Hebamme in ein Gespräch. Wenn die Prinzessin einen Jungen oder ein Mädchen geboren hat, stich ihr sofort diese Nadel in den Kopf, sie wird sogleich ein Vogel und fliegt davon. An Stelle der Prinzessin legst du deine Tochter ins Wochenbett. Und wenn der Prinz kommt und fragt, warum sie sich so verändert hat und ganz anders aussieht als vorher, dann soll deine Tochter sagen, daß die Wöchnerinnen sich eben so verändern. Der Prinz wird das glauben und nichts sagen, und deine Tochter ist Prinzessin.“ Die Stiefmutter nahm die Zaubernadel und ging nach Hause.
Nach einiger Zeit sollte die Prinzessin gebären. Sobald die Stiefmutter merkte, daß die richtige Zeit gekommen war, nahm sie die Hebamme beiseite und sagte zu ihr: „Wenn die Prinzessin gebären wird, werde ich etwas tun, so daß sie ein Vogel wird und wegfliegt, und an ihre Stelle lege ich meine Tochter. Du darfst nichts erzählen, auch wenn du etwas sehen solltest, ich werde es dir vergelten und dir geben, was du willst.“ Die Hebamme hatte nichts dagegen. So kam die Stunde, da das Kind geboren werden sollte, und die Hebamme und die Stiefmutter waren bei der Prinzessin. Die beiden Frauen hatten schon heimlich die Tochter der Stiefmutter in ein Nebenzimmer gebracht. Sobald der Junge geboren war, stieß die Stiefmutter der Prinzessin die Nadel in den Kopf, sie wurde ein Vogel und flog aus dem Fenster. Die Stiefmutter nahm ihre Tochter und legte sie als Wöchnerin ins Bett.
Dann ging sie, dem Prinzen die Freudenbotschaft zu bringen, daß ihm ein Sohn geboren war. Das Mädchen Lena aber, das die Mutter als Wöchnerin ausgegeben hatte, hatte keine Milch für das Kind. Der Junge wollte trinken und schrie immerzu. Als der Prinz hörte, wie das Kind immer weinte, fragte er, was es habe. Darauf sagte die Stiefmutter, daß die Prinzessin zum ersten Mal geboren und deshalb keine Milch habe. Deshalb weine der Junge. Sofort befahl der Prinz, eine Amme. zu holen. Obwohl die Amme nun den Jungen nährte, weinte er immer noch. Die Prinzessin, die ein Vogel geworden war, kam jeden Tag ans Fenster und rief: „Pst, pst! Söhnchen, mein Söhnchen.“ Eines Tages war der Prinz im Zimmer, der Vogel kam ans Fenster und rief wieder: „Pst, pst! Söhnchen, mein Söhnchen.“ Als der Prinz das hörte, wunderte er sich sehr und konnte nicht begreifen, was für ein Vogel das war.
Eines Tages sagte die Stiefmutter, als der Junge wie immer weinte: „Prinz! Jeden Tag kommt ein Vogel hierher, der sprechen kann. Mir scheint, daß dieser Vogel der Geist eines Verstorbenen ist, deshalb weint der Junge immer. Laß Jäger holen, die sollen den Vogel töten, wenn er kommt. Denn solange der Vogel nicht gestorben ist, hört der Junge nicht auf zu weinen.“ Da nahm der Prinz selber ein Gewehr in die Hand und bewachte das Fenster. Die anderen Jäger saßen im Garten, um den Vogel zu töten, sobald er käme. Der Vogel kam wieder, sie schossen, aber sie konnten ihn nicht treffen. Als der Vogel ihre Absicht bemerkte, verschwand er in der Dunkelheit und blieb einige Zeit weg.
Als vierzig Tage vergangen waren, erhob sich Lena vom Wochenbett und nahm die Glückwünsche entgegen. Die Zeit kam, um mit dem Prinzen schlafen zu gehen. Als Lena kam, sah der Prinz, daß sie nicht seine Prinzessin war, und er fragte, was geschehen sei. Sie antwortete: „Weißt du denn nicht, daß sich die Frauen durch das Wochenbett verändern?“ Der Prinz glaubte dieses Geschwätz, zumal die Stimme die gleiche war wie die der Schwester. So merkte der Prinz nicht, was vorgegangen war und hielt Lena für die Prinzessin. Als einige Zeit verstrichen war, erschien der Vogel wieder und kam jeden Tag in den Garten des Prinzen. Eines Tages war der Prinz ohne Gewehr in den Garten gegangen, um spazierenzugehen. Als, der Vogel sah, daß der Prinz kein Gewehr hatte, kam er herbei und ließ sich auf einem Baum nieder. Der Prinz sah den Vogel, kam näher und stellte sich unter den Baum, um den Vogel zu betrachten, denn er war wunderschön. Der Vogel, der bemerkte, daß er angeschaut wurde, hüpfte einen Zweig tiefer und kam etwas näher. Und als er dem Prinzen immer näher kam, gefiel diesem der Vogel so sehr, daß er dachte, ihn lebendig zu fangen. Als der Vogel begriff, daß der Prinz nichts Böses im Schilde führte, flog er auf und setzte sich dem Prinzen auf die Hand. Da ergriff ihn der Prinz, küßte ihn und streichelte ihn. Und der Prinz erfreute sich an dem Vogel, den er lebendig gefangen hatte, denn es war ein Vogel, wie er ihn schöner noch nie gesehen hatte.
Als er den Vogel auch am Kopf streichelte, spürte er dort ,die Nadel und zog sie heraus. Kaum hatte der Prinz die Nadel herausgezogen, wurde aus dem Vogel eine Frau. Der Prinz erschrak und fragte sie: „Was bist du, warst ein Vogel und wurdest ein Mensch?“ Sie antwortete: „Ich bin deine Frau, die Prinzessin, die deinen Sohn geboren hat. Die Stiefmutter hat mir die Nadel, die du herausgezogen hast, in den Kopf gesteckt, da wurde ich ein Vogel. An meiner Stelle legte sie ihre Tochter ins Wochenbett.“ Da umarmten sie sich, küßten sich und gingen zusammen in den Palast zurück. Als die Stiefmutter die beiden kommen sah, traf sie beinahe der Schlag. Der Prinz ließ die Stiefmutter und ihre Tochter rufen und fragte sie: „Erkennst du diese Frau?“ – „Ich erkenne sie“, antwortete die Stiefmutter. Da fragte der Prinz: „Warum habt ihr das gemacht? Was hat sie euch angetan?“ Sie antwortete: ,, Du wurdest belogen, das war die Zauberin.“ Da ließ der Prinz auch die Zauberin holen, und als die Mitschuld der Hebamme herauskam, auch diese. Dann ließ er die vier, die Stiefmutter und ihre Tochter, die Zauberin und die Hebamme, lebendig eingraben, bis sie elend umkamen. Der Prinz nahm seine Prinzessin und seinen Sohn, und alle drei leben glücklich und in Freuden bis auf den heutigen Tag.

Quelle:
(Die Schöne der Erde – Albanische Märchen und Sagen)

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