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In der ruhmreichen Stadt Kijew, beim Zaren Wladimir, versammelten sich die Fürsten und die Bojaren und die riesenstarken Recken zum Ehrenmahl. Wladimir, der Zar, hub an zu reden und sprach: »Wohlan, meine Kinder, schart euch, versammelt euch um einen Tisch!« Sie setzten sich an einen Tisch, aßen, bis sie halb gesättigt waren, tranken, bis sie halb betrunken waren, und dann sprach Wladimir, der Zar: »Wer erweist mir wohl einen großen Dienst: reitet durch dreimal neun Länder in das dreimal zehnte Reich, zum Türkensultan, sein goldmähniges Roß, den edlen Renner, zu entführen, den märchenerzählenden Kater zu töten, dem Türkensultan selbst in die Augen zu spucken?« Da meldete sich der kühne Held Ilja-Muromez, Sohn des Iwan.
Der Zar Wladimir hatte aber eine Lieblingstochter; sie sprach zu ihm diese Worte: »Wohlan, mein Väterchen, Wolodimir-Zar! Mag sich Ilja-Muromez, Sohn des Iwan, seiner Taten auch rühmen, wird er den Dienst, den du forderst, doch nicht vollbringen! Entlaß, mein Väterchen, die zechenden Helden; geh hin und such in deiner Stadt in den zarischen Schenken den jungen Baldak, den Sohn des Boris, den Siebenjährigen.« Und der Zar gehorchte seiner Tochter, ging hin und suchte den jungen Baldak, den Sohn des Boris, und fand ihn in der Schenke, er schlief unter der Bank. Mit der Stiefelspitze stieß ihn an Wolodimir, der Zar; davon erwachte Baldak aus dem Schlaf und sprang in die Höhe, als wenn nichts geschehen wäre. »Sag an, Wolodimir-Zar, wozu bedarfst du meiner?« Da gab ihm zur Antwort Wolodimir, der Zar: »Zum Ehrenmahle lad ich dich ein.« – »Nicht würdig bin ich, zum Mahle zu gehen: in den Schenken besauf ich mich, unter den Füßen da wälz ich mich.« Doch Wladimir, der Zar, sprach diese Worte zu ihm: »Ruf ich dich zum Mahle, so mußt du gehn; zu großen Dingen wirst du gebraucht.« Da schickte ihn der junge Baldak, der Sohn des Boris, aus der Schenke fort in die Zarengemächer zurück und sagte, er komme gleich hinterher.
Baldak blieb allein in der Schenke, ernüchterte sich mit Branntwein, soviel er dessen bedurfte, und ging unangemeldet zum Zaren Wladimir. Er schlug das Kreuz, wie die Schrift es verlangt, und verneigte sich, wie es Brauch ist; nach allen Seiten verneigte er sich, vor dem Zaren jedoch insbesondere. »Ich grüße dich, Wolodimir-Zar: Weshalb hast du mich gerufen?« Da antwortete ihm Wolodimir-Zar: »Wohlan, du junger Baldak, Sohn des Boris! Leiste mir einen großen Dienst: geh hin durch dreimal neun Länder in das dreimal zehnte Reich zum türkischen Sultan; sein goldmähniges Roß, das führ ihm fort, töte den märchenerzählenden Kater und spucke dem Türkensultan selbst in die Augen. Nimm mit dir so viele Krieger, wie du brauchst, nimm mit dir soviel Gold, wie du willst!« Da antwortete Baldak, der Jüngling, und sprach: »Wohlan, Zar Wolodimir, gib mir nur neunundzwanzig kühne Burschen zum Geleit, ich selber werde der dreißigste sein.«
Rasch wird das Märchen erzählt, langsam die Tat getan. Baldak, der Jüngling, der Sohn des Boris, machte sich auf über Weg und Steg zum türkischen Sultan; er wußte es abzupassen und langte um Mitternacht an. Er ging in den Hof des Sultans, führte das goldmähnige Roß aus dem Stall, den edlen Renner, fing den märchenerzählenden Kater, zerriß ihn in zwei Hälften und spuckte dem Sultan selbst in die Augen.
Der Türkensultan besaß einen Garten, den liebte er sehr; drei Werst war er lang, allerlei Bäume waren dort gepflanzt, allerlei Blumen waren dort gezogen. Der junge Baldak, Sohn des Boris, befahl den Gefährten, den neunundzwanzig kühnen Burschen, den ganzen Garten zu zerstören; er selber holte Feuer und brannte alles bis aufs letzte nieder und schlug dreißig weiße Zelte auf aus feinem Leinen. Am Morgen früh erwachte der türkische Sultan vom Schlaf; sein erster Blick galt dem Garten, den er liebte. Und als er hinschaute, da sah er, daß alle Bäume gefällt waren und verbrannt und daß im Garten dreißig weißleinene Zelte standen. »Wer mag da wohl hergeritten sein?« dachte der Sultan, »ein Zar oder ein Zarensohn, ein König oder ein Königssohn oder ein riesenstarker Recke?« Und der Sultan rief mit lauter Stimme nach seinem Lieblingspascha, ließ ihn zu sich kommen und sprach zu ihm diese Worte: »Es steht nicht wohl in meinem Reich! Erwartet hab ich den russischen Bösewicht, den jungen Baldak, den Sohn des Boris; jetzt aber ist zu mir geritten ein Zar vielleicht oder ein Zarensohn, ein König oder ein Königssohn oder ein riesenstarker Recke, ich weiß es nicht, und wie ich’s erfahren soll, vermag ich nicht zu erraten.« Da kam des türkischen Sultans älteste Tochter hinzu und sprach zu ihrem Vater: »Worüber beratet ihr und wißt euch nicht zu helfen? Ach, du mein Väterchen, türkischer Sultan, gib mir deinen Segen und befiehl im ganzen Reich neunundzwanzig Jungfrauen zusammenzusuchen, die schönsten von allen! Ich werde die dreißigste sein und in den leinenen Zelten eine Nacht verbringen und euch den Schuldigen herausfinden.« Der Vater war damit einverstanden, und die Tochter ging zu den Zelten mit ihren neunundzwanzig Jungfrauen: schönere als sie gab es im ganzen Reich nicht mehr!
Der junge Baldak, Sohn des Boris, trat zu ihnen hinaus, faßte die Sultanstochter bei den weißen Händen und rief mit seiner starken Stimme: »Heda, ihr kühnen Burschen und Kameraden! Nehmt die schönen Mädchen bei den Händen, führt sie in eure Zelte und tut mit ihnen, was ihr wohl versteht« Und sie schliefen beieinander eine Nacht; am Morgen kehrte die älteste Tochter zum türkischen Sultan zurück und sprach zu ihm: »Wohlan, mein liebes Väterchen, befiehl nun allen dreißig kühnen Burschen, aus den weißleinenen Zelten zu dir ins Haus zu kommen; ich selber werde dir den Schuldigen zeigen.« Sogleich schickte der Sultan seinen Lieblingspascha zu den Zelten, er solle herrufen und vor ihn fordern den jungen Baldak, den Sohn des Boris, mit allen seinen Gefährten. Da traten die dreißig kühnen Burschen aus den Zelten: alle von gleichem Aussehen wie leibliche Brüder, von gleichem Haar, von gleicher Stimme! Und sie sprachen zum Gesandten: »Kehre zurück, wir kommen bald nach dir!«
Aber Baldak, der Jüngling, der Sohn des Boris, fragte seine Gefährten: »Ist nicht irgendein Zeichen an mir? Schaut überall nach!« Und sie fanden an ihm: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber. »Schlau ist sie, aber wie sollt ich das nicht erraten!« sagte Baldak und machte allen seinen Gefährten dasselbe Zeichen: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber; und dann befahl er ihnen, Handschuhe anzuziehen, und sprach: »Keiner soll sie ohne meinen Befehl abziehen, wenn wir in das Haus zum türkischen Sultan kommen.« Sie gingen zum Sultan und traten in das Haus. Die älteste Tochter kam ihnen entgegen und erkannte den Schuldigen, den jungen Baldak, den Sohn des Boris. Baldak aber sprach zu ihr: »Woran erkennst du mich, was sind deine Beweise?« Antwortete ihm des Sultans älteste Tochter: »Zieh vom Fuß den Stiefel und von der Hand den Handschuh, dort hab ich meine Zeichen angebracht: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber.« – »Gibt es denn bei uns solcher Burschen nicht noch mehr?« und der junge Baldak befahl seinen Gefährten: »Zieht alle einen Stiefel von den Füßen und einen Handschuh von der Hand!« Da sah man: das Zeichen, das er hatte, fand sich auch bei allen andern, und in den Gemächern leuchtete es hell auf! Der türkische Sultan jedoch war voller Güte, und seiner Tochter glaubte er nicht: »Du lügst! Ich brauche nur einen Schuldigen, nach dir sind es aber alle dreißig!« Und der Türkensultan befahl: »Schert euch alle fort!«
Er betrübte sich aber noch mehr und grämte sich noch mehr, fing an nachzudenken und mit dem Lieblingspascha zu beraten, wie man den Schuldigen herausfinden könnte. Da kam des Sultans zweite Tochter zur Beratung und sprach: »Gib mir, Väterchen, neunundzwanzig Jungfrauen, ich selbst werde die dreißigste sein; mit ihnen geh ich zu den weißleinenen Zelten, verbring in den Zelten eine Nacht und find euch den Schuldigen heraus.« Gesagt – getan. Am nächsten Morgen rief der türkische Sultan den jungen Baldak, den Sohn des Boris, zu sich in den Palast, rief ihn samt den Gefährten durch seinen Lieblingspascha. Und Baldak antwortete wie vordem: »Kehre zurück, wir kommen bald!« Kaum war der Pascha fortgegangen, da rief Baldak mit starker Stimme: »Kommt heraus aus den Zelten, alle meine Gefährten, ihr neunundzwanzig kühnen Burschen! Schaut nach, ist nicht ein Zeichen an mir?« Sofort eilten sie aus den Zelten und fanden auf seinem Haupte goldene Haare. Da sprach der junge Baldak, Sohn des Boris: »Schlau ist sie, aber wie sollt ich das nicht erraten!« Er machte allen Gefährten die gleichen goldnen Haare, befahl ihnen, die Mützen über die verwegenen Köpfe zu ziehen, und sprach: »Keiner soll sie ohne meinen Befehl abziehen, wenn wir in des türkischen Sultans Gemächern weilen werden.«
Als darauf Baldak, der Jüngling, mit seinen Gefährten in die Gemächer eintrat, sprach der Sultan zu seiner zweiten Tochter: »Errate, liebe Tochter, wer der Schuldige ist.« Sie wußte es aber ganz gewiß, denn sie hatte eine Nacht mit ihm geschlafen; sie ging ohne Zögern auf Baldak, den Jüngling, zu und sagte: »Hier ist der Schuldige!« Antwortete darauf Baldak, der Sohn des Boris: »Woran erkennst du mich, was sind deine Beweise?« – »Nimm die Mütze vom Kopf, ich hab dir ein Zeichen gemacht: es sind goldene Haare.« – »Aber gibt es denn bei uns solcher Burschen nicht noch mehr?« und der junge Baldak befahl seinen Gefährten, die Mützen abzuziehen: bei allen fand sich das Zeichen, und in den Gemächern leuchtete es hell auf! Der türkische Sultan ward zornig auf seine zweite Tochter und rief: »Unrecht hast du! Ich brauche nur einen Schuldigen, nach dir sind es aber alle!«, und er befahl: »Schert euch aus den Gemächern hinaus!«
Noch mehr jedoch denn zuvor betrübte und grämte sich der türkische Sultan. Da kam seine dritte, jüngste Tochter zu ihm, schalt auf die älteren Schwestern und bat den Vater gar sehr: »Mein liebes Väterchen, befiehl neunundzwanzig Jungfrauen für mich auszusuchen, wie’s keine schöneren im ganzen Reiche gibt; ich selbst werde die dreißigste sein und dir den Schuldigen herausfinden.« Der Sultan erfüllte die Bitte der jüngsten Tochter. Sie machten sich auf zu den Zelten, die Nacht dort zu verbringen. Der junge Baldak, Sohn des Boris, sprang hervor aus seinem Zelt, faßte die Sultanstochter bei den weißen Händen und führte sie zu sich hinein; seinen kühnen Burschen aber rief er mit starker Stimme zu: »Nehmt die schönen Mädchen bei den Händen und führt sie in eure Zelte!« Die Mädchen schliefen dort die Nacht, und am Morgen gingen sie nach Hause. Dann schickte der Sultan seinen Lieblingspascha nach den kühnen Burschen. Der Gesandte ging hin zu den weißleinenen Zelten und rief den jungen Baldak und seine Gefährten in die Gemächer zum Sultan. »Kehre zurück, wir kommen bald nach dir!« Und Baldak, der Jüngling, sprach zu seinen Gefährten: »Nun, Kinder, schaut nach, ist nicht vielleicht ein Zeichen an mir?« Überall sahen sie nach, überall schauten sie hin, aber konnten nichts finden. »Ach, Brüder, jetzt bin ich gewißlich verloren!« Und Baldak, der Junge, bat sie, den letzten Dienst ihm zu leisten; er gab einem jeden einen scharfen Säbel und befahl, ihn unter den Kleidern zu tragen: »Aber sowie ich ein Zeichen gebe, haut nach allen Seiten!«
Als sie zum Türkensultan kamen, trat die jüngste Tochter hervor und zeigte auf den jungen Baldak: »Hier ist der Schuldige! Er hat einen goldnen Stern unter der Ferse.« Und auf dieses Wort hin fand man an ihm unter der Ferse den goldenen Stern. Der türkische Sultan schickte die neunundzwanzig kühnen Burschen aus seinen Gemächern hinaus, hieß allein den Schuldigen bleiben, den jungen Baldak, den Sohn des Boris, und schrie ihn an mit lauter, gewaltiger Stimme: »Wenn ich dich nun packe und auf eine Hand setze und mit der anderen dich zusammendrücke, bleibt nicht mehr von dir übrig als ein nasser Fleck!« Antwortete ihm darauf Baldak, der Jüngling: »Wohlan, türkischer Sultan! Dich fürchteten die Zaren und Zarensöhne, die Könige und die Königssöhne und die riesenstarken Recken, ich aber, ein siebenjähriger Knabe, fürchtete dich nicht: hab dein goldmähniges Roß entführt, den edlen Renner, hab den märchenerzählenden Kater getötet, hab dir, Sultan, in die Augen gespuckt, und endlich noch den Garten, den du liebtest, verwüstet und verbrannt!« Da ergrimmte der Sultan noch mehr als zuvor, befahl seinen Dienern, auf dem Marktplatz zwei eichene Säulen zu errichten, mit einem Querbalken aus Ahorn, und an den Balken drei Schlingen zu binden: die erste von Seide, die zweite von Hanf, die dritte von Bast, und ließ in der ganzen Stadt verkünden, daß sich alt und jung auf dem Platze versammeln solle, um zuzuschauen, wie man den russischen Bösewicht hängen werde. Doch der Türkensultan selber setzte sich in einen leichten Wagen und nahm den Lieblingspascha und die jüngste Tochter mit, die den Schuldigen entdeckt hatte; Baldak, den Jüngling, aber banden sie und schlugen ihn in Ketten und legten ihn dem Sultan zu Füßen; dann fuhren sie zu den eichenen Säulen.
Auf dem Wege begann der junge Baldak zu reden und sprach: »Rätsel will ich aufgeben, du aber, türkischer Sultan, errate sie: ‚Sicher läuft das Pferd, was schleppt es den Schwanz hintennach?’« – »Du bist wohl von Sinnen?« sagte der Sultan, »das Pferd kommt schon zur Welt mit dem Schwanz.« Sie fuhren ein wenig weiter, und wieder sprach Baldak: »Das Roß die vorderen Räder zieht, warum wohl der Teufel die hinteren zieht?« – »Welch ein Dummkopf! Im Angesicht des Todes ist er toll geworden, schwatzt dummes Zeug zusammen! Vier Räder machte der Meister, nun rollen auch viere dahin.« Sie kamen auf den Marktplatz und stiegen aus dem Wagen; sie lösten Baldak die Fesseln, nahmen ihm die Ketten ab und führten ihn zum Galgen. Der junge Baldak, der Sohn des Boris, bekreuzigte sich, nach allen vier Seiten verbeugte er sich und rief mit starker Stimme: »Hör mich an, türkischer Sultan! Laß mich noch nicht hängen, laß ein Wort mich reden!« – »Sprich, was willst du?« – »Ich hab ein Geschenk meines Vaters, eine Gabe meiner Mutter – ein Horn zum Blasen. Erlaube mir darauf zu blasen in dieser meiner letzten Stunde: mich zu getrösten, euch zu erfreuen!« – »Blase nur in deiner letzten Stunde!« Der junge Baldak ließ es fröhlich erklingen, und allen verkehrte sich der Verstand; sie schauten auf ihn und hörten ihm zu und vergaßen, weshalb sie gekommen, und dem Sultan gehorchte die Zunge nicht mehr.
Da hörten die neunundzwanzig kühnen Burschen das Horn erschallen, drängten sich aus den hintersten Reihen nach vorn und hieben ein auf das Volk mit scharfen Säbeln. Baldak, der Jüngling, blies so lange, bis die kühnen Burschen, seine Gefährten, alles Volk zu Boden geschlagen hatten und bis zum Galgen durchgedrungen waren. Da hörte Baldak, der Sohn des Boris, mit Blasen auf und sprach zum türkischen Sultan das letzte Wort: »Du bist wohl von Sinnen! Wende dich um und schau zurück: meine Gänse, sie rupfen nun deinen Weizen!« Der Türkensultan kehrte sich um: sein Volk getötet, die Erde gerötet! Nur drei beim Galgen waren sie noch: der Sultan, die Tochter und der Lieblingspascha. Der junge Baldak befahl seinen kühnen Burschen, den Sultan mit der seidenen Schlinge zu hängen, den Pascha mit der aus Hanf und die Tochter mit der aus Bast. Und damit hatten sie ihr Werk vollbracht und machten sich auf nach Kijew, in die ruhmreiche Stadt zum Zaren Wladimir.
Der Zar Wladimir hatte aber eine Lieblingstochter; sie sprach zu ihm diese Worte: »Wohlan, mein Väterchen, Wolodimir-Zar! Mag sich Ilja-Muromez, Sohn des Iwan, seiner Taten auch rühmen, wird er den Dienst, den du forderst, doch nicht vollbringen! Entlaß, mein Väterchen, die zechenden Helden; geh hin und such in deiner Stadt in den zarischen Schenken den jungen Baldak, den Sohn des Boris, den Siebenjährigen.« Und der Zar gehorchte seiner Tochter, ging hin und suchte den jungen Baldak, den Sohn des Boris, und fand ihn in der Schenke, er schlief unter der Bank. Mit der Stiefelspitze stieß ihn an Wolodimir, der Zar; davon erwachte Baldak aus dem Schlaf und sprang in die Höhe, als wenn nichts geschehen wäre. »Sag an, Wolodimir-Zar, wozu bedarfst du meiner?« Da gab ihm zur Antwort Wolodimir, der Zar: »Zum Ehrenmahle lad ich dich ein.« – »Nicht würdig bin ich, zum Mahle zu gehen: in den Schenken besauf ich mich, unter den Füßen da wälz ich mich.« Doch Wladimir, der Zar, sprach diese Worte zu ihm: »Ruf ich dich zum Mahle, so mußt du gehn; zu großen Dingen wirst du gebraucht.« Da schickte ihn der junge Baldak, der Sohn des Boris, aus der Schenke fort in die Zarengemächer zurück und sagte, er komme gleich hinterher.
Baldak blieb allein in der Schenke, ernüchterte sich mit Branntwein, soviel er dessen bedurfte, und ging unangemeldet zum Zaren Wladimir. Er schlug das Kreuz, wie die Schrift es verlangt, und verneigte sich, wie es Brauch ist; nach allen Seiten verneigte er sich, vor dem Zaren jedoch insbesondere. »Ich grüße dich, Wolodimir-Zar: Weshalb hast du mich gerufen?« Da antwortete ihm Wolodimir-Zar: »Wohlan, du junger Baldak, Sohn des Boris! Leiste mir einen großen Dienst: geh hin durch dreimal neun Länder in das dreimal zehnte Reich zum türkischen Sultan; sein goldmähniges Roß, das führ ihm fort, töte den märchenerzählenden Kater und spucke dem Türkensultan selbst in die Augen. Nimm mit dir so viele Krieger, wie du brauchst, nimm mit dir soviel Gold, wie du willst!« Da antwortete Baldak, der Jüngling, und sprach: »Wohlan, Zar Wolodimir, gib mir nur neunundzwanzig kühne Burschen zum Geleit, ich selber werde der dreißigste sein.«
Rasch wird das Märchen erzählt, langsam die Tat getan. Baldak, der Jüngling, der Sohn des Boris, machte sich auf über Weg und Steg zum türkischen Sultan; er wußte es abzupassen und langte um Mitternacht an. Er ging in den Hof des Sultans, führte das goldmähnige Roß aus dem Stall, den edlen Renner, fing den märchenerzählenden Kater, zerriß ihn in zwei Hälften und spuckte dem Sultan selbst in die Augen.
Der Türkensultan besaß einen Garten, den liebte er sehr; drei Werst war er lang, allerlei Bäume waren dort gepflanzt, allerlei Blumen waren dort gezogen. Der junge Baldak, Sohn des Boris, befahl den Gefährten, den neunundzwanzig kühnen Burschen, den ganzen Garten zu zerstören; er selber holte Feuer und brannte alles bis aufs letzte nieder und schlug dreißig weiße Zelte auf aus feinem Leinen. Am Morgen früh erwachte der türkische Sultan vom Schlaf; sein erster Blick galt dem Garten, den er liebte. Und als er hinschaute, da sah er, daß alle Bäume gefällt waren und verbrannt und daß im Garten dreißig weißleinene Zelte standen. »Wer mag da wohl hergeritten sein?« dachte der Sultan, »ein Zar oder ein Zarensohn, ein König oder ein Königssohn oder ein riesenstarker Recke?« Und der Sultan rief mit lauter Stimme nach seinem Lieblingspascha, ließ ihn zu sich kommen und sprach zu ihm diese Worte: »Es steht nicht wohl in meinem Reich! Erwartet hab ich den russischen Bösewicht, den jungen Baldak, den Sohn des Boris; jetzt aber ist zu mir geritten ein Zar vielleicht oder ein Zarensohn, ein König oder ein Königssohn oder ein riesenstarker Recke, ich weiß es nicht, und wie ich’s erfahren soll, vermag ich nicht zu erraten.« Da kam des türkischen Sultans älteste Tochter hinzu und sprach zu ihrem Vater: »Worüber beratet ihr und wißt euch nicht zu helfen? Ach, du mein Väterchen, türkischer Sultan, gib mir deinen Segen und befiehl im ganzen Reich neunundzwanzig Jungfrauen zusammenzusuchen, die schönsten von allen! Ich werde die dreißigste sein und in den leinenen Zelten eine Nacht verbringen und euch den Schuldigen herausfinden.« Der Vater war damit einverstanden, und die Tochter ging zu den Zelten mit ihren neunundzwanzig Jungfrauen: schönere als sie gab es im ganzen Reich nicht mehr!
Der junge Baldak, Sohn des Boris, trat zu ihnen hinaus, faßte die Sultanstochter bei den weißen Händen und rief mit seiner starken Stimme: »Heda, ihr kühnen Burschen und Kameraden! Nehmt die schönen Mädchen bei den Händen, führt sie in eure Zelte und tut mit ihnen, was ihr wohl versteht« Und sie schliefen beieinander eine Nacht; am Morgen kehrte die älteste Tochter zum türkischen Sultan zurück und sprach zu ihm: »Wohlan, mein liebes Väterchen, befiehl nun allen dreißig kühnen Burschen, aus den weißleinenen Zelten zu dir ins Haus zu kommen; ich selber werde dir den Schuldigen zeigen.« Sogleich schickte der Sultan seinen Lieblingspascha zu den Zelten, er solle herrufen und vor ihn fordern den jungen Baldak, den Sohn des Boris, mit allen seinen Gefährten. Da traten die dreißig kühnen Burschen aus den Zelten: alle von gleichem Aussehen wie leibliche Brüder, von gleichem Haar, von gleicher Stimme! Und sie sprachen zum Gesandten: »Kehre zurück, wir kommen bald nach dir!«
Aber Baldak, der Jüngling, der Sohn des Boris, fragte seine Gefährten: »Ist nicht irgendein Zeichen an mir? Schaut überall nach!« Und sie fanden an ihm: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber. »Schlau ist sie, aber wie sollt ich das nicht erraten!« sagte Baldak und machte allen seinen Gefährten dasselbe Zeichen: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber; und dann befahl er ihnen, Handschuhe anzuziehen, und sprach: »Keiner soll sie ohne meinen Befehl abziehen, wenn wir in das Haus zum türkischen Sultan kommen.« Sie gingen zum Sultan und traten in das Haus. Die älteste Tochter kam ihnen entgegen und erkannte den Schuldigen, den jungen Baldak, den Sohn des Boris. Baldak aber sprach zu ihr: »Woran erkennst du mich, was sind deine Beweise?« Antwortete ihm des Sultans älteste Tochter: »Zieh vom Fuß den Stiefel und von der Hand den Handschuh, dort hab ich meine Zeichen angebracht: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber.« – »Gibt es denn bei uns solcher Burschen nicht noch mehr?« und der junge Baldak befahl seinen Gefährten: »Zieht alle einen Stiefel von den Füßen und einen Handschuh von der Hand!« Da sah man: das Zeichen, das er hatte, fand sich auch bei allen andern, und in den Gemächern leuchtete es hell auf! Der türkische Sultan jedoch war voller Güte, und seiner Tochter glaubte er nicht: »Du lügst! Ich brauche nur einen Schuldigen, nach dir sind es aber alle dreißig!« Und der Türkensultan befahl: »Schert euch alle fort!«
Er betrübte sich aber noch mehr und grämte sich noch mehr, fing an nachzudenken und mit dem Lieblingspascha zu beraten, wie man den Schuldigen herausfinden könnte. Da kam des Sultans zweite Tochter zur Beratung und sprach: »Gib mir, Väterchen, neunundzwanzig Jungfrauen, ich selbst werde die dreißigste sein; mit ihnen geh ich zu den weißleinenen Zelten, verbring in den Zelten eine Nacht und find euch den Schuldigen heraus.« Gesagt – getan. Am nächsten Morgen rief der türkische Sultan den jungen Baldak, den Sohn des Boris, zu sich in den Palast, rief ihn samt den Gefährten durch seinen Lieblingspascha. Und Baldak antwortete wie vordem: »Kehre zurück, wir kommen bald!« Kaum war der Pascha fortgegangen, da rief Baldak mit starker Stimme: »Kommt heraus aus den Zelten, alle meine Gefährten, ihr neunundzwanzig kühnen Burschen! Schaut nach, ist nicht ein Zeichen an mir?« Sofort eilten sie aus den Zelten und fanden auf seinem Haupte goldene Haare. Da sprach der junge Baldak, Sohn des Boris: »Schlau ist sie, aber wie sollt ich das nicht erraten!« Er machte allen Gefährten die gleichen goldnen Haare, befahl ihnen, die Mützen über die verwegenen Köpfe zu ziehen, und sprach: »Keiner soll sie ohne meinen Befehl abziehen, wenn wir in des türkischen Sultans Gemächern weilen werden.«
Als darauf Baldak, der Jüngling, mit seinen Gefährten in die Gemächer eintrat, sprach der Sultan zu seiner zweiten Tochter: »Errate, liebe Tochter, wer der Schuldige ist.« Sie wußte es aber ganz gewiß, denn sie hatte eine Nacht mit ihm geschlafen; sie ging ohne Zögern auf Baldak, den Jüngling, zu und sagte: »Hier ist der Schuldige!« Antwortete darauf Baldak, der Sohn des Boris: »Woran erkennst du mich, was sind deine Beweise?« – »Nimm die Mütze vom Kopf, ich hab dir ein Zeichen gemacht: es sind goldene Haare.« – »Aber gibt es denn bei uns solcher Burschen nicht noch mehr?« und der junge Baldak befahl seinen Gefährten, die Mützen abzuziehen: bei allen fand sich das Zeichen, und in den Gemächern leuchtete es hell auf! Der türkische Sultan ward zornig auf seine zweite Tochter und rief: »Unrecht hast du! Ich brauche nur einen Schuldigen, nach dir sind es aber alle!«, und er befahl: »Schert euch aus den Gemächern hinaus!«
Noch mehr jedoch denn zuvor betrübte und grämte sich der türkische Sultan. Da kam seine dritte, jüngste Tochter zu ihm, schalt auf die älteren Schwestern und bat den Vater gar sehr: »Mein liebes Väterchen, befiehl neunundzwanzig Jungfrauen für mich auszusuchen, wie’s keine schöneren im ganzen Reiche gibt; ich selbst werde die dreißigste sein und dir den Schuldigen herausfinden.« Der Sultan erfüllte die Bitte der jüngsten Tochter. Sie machten sich auf zu den Zelten, die Nacht dort zu verbringen. Der junge Baldak, Sohn des Boris, sprang hervor aus seinem Zelt, faßte die Sultanstochter bei den weißen Händen und führte sie zu sich hinein; seinen kühnen Burschen aber rief er mit starker Stimme zu: »Nehmt die schönen Mädchen bei den Händen und führt sie in eure Zelte!« Die Mädchen schliefen dort die Nacht, und am Morgen gingen sie nach Hause. Dann schickte der Sultan seinen Lieblingspascha nach den kühnen Burschen. Der Gesandte ging hin zu den weißleinenen Zelten und rief den jungen Baldak und seine Gefährten in die Gemächer zum Sultan. »Kehre zurück, wir kommen bald nach dir!« Und Baldak, der Jüngling, sprach zu seinen Gefährten: »Nun, Kinder, schaut nach, ist nicht vielleicht ein Zeichen an mir?« Überall sahen sie nach, überall schauten sie hin, aber konnten nichts finden. »Ach, Brüder, jetzt bin ich gewißlich verloren!« Und Baldak, der Junge, bat sie, den letzten Dienst ihm zu leisten; er gab einem jeden einen scharfen Säbel und befahl, ihn unter den Kleidern zu tragen: »Aber sowie ich ein Zeichen gebe, haut nach allen Seiten!«
Als sie zum Türkensultan kamen, trat die jüngste Tochter hervor und zeigte auf den jungen Baldak: »Hier ist der Schuldige! Er hat einen goldnen Stern unter der Ferse.« Und auf dieses Wort hin fand man an ihm unter der Ferse den goldenen Stern. Der türkische Sultan schickte die neunundzwanzig kühnen Burschen aus seinen Gemächern hinaus, hieß allein den Schuldigen bleiben, den jungen Baldak, den Sohn des Boris, und schrie ihn an mit lauter, gewaltiger Stimme: »Wenn ich dich nun packe und auf eine Hand setze und mit der anderen dich zusammendrücke, bleibt nicht mehr von dir übrig als ein nasser Fleck!« Antwortete ihm darauf Baldak, der Jüngling: »Wohlan, türkischer Sultan! Dich fürchteten die Zaren und Zarensöhne, die Könige und die Königssöhne und die riesenstarken Recken, ich aber, ein siebenjähriger Knabe, fürchtete dich nicht: hab dein goldmähniges Roß entführt, den edlen Renner, hab den märchenerzählenden Kater getötet, hab dir, Sultan, in die Augen gespuckt, und endlich noch den Garten, den du liebtest, verwüstet und verbrannt!« Da ergrimmte der Sultan noch mehr als zuvor, befahl seinen Dienern, auf dem Marktplatz zwei eichene Säulen zu errichten, mit einem Querbalken aus Ahorn, und an den Balken drei Schlingen zu binden: die erste von Seide, die zweite von Hanf, die dritte von Bast, und ließ in der ganzen Stadt verkünden, daß sich alt und jung auf dem Platze versammeln solle, um zuzuschauen, wie man den russischen Bösewicht hängen werde. Doch der Türkensultan selber setzte sich in einen leichten Wagen und nahm den Lieblingspascha und die jüngste Tochter mit, die den Schuldigen entdeckt hatte; Baldak, den Jüngling, aber banden sie und schlugen ihn in Ketten und legten ihn dem Sultan zu Füßen; dann fuhren sie zu den eichenen Säulen.
Auf dem Wege begann der junge Baldak zu reden und sprach: »Rätsel will ich aufgeben, du aber, türkischer Sultan, errate sie: ‚Sicher läuft das Pferd, was schleppt es den Schwanz hintennach?’« – »Du bist wohl von Sinnen?« sagte der Sultan, »das Pferd kommt schon zur Welt mit dem Schwanz.« Sie fuhren ein wenig weiter, und wieder sprach Baldak: »Das Roß die vorderen Räder zieht, warum wohl der Teufel die hinteren zieht?« – »Welch ein Dummkopf! Im Angesicht des Todes ist er toll geworden, schwatzt dummes Zeug zusammen! Vier Räder machte der Meister, nun rollen auch viere dahin.« Sie kamen auf den Marktplatz und stiegen aus dem Wagen; sie lösten Baldak die Fesseln, nahmen ihm die Ketten ab und führten ihn zum Galgen. Der junge Baldak, der Sohn des Boris, bekreuzigte sich, nach allen vier Seiten verbeugte er sich und rief mit starker Stimme: »Hör mich an, türkischer Sultan! Laß mich noch nicht hängen, laß ein Wort mich reden!« – »Sprich, was willst du?« – »Ich hab ein Geschenk meines Vaters, eine Gabe meiner Mutter – ein Horn zum Blasen. Erlaube mir darauf zu blasen in dieser meiner letzten Stunde: mich zu getrösten, euch zu erfreuen!« – »Blase nur in deiner letzten Stunde!« Der junge Baldak ließ es fröhlich erklingen, und allen verkehrte sich der Verstand; sie schauten auf ihn und hörten ihm zu und vergaßen, weshalb sie gekommen, und dem Sultan gehorchte die Zunge nicht mehr.
Da hörten die neunundzwanzig kühnen Burschen das Horn erschallen, drängten sich aus den hintersten Reihen nach vorn und hieben ein auf das Volk mit scharfen Säbeln. Baldak, der Jüngling, blies so lange, bis die kühnen Burschen, seine Gefährten, alles Volk zu Boden geschlagen hatten und bis zum Galgen durchgedrungen waren. Da hörte Baldak, der Sohn des Boris, mit Blasen auf und sprach zum türkischen Sultan das letzte Wort: »Du bist wohl von Sinnen! Wende dich um und schau zurück: meine Gänse, sie rupfen nun deinen Weizen!« Der Türkensultan kehrte sich um: sein Volk getötet, die Erde gerötet! Nur drei beim Galgen waren sie noch: der Sultan, die Tochter und der Lieblingspascha. Der junge Baldak befahl seinen kühnen Burschen, den Sultan mit der seidenen Schlinge zu hängen, den Pascha mit der aus Hanf und die Tochter mit der aus Bast. Und damit hatten sie ihr Werk vollbracht und machten sich auf nach Kijew, in die ruhmreiche Stadt zum Zaren Wladimir.
[Rußland: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]