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Belohnte Treue

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Es war einmal ein armer Mann, der hatte kaum so viel, um nicht zu verhungern, und bot daher seinen Sohn feil, um das nötige Öl für die Lampe zu kaufen, die er einem Heiligen zu Ehren unterhielt. Der Knabe gefiel einem Pascha, der keine Söhne hatte; der kaufte ihn also und nahm ihn mit sich nach Hause. Da der Knabe aber nicht nur schön von Ansehn, sondern auch gut von Herzen war, so bekam er ihn bald sehr lieb und bestimmte ihn, als er heranwuchs, seiner einzigen Tochter zum Manne, weil sie sich beide von Kindheit an so sehr liebten, daß keines eine Nuß aß, ohne sie mit dem andern zu teilen.
Die Tochter des Paschas war jedoch so schön und klug, daß ihr Ruf sich über das ganze Land verbreitete und ein mächtiger Herr bei ihrem Vater um sie für seinen Sohn anhalten ließ. Die Mutter des Mädchens wollte den Antrag nicht annehmen, aber der Vater überredete sie, daß sie die Stütze mächtiger Verwandten nötig hätten und für den Jüngling ein anderes Mädchen freien könnten. Sie nahmen daher den Antrag an und verlobten das Mädchen an den Sohn jenes mächtigen Paschas.
Als das der Jüngling hörte, verließ er den Pallast seines Herrn und ging zu dessen Heerden, legte Schäfertracht an und trieb die Schafheerde täglich unter das Schloß. Dort stand ein großer Platanenbaum, unter dem ließ er seine Heerde ruhen, setzte sich zu ihr hin und unterhielt sich damit, daß er aufmerkte, wie die Blätter von dem Baume fielen. Als ihn das Mädchen gewahr wurde, rief sie: »He, Schäfer komm einmal herauf.« Er gehorchte und ging hinauf, setzte sich aber hart an der Türe, wohin der Teppich nicht reichte. Das Mädchen lud ihn ein, sich auf das Sopha neben sie zu setzen; er aber erwiderte, daß er Sandalen anhabe und damit den Teppich beschmutzen würde. Darauf reichte sie ihm einen Becher mit Wasser, in den sie heimlich ihren Verlobungsring geworfen hatte. Er aber weigerte sich, das Wasser zu trinken, weil er mit seinem Munde den Becher beschmutzen würde, und als alles Zureden der Jungfrau nichts half, da wurde sie böse und jagte ihn unter Scheltreden fort.
Am andern Morgen kam er wieder unter den Baum und hatte Acht darauf, wie die Blätter davon herunterfielen. Die Jungfrau rief ihn wiederum herauf und sprach: »gestern hast du mich mit deiner Störrigkeit böse gemacht, heute aber sollst du deine Sandalen ausziehen und dich zu mir setzen.« Da gehorchte er, setzte sich auf den Divan und nun schwatzten sie mit einander. Das Mädchen aber füllte wiederum den Becher mit Wasser, legte heimlich ihren Verlobungsring hinein und hieß ihn das Wasser trinken, und als er sich wiederum weigerte, sprach sie: »du fürchtest dich wohl, daß Gift in dem Wasser sei? ich will also zuerst davon trinken.« Nun trank sie die Hälfte des Bechers, und als der Hirte die andere Hälfte trank, sagte sie: »trinke alles Wasser bis auf den letzten Tropfen.« Wie aber der Hirte den Boden des Bechers hob, fiel ihm der Ring in den Mund. Da fragte er, was das bedeute? Doch sie schalt ihn und jagte ihn mit sammt dem Ringe aus dem Schlosse. Als der Jüngling zu seinen Schafen kam, band er den Ring mit neun Knoten in seinen Untergürtel und trieb seine Schafe heim.
Am andern Morgen rief die Jungfrau ihre Ältern und sprach: »Ihr habt nur eine einzige Tochter und diese versprecht ihr an zwei Männer, ich verlange also, daß ihr das tun sollt, was ich euch sage, denn sonst bringe ich mich auf die eine oder andere Weise ums Leben. Der Pascha soll seinem Sohne tausend Piaster geben und ich will dem Schäfer tausend Piaster geben, beide sollen in die Welt ziehen und damit Geld zu verdienen suchen, und wer von beiden das meiste Geld zurückbringt, der soll mich zur Frau haben.«
Als die Ältern sahen, daß das Mädchen auf ihrem Kopfe bestand, überredeten sie den Pascha, ihr den Willen zu tun. Der Paschasohn und der Schäfer zogen also in die Welt, um Geld zu machen, der erstere mit fünfzig Beuteln und dreißig Reitern, der letztere zu Fuß mit einem kleinen Tragsack auf der Schulter, und kamen zuerst nach Jannina. Dort aber begann der Paschasohn ein flottes Leben, sein Frühstück kostete ihn dreihundert Piaster, sein Mittagessen sechshundert und sein Nachtmahl tausend. Nach einigen Tagen kam der Schäfer zu ihm und sprach: »komm nun, wir wollen in die Welt, um Geld zu verdienen«; jener aber antwortete: »ich habe hier mein Glück gefunden, gehe du und verdiene Geld, wo du willst.«
Der Hirte zog also allein in die Welt, und als er eines Tages auf einen Berg gestiegen und davon sehr müde und durstig geworden war, fand er dort einen alten Mann am Wege sitzen, der fragte ihn, wo er herkäme, und wo er bei dieser Hitze hinwolle. Der Jüngling aber verlangte vor allem nach Wasser, weil er, bevor er getrunken, gar nicht reden könne. Da wies ihn der Alte an eine nahe Quelle, und nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, kehrte er zum Alten zurück und erzählte ihm alles, was sich mit ihm zugetragen. Als er zu Ende war, fragte ihn der Alte, »wie viel Geld er habe«, und der Jüngling sagte, »er habe tausend Piaster.« Da gab ihm der Alte noch weitere tausend und sagte zu ihm: »folge diesem Wege, der zur Stadt führt, und wenn du dort bist, so frage nach dem und dem Kaffeehaus, dessen Eigentümer einen Affen hält. Den mußt du dann fragen, ob ihm der Affe feil sei, und der Kaffeewirt wird seinen Spaß mit dir haben, weil er nicht erwartet, daß du Geld hast, und wird dir sagen, daß er ihn dir für zweitausend Piaster verkaufen wolle. Dann mußt du die Herrn, die dort sind, zu Zeugen nehmen, daß der Handel geschlossen sei, und ihm die zweitausend Piaster geben, und wenn er sich weigert, sie anzunehmen, so mußt du ihn vor Gericht verklagen.«
Der Jüngling tat, wie ihm der Alte geheißen, er ging in die Stadt, fand dort das Kaffeehaus mit dem Affen, schloß den Handel mit dem Kaffeewirt und nahm die dort versammelten Gäste zu Zeugen, und als der Kaffeewirt den Affen nicht hergeben wollte, verklagte er ihn vor Gericht, und rief jene Gäste zu Zeugen auf; darauf zahlte er ihm die zweitausend Piaster vor dem Richter aus, setzte den Affen auf seine Schultern und kehrte mit ihm zu dem Alten zurück.
Der Alte aber nahm den Affen und sprach: »weil das Tier uns beiden gehört, so wollen wir ihn auch mit einander teilen«, und nun zerschnitt er den Affen vom Schwanze bis zum Kopfe in zwei gleiche Hälften, gab die eine davon dem Jüngling und behielt die andere für sich. Der Jüngling aber wollte sein Teil nicht behalten, sondern warf es weg und sprach: »Wenn ich auch die Okka Fleisch zu fünfhundert Piaster und das Fell für einen Piaster rechne, so komme ich doch nicht wieder zu meinem Gelde, denn es sind lange keine zwei Okka Fleisch.« Der Alte aber lachte und führte ihn in seine Hütte. Dort gab er ihm zu essen und zu trinken, und während sich der Hirte gütlich tat, ging der Alte hin, nahm aus der Hälfte des Affen, welche dem Jüngling gehörte, das Hirn, machte daraus eine Heilsalbe, tat sie in eine Büchse, gab sie dem Jüngling, und sprach: »allen Blinden, die du begegnest, bestreiche mit der Salbe die Augen, und sie werden wieder sehend werden, und alles Geld, was du dafür einsammelst, das bringe hierher; du darfst aber von Niemand Geld im voraus fordern, sondern mußt mit allem zufrieden sein, was man dir giebt.«
Da nahm der Jüngling die Salbe, stieg den Berg hinab, und kam an dessen Fuße zu einer Meerenge. Dort fand er eine Fähre, die jeden, der auf die gegenüberliegende Insel wollte, für vier Heller hinüberfuhr. Als sie auf der Insel angekommen waren, verlangte der Schiffer den Fahrlohn von ihm. Der Jüngling aber antwortete, »daß er kein Geld habe.« Da stieß ihn der Schiffer wieder in die Fähre hinein, weil er, wenn er nicht zahlen könne, wieder zurück müsse. In der Fähre aber saß ein Blinder, zu dem sagte der Jüngling: »wenn er die Überfahrt für ihn zahle, so wolle er ihn wieder sehend machen.« Da antwortete der Blinde: »heile mich nur und sei dann unbekümmert um den Lohn, den ich dir geben werde.« Der Jüngling bestrich ihm die Augen mit der Salbe, und als der Blinde merkte, daß er geheilt war, gab er ihm fünfzig Piaster, und hiervon zahlte jener seinen Fahrlohn. Darauf zog er im Lande herum und heilte alle Blinden, die er begegnete, bis er tausend Piaster gesammelt hatte. Da hörte er von einem reichen, reichen Manne, der schon seit fünfundzwanzig Jahren blind sei und dem die größten Ärzte nicht zu helfen vermochten. Er ging also zu dessen Wohnung und klopfte an die Türe, als aber die Diener hörten, daß er ihren Herrn heilen wolle, da wollten sie ihn nicht hereinlassen, weil es die drei Ärzte verboten hatten, die ihn behandelten, doch er ließ sich nicht abweisen und bestand darauf, daß sie dem Blinden sagen sollten, sein guter Stern sei vor der Türe, der ihn heilen wolle, und er solle ihn nicht von sich weisen. Da meldeten sie ihn endlich bei ihrem Herrn, und dieser ließ ihn vor sich kommen und faßte solches Vertrauen zu seinen Reden, daß er auf sein Verlangen die drei Ärzte entfernen und sich die Augen von dem Jüngling salben ließ. Weil diese aber durch die Heilmittel der Ärzte verdorben waren, so konnte er erst beim vierten Mal ein wenig sehn, und der Jüngling mußte ihm die Salbe sechsmal einreiben, bis er vollkommen sehend wurde. Da wollte ihn der alte Mann an Kindesstatt annehmen und zu seinem Erben machen; er aber antwortete, daß er in seiner Heimat mit einem Mädchen versprochen sei und diese nicht verlassen dürfe. Als nun der Alte sah, daß er sich nicht halten ließ, da füllte er ihm seinen Geldgurt und seinen Tragsack mit lauter Goldstücken, und begleitete ihn bis an den Meeresstrand, dort aber lagen sechszig Schiffe vor Anker, die alle dem Alten gehörten, und dieser fragte: »willst du, daß ich dir alle sechszig schenke?« Der Jüngling antwortete: »wenn du mir nur eins schenkst, so werde ich dir dafür ebenso danken, als wenn du mir alle sechszig schenkst.« Da teilte der Alte die Schiffe in zwei Hälften, ließ die Schiffer von der einen Hälfte kommen und sagte ihnen, daß er diese dem Jüngling geschenkt habe. Darauf nahm er von ihm Abschied, und kehrte nach Hause zurück.
Der Jüngling aber fuhr mit seinen dreißig Schiffen an den Fuß des Berges und ging allein zu dem Alten. Als ihn dieser nun fragte, was er aus der Salbe, die er ihm gegeben, erlöst habe, da antwortete der Jüngling: »mein Gurt steckt voll Gold, mein Tragsack steckt voll Gold und am Strande ankern dreißig Schiffe.« Da fragte ihn der Alte: »und bin ich dein Partner für all dieses Gut?« »Ja wohl«, antwortete der Jüngling, »denn alles, was du mir gesagt hast, habe ich als wahr erfunden, und nun komme mit zu meiner Braut.« Sie machten sich also auf die Reise und kamen unterwegs zu jener Stadt, in der der Sohn des Paschas zurückgeblieben war. Dieser hatte dort immer dasselbe Leben geführt und große Schulden gemacht, und als die Bäcker, Wirte, Fleischer und andere Handwerker hörten, daß sein Geselle gekommen sei, um ihn abzuholen, da liefen sie alle zusammen und verlangten ihr Geld. Ihre Forderungen betrugen mehr als fünfzigtausend Piaster und jener hatte keinen Heller. Als der Jüngling sah, in welcher Lage er war, sprach er: »wenn du dir mein Siegel auf die Stirne brennen lässest, so bezahle ich alle deine Schulden.« Der andere war das zufrieden; als aber alle Schulden bezahlt waren und der Jüngling sein Siegel im Feuer glühte, da bat ihn der Sohn des Pascha, ihm nicht den Schimpf anzutun, ihn auf der Stirne zu siegeln, sondern sich damit zu begnügen, ihm das Siegel auf den Arm zu drücken, und der Jüngling hatte Mitleid mit ihm und brannte ihm das Siegel auf den rechten Arm. Während nun der Jüngling mit dem Alten zur See auf seinen Schiffen nach der Stadt der Braut fuhr, ritt der andere so schnell als möglich auf sein Schloß und schickte einen Eilboten in das Haus der Braut mit der Nachricht, daß der Schäfer gestorben sei und er in drei Tagen kommen werde, um sie heimzuführen. Darauf richtete der Paschasohn eine große Hochzeit in seinem Schlosse an, machte sich mit fünfzig Reitern auf, um seine Braut heimzuholen, und kam an demselben Morgen in die Stadt der Braut, an dem der Jüngling mit seinen dreißig Schiffen im Hafen vor Anker ging. Als der Vater der Braut von der Ankunft dieser vielen Schiffe hörte, ließ er die beiden Herren derselben zur Hochzeit laden, und diese erschienen dabei, der Schäfer war aber so verkleidet, daß ihn Niemand erkannte.
Als nun das Gelage zu Ende war und die Heimführenden mit der Braut aufbrechen wollten, da küßte diese nach dem Brauche allen Anwesenden die Hand. Der Schäfer aber hatte ihren Verlobungsring an den Finger gesteckt, und als nun die Reihe an ihn kam, erkannte ihn die Braut, und verlangte nun noch einmal zu ihren Ältern zu gehn und sie zum Abschied küssen zu dürfen. Da erwiderten ihr die Heimführenden, »daß dies gegen den Brauch sei«; sie aber versetzte: »wenn sie ihr das nicht erlaubten, so würde sie den Brautschleier und den Brautschmuck abreißen.« Als man ihr nun erlaubte, nochmals zu ihren Ältern zurückzukehren, da sagte sie ihnen, daß der Schäfer nicht gestorben, sondern am Leben und zurückgekehrt sei, und daß sie nicht eher das Haus verlassen würde, bevor nicht untersucht sei, wer von ihren beiden Freiern das meiste Geld gewonnen habe.
Da ließ der Vater die beiden Fremden holen. Der Schäfer gab sich zu erkennen und erzählte, wie es ihm gegangen sei, wie viel Geld er gewonnen, wie er die Schulden seines Nebenbuhlers bezahlt und ihm sein Siegel auf den rechten Arm gedrückt habe. Da gingen sie hin und untersuchten den Arm des Paschasohnes, und als sie das Siegel des Schäfers darauf erkannten, jagten sie ihn mit Prügeln und Steinen fort. Weil aber einmal alles zur Hochzeit bereit war, so gab der Vater die Jungfrau sogleich mit dem Schäfer zusammen. Als nun die jungen Leute am Abend ins Brautgemach gegangen waren, da klopfte der Alte so lange an die Türe, bis der Schäfer aufstand und ihn fragte, was er wolle. Der Alte aber fragte dagegen: »sind wir nicht Partner in allem und jedem?« und jener antwortete: »habe ich das jemals geleugnet?« Darauf sprach der Alte: »ich verlange also auch meinen Teil an der Jungfrau und darum müssen wir sie teilen, wie wir den Affen geteilt haben.« »Gut«, sagte der Jüngling, »da nimm sie und teile sie.« Der Alte aber sagte: »so wie du den Affen geteilt hast, ebenso sollst du auch die Jungfrau teilen.« Als nun der Jüngling zu dem Messer griff und die Hand aufhob, um dieselbe zu töten, da faßte ihm der Alte den Arm und sagte: »halt, halt! Ich wollte nur deine Treue versuchen und habe sie erprobt erfunden, ich bin ein von Gott Gesandter und habe dich unter meinen Schutz genommen, weil dich dein Vater verkaufte, damit er die Lampe unterhalten könne, die er mir zu Ehren brannte.« Mit diesen Worten verschwand er und ließ den Jüngling im Besitze der dreißig Schiffe und alles Geldes, was er gesammelt hatte.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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