2.3
(3)
Zur Zeit, da Irland noch in mehrere Königreiche zerfiel, lebte in einem derselben, in Erin, ein tüchtiger Pächter, der hieß Conall und hatte drei Söhne. Nun geschah es einmal, dass diese mit den Kindern des Königs in Streit geriethen. Conalls Söhne waren die stärkeren, und sie tödteten den ältesten Sohn des Königs.
Der König ließ Conall holen und sprach zu ihm: »Warum haben deine Kinder die meinigen angegriffen und meinen ältesten Sohn getödtet? Was wird es aber mir nützen, wenn ich Rache an dir nehme? Ich will dir lieber einen Auftrag geben, und wenn du ihn ausführst, dann will ich das Verbrechen nicht ahnden. Du und deine Söhne, ihr müsst mir den Braunen des Königs von Lochlann bringen – gelingt Euch das, so sei deinen Söhnen das Leben geschenkt.«
»Dein Wunsch, o König, ist mir immer Befehl,« sagte Conall, »wohl verlangst du Schweres von mir, aber selbst wenn es mir und meinen Söhnen ans Leben geht, will ich doch den Wunsch des Königs erfüllen.«
Nach diesen Worten gieng Conall fort; traurig und bestürzt kam er heim und erzählte seiner Frau, was der König ihm aufgetragen hatte. Kummervoll hörte sie ihn an; wenn er sich jetzt von ihr trennte, so sah sie ihn vielleicht nie wieder.
»Ach, Conall,« sagte sie, »warum ließest du nicht lieber den König thun, was ihm gut dünkte, anstatt sein Begehr zu erfüllen? Wer weiß, ob ich dich jemals wiedersehen werde!«
Am folgenden Morgen traf Conall die nöthigen Vorbereitungen und machte sich mit seinen drei Söhnen nach Lochlann auf. Sie reisten ohne Unterlass, bis sie es erreichten. Aber als sie in Lochlann waren, da wussten sie nicht, was sie nun beginnen sollten, und der alte Mann sagte zu seinen Söhnen: »Wir wollen den Müller des Königs aufsuchen.«
Als sie in das Haus des Müllers kamen, lud dieser sie ein, über Nacht bei ihm zu bleiben. Da erzählte ihm Conall, dass seine Söhne mit den königlichen Prinzen in Streit gerathen seien und den ältesten Königssohn erschlagen hätten. Und nun müsse er zur Buße den Braunen des Königs von Lochlann herbeischaffen.
»Wenn du mir,« fuhr Conall fort, »den großen Gefallen erweisen und es mir ermöglichen willst, in den Besitz des Rosses zu gelangen, so will ich dich reichlich dafür bezahlen.«
»Dein Vorhaben ist unsinnig,« erwiderte der Müller, »denn der König hängt so sehr an seinem Ross, dass du es unmöglich bekommen kannst, höchstens du stiehlst es. Wenn du Mittel und Wege dazu findest, von mir soll es niemand erfahren.«
»Ich habe folgende Idee,« sagte Conall. »Da du täglich für den König zu thun hast, könntest du mit deinen Knechten mich und meine Söhne in vier Säcke stecken, die mit Kleie gefüllt sind.«
»Der Einfall ist nicht schlecht,« meinte der Müller.
Er sprach mit seinen Knechten, und die thaten Conall und seine Söhne in die Säcke. Als die Knechte des Königs um die Kleie kamen, gab man ihnen die Säcke, in denen Conall und seine Söhne steckten. Im Stalle schütteten die Knechte die Kleie vor die Pferde, schlossen die Thür zu und giengen fort.
Sofort legten Conalls Söhne Hand an den Braunen, da sagte ihr Vater: »Das dürft ihr nicht. Es wird sehr schwer sein, von hier zu entkommen. Wir wollen uns zuvor vier Löcher graben, in denen werden wir uns verbergen, wenn jemand kommt.«
Sie gruben die Löcher, dann machten sie sich wieder an das Pferd. Das war aber noch nicht vollständig gezähmt und begann zu schnauben und um sich zu schlagen, dass der König den Riesenlärm hörte.
»Mit dem Braunen ist etwas los,« sagte er seinen Knechten, »schaut nach, was ihm fehlt.«
Als Conall und seine Söhne die Knechte herbeikommen hörten, versteckten sie sich in den Löchern. Die Knechte sahen sich überall um, fanden aber alles in Ordnung. Sie kehrten zum Könige zurück und theilten ihm dies mit. Da sagte der König, dass sie sich zur Ruhe begeben könnten.
Einige Zeit, nachdem die Knechte sich entfernt hatten, wollten Conall und seine Söhne den Braunen fortführen, aber er widersetzte sich noch viel mehr, als das erstemal. Da ließ der König wieder seine Knechte rufen und sagte ihnen, dass er davon überzeugt sei, es fehle dem Braunen etwas, und er befahl ihnen, sich noch einmal gut umzuschauen. Wieder giengen die Knechte in den Stall, wieder verbargen sich bei ihrem Nahen Conall und seine Söhne. Die Knechte durchsuchten sorgfältig den ganzen Stall, aber sie fanden nichts. Sie begaben sich zum König und theilten ihm dies mit.
»Das nimmt mich wunder,« sagte der König, »geht zur Ruhe. Sollte ich wieder etwas merken, so werde ich selbst nachsehen.«
Als Conall und seine Söhne sahen, dass die Knechte fort waren, versuchten sie es von neuem, das Ross fortzuführen. Aber kaum berührten sie es, so geberdete es sich so wüthend, dass es der König noch viel deutlicher hörte, als vorher.
»Der Tausend,« sagte der König zu sich, »es ist unbedingt mit meinem Braunen etwas los.«
Er läutete hastig, und als sein Kammerdiener erschien, schickte er ihn zu seinen Knechten mit der Nachricht, dass dem Braunen etwas geschehen sein müsse. Die Knechte kamen, und der König gieng mit ihnen in den Stall. Als Conall und seine Söhne die herannahenden Schritte hörten, krochen sie in ihre Löcher.
Aber der König war ein kluger Mann, und er gab acht, auf welcher Seite des Stalles die Pferde unruhig waren.
»Gebt acht,« sagte er, »es sind sicher Leute im Stalle. Wir müssen sie finden.«
Der König gieng den Spuren der Männer nach und fand sie in ihrem Versteck. Conall war wohlbekannt, denn er war ein sehr geschätzter Pächter des Königs von Erin, und als der König ihn aus seinem Versteck hervorzog, rief er aus: »O Conall, bist du es wirklich?«
»Leider, o König, und die Noth hat mich hieher gebracht. Ich empfehle mich deiner Gnade und stelle mich unter deinen Schutz.«
Er erzählte, was ihm widerfahren war, und dass er dem König von Erin den Braunen bringen müsse, sonst seien seine Söhne dem Tode verfallen.
»Ich wusste,« schloss er, »dass ich das Pferd durch Bitten nicht bekommen würde, und so wollte ich es stehlen.«
»Schon gut, Conall, folge mir,« sagte der König. Dann befahl er seinen Knechten, Conalls Söhnen Speise und Trank vorzusetzen und sie sorgfältig zu bewachen.
»Jetzt sag‘ mir, Conall,« sprach der König zu diesem, »hast du dich jemals in einer schlimmeren Lage befunden als nun, da dir nichts geringeres bevorsteht, als alle deine Söhne hängen zu sehen? Aber du hast dich meiner Güte und Gnade empfohlen und sagst, dass dich nur die Noth hieher geführt hat. Darum höre, was ich dir sage. Wenn du mir einen Fall nennen kannst, der dem heutigen gleichkommt, so schenk‘ ich dir das Leben deines jüngsten Sohnes.«
»Ich hab mich schon einmal in einer ebenso schlimmen Lage befunden,« sagte Conall, »und ich will dir den Fall erzählen. Ich war damals ein junger Bursche. Mein Vater besaß viel Land und eine ganze Zucht einjähriger Kühe. Eine von diesen hatte gerade gekalbt, und mein Vater trug mir auf, sie nach Hause zu bringen. Ich machte mich mit Kuh und Kalb auf den Weg, da fiel starker Schnee, und ich gieng in die Hütte des Hirten, um dort zu warten, bis das Wetter vorüber sei. Da kamen plötzlich zwölf Katzen herein, die größte von ihnen, ihr Oberhaupt, war fuchsroth und einäugig. Ich war durchaus nicht erfreut über ihre Gesellschaft.« »Stimmt an,« rief das Oberhaupt aus, »warum sollten wir schweigen? Stimmt an und singt Conall ein Lied.«
Ich war erstaunt, dass den Katzen mein Name bekannt war. Nachdem sie den Gesang beendet hatten, sagte die einäugige Katze zu mir: »Nun Conall, her mit der Belohnung für den Gesang der Katzen!«
Ich antwortete, dass ich nichts für sie hätte, doch könnten sie sich das Kalb nehmen. Kaum hatte ich das Wort gesprochen, als alle zwölf Katzen über das Kalb herfielen, und es dauerte nicht lange, so waren sie damit fertig. »Stimmt an, warum so schweigsam? Singt Conall ein Lied!« rief die einäugige Katze abermals.
Ich verspürte durchaus keine Sehnsucht nach dem Gesange, trotzdem kamen alle elf herbei und sangen unverzüglich drauf los. Darauf wieder ihr Oberhaupt: »Her mit der Belohnung!«
»Lass mich ungeschoren mit der Belohnung,« sagte ich, »ich hab‘ nichts für euch, es wäre denn die Kuh.«
Sie stürzten sich auf die Kuh, und es dauerte nicht lange, so waren sie auch mit der fertig. »Warum so stumm?« begann die fuchsrothe Katze wieder, »singt Conall ein Lied!«
Mir war durchaus nicht an ihrem Gesange gelegen, o König, und ich begann zu merken, dass ich mich in schlimmer Gesellschaft befand. Als sie fertig waren, umringten sie wieder ihr Oberhaupt. Wieder verlangte dieses die Belohnung, aber, o König, ich hatte keine für sie, und ich sagte es ihr. Da begannen sie eine greuliche Katzenmusik. Ich sprang aus dem Fenster und rannte, so schnell ich konnte, in den Wald. Damals war ich flink und stark, und als ich die Katzen hinter mir spürte, da kletterte ich flugs auf den allerhöchsten Baum, dessen Wipfel sehr dicht war; dort verbarg ich mich, so gut es gieng. Die Katzen aber suchten mich überall im Walde, und als sie müde geworden waren und mich nicht finden konnten, da sagte eine zur anderen, sie wollten heimkehren.
Doch ihr Oberhaupt, die einäugige, fuchsrothe große Katze sprach plötzlich: »Ihr könnt ihn mit zwei Augen nicht sehen, und ich sehe ihn mit einem einzigen. Dort oben auf dem Baum sitzt der Hallunke.«
Da kletterte eine von ihnen herauf, auf mich zu. Doch ich tödtete sie mit einem Messer, das ich bei mir hatte.
»Der Teufel auch,« rief ihr Oberhaupt aus, »so kann ich mir meine Leute nicht umbringen lassen. Umringt den Baum und grabt die Wurzeln aus, so bekommen wir den Elenden herunter!«
Sie thaten, wie ihnen geheißen ward, und als die erste Wurzel freilag, gieng ein Zittern durch den Baum, und ich stieß einen Hilferuf aus. Nicht weit vom Walde entfernt war ein Priester mit zehn Leuten bei der Feldarbeit. Da sagte der Priester: »Das war der Schrei eines Mannes in äußerster Noth, dem muss ich helfen.«
Aber der klügste unter ihnen sagte: »Wir wollen warten, bis wir ihn noch einmal hören.«
Wüthend gruben die Katzen weiter, und als die zweite Wurzel bloßgelegt war, da stieß ich wieder einen Hilferuf aus, und der war wahrhaftig nicht schwach.
»Ganz gewiss,« sagte nun der Priester, »befindet der Mann sich in Lebensgefahr, lasst uns eilen.«
Sie machten sich auf den Weg. Aber die Katzen hatten die dritte Wurzel bloßgelegt, und der Baum neigte sich zum Falle. Da that ich den dritten Hilferuf. Eiligst kamen die starken Männer näher, und als sie sahen, was die Katzen mit dem Baume vorhatten, da giengen sie mit ihren Spaten auf sie los, und sie kämpften mit den Katzen, bis diese endlich die Flucht ergriffen. Ich aber, o König, rührte mich nicht, bevor die letzte fort war. Dann erst gieng ich heim. Und das ist die schlimmste Lage, in der ich mich jemals befand, und ich glaube, dass es wahrhaftig schlimmer ist, von Katzen zerrissen zu werden, als an dem Galgen des Königs von Lochlann zu hängen.
»Ach, Conall,« sagte der König, »wie redegewandt bist du! Nun denn, mit deiner Geschichte hast du deinem jüngsten Sohne das Leben gerettet. Wenn du mir von einer noch schlimmeren Lage erzählen kannst, so sei auch deinem zweiten Sohne das Leben geschenkt.«
»Unter dieser Bedingung,« versetzte Conall, »will ich dir gern erzählen, wie ich mich einmal in noch weit schlimmerer Lage befand, als heute, wo ich in deiner Gewalt bin.«
»Lass hören,« sagte der König.
»Ich war damals,« begann Conall, »ein ganz junger Bursche. Das Gut meines Vaters lag hart am Meere, und die Küste war reich an Felsen, Spalten und Höhlen. Als ich mich eines Tages auf der Jagd befand, da schien es mir, als stiege zwischen zwei Felsblöcken eine Rauchsäule auf. Neugierig, woher wohl der Rauch kommen möge, trat ich näher und blickte hinein. Aber da that ich auch schon einen Fall. Doch war der Boden so dicht mit Heidekraut bedeckt, dass ich keinerlei Verletzung davontrug. Wie ich da wieder hinauskommen sollte, wusste ich nicht. Ich sah nicht vor mich hin, sondern blickte hinauf – ich hatte keine Hoffnung, je wieder das Tageslicht zu sehen. Der Gedanke, dass ich bis zu meinem Tode in dieser Höhle bleiben müsste, war furchtbar. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch, das immer näher und näher kam, und was erblickten meine Augen? Einen ungeheuren Riesen, von zwei Dutzend Ziegen und einem Ziegenbocke gefolgt. Er band die Ziegen an, dann trat er auf mich zu und sprach: ‚Halloh, Conall! Mein Messer ist fast rostig geworden in der Scheide, so lange warte ich schon auf dein zartes Fleisch.’«
»Ach!« sagte ich, »es ist nicht viel an mir; du wirst kaum für eine Mahlzeit genug haben. Aber ich sehe, dass du auf einem Auge blind bist. Ich bin ein guter Arzt und werde dein anderes Auge wieder sehend machen.«
Da that der Riese den großen Kessel auf das Feuer. Ich gab ihm Weisung, das Wasser warm werden zu lassen, dann holte ich Heidekraut herbei, und als sich der Riese auf mein Geheiß in den Kessel gesetzt hatte, begann ich seine Augen mit zusammengeballtem Heidekraut einzureiben, zuerst das sehende, denn ich erklärte ihm, dass ich dessen Sehkraft auf das blinde Auge übertragen müsse. Es war natürlich viel leichter, das gesunde Auge krank, als das kranke gesund zu machen, und nach einiger Zeit war es mir gelungen: der Riese war auf beiden Augen blind.
Als er merkte, dass er nichts mehr sehen konnte, und als ich ihm sagte, dass er mich nun nicht mehr daran hindern würde, ins Freie zu gelangen, da sprang er aus dem Wasser und stellte sich an den Eingang der Höhle und sagte, dass er sich bitter an mir rächen wolle. Die ganze Nacht verbrachte ich in hockender Stellung in der Höhle und musste den Athem anhalten, um nicht zu verrathen, wo ich war. Als dem Riesen endlich der Gesang der Vögel verrieth, dass der Tag angebrochen sei, da sagte er: »Schläfst du, Conall? Wach‘ auf und lass die Ziegen ins Freie hinaus.«
Da tödtete ich den Ziegenbock.
Der Riese rief: »Ich glaube gar, du tödtest meinen Ziegenbock?«
»O nein,« erwiderte ich, »die Ziegen sind so fest angebunden, dass es viel Zeit braucht, sie loszubinden.«
Als ich die erste Ziege hinausließ, liebkoste sie der Riese und sprach: »Da bist du, meine zottige, weiße Ziege, du siehst mich, aber ich kann dich leider nicht sehen.«
Eine nach der anderen ließ ich hinaus, während ich dem Ziegenbock das Fell abzog; bevor die letzte draußen war, hatte ich meine Arbeit vollendet. Dann zog ich mir das Fell über den Leib, und zwar so, dass meine Hände in den Vorderfüßen und meine Füße in den Hinterfüßen steckten; da auch die Hörner auf der Kopfhaut nicht fehlten, so musste der Riese glauben, es sei der Ziegenbock. Als ich auf allen Vieren hinausgieng, streichelte mich der Riese und sprach: »Da bist du, mein lieber, schöner Ziegenbock, du siehst mich, aber ich kann dich leider nicht sehen.«
Endlich befand ich mich wieder in Gottes freier Welt! Wie freute ich mich da, o König! Ich warf das Ziegenfell ab und rief dem Riesen zu: »Dir zum Trotze bin ich nun doch frei!«
»Aha!« sagte er, »hast du mich überlistet! Nun, weil du so kühn warst, dich selbst zu befreien, will ich dir diesen Ring hier schenken. Nimm ihn, er wird dir nützlich sein.«
»Ich will ihn nicht aus deiner Hand nehmen,« rief ich, »aber wenn du ihn herwerfen willst, will ich ihn aufheben.«
Er warf den Ring zu Boden, und ich hob ihn auf und steckte ihn an meinen Finger.
Darauf fragte mich der Riese: »Passt er dir?«
»Jawohl,« antwortete ich.
Da rief er: »Wo bist du, Ring?«
Und der Ring sagte: »Hier bin ich.«
Der Riese gieng der Stimme des Ringes nach und kam immer näher und näher, und ich merkte, dass ich mich in einer weit schlimmeren Lage befand, als je zuvor. Da zog ich meinen Dolch und schnitt mir den Fingen ab und warf ihn, so weit ich konnte, in die See hinaus, wo sie am tiefsten war.
Wieder rief der Riese: »Wo bist du, Ring?«
Und der Ring antwortete: »Hier bin ich« vom Meere herüber.
Mit einem Sprunge folgte er der Stimme des Ringes – da war er mitten in der See. Und ich stand dabei, wie er ertrank, und freute mich so unendlich darüber, als ich mich jetzt freuen würde, wenn du, o König, mir mein eigenes Leben und das meiner anderen beiden Söhne schenken und mir jede weitere Strafe erlassen wolltest! Als von dem Riesen nichts mehr zu sehen war, da gieng ich in die Höhle und nahm den Schatz mit, den ich dort fand, und kehrte nach Hause zurück. Wie freuten sich alle, als sie mich wiedersahen! Zum Zeichen, dass die Geschichte wahr ist, die ich dir erzählt habe, o König, sieh‘ her, ein Finger an meiner Hand fehlt.
»Wirklich, Conall,« sagte der König, »du bist nicht nur wortreich, sondern auch weise. Der Finger fehlt wirklich. Du hast nun auch deinem zweiten Sohn das Leben gerettet. Nun erzähle mir noch einen Fall, da dir viel trauriger zumuthe war, als wenn du mitansehen müsstest, wie dein ältester Sohn gehängt wird, und du sollst auch den dritten Sohn behalten.«
»Kurze Zeit darauf,« begann Conall wieder, »gieng mein Vater hin und suchte mir eine Frau aus, und wir wurden getraut.«
Einst gieng ich an der Meeresküste auf die Jagd. Weit draußen in der See befand sich eine Insel. Wie ich so die Küste entlang gieng, erblickte ich ein Boot, das hatte vorne und hinten ein Tau und war mit allerlei Kostbarkeiten beladen. In meiner Begierde nach dem Schatze stieg ich in das Boot. Kaum aber war ich darin, da fuhr es in das Meer hinaus und hielt erst, als es bei der Insel angelangt war. Ich stieg aus, da kehrte das Boot an seinen früheren Platz zurück. Was sollte ich nun beginnen? Auf der Insel war kein Haus zu sehen weit und breit.
Ich gieng weiter und kam auf den Gipfel eines Berges, von dort stieg ich in ein enges Thal hinab. Da sah ich in einer Höhle eine Frau sitzen. Die hielt ein nacktes Kind im Schoß und ein Messer in der Hand. Sie schien die Absicht zu haben, dem Kind den Hals zu durchschneiden, aber das Kind blickte sie an und begann zu lachen. Da brach die Frau in Weinen aus und warf das Messer fort. Ich rief die Frau an und fragte sie:
»Was thust du hier?«
Da sprach sie: »Wie kamst du her?«
Und ich erzählte ihr Wort für Wort, was geschehen war.
»Ganz so ist es mir ergangen,« sagte sie und zeigte mir, auf welchem Wege ich zu ihr in die Höhle gelangen könnte.
Als ich vor ihr stand, fragte ich sie: »Warum wolltest du vorhin das Kind tödten?«
»Ich muss es für den Riesen, der hier lebt, braten, sonst tödtet er mich.«
In dem Augenblicke hörten wir auch schon die Schritte des Riesen.
»Was soll ich thun? Was soll ich thun?« schrie die Frau.
Ich gieng schnell zu dem Kessel hinüber, der glücklicherweise noch nicht sehr heiß war, und stieg hinein, gerade als das Ungeheuer eintrat.
»Hast du den Jungen gebraten?« fragte er.
»Er ist noch nicht weich,« antwortete sie.
Ich aber rief aus dem Kessel hervor: »Mütterchen, liebes Mütterchen, ich brate!«
Da lachte der Riese und sagte: »Hai, Hau, Hogaraich!«
Dann that er einen Haufen Holz in das Feuer.
Nun wusste ich, dass es um mich geschehen war. Zu meinem Glücke schlief aber das Ungeheuer neben dem Kessel ein. Als die Frau das sah, legte sie ihre Lippen an ein Loch in dem Deckel und fragte mich leise: »Lebst du?«
»Jawohl,« sagte ich.
Dann hob ich den Kopf; das Loch war so groß, dass ich ihn bequem durchstecken konnte. Auch weiterhin gieng es leicht, aber als ich meine Hüften hindurchzwängte, da blieb meine Haut an dem Deckel zurück. Nun war ich wohl draußen, aber was nun? Die Frau sagte mir, außer der Waffe des Riesen sei in der ganzen Höhle keine zu finden. Da begann ich ihm langsam den Speer aus der Hand zu ziehen, und bei jedem Athemzug, den er that, glaubte ich, dass mein Ende gekommen war. Aber endlich hatte ich den Speer in meiner Gewalt.
Dann aber gieng es mir nicht besser als einem, der unter einem Haufen Stroh Schutz sucht gegen einen heftigen Wind, denn die Waffe war meiner Hand zu schwer. Es war ein furchtbarer Anblick, den Riesen anzusehen, der nur ein Auge mitten im Gesicht hatte; der Gedanke, ihn anzugreifen, war mir durchaus nicht angenehm. Da zog ich, so gut ich konnte, die Spitze aus dem Speer und stieß sie dem Riesen ins Auge. Als er das Eisen spürte, fuhr er mit dem Kopfe auf, so dass das andere Ende der Lanzenspitze gegen die Decke der Höhle stieß und ihm den Kopf durchbohrte. Mausetodt fiel er zu Boden, und du kannst mir glauben, o König, dass ich keine geringe Freude empfand. Die Frau und ich, wir brachten die Nacht außerhalb der Höhle zu, dann holte ich das Boot mit all seinen Schätzen herbei, und das brachte uns sammt dem Kinde ans Land. Von da kehrte ich nach Hause zurück.
Die Mutter des Königs von Lochlann hörte die Erzählung Conalls mit an, während sie damit beschäftigt war, ein Feuer anzuzünden.
»Bist du es,« fragte sie ihn, »der in die Höhle des Riesen kam?«
»Gewiss,« antwortete Conall, »ich bin es.«
»Ach, ach!« rief da die Mutter des Königs aus, »ich bin die Frau, und mein Sohn hier ist das Kind, denen du damals das Leben gerettet hast. Dir sind wir zu ewigem Danke verpflichtet.«
Da freuten sich alle ungeheuer.
Der König aber sprach: »O Conall, was für Mühseligkeiten hast du erlitten! Jetzt gehört aber der Braune dir, und ich will ihn mit einem Sack voll der kostbarsten Edelsteine aus meiner Schatzkammer beladen.«
Nun begaben sich alle zur Ruhe. So früh aber auch Conall sich erhob, so war doch die Königin noch viel früher aufgestanden, um alles vorzubereiten. Conall erhielt den Braunen und einen Sack voll Kostbarkeiten, und er zog mit seinen drei Söhnen nach Erin zurück. Das Gold und die Edelsteine lud er in seinem Hause ab, das Ross brachte er seinem Könige, der von der Zeit ab ihm sehr gewogen war. Dann kehrte er zu seiner Frau zurück, und sie gaben ein herrliches Fest, wie es herrlicher noch nie auf Erden gefeiert wurde.
Der König ließ Conall holen und sprach zu ihm: »Warum haben deine Kinder die meinigen angegriffen und meinen ältesten Sohn getödtet? Was wird es aber mir nützen, wenn ich Rache an dir nehme? Ich will dir lieber einen Auftrag geben, und wenn du ihn ausführst, dann will ich das Verbrechen nicht ahnden. Du und deine Söhne, ihr müsst mir den Braunen des Königs von Lochlann bringen – gelingt Euch das, so sei deinen Söhnen das Leben geschenkt.«
»Dein Wunsch, o König, ist mir immer Befehl,« sagte Conall, »wohl verlangst du Schweres von mir, aber selbst wenn es mir und meinen Söhnen ans Leben geht, will ich doch den Wunsch des Königs erfüllen.«
Nach diesen Worten gieng Conall fort; traurig und bestürzt kam er heim und erzählte seiner Frau, was der König ihm aufgetragen hatte. Kummervoll hörte sie ihn an; wenn er sich jetzt von ihr trennte, so sah sie ihn vielleicht nie wieder.
»Ach, Conall,« sagte sie, »warum ließest du nicht lieber den König thun, was ihm gut dünkte, anstatt sein Begehr zu erfüllen? Wer weiß, ob ich dich jemals wiedersehen werde!«
Am folgenden Morgen traf Conall die nöthigen Vorbereitungen und machte sich mit seinen drei Söhnen nach Lochlann auf. Sie reisten ohne Unterlass, bis sie es erreichten. Aber als sie in Lochlann waren, da wussten sie nicht, was sie nun beginnen sollten, und der alte Mann sagte zu seinen Söhnen: »Wir wollen den Müller des Königs aufsuchen.«
Als sie in das Haus des Müllers kamen, lud dieser sie ein, über Nacht bei ihm zu bleiben. Da erzählte ihm Conall, dass seine Söhne mit den königlichen Prinzen in Streit gerathen seien und den ältesten Königssohn erschlagen hätten. Und nun müsse er zur Buße den Braunen des Königs von Lochlann herbeischaffen.
»Wenn du mir,« fuhr Conall fort, »den großen Gefallen erweisen und es mir ermöglichen willst, in den Besitz des Rosses zu gelangen, so will ich dich reichlich dafür bezahlen.«
»Dein Vorhaben ist unsinnig,« erwiderte der Müller, »denn der König hängt so sehr an seinem Ross, dass du es unmöglich bekommen kannst, höchstens du stiehlst es. Wenn du Mittel und Wege dazu findest, von mir soll es niemand erfahren.«
»Ich habe folgende Idee,« sagte Conall. »Da du täglich für den König zu thun hast, könntest du mit deinen Knechten mich und meine Söhne in vier Säcke stecken, die mit Kleie gefüllt sind.«
»Der Einfall ist nicht schlecht,« meinte der Müller.
Er sprach mit seinen Knechten, und die thaten Conall und seine Söhne in die Säcke. Als die Knechte des Königs um die Kleie kamen, gab man ihnen die Säcke, in denen Conall und seine Söhne steckten. Im Stalle schütteten die Knechte die Kleie vor die Pferde, schlossen die Thür zu und giengen fort.
Sofort legten Conalls Söhne Hand an den Braunen, da sagte ihr Vater: »Das dürft ihr nicht. Es wird sehr schwer sein, von hier zu entkommen. Wir wollen uns zuvor vier Löcher graben, in denen werden wir uns verbergen, wenn jemand kommt.«
Sie gruben die Löcher, dann machten sie sich wieder an das Pferd. Das war aber noch nicht vollständig gezähmt und begann zu schnauben und um sich zu schlagen, dass der König den Riesenlärm hörte.
»Mit dem Braunen ist etwas los,« sagte er seinen Knechten, »schaut nach, was ihm fehlt.«
Als Conall und seine Söhne die Knechte herbeikommen hörten, versteckten sie sich in den Löchern. Die Knechte sahen sich überall um, fanden aber alles in Ordnung. Sie kehrten zum Könige zurück und theilten ihm dies mit. Da sagte der König, dass sie sich zur Ruhe begeben könnten.
Einige Zeit, nachdem die Knechte sich entfernt hatten, wollten Conall und seine Söhne den Braunen fortführen, aber er widersetzte sich noch viel mehr, als das erstemal. Da ließ der König wieder seine Knechte rufen und sagte ihnen, dass er davon überzeugt sei, es fehle dem Braunen etwas, und er befahl ihnen, sich noch einmal gut umzuschauen. Wieder giengen die Knechte in den Stall, wieder verbargen sich bei ihrem Nahen Conall und seine Söhne. Die Knechte durchsuchten sorgfältig den ganzen Stall, aber sie fanden nichts. Sie begaben sich zum König und theilten ihm dies mit.
»Das nimmt mich wunder,« sagte der König, »geht zur Ruhe. Sollte ich wieder etwas merken, so werde ich selbst nachsehen.«
Als Conall und seine Söhne sahen, dass die Knechte fort waren, versuchten sie es von neuem, das Ross fortzuführen. Aber kaum berührten sie es, so geberdete es sich so wüthend, dass es der König noch viel deutlicher hörte, als vorher.
»Der Tausend,« sagte der König zu sich, »es ist unbedingt mit meinem Braunen etwas los.«
Er läutete hastig, und als sein Kammerdiener erschien, schickte er ihn zu seinen Knechten mit der Nachricht, dass dem Braunen etwas geschehen sein müsse. Die Knechte kamen, und der König gieng mit ihnen in den Stall. Als Conall und seine Söhne die herannahenden Schritte hörten, krochen sie in ihre Löcher.
Aber der König war ein kluger Mann, und er gab acht, auf welcher Seite des Stalles die Pferde unruhig waren.
»Gebt acht,« sagte er, »es sind sicher Leute im Stalle. Wir müssen sie finden.«
Der König gieng den Spuren der Männer nach und fand sie in ihrem Versteck. Conall war wohlbekannt, denn er war ein sehr geschätzter Pächter des Königs von Erin, und als der König ihn aus seinem Versteck hervorzog, rief er aus: »O Conall, bist du es wirklich?«
»Leider, o König, und die Noth hat mich hieher gebracht. Ich empfehle mich deiner Gnade und stelle mich unter deinen Schutz.«
Er erzählte, was ihm widerfahren war, und dass er dem König von Erin den Braunen bringen müsse, sonst seien seine Söhne dem Tode verfallen.
»Ich wusste,« schloss er, »dass ich das Pferd durch Bitten nicht bekommen würde, und so wollte ich es stehlen.«
»Schon gut, Conall, folge mir,« sagte der König. Dann befahl er seinen Knechten, Conalls Söhnen Speise und Trank vorzusetzen und sie sorgfältig zu bewachen.
»Jetzt sag‘ mir, Conall,« sprach der König zu diesem, »hast du dich jemals in einer schlimmeren Lage befunden als nun, da dir nichts geringeres bevorsteht, als alle deine Söhne hängen zu sehen? Aber du hast dich meiner Güte und Gnade empfohlen und sagst, dass dich nur die Noth hieher geführt hat. Darum höre, was ich dir sage. Wenn du mir einen Fall nennen kannst, der dem heutigen gleichkommt, so schenk‘ ich dir das Leben deines jüngsten Sohnes.«
»Ich hab mich schon einmal in einer ebenso schlimmen Lage befunden,« sagte Conall, »und ich will dir den Fall erzählen. Ich war damals ein junger Bursche. Mein Vater besaß viel Land und eine ganze Zucht einjähriger Kühe. Eine von diesen hatte gerade gekalbt, und mein Vater trug mir auf, sie nach Hause zu bringen. Ich machte mich mit Kuh und Kalb auf den Weg, da fiel starker Schnee, und ich gieng in die Hütte des Hirten, um dort zu warten, bis das Wetter vorüber sei. Da kamen plötzlich zwölf Katzen herein, die größte von ihnen, ihr Oberhaupt, war fuchsroth und einäugig. Ich war durchaus nicht erfreut über ihre Gesellschaft.« »Stimmt an,« rief das Oberhaupt aus, »warum sollten wir schweigen? Stimmt an und singt Conall ein Lied.«
Ich war erstaunt, dass den Katzen mein Name bekannt war. Nachdem sie den Gesang beendet hatten, sagte die einäugige Katze zu mir: »Nun Conall, her mit der Belohnung für den Gesang der Katzen!«
Ich antwortete, dass ich nichts für sie hätte, doch könnten sie sich das Kalb nehmen. Kaum hatte ich das Wort gesprochen, als alle zwölf Katzen über das Kalb herfielen, und es dauerte nicht lange, so waren sie damit fertig. »Stimmt an, warum so schweigsam? Singt Conall ein Lied!« rief die einäugige Katze abermals.
Ich verspürte durchaus keine Sehnsucht nach dem Gesange, trotzdem kamen alle elf herbei und sangen unverzüglich drauf los. Darauf wieder ihr Oberhaupt: »Her mit der Belohnung!«
»Lass mich ungeschoren mit der Belohnung,« sagte ich, »ich hab‘ nichts für euch, es wäre denn die Kuh.«
Sie stürzten sich auf die Kuh, und es dauerte nicht lange, so waren sie auch mit der fertig. »Warum so stumm?« begann die fuchsrothe Katze wieder, »singt Conall ein Lied!«
Mir war durchaus nicht an ihrem Gesange gelegen, o König, und ich begann zu merken, dass ich mich in schlimmer Gesellschaft befand. Als sie fertig waren, umringten sie wieder ihr Oberhaupt. Wieder verlangte dieses die Belohnung, aber, o König, ich hatte keine für sie, und ich sagte es ihr. Da begannen sie eine greuliche Katzenmusik. Ich sprang aus dem Fenster und rannte, so schnell ich konnte, in den Wald. Damals war ich flink und stark, und als ich die Katzen hinter mir spürte, da kletterte ich flugs auf den allerhöchsten Baum, dessen Wipfel sehr dicht war; dort verbarg ich mich, so gut es gieng. Die Katzen aber suchten mich überall im Walde, und als sie müde geworden waren und mich nicht finden konnten, da sagte eine zur anderen, sie wollten heimkehren.
Doch ihr Oberhaupt, die einäugige, fuchsrothe große Katze sprach plötzlich: »Ihr könnt ihn mit zwei Augen nicht sehen, und ich sehe ihn mit einem einzigen. Dort oben auf dem Baum sitzt der Hallunke.«
Da kletterte eine von ihnen herauf, auf mich zu. Doch ich tödtete sie mit einem Messer, das ich bei mir hatte.
»Der Teufel auch,« rief ihr Oberhaupt aus, »so kann ich mir meine Leute nicht umbringen lassen. Umringt den Baum und grabt die Wurzeln aus, so bekommen wir den Elenden herunter!«
Sie thaten, wie ihnen geheißen ward, und als die erste Wurzel freilag, gieng ein Zittern durch den Baum, und ich stieß einen Hilferuf aus. Nicht weit vom Walde entfernt war ein Priester mit zehn Leuten bei der Feldarbeit. Da sagte der Priester: »Das war der Schrei eines Mannes in äußerster Noth, dem muss ich helfen.«
Aber der klügste unter ihnen sagte: »Wir wollen warten, bis wir ihn noch einmal hören.«
Wüthend gruben die Katzen weiter, und als die zweite Wurzel bloßgelegt war, da stieß ich wieder einen Hilferuf aus, und der war wahrhaftig nicht schwach.
»Ganz gewiss,« sagte nun der Priester, »befindet der Mann sich in Lebensgefahr, lasst uns eilen.«
Sie machten sich auf den Weg. Aber die Katzen hatten die dritte Wurzel bloßgelegt, und der Baum neigte sich zum Falle. Da that ich den dritten Hilferuf. Eiligst kamen die starken Männer näher, und als sie sahen, was die Katzen mit dem Baume vorhatten, da giengen sie mit ihren Spaten auf sie los, und sie kämpften mit den Katzen, bis diese endlich die Flucht ergriffen. Ich aber, o König, rührte mich nicht, bevor die letzte fort war. Dann erst gieng ich heim. Und das ist die schlimmste Lage, in der ich mich jemals befand, und ich glaube, dass es wahrhaftig schlimmer ist, von Katzen zerrissen zu werden, als an dem Galgen des Königs von Lochlann zu hängen.
»Ach, Conall,« sagte der König, »wie redegewandt bist du! Nun denn, mit deiner Geschichte hast du deinem jüngsten Sohne das Leben gerettet. Wenn du mir von einer noch schlimmeren Lage erzählen kannst, so sei auch deinem zweiten Sohne das Leben geschenkt.«
»Unter dieser Bedingung,« versetzte Conall, »will ich dir gern erzählen, wie ich mich einmal in noch weit schlimmerer Lage befand, als heute, wo ich in deiner Gewalt bin.«
»Lass hören,« sagte der König.
»Ich war damals,« begann Conall, »ein ganz junger Bursche. Das Gut meines Vaters lag hart am Meere, und die Küste war reich an Felsen, Spalten und Höhlen. Als ich mich eines Tages auf der Jagd befand, da schien es mir, als stiege zwischen zwei Felsblöcken eine Rauchsäule auf. Neugierig, woher wohl der Rauch kommen möge, trat ich näher und blickte hinein. Aber da that ich auch schon einen Fall. Doch war der Boden so dicht mit Heidekraut bedeckt, dass ich keinerlei Verletzung davontrug. Wie ich da wieder hinauskommen sollte, wusste ich nicht. Ich sah nicht vor mich hin, sondern blickte hinauf – ich hatte keine Hoffnung, je wieder das Tageslicht zu sehen. Der Gedanke, dass ich bis zu meinem Tode in dieser Höhle bleiben müsste, war furchtbar. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch, das immer näher und näher kam, und was erblickten meine Augen? Einen ungeheuren Riesen, von zwei Dutzend Ziegen und einem Ziegenbocke gefolgt. Er band die Ziegen an, dann trat er auf mich zu und sprach: ‚Halloh, Conall! Mein Messer ist fast rostig geworden in der Scheide, so lange warte ich schon auf dein zartes Fleisch.’«
»Ach!« sagte ich, »es ist nicht viel an mir; du wirst kaum für eine Mahlzeit genug haben. Aber ich sehe, dass du auf einem Auge blind bist. Ich bin ein guter Arzt und werde dein anderes Auge wieder sehend machen.«
Da that der Riese den großen Kessel auf das Feuer. Ich gab ihm Weisung, das Wasser warm werden zu lassen, dann holte ich Heidekraut herbei, und als sich der Riese auf mein Geheiß in den Kessel gesetzt hatte, begann ich seine Augen mit zusammengeballtem Heidekraut einzureiben, zuerst das sehende, denn ich erklärte ihm, dass ich dessen Sehkraft auf das blinde Auge übertragen müsse. Es war natürlich viel leichter, das gesunde Auge krank, als das kranke gesund zu machen, und nach einiger Zeit war es mir gelungen: der Riese war auf beiden Augen blind.
Als er merkte, dass er nichts mehr sehen konnte, und als ich ihm sagte, dass er mich nun nicht mehr daran hindern würde, ins Freie zu gelangen, da sprang er aus dem Wasser und stellte sich an den Eingang der Höhle und sagte, dass er sich bitter an mir rächen wolle. Die ganze Nacht verbrachte ich in hockender Stellung in der Höhle und musste den Athem anhalten, um nicht zu verrathen, wo ich war. Als dem Riesen endlich der Gesang der Vögel verrieth, dass der Tag angebrochen sei, da sagte er: »Schläfst du, Conall? Wach‘ auf und lass die Ziegen ins Freie hinaus.«
Da tödtete ich den Ziegenbock.
Der Riese rief: »Ich glaube gar, du tödtest meinen Ziegenbock?«
»O nein,« erwiderte ich, »die Ziegen sind so fest angebunden, dass es viel Zeit braucht, sie loszubinden.«
Als ich die erste Ziege hinausließ, liebkoste sie der Riese und sprach: »Da bist du, meine zottige, weiße Ziege, du siehst mich, aber ich kann dich leider nicht sehen.«
Eine nach der anderen ließ ich hinaus, während ich dem Ziegenbock das Fell abzog; bevor die letzte draußen war, hatte ich meine Arbeit vollendet. Dann zog ich mir das Fell über den Leib, und zwar so, dass meine Hände in den Vorderfüßen und meine Füße in den Hinterfüßen steckten; da auch die Hörner auf der Kopfhaut nicht fehlten, so musste der Riese glauben, es sei der Ziegenbock. Als ich auf allen Vieren hinausgieng, streichelte mich der Riese und sprach: »Da bist du, mein lieber, schöner Ziegenbock, du siehst mich, aber ich kann dich leider nicht sehen.«
Endlich befand ich mich wieder in Gottes freier Welt! Wie freute ich mich da, o König! Ich warf das Ziegenfell ab und rief dem Riesen zu: »Dir zum Trotze bin ich nun doch frei!«
»Aha!« sagte er, »hast du mich überlistet! Nun, weil du so kühn warst, dich selbst zu befreien, will ich dir diesen Ring hier schenken. Nimm ihn, er wird dir nützlich sein.«
»Ich will ihn nicht aus deiner Hand nehmen,« rief ich, »aber wenn du ihn herwerfen willst, will ich ihn aufheben.«
Er warf den Ring zu Boden, und ich hob ihn auf und steckte ihn an meinen Finger.
Darauf fragte mich der Riese: »Passt er dir?«
»Jawohl,« antwortete ich.
Da rief er: »Wo bist du, Ring?«
Und der Ring sagte: »Hier bin ich.«
Der Riese gieng der Stimme des Ringes nach und kam immer näher und näher, und ich merkte, dass ich mich in einer weit schlimmeren Lage befand, als je zuvor. Da zog ich meinen Dolch und schnitt mir den Fingen ab und warf ihn, so weit ich konnte, in die See hinaus, wo sie am tiefsten war.
Wieder rief der Riese: »Wo bist du, Ring?«
Und der Ring antwortete: »Hier bin ich« vom Meere herüber.
Mit einem Sprunge folgte er der Stimme des Ringes – da war er mitten in der See. Und ich stand dabei, wie er ertrank, und freute mich so unendlich darüber, als ich mich jetzt freuen würde, wenn du, o König, mir mein eigenes Leben und das meiner anderen beiden Söhne schenken und mir jede weitere Strafe erlassen wolltest! Als von dem Riesen nichts mehr zu sehen war, da gieng ich in die Höhle und nahm den Schatz mit, den ich dort fand, und kehrte nach Hause zurück. Wie freuten sich alle, als sie mich wiedersahen! Zum Zeichen, dass die Geschichte wahr ist, die ich dir erzählt habe, o König, sieh‘ her, ein Finger an meiner Hand fehlt.
»Wirklich, Conall,« sagte der König, »du bist nicht nur wortreich, sondern auch weise. Der Finger fehlt wirklich. Du hast nun auch deinem zweiten Sohn das Leben gerettet. Nun erzähle mir noch einen Fall, da dir viel trauriger zumuthe war, als wenn du mitansehen müsstest, wie dein ältester Sohn gehängt wird, und du sollst auch den dritten Sohn behalten.«
»Kurze Zeit darauf,« begann Conall wieder, »gieng mein Vater hin und suchte mir eine Frau aus, und wir wurden getraut.«
Einst gieng ich an der Meeresküste auf die Jagd. Weit draußen in der See befand sich eine Insel. Wie ich so die Küste entlang gieng, erblickte ich ein Boot, das hatte vorne und hinten ein Tau und war mit allerlei Kostbarkeiten beladen. In meiner Begierde nach dem Schatze stieg ich in das Boot. Kaum aber war ich darin, da fuhr es in das Meer hinaus und hielt erst, als es bei der Insel angelangt war. Ich stieg aus, da kehrte das Boot an seinen früheren Platz zurück. Was sollte ich nun beginnen? Auf der Insel war kein Haus zu sehen weit und breit.
Ich gieng weiter und kam auf den Gipfel eines Berges, von dort stieg ich in ein enges Thal hinab. Da sah ich in einer Höhle eine Frau sitzen. Die hielt ein nacktes Kind im Schoß und ein Messer in der Hand. Sie schien die Absicht zu haben, dem Kind den Hals zu durchschneiden, aber das Kind blickte sie an und begann zu lachen. Da brach die Frau in Weinen aus und warf das Messer fort. Ich rief die Frau an und fragte sie:
»Was thust du hier?«
Da sprach sie: »Wie kamst du her?«
Und ich erzählte ihr Wort für Wort, was geschehen war.
»Ganz so ist es mir ergangen,« sagte sie und zeigte mir, auf welchem Wege ich zu ihr in die Höhle gelangen könnte.
Als ich vor ihr stand, fragte ich sie: »Warum wolltest du vorhin das Kind tödten?«
»Ich muss es für den Riesen, der hier lebt, braten, sonst tödtet er mich.«
In dem Augenblicke hörten wir auch schon die Schritte des Riesen.
»Was soll ich thun? Was soll ich thun?« schrie die Frau.
Ich gieng schnell zu dem Kessel hinüber, der glücklicherweise noch nicht sehr heiß war, und stieg hinein, gerade als das Ungeheuer eintrat.
»Hast du den Jungen gebraten?« fragte er.
»Er ist noch nicht weich,« antwortete sie.
Ich aber rief aus dem Kessel hervor: »Mütterchen, liebes Mütterchen, ich brate!«
Da lachte der Riese und sagte: »Hai, Hau, Hogaraich!«
Dann that er einen Haufen Holz in das Feuer.
Nun wusste ich, dass es um mich geschehen war. Zu meinem Glücke schlief aber das Ungeheuer neben dem Kessel ein. Als die Frau das sah, legte sie ihre Lippen an ein Loch in dem Deckel und fragte mich leise: »Lebst du?«
»Jawohl,« sagte ich.
Dann hob ich den Kopf; das Loch war so groß, dass ich ihn bequem durchstecken konnte. Auch weiterhin gieng es leicht, aber als ich meine Hüften hindurchzwängte, da blieb meine Haut an dem Deckel zurück. Nun war ich wohl draußen, aber was nun? Die Frau sagte mir, außer der Waffe des Riesen sei in der ganzen Höhle keine zu finden. Da begann ich ihm langsam den Speer aus der Hand zu ziehen, und bei jedem Athemzug, den er that, glaubte ich, dass mein Ende gekommen war. Aber endlich hatte ich den Speer in meiner Gewalt.
Dann aber gieng es mir nicht besser als einem, der unter einem Haufen Stroh Schutz sucht gegen einen heftigen Wind, denn die Waffe war meiner Hand zu schwer. Es war ein furchtbarer Anblick, den Riesen anzusehen, der nur ein Auge mitten im Gesicht hatte; der Gedanke, ihn anzugreifen, war mir durchaus nicht angenehm. Da zog ich, so gut ich konnte, die Spitze aus dem Speer und stieß sie dem Riesen ins Auge. Als er das Eisen spürte, fuhr er mit dem Kopfe auf, so dass das andere Ende der Lanzenspitze gegen die Decke der Höhle stieß und ihm den Kopf durchbohrte. Mausetodt fiel er zu Boden, und du kannst mir glauben, o König, dass ich keine geringe Freude empfand. Die Frau und ich, wir brachten die Nacht außerhalb der Höhle zu, dann holte ich das Boot mit all seinen Schätzen herbei, und das brachte uns sammt dem Kinde ans Land. Von da kehrte ich nach Hause zurück.
Die Mutter des Königs von Lochlann hörte die Erzählung Conalls mit an, während sie damit beschäftigt war, ein Feuer anzuzünden.
»Bist du es,« fragte sie ihn, »der in die Höhle des Riesen kam?«
»Gewiss,« antwortete Conall, »ich bin es.«
»Ach, ach!« rief da die Mutter des Königs aus, »ich bin die Frau, und mein Sohn hier ist das Kind, denen du damals das Leben gerettet hast. Dir sind wir zu ewigem Danke verpflichtet.«
Da freuten sich alle ungeheuer.
Der König aber sprach: »O Conall, was für Mühseligkeiten hast du erlitten! Jetzt gehört aber der Braune dir, und ich will ihn mit einem Sack voll der kostbarsten Edelsteine aus meiner Schatzkammer beladen.«
Nun begaben sich alle zur Ruhe. So früh aber auch Conall sich erhob, so war doch die Königin noch viel früher aufgestanden, um alles vorzubereiten. Conall erhielt den Braunen und einen Sack voll Kostbarkeiten, und er zog mit seinen drei Söhnen nach Erin zurück. Das Gold und die Edelsteine lud er in seinem Hause ab, das Ross brachte er seinem Könige, der von der Zeit ab ihm sehr gewogen war. Dann kehrte er zu seiner Frau zurück, und sie gaben ein herrliches Fest, wie es herrlicher noch nie auf Erden gefeiert wurde.
[Anna Kellner: Englische Märchen]