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In Untervaz lebte einmal ein gar armer Mann, der hatte ein Weib und fünf kleine Kinder zu ernähren und zu kleiden, aber das wenige Land, das sein war, vermochte nicht, die Dürftigkeit zu decken. Eine baufällige Hütte war seine Wohnung, und eine einzige Gaiß seine fahrende Haabe.
Eines Abends kam aber die Gaiß nicht von der Bergweide in’s Dorf zurück. Wo sie geblieben, wußte der Hirte dem armen Mann nicht zu melden, versprach aber, am folgenden Tage eifrig nach ihr zu suchen, und am Abende dann heim zu treiben, wenn nicht ein Lämmergeier mit gewaltigem Flügelschlag sie in die Schlucht gestürzt habe, um sie dann stückweise seinen Jungen in’s Felsennest zu tragen.
Mit Sehnsucht harrte der arme Mann dem kommenden Abende entgegen, denn es brach ihm das Herz, daß seine Kinder keine Milch mehr haben sollten.
Der Abend kam, die Gaiß aber nicht. Wie der Hirte auch nach ihr gesucht, hatte er sie nicht finden können. – Die Kinder weinten; Vater und Mutter waren untröstlich über den Verlust.
Mit Tagesgrauen machte der arme Mann sich auf, nahm etwas Lebensmittel in die Tasche, und stieg bergan, um selber die gute »Muttle« (Ziege ohne Hörner) zu suchen. Er durchging alle Gräte, suchte von Tobel zu Tobel, und so verging der Tag, ohne daß er das gute Thier gefunden hatte. – In einer Alphütte erhielt er freundliche Aufnahme.
Auch am folgenden Tage war sein Suchen ohne Erfolg. Hungrig, durstig und todmüde legte er sich unter einen Felsvorsprung, um dort auszuruhen, bevor er den Heimweg antrete.
Wie er so da lag, kam es ganz schwer über seine Augenlider, und er schlief ein; und der Gott der Träume hielt einen Spiegel vor das Auge seiner Seele, worin er sah, wie ein Männlein, in ein weites, grünes Mäntelein gehüllt, auf dem Kopfe ein spitzes, rothes Käpplein, seine verlorene »Muttle« an der Hand führend, vor ihn her trat, wie aber die »Muttle« über und über mit Schneckenhäuslein und Muschelschaalen behängt war, – wie dann das Männlein ein Tüchlein aus Bergflachs vor ihm ausbreitete, ganz kleine Gemskäslein auf Dasselbe legte, und eine Cristallschaale dazu stellte.
Durch ein melodisches Tönen und Klingen, das vorüberschwebte, wurde der Schlafende geweckt, und er richtete sich auf, rieb sich die Augen, blickte um sich, und schaute Alles, was als Traumbild vor seiner Seele gestanden: – Da stand die Gaiß leibhaftig und blickte mit glänzenden Augen freundlich ihn an, meckerte vor Freude, und schüttelte sich, daß die Schneckenhäuser und Muschelschaalen, mit denen sie behängt war, sich bewegten, und einen sonderbaren Ton von sich gaben. – Auch das schneeweiße aus Bergflachs künstlich gewebte Tüchlein war da, auch die Käslein und die Cristallschaale, angefüllt mit Gemsmilch.
Der arme Mann war außer sich vor Freude, die gute »Muttle« wieder zu haben, freute sich auch über die Muscheln, die er dem Thiere abnehmen, und den Kindern heimbringen wollte. Dann ergriff er die Schaale, trank die Gemsmilch, aß nach Herzenslust von dem schönen Käslein auf dem Tüchlein und schickte sich an, mit der Gaiß das heimathliche Dach zu gewinnen.
Da trat plötzlich das Männlein, das er im Traume gesehen, wirklich her, im grünen Mäntelein und rothen, spitzen Hütchen; das sprach zu ihm: Trage Sorge zu all dem, was die Gaiß an sich trägt, und was noch in den Haaren steckt, löse daheim Alles ab, lasse es die Nacht über auf dem weißen Tüchlein auf dem Tische liegen. – Am Morgen wäge Alles, lasse es wohl schätzen, dem Werthe nach, verkaufe davon, was Du willst, und halte dann die Spende gut und weise zu Rathe. Das Tüchlein und die Schaale bewahre aber auf, und gieb sie Niemandem. – Hast Du dann ein schönes Heim und ein eigenes Maysäß, und ziehst Du hinauf in Dasselbe, – dann breite alle Abende das Tüchlein auf ein Tischchen vor der Hütte, und stelle die Schaale mit frischem Rahm darauf. – Hüte Dich aber, nachzusehen, wer den Rahm trinkt. – »Thust Du das so, wie ich Dir sage, so wirst Du stetsfort Segen und Glück haben.« – Mit diesen Worten verschwand das Männlein, geheimnißvoll, wie es gekommen war. –
Als der Vater mit der Gaiß heim kam, sprangen die Kinder ihm entgegen, und hüpften vor Freude, daß die liebe »Muttle« wieder da sei.
Mit den Schneckenhäusern und Muschelschaalen that der Mann, wie er ihn geheißen, und fand am Morgen statt Derselben – Gold und Silber; die in den Haaren der Gaiß gesteckt hatten, waren zu glänzenden Perlen und Edelsteinen geworden.
Da er aber mit solchen Sachen bis anhin in keinerlei Berührung gestanden hatte, ließ er den greisen Joos Flury kommen, der schon in der Fremde gewesen war, und der ihm den unermeßlichen Werth seines Schatzes bedeutete. – Von Gold und Silber hatte der Arme schon sagen gehört, aber von Perlen und Edelsteinen noch nie ein Wort vernommen.
Er ging nun mit Flury zu einem ehrlichen Goldhändler, und zeigte ihm einige Stücke des Gottesgeschenkes. Der Händler fand das Mitgebrachte als reines Gold und Silber, kaufte den ganzen Schatz, und aus dem Erlöse konnte der Glückliche ein schönes Heimwesen kaufen, und Kühe und Gaißen; aber die gute »Muttle«, die ihm zum Glücke verholfen hatte, blieb ihm von Allem doch das Liebste. –
Oben in den Bergen kaufte er das schöne Maysäß Artaschiew, und dort erfüllte er getreulich das Gebot des Männleins.
Als die Leute sahen, wie der, vorhin so arme Mann nun steinreich geworden, und in Allem was er anfing, Glück hatte, und seine Haabschaft von unsichtbarer Hand vor aller Gefahr beschützt, so trefflich gedieh, sagte Einer zum Andern: »Der steht in Gunst und Bund mit dem Bergmännlein.«
Eines Abends kam aber die Gaiß nicht von der Bergweide in’s Dorf zurück. Wo sie geblieben, wußte der Hirte dem armen Mann nicht zu melden, versprach aber, am folgenden Tage eifrig nach ihr zu suchen, und am Abende dann heim zu treiben, wenn nicht ein Lämmergeier mit gewaltigem Flügelschlag sie in die Schlucht gestürzt habe, um sie dann stückweise seinen Jungen in’s Felsennest zu tragen.
Mit Sehnsucht harrte der arme Mann dem kommenden Abende entgegen, denn es brach ihm das Herz, daß seine Kinder keine Milch mehr haben sollten.
Der Abend kam, die Gaiß aber nicht. Wie der Hirte auch nach ihr gesucht, hatte er sie nicht finden können. – Die Kinder weinten; Vater und Mutter waren untröstlich über den Verlust.
Mit Tagesgrauen machte der arme Mann sich auf, nahm etwas Lebensmittel in die Tasche, und stieg bergan, um selber die gute »Muttle« (Ziege ohne Hörner) zu suchen. Er durchging alle Gräte, suchte von Tobel zu Tobel, und so verging der Tag, ohne daß er das gute Thier gefunden hatte. – In einer Alphütte erhielt er freundliche Aufnahme.
Auch am folgenden Tage war sein Suchen ohne Erfolg. Hungrig, durstig und todmüde legte er sich unter einen Felsvorsprung, um dort auszuruhen, bevor er den Heimweg antrete.
Wie er so da lag, kam es ganz schwer über seine Augenlider, und er schlief ein; und der Gott der Träume hielt einen Spiegel vor das Auge seiner Seele, worin er sah, wie ein Männlein, in ein weites, grünes Mäntelein gehüllt, auf dem Kopfe ein spitzes, rothes Käpplein, seine verlorene »Muttle« an der Hand führend, vor ihn her trat, wie aber die »Muttle« über und über mit Schneckenhäuslein und Muschelschaalen behängt war, – wie dann das Männlein ein Tüchlein aus Bergflachs vor ihm ausbreitete, ganz kleine Gemskäslein auf Dasselbe legte, und eine Cristallschaale dazu stellte.
Durch ein melodisches Tönen und Klingen, das vorüberschwebte, wurde der Schlafende geweckt, und er richtete sich auf, rieb sich die Augen, blickte um sich, und schaute Alles, was als Traumbild vor seiner Seele gestanden: – Da stand die Gaiß leibhaftig und blickte mit glänzenden Augen freundlich ihn an, meckerte vor Freude, und schüttelte sich, daß die Schneckenhäuser und Muschelschaalen, mit denen sie behängt war, sich bewegten, und einen sonderbaren Ton von sich gaben. – Auch das schneeweiße aus Bergflachs künstlich gewebte Tüchlein war da, auch die Käslein und die Cristallschaale, angefüllt mit Gemsmilch.
Der arme Mann war außer sich vor Freude, die gute »Muttle« wieder zu haben, freute sich auch über die Muscheln, die er dem Thiere abnehmen, und den Kindern heimbringen wollte. Dann ergriff er die Schaale, trank die Gemsmilch, aß nach Herzenslust von dem schönen Käslein auf dem Tüchlein und schickte sich an, mit der Gaiß das heimathliche Dach zu gewinnen.
Da trat plötzlich das Männlein, das er im Traume gesehen, wirklich her, im grünen Mäntelein und rothen, spitzen Hütchen; das sprach zu ihm: Trage Sorge zu all dem, was die Gaiß an sich trägt, und was noch in den Haaren steckt, löse daheim Alles ab, lasse es die Nacht über auf dem weißen Tüchlein auf dem Tische liegen. – Am Morgen wäge Alles, lasse es wohl schätzen, dem Werthe nach, verkaufe davon, was Du willst, und halte dann die Spende gut und weise zu Rathe. Das Tüchlein und die Schaale bewahre aber auf, und gieb sie Niemandem. – Hast Du dann ein schönes Heim und ein eigenes Maysäß, und ziehst Du hinauf in Dasselbe, – dann breite alle Abende das Tüchlein auf ein Tischchen vor der Hütte, und stelle die Schaale mit frischem Rahm darauf. – Hüte Dich aber, nachzusehen, wer den Rahm trinkt. – »Thust Du das so, wie ich Dir sage, so wirst Du stetsfort Segen und Glück haben.« – Mit diesen Worten verschwand das Männlein, geheimnißvoll, wie es gekommen war. –
Als der Vater mit der Gaiß heim kam, sprangen die Kinder ihm entgegen, und hüpften vor Freude, daß die liebe »Muttle« wieder da sei.
Mit den Schneckenhäusern und Muschelschaalen that der Mann, wie er ihn geheißen, und fand am Morgen statt Derselben – Gold und Silber; die in den Haaren der Gaiß gesteckt hatten, waren zu glänzenden Perlen und Edelsteinen geworden.
Da er aber mit solchen Sachen bis anhin in keinerlei Berührung gestanden hatte, ließ er den greisen Joos Flury kommen, der schon in der Fremde gewesen war, und der ihm den unermeßlichen Werth seines Schatzes bedeutete. – Von Gold und Silber hatte der Arme schon sagen gehört, aber von Perlen und Edelsteinen noch nie ein Wort vernommen.
Er ging nun mit Flury zu einem ehrlichen Goldhändler, und zeigte ihm einige Stücke des Gottesgeschenkes. Der Händler fand das Mitgebrachte als reines Gold und Silber, kaufte den ganzen Schatz, und aus dem Erlöse konnte der Glückliche ein schönes Heimwesen kaufen, und Kühe und Gaißen; aber die gute »Muttle«, die ihm zum Glücke verholfen hatte, blieb ihm von Allem doch das Liebste. –
Oben in den Bergen kaufte er das schöne Maysäß Artaschiew, und dort erfüllte er getreulich das Gebot des Männleins.
Als die Leute sahen, wie der, vorhin so arme Mann nun steinreich geworden, und in Allem was er anfing, Glück hatte, und seine Haabschaft von unsichtbarer Hand vor aller Gefahr beschützt, so trefflich gedieh, sagte Einer zum Andern: »Der steht in Gunst und Bund mit dem Bergmännlein.«
[Rätoromanien: Dietrich Jecklin: Volksthümliches aus Graubünden]