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Das Bocksmädel

3.7
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Es waren einmal ein König und eine Königin, die keine Kinder hatten, und deswegen war die Königin so betrübt, dass sie beinahe niemals eine frohe Stunde hatte. Sie klagte immer, dass es so öde und ruhig im Königshof wäre. „Wenn wir nur Kinder hätten, so würde es bald lebendig werden“, sagte sie. Wohin sie in ihrem ganzen Reiche reiste, da gab es selbst in den ärmsten Hütten reichen Kindersegen, und wohin sie nur kam, da hörte sie die Hausfrau über ihre Jungen schelten und sagen, jetzt eben hätten sie wieder Unsinn getrieben. Darüber freute die Königin sich aber so, dass sie Lust bekam, dasselbe zu tun. Zuletzt nahmen der König und die Königin ein fremdes kleines Mädchen an, das sie in ihrem Königshof erzogen und ganz wie ihr eigenes Kind hielten.
Eines Tages hüpfte das kleine Fräulein, das sie angenommen hatten, im Schlosshof herum und spielte mit einem goldnen Apfel, als ein armes Weib dahin kam. Die hatte auch ein kleines Mädchen bei sich, und es dauerte nicht lange, so wurden das Mägdlein und das kleine Fräulein guter Dinge und fingen an zu spielen und den goldenen Apfel zwischen sich hin und her zu kollern. Als die Königin das sah, pochte sie ans Fenster, dass die Pflegetochter heraufkommen solle. Das tat diese auch, doch das arme Mägdlein ging mit, und als sie in den Saal zur Königin traten, hielten sie einander bei den Händen.
Die Königin schalt aber das kleine Fräulein: „Es schickt sich nicht für dich, mit einem schmutzigen Bettelmädchen herum zu springen und zu spielen“, sagte sie und wollte das Mädchen hinausjagen. „Wenn die Königin wüsste, was meine Mutter tun kann, so triebe sie mich gewiss nicht zur Türe hinaus“, sagte die Kleine, und als die Königin fragte, was das sei, erzählte sie, dass ihre Mutter der Königin ein eigenes Kind verschaffen könne. Das wollte die Königin gar nicht glauben, das Mädchen aber beharrte auf ihrer Behauptung und sagte, es sei kein unwahres Wort daran. Die Königin möge nur versuchen, ihre Mutter dahin zu bringen.
Da hieß die Königin das Mädchen, ihre Mutter herauf zu rufen. „Weißt du, was deine Tochter gesagt hat?“ fragte sie das Weib, als es zur Türe hereinkam. Nein, das wisse sie gar nicht, antwortete diese. „Sie sagte, dass du mir ein Kind verschaffen kannst, wenn du nur willst“, sagte die Königin. „Es schickt sich nicht für eine Königin, auf das zu hören, was ein Bettelmädchen erfinden kann“, sagte die, Frau und eilte hinaus. Die Königin ward darüber sehr zornig und wollte wiederum das kleine Mädchen hinausjagen, das beharrte aber darauf, dass es kein unwahres Wort gesagt hätte. Die Königin solle es nur noch einmal versuchen.
Das Bettelweib wurde abermals herauf gerufen, mit Wein und Met, soviel sie nur wünschte, bewirtet, und ehe man es sich versah schwatzte sie wie eine Elster. Dann fragte die Königin wieder wie vorher. „Ein Mittel wüsste ich wohl“, sagte das Bettelweib. „Die Königin mag am Abend beim Zubettgehen zwei Eimer Wasser in ihr Schlafgemach tragen lassen, darin soll sie sich waschen und hierauf das Wasser unter das Bett gießen. Wenn sie dann morgens früh unter das Bett schaut, wird sie sehen, dass zwei Blumen emporgeschossen sind, eine schöne und eine garstige. Die schöne soll sie essen, die garstige aber stehen lassen. Vergesst aber ja nicht das letzte!“ sagte das Bettelweib.
Die Königin machte es so, wie die Bettelfrau angeraten hatte; sie ließ Wasser in zwei Eimern hinauftragen, wusch sich darin, goss es unter das Bett, und als sie den nächsten Morgen nachschaute, standen zwei Blumen da, die eine war hässlich und garstig, mit schwarzen Blättern, die andere aber war so schön und strahlend, dass sie niemals etwas Ähnliches gesehen hatte, und die aß sie gleich. Die hübsche Blume schmeckte aber so gut, dass sie sich nicht enthalten konnte, auch die andere zu essen. Es kann wohl nichts schaden, dachte sie.
Nach einer Weile kam die Königin in die Wochen. Zuerst gebar sie ein Mädchen, welches auf einem Bocke ritt und einen Kochlöffel in der Hand führte. Es war gar zu hässlich und garstig, und als es zur Welt kam, rief es gleich: „Mama!“ – „Bin ich deine Mama, dann stehe mir Gott bei!“ sagte die Königin. „Sei getrost, es kommt bald noch eine nach, die hübscher ist“, sagte die Kleine, die auf dem Bocke ritt.
Nach kurzer Zeit gebar die Königin in der Tat ein zweites Menschenkind, das war so hübsch und freundlich, dass so ein Prachtmädchen noch niemals zuvor gesehen worden war, und darüber freute sich die Königin gar sehr, wie man wohl denken kann. Das älteste nannte sie das Bocksmädel und Struwelköpfchen, denn sie war gar garstig und struppig und hatte eine Haarhaube auf, die ihr in ordentlichen Zotteln um den Kopf hing. Die Königin mochte sie nicht gern ansehen, und die Hausmädchen suchten sie immer in ein anderes Zimmer einzusperren, aber das war unnütz; denn da, wo das jüngste Kind war, da wollte sie auch sein, und die Kinder mochten überhaupt nicht voneinander getrennt werden.
Als sie beide im so genannten Backfischalter waren, entstand einmal am Weihnachtsabend ein gefährlicher Lärm und ein Gepolter auf der Flur. Das Bocksmädel fragte, was denn da draußen auf der Flur poche und poltere. „Es ist nicht der Mühe wert, danach zu fragen“, sagte die Königin. Das Bocksmädel ließ aber nicht nach, sie musste wissen, was da los war, und so erzählte die Königin denn, dass die Hexen und Trolle im Begriff wären, da draußen ihre Weihnachtsspiele zu halten. Das Bocksmädel sagte, sie wolle hinaus, um die Hexen zu verscheuchen, und obwohl man sie bat, dass sie das lassen möge, so half das alles nichts, sie wollte und musste hinaus, bat aber die Königin, alle Türen wohl geschlossen zu halten.
Dann fuhr sie mit ihrem Kochlöffel los und trieb und packte die Hexen, dass solch ein Lärm und Gepolter auf der Flur entstand, wie man wohl nie zuvor gehört hatte; es krachte und prasselte, als würden alle Balken des Hauses aus ihren Fugen gerissen. Aber wie dem auch sein mochte, eine Tür wurde doch ein bisschen geöffnet, die Schwester wollte hinaus nach dem Bocksmädel gucken, und auf einmal kam eine Hexe, riss ihr den Kopf ab und setzte ihr statt dessen einen Kalbskopf auf. Gleich lief die Prinzessin in der Stube umher und fing an zu blöken. Als nun das Bocksmädel wieder hineinkam und ihre Schwester sah, zankte sie und ward sehr böse, weil sie nicht besser aufgepasst hätten. Ob sie glaubten, dass es jetzt besser mit ihr stehe, nachdem sie in ein Kalb verwandelt worden sei? „Nun, ich muss wohl versuchen, sie zu retten“, setzte sie hinzu. Sie erbat sich also von dem König ein wohl ausgerüstetes Schiff, Steuermann und Matrosen mochte sie nicht haben, sie wollte mit ihrer Schwester allein absegeln. Und zu guter Letzt bekam sie auch hierin ihren Willen.
Das Bocksmädel segelte also fort und steuerte gerade nach dem Lande, wo die Trollweiber wohnten. Als sie an die Schiffsbrücke kam, sagte sie ihrer Schwester, sie möge dableiben und sich ganz ruhig verhalten. Das Bocksmädel selbst ritt auf ihrem Bock hinauf zum Hexenschloß. Ein Fenster des Saales stand offen, da sah sie den Kopf ihrer Schwester stehen. Spornstreichs ritt sie in den Hausflur hinein, ergriff schnell den Kopf und fuhr damit ab. Die Hexen folgten ihr und wollten den Kopf zurückhaben. Sie kamen so dicht und in einer solchen Menge hinter ihr her, dass es von ihnen wimmelte wie in einem Ameisenhaufen. Der Bock aber stieß und puffte sie mit den Hörnern, und sie selbst schlug und hieb mit ihrem Kochlöffel, so dass das Hexengesindel weichen und ablassen musste.
Das Bocksmädel erreichte das Schiff, setzte der Schwester statt des Kalbskopfes ihren eigenen auf, und das Mädchen wurde wieder ein Mensch. Und so segelten sie weit, weit hin nach einem fremden Königreiche. Der König dieses Landes war ein Witwer und hatte nur einen einzigen Sohn. Als er das fremde Schiff sah, schickte er zum Meeresufer hinunter, um zu erfahren, woher es käme und wer sein Herr wäre. Die Leute des Königs sahen aber keine andere lebendige Menschenseele auf dem Schiffe als das Bocksmädel. Sie ritt auf dem Verdecke umher, so dass die struppigen Haare ihr wild um den Kopf flogen. Das kam den Leuten gar zu wunderlich vor, und sie fragten, ob nicht noch andere Personen da wären. „Ei ja doch, ich habe noch eine Schwester mit“, sagte das Bocksmädel. Die Leute wünschten sie zu sehen, das Bocksmädel aber sagte: „Nein, niemand anders als der König selbst soll sie schauen, wenn er kommt“, und sprengte auf dem Bock umher, dass das ganze Verdeck donnerte. Als die Bedienten zum Schloss zurückkamen und erzählten, was sie auf dem Schiffe gehört und gesehen hatten, wollte der König gleich herunter, um das Bocksmädel zu begrüßen.
Als er kam, stellte sie ihm ihre Schwester vor, und die war so hübsch und so freundlich, dass der König auf der Stelle in sie verliebt wurde. Er führte sie beide in das Schloss und wollte die Schwester zu seiner Königin machen. Das Bocksmädel sagte aber nein. Das könne nur geschehen, wenn der Königssohn sie selbst zur Frau nähme. Nun kann man sich leicht denken, dass der Königssohn keine Lust hatte, so ein garstiges Scheusal wie das Bocksmädel zu heiraten. Der König aber und alle, die im königlichen Schloss waren, sprachen so lange in ihn hinein und redeten ihm so viel Schönes vor, dass er sich zuletzt fügte und versprach, er wolle sie zu seiner Königin machen. Es hielt aber schwer, und er freute sich gar nicht dabei.
Nun wurden Vorbereitungen zur Hochzeit gemacht; es wurde gebraut und gebacken, und als alles fertig war, da wollten sie zur Kirche gehen. Dem Königssohn dünkte das aber die schwerste Kirchfahrt, die er je in seinem Leben unternommen hatte. Voran fuhr der König mit seiner Braut, die war so schön und strahlend, dass alle Menschen auf der Straße stehen blieben und sich nach ihr umschauten, solange sie sie sehen konnten. Danach kam der Prinz zu Pferde und neben ihm das Bocksmädel, das auf ihrem Bock dahertrabte, wie immer einen Kochlöffel in der Hand. Der Königssohn sah aber eher aus wie einer, der eine Leiche zu ihrem Grabe begleitete, als einer, der zu seiner eigenen Trauung ritt.
Natürlich sprach er kein Wort. „Warum sprichst du nicht?“ sagte das Bocksmädel, als sie eine Weile unterwegs waren. „Wovon soll ich wohl sprechen“, antwortete der Königssohn. „Du kannst ja fragen, warum ich auf dem garstigen Bock reite“, sagte das Bocksmädel. „Warum reitest du auf dem garstigen Bock?“ fragte der Königssohn. „Ist das ein garstiger Bock? Das ist ja das schönste Pferd, auf dem eine Braut nur reiten kann“, antwortete das Bocksmädel, und gleich wurde der Bock zu einem Pferde, und zwar zu dem schönsten, das der Königssohn jemals in seinem Leben gesehen hatte.
Nun ritten sie wieder eine Strecke, der Königssohn war aber immer noch sehr betrübt und konnte kaum ein Wort hervorbringen. Da fragte das Bocksmädel aufs neue, warum er gar nicht spreche, und als der Königssohn antwortete, dass er nicht wisse, wovon er reden solle, sagte das Bocksmädel: „Du kannst ja fragen, warum ich diesen garstigen Kochlöffel in der Hand trage.“ – „Warum trägst du den garstigen Kochlöffel in der Hand?“ fragte der Königssohn. „Ist das ein garstiger Kochlöffel? Das ist ja der schönste silberne Fächer, den eine Braut zu ihrer Hochzeit tragen kann“, sagte das Bocksmädel, und gleich darauf wurde der Kochlöffel zu einem glänzenden silbernen Fächer.
Nun ritten sie noch eine Strecke weiter, der Königssohn war aber immer noch betrübt und niedergeschlagen und sprach kein Wort. Nach einer Weile fragte das Bocksmädel ihn wieder, warum er nichts spreche, und jetzt bat sie, er solle fragen, warum sie das graue, garstige Haarkäppchen auf dem Kopf trage. „Warum trägst du das garstige, graue Käppchen auf dem Kopf?“ fragte der Königssohn. „Ist das ein garstiges Käppchen? Das ist ja die strahlendste Krone von rotem Gold, die eine Braut nur tragen kann“, antwortete das Bocksmädel, und gleich war es so.
Nun ritten sie wieder eine Zeitlang, und der Königssohn war immer noch betrübt, dass er dasaß, wortlos wie vorher, aber die Braut fragte wieder, warum er nicht spreche, und jetzt bat sie, dass er fragen solle, warum sie so grau und garstig im Gesicht aussehe. „Ja, warum bist du so grau und garstig im Gesicht?“ fragte der Königssohn. „Bin ich garstig? Meine Schwester scheint dir wohl hübsch zu sein, ich bin aber zehnmal schöner!“ sagte die Braut, und als der Königssohn sie anschaute, war sie so hübsch und schön, dass es ihm deuchte, es könne so ein wunderschönes Mädchen auf der Welt nicht noch einmal sein. Da war es wohl kein Wunder, dass der Prinz seine Mundwerkzeuge gehen und nicht weiter die Ohren hängen ließ. So tranken sie denn auf ihrer Hochzeit eine gute Zeitlang miteinander, und nachher reisten sowohl der König wie der Königssohn, jeder mit seiner Braut, zu dem Vater der Prinzessinnen, und da machten sie wieder Hochzeit, so dass es gar kein Ende nahm.
Machst du dich aber bald auf den Weg zu ihrem Schloss, dann ist es möglich, dass noch ein Tröpfchen von dem Hochzeitsbiere für dich übrig ist.

Quelle:
(Unbekannt-Norwegen)

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