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Märchenbasar

Das Brüdermärchen

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Es waren einmal zwei Brüder. Anubis hieß der ältere, Bata der jüngere. Anubis lebte in einem großen Haus mit seiner schönen Ehefrau und seinem Bruder, der aus Dankbarkeit weil er bei ihm wohnen durfte, sein Vieh hütete und alle Feldarbeit verrichtete. Das Jäten, Pflügen und Ernten war für Bata kein Problem, denn er war ein sehr kräftiger junger Mann und im Dorf sagte man sogar, dass die Kraft eines Gottes in ihm wohnte. Auch bei der Rinderzucht machte er sich einen Namen, denn wenn er mit ihnen auf die Weide ging, sagten ihm die Rinder wo das Gras am Besten wuchs – und so waren es kräftige Rinder, die viel mehr kalbten, als alle anderen im Land.

Eines Tages gingen die beiden Brüder auf das Feld, um ihr Saatgut zu streuen. Aber sie hatten nicht genug mitgenommen und so schickte Anubis seinen jüngeren Bruder zurück in sein Haus um noch mehr zu holen. Bata tat alles für seinen Bruder ohne zu murren und so machte er sich geschwind auf dem Weg zum Haus. Dort angekommen fand er die Frau von Anubis vor, die gerade von einer Dienerin frisiert wurde. Er beachtete sie kaum, rannte in den Speicher und schnallte sich drei Zentner Emmer und zwei Zentner Gerste auf die Schulter. Dann kam die Frau zum ihm und bewunderte seine Kraft. „Ich beobachte dich jeden Tag. Wie schön und stark du bist. Komm, leg dich zu mir auf die Liege.“ Bata aber war erbost über dieses Angebot und wies die erschrockene Frau barsch zurück: „Du bist für mich wie eine Mutter, dein Mann wie ein Vater. Dein Angebot ist verächtlich, aber trotzdem verspreche ich dir, dass ich es niemanden sagen werde.“ Und mit diesen Worten verließ er das Haus. Anubis‘ Frau glaubte seinen Worten nicht und hatte Angst davor, dass Bata es jemanden weitererzählen könnte und so dachte sie sich eine List aus. Sie wusste, dass ihr Mann eher als Bata nach Hause kommen würde, weil er noch das Vieh von der Weide holen musste. Also nahm sie sich Fett als Brechmittel und legte sich Verbandszeug an, damit es so aussah, als ob sie geschlagen worden wäre.
Als Anubis am Abend nach Hause kam, fand er seine Frau sich übergebend und krümmend vor Schmerz.
„Was ist passiert?“ fragte er.
„Sieh mich an! Dein Bruder wollte mich verführen, aber ich sagte zu ihm: Bin ich nicht wie deine Mutter, ist dein älterer Bruder nicht wie dein Vater? Und dann bekam er Angst, dass ich es weitererzählen würde und schlug auf mich ein. Geliebter Ehemann, ich kann nicht weiterleben wenn er noch lebt. Hör dir erst gar nicht an, was er zu sagen hat. Er wird es eh nur leugnen. Töte ihn sofort!“
Wutentbrannt nahm Anubis seine Lanze und ging in den Stall, um auf die Rückkehr seines Bruders zu warten.
Als die Sonne unterging machte sich Bata nichtsahnend mit der Herde auf den Weg zurück. Plötzlich hörte er, wie seine Leitkuh zu ihm flüsterte: „Pass auf, im Stall steht dein Bruder mit einer Lanze und will dich töten.“
Bata wollte es zuerst nicht glauben. Er schlich sich an den Stall und lugte unter die Tür. Als er die Füße und die Lanzenspitze sah, wurde ihm bewusst, dass es die Wahrheit war und er rannte entsetzt davon. Er hätte sich lieber wieder davonschleichen sollen, denn sein Bruder hörte ihn und rannte hinterher. Verzweifelt rief Bata Re-Harachte an:
„Mein guter Herr. Du bist es doch, der die Sünde vom Recht abtrennt!“
Der Sonnengott hörte seine Worte und ließ einen riesigen Fluss, der voller Krokodile war, zwischen den beiden Brüdern entstehen. Anubis war sehr wütend, weil er nun seinen Bruder nicht mehr in die Finger bekommen konnte. Der aber rief zu ihm rüber:
„Bleib dort stehen und warte bis es wieder hell wird. Dann werde ich vor den Augen und Ohren des Sonnengottes schwören, dass alle Anschuldigungen falsch sind!“
Als am nächsten Tag die Sonne wieder aufging, rief Bata seinem Bruder zu:
„Wieso wolltest du mich töten, ohne mich einmal anzuhören?! Deine Frau wollte mich verführen! Aber ich sagte zu ihr, du wärst wie ein Vater und sie wie eine Mutter zu mir. Sie hat die Geschichte zu ihrem Gunsten umgedreht, und ich werde dir ein Opfer bringen, um dir zu beweisen, dass ich die Wahrheit spreche.“
Er nahm sein Messer aus seinem Gürtel, schnitt sich sein Glied ab und warf es in den Fluss, wo es ein Wels verschluckte. Als Anubis sah, was sein Bruder getan hatte und welche Schmerzen er jetzt durchlitt, tat es ihm unendlich leid und er weinte jämmerlich. Da rief Bata ihm zu:
„Warum hast du mir das nur zugetraut, nach all dem, was ich für dich getan habe?! Nun geh allein zurück nach Hause und sorge dich selbst um dein Vieh und deine Felder. Ich werde zum Tal der Schirmpinie gehen und ich möchte, dass du mir erst nachkommst, wenn du erfährst, dass mir etwas passiert ist. Höre genau zu: Ich werde mir mein Herz rausnehmen und es auf die Blüte einer Schirmpinie legen. Wenn die Pinie gefällt wird und mein Herz zu Boden fällt, sollst du nach ihm suchen. Wenn du es gefunden hast, dann lege es in eine Schale mit frischem Wasser und ich werde wieder leben. Dann werde ich es dem heimzahlen, der mich verraten und die Pinie gefällt hat. Du erfährst, dass mir was zugestoßen ist, wenn man dir einen Becher Bier reicht und es überschäumt.“
Mit diesen Worten verabschiedete sich Bata und wandte sich nach Osten. Anubis ging voller Gram wieder nach Hause, tötete mit der Lanze seine Frau und warf sie den Hunden vor.

Nach vielen Tagen erreichte Bata seinen Zielort. Er suchte sich eine einsame Stelle mit einer prächtigen Pinie aus, nahm sein Herz und legte es auf eine Blüte. Dann begann er, sich ein großes Haus zu bauen, das voll war mit lauter schönen Sachen. Als sein Haus fertig war, machte er sich eines Tages auf um zu jagen. Auf seinem Weg traf er die Götterneunheit, die zu dieser Zeit durch das Land zog. Nachdem sie sich untereinander besprochen hatten, sagten sie zu ihm:
„Bata, bist du hier ganz allein, nachdem du deine Stadt verlassen hast, wegen der Frau des Anubis, deines älteren Bruders? Er hat sich selbst damit bestraft, dass er seine Frau eigenhändig ermordet hat.“
Die Götter hatten Mitleid mit der Einsamkeit von Bata und so bat Re-Harachte den Schöpfergott Chnum, eine Frau für Bata auf seiner Töpferscheibe zu formen. Und so formte Chnum eine Frau, die schöner war, als alle anderen und in der ein Teil eines jeden Gottes war. Aber die sieben Schicksalsgöttinnen kamen, um sie zu betrachten und sagten einstimmig, dass sie eines gewaltsamen Todes sterben wird.
Bata verliebte sich sofort in die schöne Frau und sie wohnte in seinem Haus, während er tagsüber auf die Jagd ging. Er warnte sie, nicht hinaus zu gehen, damit das Meer sie nicht ergreift.
„Ich kann dich nicht erretten“, sagte er zu ihr, „denn mein Herz liegt auf der Blüte der Schirmpinie und ich kann es nicht alleine lassen.“ Dann erzählte er ihr sein ganzes Geheimnis.

Viele Tage danach ging Bata, wie jeden Morgen auf die Jagd. Seiner Frau war sehr langweilig und so ging sie nach draußen zu der Schirmpinie um nach dem Herzen ihres Mannes zu sehn. Da sah sie plötzlich das Meer hinter sich herrollen. Panisch ergriff sie die Flucht und wollte zurück ins Haus rennen, doch das Meer befahl der Schirmpinie sie festzuhalten. Aber die Frau war schneller und so erfasste die Pinie nur eine Locke ihrer Perücke, die sie dem Meer übergab. Das Meer schwemmte die Locke bis nach Ägypten und legte sie an den Platz der Wäscher des Pharao. Der Duft der Haarlocke geriet in dessen Kleider und man meckerte jeden Tag mit den Wäschern, weil noch Parfumduft in den Kleidern war.
Eines Tages machte sich der Oberwäscher, wie jeden Tag sehr ärgerlich, dass er immer ausgescholten wurde, auf den Weg zum Waschplatz und durch Zufall erblickte er die Locke. Er roch an sie und fand den Duft so himmlisch, dass er sie zum Pharao brachte. Alle erfeuten sich sehr an dem Duft der Locke und die Gelehrten des Landes meinten, dass sie von einer Tochter Re-Harachtes stamme. So beschloss der Pharao viele Männer in alle Teile Ägyptens und seiner Nachbarländer zu schicken, um ihn dieses betörende Geschöpf zu bringen.
Nach einer Weile kamen die Männer erfolglos zurück. Nur diejenigen, die ins Land der Schirmpinie gegangen waren, kamen nicht wieder, denn Bata hatte sie alle getötet. Also befahl der Pharao noch mehr Männer mit scharfen Waffen und Streitwagen in das Land. Mit dabei war auch eine Frau, mit allerlei Geschmeide und Schmuck. Was die Soldaten nicht schafften, schaffte eben diese Frau mit ihren schönen Dingen und unter großem Jubel traf man schließlich in Ägypten ein. Der Pharao verliebte sich sofort in die schöne Frau und ernannte sie zur Großen Haremsdame.

Eines Tages fragte der Pharao sie über ihren Mann aus und sie antwortete kaltherzig: „Lass die Schirmpinie fällen und sie zerhacken.“ Und so geschah es und im selben Moment, indem die Blüte abgeschnitten wurde, auf der Batas Herz lag, fiel er tot um.
Am nächsten Tag schenkte sich Anubis einen Becher Bier ein. Als er sah, dass er überschäumte, lies er sich Wein bringen, aber auch der war schlecht. Und so machte er sich auf in das Tal der Schirmpinien.
Einige Tage waren vergangen, bis er seinen Bruder tot in seinem Haus fand. Als er ihn so daliegen sah, weinte er sehr und er machte sich sofort auf, sein Herz unter der Schirmpinie zu suchen. Er suchte drei Jahre lang erfolglos, denn seine Suche war sehr schwierig, hatte ein Herz doch genau die gleiche Farbe und Form wie die Frucht einer Schirmpinie. Als das vierte Jahr anfing, hatte er Heimweh nach Ägypten und er beschloss, am nächsten Tag wieder heimzukehren, aber vorher wollte er noch ein letztes mal nach dem Herzen seines Bruders suchen. Und so verbrachte er auch seinen letzten Tag damit, das Herz von Bata zu finden. Als er gerade heimgehen wollte, fiel sein Blick auf eine besondere Frucht, und er beschloss es mit ihr zu versuchen. Also legte er die Frucht in eine Schale Wasser und wartete. Es wurde immer dunkler, und schließlich brach die Nacht herein. Er wollte schon aufgeben, aber schließlich, als das Herz das ganze Wasser aufgesogen hatte, begann Bata zu zittern. Anubis nahm die Schale und ließ seinem Bruder den Inhalt trinken. Und als das Herz an der richtigen Stelle angelangt war, stand er auf und umarmte seinen Bruder. Nachdem Bata seinem älteren Bruder alles erzählt hatte, sprach er zu ihm:
„Morgen werde ich mich in einen Stier verwandeln, der die Farbflecke des heiligen Apisstieres haben wird. Dann werden wir zusammen zum Pharao gehen und er wird dich mit Gold und Silber aufwiegen, weil ich für alle ein großes Wunder bin. Mit deinem Reichtum kannst du zurück ins Dorf und ich werde mich an meiner Frau rächen.“

Am nächsten Tag verwandelte sich Bata in den Stier und zusammen gingen sie zum Pharao, wo sie mit Freude und Jubel empfangen wurden und Anubis mit Gold und Silber aufgewogen wurde, wie Bata es vorausgesagt hatte. Nachdem Anubis sich in einem Dorf niedergelassen hatte, ging Bata in seiner Gestalt als Stier zu seiner Frau und sprach zu ihr:
„Sieh ich lebe noch.“
„Wer bist du denn?“ fragte sie verwundert.
„Ich bin Bata. Du hast die Schirmpinie zerhacken lassen, um mich zu töten, aber jetzt lebe ich als Stier weiter.“
Und mit diesen Worten ging er und hinterließ eine Frau, die zu Tode erschrocken war.
Bei einem der vielen Festmähle, die der Pharao gab, sprach die Frau zu ihm:
„Schwöre mir bei Gott: ‚Was die Dame mir sagen wird, werde ich ihr zuliebe erhören.‘ „
Der Pharao liebte sie so sehr, dass er ihr schwor.
„Dann lass mich von der Leber dieses Stieres essen, denn er taugt zu nichts.“
Der Pharao war sehr betroffen und verspürte Mitleid für ihn, aber er hatte es bei Gott geschworen und so ließ er am nächsten Tag ein Opferfest mit Stieropfer veranstalten. Man schleppte den Stier herbei und opferte ihn vor einem großen Altar. Als er weggetragen wurde, schüttelte er seinen Nacken und zwei Tropfen Blut fielen auf je einer Seite des Türpfostens vom großen Tore des Pharao.
In der folgenden Nacht wuchsen zwei prächtige Perseabäume an den Türpfosten und man berichtete ihrer Majestät, dass ein großes Wunder geschehen sei. Viele Tage danach, begab sich der König mit seiner Großen Gemahlin zu den Perseabäumen. Der Pharao ließ sich unter dem einen Baum nieder, die Dame unter dem anderen. Dann sprach Bata zu ihr:
„Du Verräterin! Ich bin Bata! Ich lebe dir zum Trotz! Erst hat du meine Pinie fällen lassen und dann hast du mich als Stier getötet! Dies ist nun meine neue Gestalt.“
Die Dame erschrak und machte sich schnell auf den Weg zurück zum Palast.
Eines Abends bat sie den Pharao wieder:
„Schwöre mir bei Gott: ‚Was die Dame mir sagen wird, werde ich ihr zuliebe erhören.‘ „
Und er schwor erneut. Sie sagte:
„Lass die beiden Perseabäume fällen und zu schönen Möbeln machen.“
Und so geschah es. Der Pharao schickte sofort erfahrene Handwerker und unter den Augen der königlichen Gemahlin fällte man die Perseabäume.
Plötzlich flog ein Splitter davon und schnellte in den Mund der Dame. Sie verschluckte ihn und wurde augenblicklich schwanger. Aber aus den Bäumen wurde was sie sagte.

Viele Tage vergingen und die Dame gebar dem Pharao einen prächtigen Sohn. Der König war über alle Maße stolz auf ihn und ernannte ihn zum Königssohn von Nubien und schließlich zum Erbprinz Ägyptens. Nachdem viele Jahre vergangen waren, starb der Pharao und der Erbprinz wurde zum König ausgerufen. Daraufhin bat er, alle hohen Beamten sollen als Richter zu ihm kommen, damit er ihnen von dem Leid, was ihm widerfahren war, erzählen konnte. Auch seine Frau wurde verhört und schließlich verurteilt. Man führte auch seinen älteren Bruder zu ihm, und er wurde zum Erbprinz Ägyptens ernannt. Bata regierte 30 Jahre das Land und nach seinem Tod wurde Anubis zum Herrscher Ägyptens.

Quelle:
(Ägyptisches Märchen)

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