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Märchenbasar

Das Fest der Unterirdischen

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Herr! ich bin aus einem Lande, das weit gegen Mitternacht liegt, Norwegen genannt; wo die Sonne nicht, wie in deinem gesegneten Vaterlande, Feigen und Zitronen kocht; wo sie nur wenige Monde über die grüne Erde scheint, und ihr im Flug sparsame Blüten und Früchte entlockt. Du sollst, wenn es dir angenehm ist, ein Paar Märchen hören, wie man sie bei uns in den warmen Stuben erzählt, wenn das Nordlicht über die Schneefelder flimmert.
In Norwegen, nicht weit von der Stadt Drontheim wohnte ein mächtiger Mann, der mit Glücksgütern aller Art gesegnet war. Ein Teil der Umgegend war sein Eigentum, zahllose Herden weideten auf seinen Fluren, und ein großes Gefolge und eine Menge Diener zierten seinen Hof.
Er hatte eine einzige Tochter, die Aslaug hieß, von deren Schönheit der Ruf weit und breit ging. Die vornehmsten Männer des Landes kamen und warben um ihre Hand, aber keiner war glücklich in seinen Bewerbungen; wer voll Vertrauen und Lust eingezogen war, ritt still und traurig wieder fort.
Ihr Vater, welcher glaubte, sie wähle so lange, um den Besten heraus zu wählen, ließ sie gewähren und freute sich ihrer Klugheit; doch, als endlich die Reichsten und Vornehmsten, vergeblich, wie die Andern, ihr Glück versucht hatten, so geriet er in Zorn, rief seine Tochter und sprach: „bis dahin habe ich dir freie Wahl gelassen, aber da ich sehe, dass du jeden ohne Unterschied abweisest, und der beste Freier dir noch nicht gut genug deucht, so will ich nicht länger Nachsicht mit dir haben. Soll mein Geschlecht aussterben, und mein Erbe in fremde Hände fallen? Ich will deinen Sinn brechen! Bis zum Feste der großen Winternacht gestatte ich dir Frist, hast du dann nicht gewählt, so will ich dich schon zwingen, dem deine Hand zu reichen, den ich dir bestimme.“
Aslaug liebte einen Jüngling, der Orm hieß, und eben so schön, als tapfer und edel war. Sie liebte ihn mit ganzer Seele, und wollte lieber sterben, als einem Andern ihre Hand reichen. Weil aber seine Armut ihn nötigte, an dem Hofe ihres Vaters zu dienen, so mußte sie ihre Neigung geheim halten; denn ihr Vater war zu stolz auf Macht und Reichtum, als dass er seine Einwilligung zu einer Verbindung mit einem so unbemittelten Manne gegeben hätte.
Als Aslaug sein finsteres Antlitz sah und seine zornigen Worte vernahm, ward sie leichenblaß; denn sie kannte seine Sinnesart und zweifelte nicht, dass er seine Drohungen erfüllen werde. Ohne ein Wort zu erwidern, ging sie zurück in ihre stille Kammer, sann und sann, wie sie das dunkle Wetter, das über sie herzog abwenden konnte, aber sie sann vergeblich. Das große Fest rückte immer näher, und mit jedem Tage wuchs ihre Angst.
Endlich entschlossen sie sich zur Flucht. „Ich kenne einen sichern Ort“, sagte Orm, „wo wir unentdeckt so lange verweilen können, bis wir Gelegenheit finden, das Land zu verlassen.“
In der Nacht, als Alles eingeschlafen war, führte Orm die zitternde Aslaug über Schnee- und Eisfelder hinaus in das Gebirge. Der Mond leuchtete ihnen auf dem Weg und die Sterne, die in der kalten Winternacht noch glänzender funkelten. Sie hatten ein Paar Kleidungsstücke und Tierfelle unter den Armen, mehr konnten sie nicht tragen. Sie stiegen die ganze Nacht, bis sie zu einem einsamen, von hohen Felsenblöcken eingeschlossenen, Platz gelangten. Hier leitete Orm die müde Aslaug zu einer Höhle, deren Eingang kaum bemerkbar, eng und niedrig war, die sich aber bald zu einer großen, tief in den Berg hineinreichenden Halle erweiterte. Er zündete Feuer an, und auf den Tierfellen ruhend, saßen sie in der tiefsten Einsamkeit, fern von aller Welt.
Orm hatte diese Höhle, die man noch heutzutage zeigt, zuerst entdeckt, und da Niemand davon wusste, so waren sie vor den Nachforschungen ihres Vaters völlig gesichert. Sie brachten den ganzen Winter in dieser Abgeschiedenheit zu. Orm ging auf die Jagd, und Aslaug saß daheim in der Höhle, unterhielt das Feuer und bereitete die nötige Speise. Manchmal stieg sie auf die Felsenspitzen, aber ihr Auge schweifte, so weit es reichen konnte, nur über glänzende Schneefelder.
Der Frühling brach an, der Wald ward grün, die Wiesen färbten sich, und Aslaug durfte nur selten und vorsichtig die Höhle verlassen. Eines Abends kam Orm mit der Nachricht, dass er die Diener ihres Vaters in der Ferne erkannt habe und er ihren Augen, ohne Zweifel eben so scharf, als die Seinigen, schwerlich unbemerkt geblieben sei. „Sie werden diese Gegend umringen“, sagte er, „und nicht ruhen, bis sie uns gefunden haben, ohne Zaudern müssen wir unsern Zufluchtsort verlassen.“ Sie stiegen an der andern Seite des Gebirges hinab und erreichten den Strand, wo sie glücklicherweise ein Boot fanden. Orm stieß ab und das Schiff trieb in das offene Meer. Sie waren den Verfolgern entronnen, aber anderem Unglück preisgegeben. Wo sollten sie sich hinwenden? Landen durften sie nirgends; denn überall war Aslaugs Vater Herr der Küste, und sie wären unfehlbar in seine Hände gefallen. Es blieb nichts übrig, als das Schiff den Winden und Wellen zu überlassen.
Sie trieben die ganze Nacht fort. Wie der Tag anbrach, war die Küste verschwunden, sie sahen nichts, als den Himmel oben, das Meer unten, und die auf- und absteigenden Wollen. Sie hatten keinen Bissen Nahrung mitgenommen, und Hunger und Durst fingen an, sie zu quälen. Drei Tage schwebten sie in dieser Not, und Aslaugs Ermattung war so groß, das; sie den gewissen Tod vor sich zu sehen glaubte.
Am Abend des dritten Tages entdeckten sie endlich eine Insel von ziemlicher Größe, sie war von einer Anzahl kleiner umringt. Orm steuerte sogleich darauf hin, doch, als er ziemlich nahe gekommen war, erhob sich plötzlich ein heftiger Sturmwind und die Wellen walzten sich immer höher entgegen. Er kehrte um in der Absicht, von einer andern Seite sich zu nähern, aber es gelang nicht besser, sein Schiff wurde, so oft es herankam, wie von einer unsichtbaren Gewalt zurückgeschleudert. „Herr Gott!“ rief er, und segnete sich und blickte auf die arme Aslaug, die vor seinen Augen zu verschmachten schien. Kaum aber war der Ausruf über seine Lippen gekommen, so hörte der Sturm auf, die Wellen legten sich, und das Schiff landete ungehindert. Orm sprang ans Ufer und einige Muscheln, die er auf dem Strand suchte, stärkten und erquickten die arme Aslaug, so dass sie bald im Stande war, das Boot zu verlassen.
Die Insel war mit niedrigem Buschwerk bewachsen und schien unbewohnt, doch, als sie bis gegen die Mitte gekommen waren, entdeckten sie ein Haus, das nur halb über die Erde emporragte, und halb unter der Erde zu stehen schien. In der Hoffnung, Menschen und Beistand zu finden, gingen sie näher. Sie horchten, ob sie einen Laut vernähmen, aber es herrschte das vollkommenste Schweigen. Orm öffnete endlich die Türe und sie traten ein, aber wie erstaunten sie, als sie alles zum Bewohnen völlig eingerichtet sahen, gleichwohl aber kein lebendes Wesen erblickten. Das Feuer brannte auf dem Herde, mitten in der Stube, und ein Kessel mit Fischen hing daran, der nur darauf zu warten schien, abgehoben und verzehrt zu werden. Die Betten waren gemacht und bereit, die Ermüdeten zu empfangen.
Orm und Aslaug blieben eine Zeitlang zweifelhaft und mit einer gewissen Scheu stehen, doch, zuletzt vom Hunger überwältigt, holten sie die Speise herbei, und als sie sich gesättigt hatten, und in den letzten über die Insel hinstreifenden Abendstrahlen weit und breit kein menschliches Wesen zu erblicken war, gaben sie ihrer Müdigkeit nach, und legten sich in die lang entbehrten Betten.
Sie hatten geglaubt, in der Nacht von den heimkehrenden Eigentümern geweckt zu werden, doch, ihre Erwartung ging nicht in Erfüllung; sie schliefen ungestört, bis ihnen die Morgensonne in die Augen leuchtete.
Auch in der Folge zeigte sich Niemand und es schien, als habe eine unsichtbare Macht das Haus im Voraus für sie in Stand gesetzt. Sie verlebten den ganzen Sommer in vollkommener Glückseligkeit, zwar einsam, doch ohne die Menschen zu vermissen; sie hatten alles, was sie bedurften, die Eier der wilden Vögel und der Fischfang gewährten überflüssige Nahrung.
Im Herbst gebar Aslaug einen schönen Knaben. Mitten in der Freude über sein Dasein wurden sie durch eine wunderbare Erscheinung überrascht. Die Türe öffnete sich plötzlich und eine alte Frau trat herein. Sie hatte ein schönes, blaues Kleid an; etwas stolzes, aber auch etwas seltsames und befremdendes lag in ihrem Wesen. „Erschreckt Euch nicht“, sagte sie, „dass ich so unerwartet bei Euch erscheine, ich bin die Eigentümerin dieses Hauses und danke Euch, dass Ihr es so reinlich und wohl gehalten habt, und ich alles in solcher Ordnung bei Euch finde. Gerne wäre ich früher gekommen, aber es war nicht eher möglich, als bis dieser kleine Heide (dabei deutete sie auf das neugeborne Kind) zugegen war. Jetzt habe ich freien Zugang. Nur holt keinen Priester von dem festen Lande, der es tauft, sonst muss ich wieder fort. Wollt Ihr Euch aber in diesem Stück nach meinem Willen bequemen, so dürft Ihr nicht bloß ferner hier wohnen bleiben, sondern ich will Euch so viel Gutes tun, als Ihr nur immer wünschen könnt. Was Ihr anfangt, soll gelingen, ja, das Glück Euch beständig auf den Fersen folgen. Erfüllt Ihr aber jene Bedingung nicht, so seid gewiß, dass Böses auf Böses bei Euch einkehren soll, selbst an diesem Kinde werde ich mich noch rächen. Bedürft Ihr etwas, oder seid Ihr in Gefahr, so nennt dreimal meinen Namen und ich will gleich erscheinen und Euch Beistand leisten. Ich bin aus dem Geschlecht der alten Riesen und heiße Guru. Hütet Euch aber, in meiner Gegenwart den Namen dessen zu nennen, den kein Riese hören darf, und wagt es nicht, das Zeichen des Kreuzes zu machen, oder es in einen Balken oder ein Brett im Hause einzuschneiden. Ihr könnt dieses Haus das ganze Jahr über bewohnen, nur seid so gut, und räumt es mir am Juliabend, wenn die Sonne am tiefsten steht, weil wir dann unser großes Fest feiern, und weil dies die einzige Zeit ist, wo man uns vergönnt, lustig zu sein; wenigstens, wenn Ihr nicht gerne hinausgehen wollt, haltet Euch den ganzen Tag auf dem Boden so ruhig als möglich, schaut auch, so lieb Euch das Leben ist, nicht in die Stube herab, bis Mitternacht vorüber ist. Hernach mögt Ihr von Allem wieder Besitz nehmen.“
Als die Alte dies gesagt hatte, verschwand sie. Aslaug und Orm, beruhigt über ihre Lage, lebten ohne eine Störung vergnügt und heiter. Orm warf das Netz nicht aus, ohne einen reichlichen Zug zu tun, er schickte keinen Pfeil vom Bogen, der nicht sicher traf, kurz, was sie unternahmen, auch das Geringste, hatte ein sichtbares Gedeihen.
Als Weihnachten herbeikam, reinigten sie das Haus aufs Beste, stellten Alles in Ordnung, zündeten Feuer auf dem Herde an, und stiegen bei herannahender Dämmerung auf den Boden, wo sie sich still verhielten. Als es dunkel geworden war, glaubten sie ein tönendes Zischen und Wiehern in der Luft zu hören, wie es, Schwäne in der Winterzeit von sich zu geben pflegen. Über dem Herd, in dem Dach, war eine Lücke, die geöffnet und geschlossen werden konnte, teils um den Tag von oben einzulassen, teils um einen Zug für den Rauch zu erhalten. Orm hob den mit einer Haut überzogenen Deckel in die Höhe und streckte den Kopf hinaus. Welch ein wunderbarer Anblick bot sich seinen Augen dar! Die kleinen Inseln umher leuchteten sämtlich, es waren unzählige blaue Lichtchen, die sich unruhig bewegten, auf- und absprangen, dann nach dem Gestade hüpften, sich sammelten, und der großen Insel, wo Orm und Aslaug wohnten, immer näher kamen.
Endlich langten sie an und ordneten sich in einen Kreis um einen großen Stein, der nicht weit vom Ufer stand, und den Orm sehr wohl kannte. Wie erstaunte er aber, als er sah, dass der Stein jetzt völlig die Gestalt eines Menschen, wenn gleich eines Ungeheuern und riesenhaften, angenommen hatte.
Er konnte deutlich unterscheiden, das die blauen Lichtchen von kleinen Zwergen getragen wurden, welche ihre bleichen, erdfarbigen Gesichter mit gewaltigen Nasen und roten Augen und sonst noch durch Vogelschnäbel oder Eulenaugen entstellt, auf unförmlichen Leibern trugen, hin- und herwackelten, beides, lustig und verdrießlich zu sein schienen. Plötzlich öffnete sich der Kreis, die Kleinen wichen nach beiden Seiten zurück und Guru, nur größer und von Gestalt eben so ungeheuer als jener Stein, kam mit mächtigen Riesenschritten heran. Sie schlang beide Arme um das steinerne Bild, welches sogleich anfing, Leben und Bewegung zu erhalten.
Sowie die erste Regung sich zeigte, begannen die Kleinen unter wunderlichen Sprüngen und Gebärden einen Gesang, oder, um es recht zu sagen, ein Heulen, das auf der ganzen Insel widerhallte, und vor dem sie zu erbeben schien. Orm zog bestürzt den Kopf zurück, und er und Aslaug verhielten sich in der Dunkelheit so still, das sie kaum zu atmen wagten.
Der Zug bewegte sich nach dem Hause, das konnte man deutlich an dem herannahenden Geschrei merken. Jetzt waren sie eingezogen, die Zwerge sprangen leicht und behänd auf den Bänken herum, und schwer und mächtig klangen dazwischen die Tritte der Riesen. Man hörte den Tisch decken, die Schüsseln klappern und das Geschrei der Lust, womit die Mahlzeit gefeiert wurde. Als sie beendigt war und es auf Mitternacht zuging, begann ein Tanz zu jenem entzückenden, Geist verwirrenden Elfenlied, das Menschen dann und wann in Felsenschlünden gehört und den Unterirdischen abgelauscht haben.
Indem Aslaug diesen Gesang vernahm, empfand sie eine unwiderstehliche Begierde, den Tanz mit anzusehen, und Orm war nicht im Stande, sie zurückzuhalten.
„Lass mich schauen“, sagte sie, „sonst zerspringt mir das Herz.“ Sie nahm ihr Kind und setzte sich an das äußerste Ende des Bodens, wo sie Alles übersehen konnte, ohne dass jemand sie bemerkte.
Lange und mit unverwandten Augen sah sie dem Tanze zu, den wunderbaren und kühnen Sprüngen der Geschöpfe, die in der Luft zu schweben, die Erde gar nicht zu berühren schienen, während die entzückende Melodie der Elfen ihre Seele erfüllte. Das Kind indessen, das in ihrem Arm lag, ward schläfrig und holte Atem, und ohne an das zu denken, was sie der Alten versprochen, machte sie, wie man pflegt, das Zeichen des Kreuzes über dem Mund des Knaben und sprach: „Christ segne dich, mein Kind!“
In demselben Augenblick, wo sie das Wort ausgesprochen hatte, erhob sich ein entsetzlicher, durchdringender Schrei. Die Geister stürzten Hals über Kopf in furchtbarem Gedränge zur Türe hinaus, ihre Lichtchen erloschen, und in wenig Minuten war das ganze Haus von ihnen verlassen und wie verödet.
Orm und Aslaug, heftig erschrocken, bargen sich in dem heimlichsten Winkel des Hauses. Erst bei Tagesanbruch wagten sie sich hervor, und als die Sonne durch die Lücke im Dach auf den Herd herab schien, hatten sie Mut genug, vom Boden herabzusteigen.
Noch stand der Tisch gedeckt, so wie ihn die Unterirdischen gelassen hatten, und ihr Geschirr darauf, von Silber und auf das zierlichste gearbeitet. Mitten auf dem Boden ein mächtiger, kupferner Kessel, halb mit süßem Methe angefüllt, zur Seite ein Trinkhorn aus reinem Golde. In dem Winkel lehnte an der Wand ein besaitetes Instrument, einem Hackbrett nicht unähnlich, welches Riesenweiber, wie man glaubt, zu spielen pflegen. Sie starrten Alles mit Verwunderung an, ohne dass sie sich getraut hätten, etwas davon anzurühren; in das höchste Erstaunen aber gerieten sie, als sie sich umwendend eine große Gestalt oben an dem Tische sitzen sahen.
Orm erkannte sogleich den Riesen, welchen Guru in der Nacht durch ihre Umarmung belebt hatte. Jetzt war er harter und kalter Stein.
Während sie davor standen, trat sie selbst in Riesengestalt zur Stube herein. Sie weinte so heftig, dass ihre Tränen auf die Erde herabrieselten. Vor Schluchzen konnte sie lang kein Wort hervorbringen, endlich sprach sie: „Großes Leid habt Ihr mir zugefügt, und ich muss weinen, so lange ich lebe; doch, da ich weiß, dass Ihr es nicht aus bösem Willen getan habt, so will ich Euch verzeihen, obgleich es mir eine Kleinigkeit wäre, das ganze Haus über Euch wie eine Eierschale zusammenzudrücken. Weh!“ rief sie, „mein Hausherr, den ich mehr liebe, als mich selbst, dort sitzt er, auf immer erstarrt, niemals wird er seine Augen wieder aufschlagen! Dreihundert Jahre lebte ich bei meinem Vater auf der Insel Kunnan, glücklich in unschuldiger Jugend, als die schönste unter den Riesenjungfrauen. Mächtige Freier bewarben sich um mich, noch steht das Meer rings um, jene Insel voll von großen Felsenstücken, welche sie im Zweikampf gegen einander schleuderten. Andfind trug den Sieg davon, und ich verlobte mich mit ihm. Doch, als ich noch Braut war, da kam der abscheuliche Odin ins Land, überwältigte meinen Vater und vertrieb uns alle von der Insel. Vater und Schwestern flüchteten in das Gebirge, und seitdem hat sie mein Auge nicht wieder erblickt. Ich und Andfind wir retteten uns hierher auf diese Insel, wo wir lange Zeit in Ruhe und Frieden lebten, und nie gestört zu werden glaubten. Aber das Schicksal, dem Niemand entgeht, hatte es anders beschlossen. Oluf kam von Britannien. Sie nannten ihn den heiligen, und Andfind besorgte gleich, seine Fahrt werde den Riesen Unheil bringend sein. Als er hörte, wie Olufs Schiff durch die Wellen heransauste, ging er hinab an den Strand, und blies aus allen Kräften das Meer ihm entgegen und es stürmte heftig, dass die Wellen wie Berge sich erhoben. Aber Oluf war noch mächtiger, sein Schiff flog unaufhaltsam durch die Wogen, nicht anders als ein Pfeil, der, vom Bogen abgeschossen, dahinfährt. Es steuerte gerade auf unsere Insel, als es so nah war, dass Andfind es mit Händen zu erreichen glaubte, griff er mit der Rechten in den Vorderteil und wollte es hinab in den Grund ziehen, wie er oft mit andern Schiffen getan hatte. Doch Oluf, der entsetzliche Oluf, trat hervor und, die Hände kreuzweise übereinander geschlagen, rief er mit lauter Stimme: „steh‘ da als ein Stein bis zum jüngsten Tag!“ und in demselben Augenblick war der arme Andfind in harten Kiesel verwandelt. Ungehindert segelte das Schiff weiter und gerade auf den Berg los, den es durchschnitt, und von dem es die kleine Insel abtrennte, die draußen liegt. Seitdem war mein Glück vernichtet, einsam und traurig habe ich meine Jahre verlebt. Nur in der Julenacht können versteinerte Riesen auf sieben Stunden das Leben zurückerhalten, wenn jemand aus ihrem Geschlecht sie umarmt, und zugleich hundert Jahre von dem eigenen leben aufzuopfern bereit ist. Doch, das tut selten ein Riese. Ich liebte meinen Hausherrn zu sehr, als dass ich nicht gerne jedes Mal, wo ich es könnte, um den höchsten Preis ihn ins Leben zurückgerufen hätte, und ich wollte niemals nachzählen, wie oft ich es getan, damit ich nicht wüsste, wann die Zeit käme, wo ich selbst zu Stein werden, und in dem Augenblick, wo ich die Arme um ihn schlinge mit ihm zusammenwachsen würde. Doch, auch dieser Trost ist mir genommen! Ich kann ihn mit keiner Umarmung mehr aufwecken, nachdem er den Namen gehört hat, den ich nicht nennen darf, und er wird das Licht nicht wieder schauen, bis am jüngsten Tag.“
„Ich gehe nun fort, Ihr werdet mich niemals wieder sehen. Was in dem Hause hier ist, alles schenke ich Euch, nur mein Saitenbrett will ich behalten, weil es Andfind mir gegeben hat. Aber dass Niemand es wage, auf den kleinen Inseln, die rings umherliegen, seinen Wohnsitz aufzuschlagen! Dort wohnen die kleinen Unterirdischen, die Ihr bei dem Feste gesehen habt, und die will ich beschützen, so lange ich lebe.“
Mit diesen Worten verschwand Guru. Im nächsten Frühjahr fuhr Orm mit dem goldnen Hörn und dem Silberwerk nach Drontheim, wo ihn Niemand kannte, der Wert des edlen Metalls war so groß, dass er sich Alles ankaufen konnte, was ein wohlhabender Mann bedarf, und damit beladen kehrte sein Schiff nach der Insel zurück, wo er lange Jahre in ungestörtem Glück zubrachte. Aslaugs Vater versöhnte sich bald mit dem reichen Schwiegersohn.
Das steinerne Bild blieb in dem Hause sitzen, keine menschliche Kraft war im Stande es zu bewegen, und der Stein selbst so hart, dass Hammer und Axt absprangen, ohne es im Geringsten zu verletzen.
Der Riese saß da so lange, bis ein heiliger Mann auf die Insel kam, der durch ein einziges Wort ihn wieder an den Platz zurücksetzte, wo er früher gestanden hatte, und wo er noch jetzt steht. Der kupferne Kessel, den die Unterirdischen zurückließen, wird als ein Andenken auf der Insel aufbewahrt, welche den Namen Hausinsel bis auf den heutigen Tag führt.

Quelle: Brüder Grimm

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