Als die Leute aber alle fort waren und jeder in sein Land gezogen, da kam eine seltsame fremde Fee an Prinzesschens Kinderbett, und niemand wusste woher. Und die fremde Fee lächelte gar wunderbar und legte ein kleines gläsernes Krönlein auf den Königspurpur der Wiege und sagte dazu:
Du kleines Königstöchterlein,
das Krönlein musst du hüten fein,
und mag es mancher noch so sehr,
du gibst es nie und nimmer her,
bis dass ein feiner Knabe kommt,
der dir wohl als Herzliebster frommt.
Dann schenkst du ihm das Krönlein gleich
Und führst ihn in dein Königreich.
Und als die fremde Fee das gesagt hatte, hat sie das Königskind geküsst und ist leise, leise wieder von dannen gegangen und niemand wusste wohin. Aber im Schlosse hing noch drei Tage und drei Nächte lang ein Duft von Flieder und Rosen und durch die großen marmelsteinernen Hallen und Prunkgemächer ist’s gehuscht, wie lauter verirrte Sonnenstrahlen. Das war sehr schön und der alte König und die alte Königin und alle Leute im Schlosse merkten daran, dass ein Wunder geschehen war und dass es eine gar seltsame Bewandtnis hatte mit dem gläsernen Krönlein. Nur was das eigentlich alles war, wussten sie alle nicht, und war auch niemand, der’s ihnen sagen konnte.
Das gläserne Krönlein aber wurde gar gut gehütet und bewacht und in eine güldene Kammer getan und die war mit sieben güldenen Schlössern verschlossen und mit sieben güldenen Riegeln verriegelt. Und erst als das kleine Prinzesschen ein großes Prinzesschen geworden war und noch viel schöner und holdseliger war, wie damals, als es in der seidenen Wiege lag, da wurden an der güldenen Kammer die sieben Schlösser aufgeschlossen und die sieben Riegel gelöst und das gläserne Krönlein hervorgeholt und dem Königskind auf das lange Lockenhaar gesetzt. Und der alte König und die alte Königin weinten dabei, weil es doch ein so sehr feierlicher Augenblick war, und sagten dazu: „Sei nur ja recht vorsichtig, dass das gläserne Krönlein nicht zerbricht.“
Die schöne Königstochter freute sich sehr und versprach auch ganz, ganz vorsichtig zu sein. Sie schaute nicht links und schaute nicht rechts, sondern immer geradeaus, damit ihr das gläserne Krönlein nur ja nicht vom langen Lockenhaar fiele. Das Krönlein aber glänzte und funkelte noch tausendmal heller und schöner, als der hellste und schönste Demantstein. Und da das junge Königskind immer nur geradeaus ging und nicht rechts und nicht links sah, so ist das Krönlein auch gar nicht einmal irgendwo angestoßen oder gar heruntergefallen. Nachts aber, wenn das Prinzesschen schlafen ging, dann standen zwölf weiß gekleidete Jungfrauen um das Königslager herum und hüteten das gläserne Krönlein.
Das leuchtete und lohte weit aus dem Königsschloss heraus ins nächtliche Land, und das war sehr gut, denn es gab keine Laternen im Königreich und wenn nicht gerade der Mond schien, war es doch gar zu dunkel. So waren alle sehr glücklich und zufrieden und priesen die fremde Fee und das gläserne Krönlein und nicht zum Wenigsten das wunderschöne junge Königskind.
Aber eines Tages, als das Prinzesschen allein im Garten spazieren ging, unter all den vielen tausend Bäumen und Blumen, da hat’s mit einem Male eine seltsame Wunderblume gesehen, die ganz heimlich und unbemerkt über Nacht erblüht war. Trotzdem sie in der Erde stand und im entferntesten Winkel des Gartens, so überstrahlte sie doch alle die anderen Blumen durch ihre zauberhafte Schönheit. Sie war gar herrlich anzusehen und hatte wunderlich geformte Blätter und eine große blaue Blüte, in deren tiefem Kelch es rot schimmerte, wie von roten Blutstropfen. Und ein Duft ging von dem Kelch aus, so seltsam süß und wunderbar weich, dass das Königskind gar nicht wusste, wie ihm geschah. Es beugte sich tief und immer tiefer auf den Kelch der Wunderblume herab, um ihren Blütenduft zu atmen, und da wurde ihm so zu Mute, wie ihm noch nie gewesen war. Das gläserne Krönlein aber löste sich von dem Lockenhaar der Königstochter – fiel auf die Erde und zerbrach.
Da erbebte alles und das Königsschloss mit Hofstaat und Gesinde und allem, was dazu gehörte, versank, und das ganze Land mit all seinen Bewohnern war verschwunden. Der Tag ward finstere Nacht und das Prinzesschen saß allein auf grauer Heide und vor ihm lag das zerbrochene gläserne Krönlein. Als nun die Königstochter sah, dass das gläserne Krönlein zerbrochen war und dass alles versunken war, mit allem, was sie liebte, und sie allein und verlassen auf grauer Heide saß und noch dazu in stockfinsterer Nacht, da fing sie gottsjämmerlich an zu weinen und machte sich bittere Vorwürfe, dass sie über der seltsamen Wunderblume so ganz vergessen hatte, dass sie ein gläsernes Krönlein trug.
Da hörte sie’s plötzlich neben sich ganz gedankenvoll: „Ja, ja, das hast du nun davon!“ ,und wie sie hinsah, saß ein großer alter Rabe da, der war sehr schwarz und sehr weise, und schaute, die Füße einwärts und den Kopf ganz eingezogen, mit aufmerksamen Blicken auf das gläserne Krönlein. „Ach, es ist so schrecklich, so schrecklich!“ ,schluchzte das Königskind und war doch beinahe froh, dass nun etwas Lebendiges in seiner Nähe saß und es nicht mehr so mutterseelenallein war mit seinem Jammer. „Ja, es ist sehr schrecklich!“ ,sagte der Rabe ruhig und klappte dabei gemütlos mit den Flügeln.
Weil nun aber das arme Prinzesschen so gar erschrecklich weinte, so wurde der weise Rabe schließlich doch auch etwas gerührt. Er wischte sich sogar vorsichtig mit der Kralle eine Träne vom Auge, wackelte zur Königstochter hin und klopfte ihr beruhigend mit dem Flügel auf die Schulter und sagte dazu: „Ja, es ist schrecklich, aber es ist doch nicht ganz so schrecklich, als es hätte sein können. Du hast ja die Wunderblume nicht abgebrochen, was noch viel schlimmer gewesen wäre. Und dann führen Feengeschenke nie zu einem schlechten Ende, selbst denjenigen nicht, der damit nicht umzugehen verstand!“
Die letzten Worte sagte er etwas strenger und schob dabei bedeutsam mit dem Schnabel die beiden Stücke des gläsernen Krönleins auseinander, das eine nach rechts und das andere nach links, so dass man recht deutlich sehen konnte, dass das Krönlein zerbrochen war. „Ach, gibt es denn nichts, was das Krönlein wieder heil machen könnte?“ ,fragte das Königstöchterlein. „Du weißt doch gewiss sehr viel. Kannst du mir’s nicht sagen?“ Der Rabe schloss geschmeichelt die Augen und schob dann die Stücke des Krönleins wieder höflich zusammen. „Ich glaube wohl“ ,sagte er, „aber was da hilft, kann ich dir auch nicht sagen, du musst eben suchen.“
Da stand die Königstochter auf, nahm die beiden Stücke ihres gläsernen Krönleins und steckte sie in die Tasche, seufzte sehr tief und bedankte sich beim Raben für seinen Rat und die tröstenden Worte. „Bitte, bitte, sehr gern geschehen“ ,sagte der Rabe und reichte ihr die Kralle zum Abschied. Die arme Königstochter aber ging ihrer Wege im Bettelgewand und mit ihrem zerbrochenen gläsernen Krönlein, auf dass sie jemand fände, der es ihr wieder heil mache.
So kam sie in einen großen dunklen Wald, wo die Bäume so alt waren, dass sie’s selbst nicht mehr wussten, und ihr Geäst war so dicht, dass sich nur selten ein Sonnenstrahl aufs grüne Moos verirrte. Die Königstochter ging immer weiter und weiter, und als sie schon ganz weit gegangen war, da sah sie plötzlich ein kleines Männchen vor sich, es saß auf einem Baumstumpf, war gar gräulich anzusehen und hatte eine Nase so rot wie ein Karfunkelstein und spinnendürre Beinchen. Sein Gewand aber war herrlich, von lauter flüssigem Gold und auf dem Kopf saß eine goldene Krone mit Zacken und auf jeder der Zacken war ein Edelstein und jedesmal ein anderer, so dass sie alle darin waren. Die ganze Krone war so schwer, dass man sich wundern musste, wie das Männchen sie tragen konnte mit den spinnendürren, gebrechlichen Beinchen. Aber es trug sie doch und rauchte auch noch Pfeife dazu, eine kleine ganz zierliche goldene Pfeife, in der ein Tannenzapfen glimmte.
„Guten Tag“, sagte das Männchen, „was fällt dir ein, in diesen Wald zu kommen?“ Dabei spuckte es ganz giftig nach rechts und nach links. „Ich wusste nicht, dass es verboten ist“ ,entschuldigte sich die Königstochter schüchtern und ängstlich. „So, so“ ,sagte das Männchen, „ich bin der König der Zwerge und ich will dir meine Werkstätte zeigen – und das ist eine große Gnade!“ Damit hüpfte das Männchen so schnell vom Baumstumpf herunter, dass die große Krone bedenklich wackelte, nahm die Pfeife aus dem zahnlosen Mund und stampfte dreimal mit den dünnen Füßchen auf den Boden.
Da tat sich die Erde auf und rote Glut lohte heraus und die Königstochter sah eine Treppe, die tief in die tiefste Tiefe führte. Die Stufen schienen kein Ende zu nehmen, es graute ihr, da hinab zu steigen, und sie blieb zögernd am Eingang stehen. Aber das Männchen fuhr auf sie los: „Es ist eine große Gnade“ ,fauchte es ermunternd. Da wagte die Königstochter nichts zu entgegnen und folgte dem komischen kleinen König die vielen, vielen Stufen hinab. Es war aber doch nicht so schlimm, als sie sich’s gedacht hatte. Ehe sie sich’s versehen, war sie unten und mitten drin in den Werkstätten der Zwerge.
Das waren lauter große, kunstvoll in den Felsen gehauene Säle und da stand überall Amboss an Amboss und Esse an Esse. Das war eine Glut von all dem lohenden Feuer und ein Lärm von den vielen Hämmern, die die vielen Zwerglein schwangen, dass einem Hören und Sehen verging.
In dem einen Saal wurden allerlei Waffen und Wehr geschmiedet, blanke Schwerter und glänzende Rüstungen und Schilde, und allerlei seltsame Zauberzeichen wurden darauf eingegraben zum Schutz gegen Hieb und Stich. In einem anderen Saal wurden kostbare goldene und silberne Geräte angefertigt, Schüsseln und Schalen und Prunkpokale für die Königstafel des kleinen Männchens. Und auch für Feen war manches davon bestimmt, denn die Feen lassen sehr viel in den Werkstätten der Zwerglein arbeiten.
Die Königstochter staunte all die Pracht an und wurde doch nicht froh, denn sie dachte immer an ihr zerbrochenes gläsernes Krönlein. Das Männchen aber hüpfte ganz aufgeregt hin und her und guckte jedem Zwerglein auf die Arbeit, ob sie auch gut und wunderbar genug wäre, so wie sich’s für eine Zwergenwerkstatt geziemt. Und wenn ihm etwas nicht recht war, dann fauchte es und ärgerte sich und spuckte nach rechts und nach links und das sah sehr komisch aus. Wenn ihm aber etwas ganz besonders gefiel, dann beugte es sich ganz tief herab, rieb sich die dürren Händchen vor Vergnügen und seine Nase glühte dazu so rot, dass das lodernde Feuer der Essen gar nichts dagegen war.
Dann führte der kleine König die Prinzessin in einen dritten Saal und da war es viel stiller und auch nicht so rauchig und rußig, und man hörte nur ein ganz feines leises Hämmern, das klang wie lauter klingende Silberglöcklein. Da wurden Edelsteine gefasst zu allerlei schönen Geschmeiden und kleine Kronen wurden drin geschmiedet, die die Elfen bekommen, wenn sie artig sind und nachts im Mondschein den Ringelreihen schlingen. Wie nun die Königstochter die zierlichen kleinen Krönlein sah, da freute sie sich sehr und dachte, die Zwerglein könnten dann doch auch ihr gläsernes Krönlein wieder zurecht hämmern. Und so holte sie das gläserne Krönlein hervor, zeigte dem Männchen die beiden stücke und sagte: „Ach bitte, kannst du mir nicht das Krönlein wieder schmieden lassen? Es ist entzwei gegangen und das ist sehr traurig, und so lange es nicht wieder heil ist, muss ich auch immer traurig bleiben.“
Das Männchen sah empört auf: „Was fällt dir ein?“ ,schrie es ganz giftig, „es ist sowieso schon eine große Gnade, dass ich dich hier herunter geführt habe und gläserne Krönlein kann man überhaupt nicht wieder schmieden. Wenn sie entzwei sind, sind sie entzwei – ja!“ Da fing die arme Königstochter so bitterlich an zu weinen, dass alle die Zwerglein ihre Hämmer niederlegten und mit der Arbeit aufhörten und der kleine König ganz still wurde und ihm sogar eine große Träne langsam und schwer über die Karfunkelnase rollte. „Ich habe eben auch Gemüt“ ,sagte er, „wenn auch nicht viel, denn viel kann ich nicht brauchen, aber du tust mir wirklich leid, und ich will dir etwas sagen: “ Ich will dir ein kleines güldenes Elfenkrönlein schenken, ja, das will ich. Aber es ist wirklich eine sehr große Gnade!“ Doch die Königstochter blieb so traurig wie sie war und sagte: „Ich danke dir, aber ich mag kein Elfenkrönlein und wenn es noch so schön sei. Ich will nur mein gläsernes Krönlein wieder geschmiedet haben und wenn du das nicht kannst, dann muss ich schon weiter suchen.“
Da wurde das kleine Männchen böse. Es stampfte mit den spinnendürren Beinchen, dass die Krone hin und her wackelte und fuchtelte mit den Ärmchen dazu und spuckte nach rechts und nach links. „Du magst kein Elfenkrönlein?“ ,schrie es wütend, „dann mach‘, dass du fortkommst! Es ist alles eine so große Gnade – und was fällt dir überhaupt ein?“ Da fingen die Hämmer wieder an zu schlagen, dass die Hallen dröhnten, und die Essen lohten auf, dass man vor lauter Ruß und Rauch den Feuerschein nicht mehr erkennen konnte. Die Königstochter aber befand sich auf einmal wieder draußen im tiefen Walde, auf dem grünen Moosboden, grad‘ an dem Baumstumpf, wo sie das Männchen zuerst gesehen hatte.
Und sie raffte ihr Bettelgewand zusammen und setzte traurig ihren Weg weiter fort. Und als sie drei Tage und drei Nächte gegangen war und sich nur von wilden Beeren genährt und auf der bloßen Erde geschlafen hatte, ganz allein und einsam und ohne ein lebend Wesen zu sehen, da erblickte sie im Morgensonnenschein hoch auf höchster Höhe eine marmelsteinernen Tempel, der war ganz und gar mit den herrlichsten Lorbeerbäumen umstanden. Und wie die Königstochter hinauf in den Lorbeerhain kam, da sah sie lauter Gestalten drin umhergehen mit bleichen, ernsten Gesichtern und mit einem Lorbeerzweig im Haar. Aber niemand sagte ein Wort und die Königstochter traute sich auch niemand anzureden und zu fragen.
An den Stufen des Tempels aber kam ihr ein Engel entgegen, der war wunderschön, aber sehr ernst und traurig, ganz so wie die vielen Gestalten im Lorbeerhain, und der Engel kam auf sie zu und sagte: „Ich bin der Engel des Ruhmes, was willst du in meinem Tempel und in meinen heiligen Hainen?“ – „Ich hab ein gläsernes Krönlein“ ,sagte die Königstochter, „das ist mir zerbrochen und nun muss ich immer wandern und suchen, bis ich jemand finde, der es mir wieder heil macht.“
Da nahm der Engel sie freundlich bei der Hand und führte sie in seinen Tempel hinein und da drinnen war alles von Marmelstein und an den Wänden und Säulen standen goldene Namen geschrieben und die Morgensonne schien darauf, dass sie glänzten und leuchteten – und draußen um die Mauer ging leise der Höhenwind und rauschte in den Wipfeln der Lorbeerbäume.
„Das sind alles die Namen derer, die draußen so still und ernst umhergehen“ ,sagte der Engel, „es sind die Namen derer, die ihr innerstes Fühlen und Denken der Welt geschenkt haben und die von den Menschen unten mit Ehrfurcht und Dankbarkeit genannt werden. So lange sie auf der Erde sind, geht es ihnen freilich nicht gut und sie müssen sehr viel kämpfen und leiden, und darum sind sie auch so still und ernst. Aber wenn sie die Erde verlassen haben, dann kommen sie zu mir und leben hier oben – und hier ist Ruhe und Klarheit und ewige Morgensonne. Und wenn du magst, will ich dich auch zu einer der Meinigen machen und du wirst einen Lorbeerzweig tragen und dein Name wird in goldenen Lettern in meinem Tempel stehen.“
„Das wäre sehr schön und ich danke dir sehr“ ,sagte die Königstochter, „aber wird dann mein gläsernes Krönlein wieder heil werden? Wenn du das machen könntest, dann würde ich gerne bei dir bleiben.“ – „Nein, das kann ich nicht“ ,sagte der Engel und sah sehr traurig aus. Und als er das sagte, schien’s der Königstochter, als wären die goldenen Namen nicht mehr so glänzend und die Morgensonne nicht mehr so strahlend und die Lorbeerbäume matt und welk.
Die Königstochter ging aus dem Tempel hinaus und durch die heiligen Haine und ging wieder weiter und immer weiter. So ging sie sieben Tage und sieben Nächte, immer gen Norden zu, und rings um sie herum war Schnee und Eis und es war bitter kalt, so dass sie vor Frost zitterte in ihrem ärmlichen dünnen Bettelkleid. Der Wald hörte auf, Strauchwerk und Blumen wurden immer spärlicher und schließlich war das arme Königskind zwischen lauter tief verschneiten Felsen, und inmitten der Felsen erhob sich ein wunderbares Schloss, das war das Schloss der Eiskönigin – und alle Tore und Türme und Mauern waren aus kristallklarem Eis und schimmerten im blauen Mondlicht.
Am Eingang standen zwei Männer, die trugen eine Rüstung aus Eis und hielten große Eiszapfen als Lanzen in der Hand, und wenn sie sich bewegten, dann knackten und klirrten sie vor lauter Frost. Hoch in der Königshalle aber saß die Eiskönigin auf kristallenem Throne und flocht sich silberne Mondstrahlen ins Haar und lachte dazu so seltsam, dass es klang, als ob kleine Eisstückchen zerbrechen. Draußen aber um die Schlossmauer fielen unaufhörlich weiche, weiße Schneeflocken.
Die arme Prinzessin im Bettelgewand wurde von den zwei Männern zum Throne der Eiskönigin geführt, und während die beiden Männer die langen Eiszapfen ehrerbietig vor ihrer Herrin neigten, machte die Königstochter einen tiefen Knicks und sagte: „Kannst du mir nicht mein gläsernes Krönlein wieder heil machen? Es ist zerbrochen und das ist sehr traurig und ich muss immer wandern und suchen, bis ich jemand finde, der es mir wieder zusammenschmiedet.“ – „Nein, das kann ich nicht“ ,sagte die Eiskönigin und lächelte dabei ganz seltsam, „aber du kannst hier bei mir in meinem Schlosse bleiben und ich will dir ein Herz aus Eis geben, das tust du in deine Brust und dann vergisst du alles und fühlst nichts mehr und denkst auch nicht mehr an dein zerbrochenes Krönlein. Das ist sehr hübsch, du sitzt dann neben mir, wir flechten uns Mondenstrahlen ins Haar – und draußen fallen lauter weiße, weiche Schneeflocken.“
Die Königstochter schüttelte traurig den Kopf und sagte: „Ich danke dir schön, aber ich mag kein Herz aus Eis, und wenn du mein gläsernes Krönlein nicht heil machen kannst, dann kann ich nicht bleiben und muss schon wieder weitersuchen.“ – „Ja, dann musst du schon wieder zurück auf die Erde. Viel Glück auf den Weg!“ ,sagte die Eiskönigin und lachte kalt und höhnisch dazu, dass es klang, als ob kleine klare Eisstücke zerbrechen.
Das arme Königskind ging wieder zurück auf die Erde und wanderte immer weiter und weiter und diente hier und dort als Magd, um sich sein tägliches Brot zu verdienen. Überall war das schöne Mädchen gern gesehen, und man ließ es nur schweren Herzens wieder ziehen, doch es blieb nirgends und hatte keine Ruhe bei Tag und bei Nacht. Von ihrem zerbrochenen Krönlein aber sagte sie niemand mehr etwas, denn es konnte ihr ja doch keiner helfen, dachte sie.
Und wie sie so im Lande umherzog, da kam sie einmal vor ein wunderschönes Schloss, und da fragte sie, wem das Schloss gehöre. „Das Schloss gehört dem alten König, der so gerne süße Suppe isst“ ,bekam sie zur Antwort. „Könnt ihr mich nicht als Magd gebrauchen?“ ,fragte sie weiter. Da wurde der Koch geholt und der Koch holte den Oberkoch und der Oberkoch holte den Küchenminister und der sagte: „Ja!“ So wurde die arme Prinzessin mit dem zerbrochenen gläsernen Krönlein eine Küchenmagd im Schlosse des alten Königs, der so gerne süße Suppe aß. Sie war fleißig und bescheiden und alle hatten sie gerne.
Da geschah es, dass der junge Prinz, der der Sohn des alten Königs war, von einer langen, langen Reise zurückkehrte. Er war wohl durch hundert Länder gefahren, um sich eine Frau zu suchen; das hatte der alte König so gewollt, denn er hatte genug vom Regieren und wollte sich zurückziehen und nur noch süße Suppe essen. Der junge Prinz aber hatte keine Prinzessin gefunden, die ihm gefiel und die er hätte von Herzen lieb haben können – und so kam er sehr traurig wieder zurück in seines Vaters Schloss. Der alte König und die alte Königin waren auch sehr traurig und das ganze Land natürlich auch.
Als der Prinz aber einzog, erblickte er plötzlich die neue Küchenmagd und es war ihm, als habe er nie etwas so Schönes und Liebreizendes gesehen und als habe er noch niemand so lieb gehabt. Da stieg er vom Pferde, ging auf sie zu, fasste sie bei der Hand und fragte sie, ob sie seine Frau werden wolle.
Die Königstochter nickte und lächelte und war so glücklich, dass sie alles um sich herum vergaß und nur immer den Prinzen ansah, denn es war ihr, als habe sie noch nie etwas so Schönes und Ritterliches gesehen und als habe sie noch niemand so lieb gehabt. Und der Königssohn reichte seiner Braut den Arm und führte sie zum alten König und sagte: „Lasst mich die freien, ich will keine andere.“ Der alte König aber sagte: „Eine Magd kann nicht Königin sein, das geht nicht.“
Da wurde der Prinz sehr traurig, die Prinzessin aber tröstete ihn und sagte, dass sie eine ganz richtige Königstochter wäre und keine Küchenmagd. „So, so“ ,sagte der alte König, „dann geht es.“ Und er umarmte erst die Prinzessin und dann den Prinzen und nachdem alle beide zusammen.
Und es wurde ein großes Fest angesagt und morgen sollte die Hochzeit sein. Als aber dann am anderen Tage die Prinzessin, mit dem kostbarsten Hochzeitskleid und dem schönsten Geschmeide angetan, im Königssaal stand unter all den vielen, vielen Ministern und Hofdamen und Trabanten, da sagte der Prinz zu ihr: „Nun setze dein Krönlein auf, damit wir einander angetraut werden.“ Da fiel der armen Prinzessin mit einem Male ihr zerbrochenes gläsernes Krönlein ein, das sie über all ihrer Liebe zum Königssohn ganz und gar vergessen hatte – und sie fing bitterlich an zu weinen und unter heißen Tränen holte sie die beiden Stücke des Krönleins und zeigte sie dem Prinzen und dachte, dass nun alles, alles aus und vorbei wäre.
Der ganze Hof geriet in die größte Bestürzung, die Minister schüttelten missbilligend die weisen Häupter, die Hofdamen rümpften die Nase und die Trabanten standen nicht mehr stramm und kerzengerade wie früher. Der junge Königssohn aber sagte gar nichts, sondern neigte sich zur armen weinenden Prinzessin nieder und küsste sie auf den Mund.
Und in demselben Augenblick tat sich das zerbrochene gläserne Krönlein wieder zusammen, so fest, als ob es nie zerbrochen gewesen wäre. Und während alle über das Wunder staunten, setzte der Prinz der Prinzessin das Krönlein ins Haar und das funkelte und glänzte schöner und heller, als der schönste und hellste Demantstein, so dass sogar die Krone des alten Königs gar nichts dagegen war, trotzdem er sie noch kurz vorher sehr sorgfältig geputzt hatte.
Da war ein großer Jubel im Schloss und im ganzen Lande und es wurde eine herrliche Hochzeit gefeiert und gegessen und getrunken und der alte König aß dreimal so viel süße Suppe wie sonst und freute sich furchtbar.
Wie sie aber beim Hochzeitsmahl saßen, da kam eine goldene Karosse vorgefahren und heraus stiegen die Eltern der Prinzessin, die nun erlöst waren mitsamt dem ganzen versunkenen Königreich. Da kannte die Freude keine Grenzen mehr und alle umarmten sich so lange, bis sie müde wurden: die Könige und die Königinnen, der Prinz und die Prinzessin, und die Minister, die Hofdamen und die Trabanten. Und als sie sich genug umarmt hatten, da sagte der alte König, der so gerne süße Suppe aß, zu dem andern alten König: „Jetzt wollen wir unsere beiden Reiche zusammentun und das Regieren den jungen Leuten überlassen. Wir aber wollen uns zurückziehen und nur noch süße Suppe essen.“
So geschah es und alle waren damit zufrieden. Der junge König aber und die junge Königin regierten zusammen und es war ein gar glückliches Königreich unter dem gläsernen Krönlein.
Quelle:
Manfred Kyber