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Märchenbasar

Das goldene Spinnrad

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Eine arme Wittwe hatte zwei Töchter, die Zwillinge waren. Sie glichen sich in ihrem Aeußeren so sehr, daß man sie nicht unterscheiden konnte. Um desto verschiedener waren sie in ihrem Wesen. Dobrunka4 war gehorsam, arbeitsam, freundlich und verständig kurz, ein überaus treffliches Mädchen; Zloboha5 dagegen war schlimm, rachsüchtig, unfolgsam, faul und hoffärtig, und hatte überhaupt alle Untugenden, die zusammen bestehen können. Dennoch hatte die Mutter Zloboha weit lieber, und erleichterte ihr’s, soviel sie nur vermochte. Sie wohnten im Wald in einer kleinen Hütte, wohin sich selten wer verirrte, obwohl es nicht weit von der Stadt war. Damit Zloboha etwas lerne, brachte sie die Mutter nach der Stadt in einen Dienst, wo es ihr ziemlich gut erging. Dobrunka mußte indeß die kleine Wirtschaft führen. Wenn sie früh die Ziege gefüttert, das schlichte Mahl bereitet, Stube und Küche rein gekehrt und in Ordnung gebracht hatte, mußte sie sich noch, wofern’s nicht nothwendigere Arbeit gab, zum Spinnrad setzen und spinnen. Ihr feines Gespinnst verkaufte dann die Mutter in der Stadt, und kaufte von dem Gelde nicht selten ein Kleid für Zloboha; die arme Dobrunka erhielt niemals das Geringste davon. Dessenungeachtet liebte sie ihre Mutter, und obwohl sie den ganzen Tag kein freundliches Gesicht von ihr bekam, noch ein gütiges Wort hörte, so gehorchte sie ihr doch stets ohne Unwillen und Widerrede, und murrte nicht einmal in Gedanken gegen sie.
Einst ging die Mutter in die Stadt. »Das rath‘ ich Dir, daß Du nicht müßig bist, während ich fort bin!« sagte sie zu Dobrunka, die ihr ein Stück Weges das Bündel mit dem Gespinnst tragen half.
»Ihr wißt ja, Mütterchen, daß ich mich nicht zur Arbeit nöthigen lasse, folglich werd‘ ich auch heut, wenn ich zuvor aufgeräumt habe, fleißig spinnen, daß Ihr mit mir zufrieden sein sollt.«
Als sie der Mutter das Bündel gereicht, kehrte sie in die Hütte zurück, und nachdem sie in der Stube und Küche alles in Ordnung gebracht, setzte sie sich zum Spinnrad und spann. Es war ihre Gewohnheit, daß sie, wenn sie allein zu Hause war, beim Spinnen sang; drum begann sie auch diesmal, nachdem sie sich gesetzt, mit heller Stimme alle Lieder nach einander zu singen, die sie kannte. Da hört sie außen plötzlich Pferdegestampf. Sie denkt bei sich: »Wer mag sich zu uns her verirrt haben? Muß doch seh’n!« Sie steht vom Spinnrad auf, und guckt durch das kleine Fenster hinaus, wo sie einen jungen Mann vom feurigen Rosse absteigen sieht. »Das ist ein schöner Herr!« flüsterte sie für sich, indem sie fortwährend beim Fenster bleibt. »Wie gut ihm der Pelz und wie gut ihm die Mütze mit der weißen Feder zu den schwarzen Locken steht! Jetzt bindet er sein Pferd an und geht zu uns. Muß doch seh’n, was er will.«
In dem Augenblicke trat der junge Herr zur Thür herein; denn damals gab’s noch keine Riegel und Schlösser, und ging doch Niemand was verloren. »Gott grüß‘ Dich, Maid!« sprach er zu Dobrunka. »Euch gleichfalls, Herr!« entgegnete Dobrunka. »Was wünscht Ihr?« »Etwas Wasser zum Trinken, ich habe großen Durst.« – »Will Euch sogleich dienen. Setzt Euch indeß!«
Sie lief, nahm den Krug, spülte ihn rein aus, schöpfte Wasser am Brunnen, und brachte es dem Herrn. »Möcht‘ Euch gern mit etwas Besserem aufwarten, doch ich hab‘ nichts Anderes.« – »Sieh, wie mir’s geschmeckt!« versetzte der Herr, ihr den leeren Krug reichend. Dobrunka stellte ihn wieder an seinen Platz, ohne zu bemerken, daß ihr der Herr indeß einen Beutel mit Geld heimlich unter das Kissen gesteckt. »Dank für die Erfrischung, und erlaubst Du, komm‘ ich morgen wieder.« – »Wenn’s Euch Vergnügen macht, so kommt!«
Hierauf reichte er Dobrunka die Hand, ging hinaus, schwang sich auf’s Roß und ritt davon. Dobrunka setzte sich wieder zu ihrem Spinnrad, doch das Bild des jungen Mannes schwebte beständig vor ihr. Noch niemals war ihr der Faden so oft gerissen, als diesmal.
Abends kam die Mutter nach Hause, und erzählte eine Menge, was Zloboha schon kenne, und wie sie von Tag zu Tag schöner werde. Zuletzt fragte sie: »Hast Du nichts gehört? Es soll hier eine große Jagd gewesen sein.«
»Ach ja, ich vergaß Euch zu sagen, daß ein Herr bei uns einkehrte. Er bat mich um etwas Wasser, das ich ihm sogleich brachte. Er hatte ein schönes Pelzkleid an. Wißt Ihr, als wir in der Stadt waren, sahn wir auch Herren in solchem Pelzanzug, eine Mütze mit weißer Feder auf dem Kopf. Um die Schulter trug er eine Armbrust. Wahrscheinlich war es einer von den Jägern. Nachdem er getrunken, setzte er sich auf seinen Rappen und ritt fort.« Das jedoch verschwieg Dobrunka, daß er ihr beim Scheiden die Hand gedrückt und versprochen, morgen wiederzukommen.
Abends, als Dobrunka die Betten zurechtmachte, fiel ein schwerer Beutel mit Geld heraus. Verwundert hob ihn Dobrunka auf und reichte ihn der Mutter. »Wer hat Dir das Geld gegeben?« – »Mir – Niemand! Vielleicht hat es der Herr hierher gesteckt; sonst wüßt‘ ich nicht, wie es hergekommen.« Die Mutter leerte den Beutel auf den Tisch aus. Es war lauter Gold. »Um des Himmels willen, so viel Geld!« wunderte sich die Alte. »Das muß ein reicher Herr sein. Vielleicht hat er die Armuth bei uns wahrgenommen und ein mildes Werk geübt. Gott mög‘ ihn segnen dafür!« Dann scharrte sie das Geld zusammen und verwahrte es in der Truhe.
Wenn Dobrunka sonst zur Ruhe ging, schlief sie, von der Tagesarbeit ermüdet, bald ein: diesmal vermochte sie’s durchaus nicht, immer schwebte ihr das Bild des Reiters vor, und erst spät Nachts kam ihr der Schlummer. Da träumte ihr, sie befinde sich in einem großen Schlosse und sei die Gemahlin eines mächtigen Herrn und dieser mächtige Herr sei der Reiter, den sie gestern gesehen. Es ward ein großes Festmahl gegeben, bei dem viele Gäste anwesend waren; da stürzt plötzlich eine schwarze Katze auf sie los, und haut die Krallen tief in ihr Herz, daß ein Blutstrom ihr weißes Gewand bespritzt. In dem Augenblicke schreit Dobrunka auf und erwacht. »Das war ein sonderbarer Traum!« sagte sie zu sich. »Wie wird das enden? Er fing so schön an, allein die grausame Katze verdarb Alles. Das bedeutet nichts Gutes.« Mit dieser Traumdeutung stand Dobrunka auf und begann sich anzukleiden. Sonst brauchte sie nicht viel Zeit dazu, diesmal konnte sie nicht genug Sorgfalt darauf verwenden. Sie flocht sich das Haar und durchwand es mit rothen Bändern, was sie nur an Feiertagen zu thun pflegte; ihr Röckchen war blos von Zeug, doch rein und mit einem Bande gesäumt; dazu hatte sie ein Schnürleibchen von Damast und ein Hemd, weiß wie Schnee. Als sie sich so angezogen, war sie gar lieblich zu schauen. Dann ging sie an ihre Arbeit.
Als der Mittag nahte, hatte sie am Spinnrad keine Ruh‘; immerfort machte sie sich außen etwas zu schaffen, und dies nur, um den Reiter zu erspähen. Der ließ nicht lange auf sich warten. Dobrunka aber, als sie ihn von fern gewahrte, lief geschwind zu ihrem Spinnrad, damit er sie nicht sehe, und sich nicht denke, sie habe nach ihm gespäht. Als er angekommen, sprang er vom Pferde, trat in die Stube, und grüßte sie artig. Dobrunka’s Herz pochte so stark, daß ihr das Schnürleibchen schier zu eng ward! Die Mutter sammelte Holz im Wald, Dobrunka war folglich allein. Als sie ihn begrüßt und eingeladen, sich zu setzen, ging sie wieder zu ihrem Spinnrad. »Hast Du gut geschlafen?« fragte der Jüngling, und nahm sie bei der Hand. »Wohl Herr!« – »Was träumte Dir denn?« – »Ach, ich hatte einen sonderbaren Traum!« – »Erzähl‘ ihn mir, ich kann Träume gut deuten.« – »Ich kann ihn Euch nicht erzählen.« – »Warum denn?« – »Nun, weil ich von Euch träumte.« – »Eben deshalb mußt Du mir den Traum erzählen.« So stritten sie miteinander, bis ihm Dobrunka den Traum dennoch erzählte.
»Sieh, bis auf die Katze kann sich Dein Traum erfüllen.« – »Wie könnt‘ ich jemals so eine Frau werden!« – »Willst Du nicht mein Weib sein?« – »Herr, Ihr scherzt!« – »Nicht doch, Dobrunka, es ist kein Scherz. Ich mein‘ es ernstlich, und bin heut absichtlich gekommen, Dich zu fragen, ob Du mir Deine Hand reichen willst.«
Dobrunka bedachte sich ein wenig, und reichte dann erröthend dem Reiter die Hand. Da trat die Mutter herein. Der Jüngling grüßte sie, eröffnete ihr sogleich ohne Umschweife, daß er Dobrunka lieb habe, so wie sie ihn, und daß ihnen zu ihrem vollkommenen Glücke nichts fehle, als der mütterliche Segen. »Ich hab‘ mein Haus«, fügte er hinzu, »und vermag ein Weib wohl zu ernähren; auch für Euch, Mütterchen, ist Raum genug in meinem Hause und an meinem Tisch.« Als dies die Alte hörte, weigerte sie sich nicht lange, ihnen ihren Segen zu geben. Darauf sprach er zu Dobrunka: »Spinn‘ nur fleißig, meine Liebe, Holde! Bis Du Dir Dein Hochzeitshemd gesponnen, komm‘ ich um Dich zu werben.« Dann küßte er sie, reichte der Mutter die Hand, schwang sich auf seinen Rappen und ritt schnell davon.
Von dieser Zeit an ging die Mutter mit Dobrunka viel freundlicher um. Für das Geld, das ihnen der Herr hinterlassen, kaufte die Alte auch Manches für Dobrunka, obwohl Zloboha dennoch das Meiste bekam. Dobrunka aber kümmerte das nicht; ihre Freude war nur, am Spinnrad zu sitzen, fleißig zu spinnen, und an ihren Verlobten zu denken.
 
So verrann ihr die Zeit, und eh‘ sie sich dessen versah, war das Hochzeitshemd gesponnen. Ihr Verlobter mußte das wohl berechnet haben, denn er kam an demselben Tage, wie er’s zugesagt. Dobrunka lief ihm entgegen; er drückte sie an sein Herz, und fragte sie scherzend: »Hast Du Dein Hochzeitshemd fertig?« – »Freilich.« – »So kannst Du sogleich mit mir gehen.« – »Ei warum so eilig?« – »Ich kann nicht anders, meine Liebe! Morgen muß ich in den Krieg, und so möcht‘ ich gern, daß Du mich daheim vertretest, und kehr‘ ich zurück, mich als mein Weib begrüßest.« – »Was wird aber die Mutter dazu sagen?« – »Sie wird zufrieden sein.« Sie gingen in die Stube zur Mutter, welcher der Bräutigam seinen Wunsch eröffnete. Ihr Gesicht verfinsterte sich, denn sie hatte im Stillen einen ganz andern Plan ausgeheckt. Allein was sollte sie thun? Sie mußte sich in den Willen des reichen Bräutigams fügen. Als sie das Paar segnete, sprach der Jüngling zu ihr: »Nehmt Eure Sachen und kommt zu Dobrunka, daß ihr nicht bange. Wenn Ihr in die Stadt gelangt, fragt nur im fürstlichen Schlosse nach Dobromil; die Leute werden Euch schon zeigen, wohin Ihr zu gehen habt.« Dann faßte er die weinende Dobrunka bei der Hand, setzte sie vor sich aufs Roß und jagte fort.
Im fürstlichen Schlosse waren viel Leute versammelt, alles rüstete sich zum Kriege. Einige aber standen am Thor, und es schien, als ob sie wen erwarteten. Da kam der Reiter gesprengt, vor sich auf dem Rosse die Jungfrau, die an Schönheit dem Tage glich. »Er kommt!« schrien sie, daß das Schloß erdröhnte, und alle ließen ihre Arbeit liegen und liefen zum Thor. Als Dobromil mit Dobrunka in den Schloßhof sprengte, drängten sich Alle heran, und als ob sie sich verabredet hätten, erscholl’s mit einer Stimme: »Hoch lebe unsre Fürstin! Hoch lebe unser Fürst!« Dobrunka war wie im Traume und wußte nicht, was sie davon denken solle. »Dobromil, bist Du denn der Fürst?« fragte sie, in sein strahlendes Antlitz schauend. – »Ich bin’s, und ist Dir das nicht lieb?« – »Mir gilt das gleich viel, sei wer Du magst; doch sprich, warum täuschtest Du mich so?« – »Ich täuschte Dich nicht, versprach ich Dir doch, daß sich Dein Traum erfüllen solle, wenn Du mich zum Manne nähmest.«
Damals waren zu einer Hochzeit nicht so viele Vorbereitungen nöthig, wie jetzt. Wenn zwei einander lieb hatten, und die Eltern eingewilligt, war die Sache abgethan. Darum stellte Dobromil seine Dobrunka auf der Stelle seinen Unterthanen vor, worauf sich diese in den großen Saal begaben, wo sie bis spät in die Nacht beim fröhlichen Mahl saßen. Des anderen Tags nahm der junge Gatte von Dobrunka Abschied, und zog in den Krieg.
Wie ein verirrtes Lamm ging die junge Fürstin in dem prächtigen Schlosse umher; sie hätte sich lieber im Wald getummelt, und in der einsamen Hütte die Rückkehr ihres Gatten erwartet, als hier, wo ihr bang war wie in der Fremde. Das währte indeß nicht lange; in einem halben Tag machte sie sich alle durch ihre Güte und Herzlichkeit geneigt. Tags darauf sandte sie um ihre Mutter; die kam und brachte ihr auch das Spinnrad. Nun war die Langweile vorbei. Dobrunka dachte, es werde für die Mutter eine angenehme Ueberraschung sein, wenn sie höre, was ihre Tochter geworden; Diese jedoch sah finster drein, denn sie wünschte im Herzen, es möchte solch Glück lieber Zloboha genießen. Das wurmte sie. Nach einigen Tagen sagte sie zu Dobrunka: »Ich weiß, liebe Tochter, daß Dir Deine Schwester viel Unrecht zugefügt; sie bereut es aber. Verzeih‘ ihr also, und nimm sie zu Dir!« – »Das würde ich schon vom Herzen gern gethan haben, wenn ich hätte hoffen können, daß sie zu mir gehe. Wollt Ihr, so holen wir sie auf der Stelle.« – »Ja, thun wir das!«
Die Fürstin befahl den Wagen bereit zu machen; dann setzten sich Beide ein, und fuhren zum Wald. Als sie an dessen Rand gelangten, stiegen sie ab. Dobrunka befahl dem Diener zu warten, und ging mit der Mutter zur Hütte. Als sie sich der Hütte näherten, kam ihnen Zloboha entgegengelaufen, küßte ihre glückliche Schwester und wünschte ihr, es möchte ihr immer so gut ergehen. Hierauf führten die Betrügerinnen sie in die Stube. Kaum aber hatte sie den Fuß über die Schwelle gesetzt, so ergriffen sie Beide, und Zloboha stieß ihr das bereit gehaltene Messer in den Leib. Dann hieben sie ihre Hände und Füße ab, schälten ihr die Augen aus, und schleppten die so verstümmelte Leiche in den Wald; Augen, Füße und Hände jedoch hoben sie auf, und nahmen sie mit sich ins Schloß, indem sie glaubten, der Fürst würde sie nicht so lieb haben, wenn nicht etwas von der vorigen Frau im Hause wäre. Zloboha zog die Kleider Dobrunka’s an, und verließ mit der Mutter die Hütte. Hinterm Walde setzten sie sich in den Wagen und fuhren zum Schloß. Im Schlosse bemerkte Niemand, daß dies nicht die wahre Frau sei; den Dienern schien es nur, ihre Herrin sei Anfangs viel besser gewesen als jetzt.
Inzwischen war die arme Dobrunka nicht todt; sie kam nach einigen Stunden zum Bewußtsein, und da fühlte sie, daß sie eine warme Hand streichle und ihr Arzneitropfen in den Mund träufelte. Wer es sei, wußte sie freilich nicht, weil sie keine Augen hatte. Als sie sich allmählich an alles erinnerte, begann sie sich über die unnatürliche Mutter und die grausame Schwester zu beklagen. »Schweig‘ und klage nicht!« ließ sich eine leise Stimme neben ihr vernehmen. »Alles wird glücklich enden.« – »Ach, wie ist das möglich, da ich keine Augen, keine Füße und Hände habe! Niemehr werd‘ ich die helle Sonne schauen und den grünen Hain; niemehr meinen Dobromil umarmen, noch Hemden für ihn spinnen. Was hab‘ ich verschuldet, Du schlimme Mutter, und Du noch schlimmere Schwester, daß Ihr mich so elend gemacht?«
Inzwischen ging der Greis, der vordem zu ihr geredet, aus der Höhle heraus, worin sie sich befanden, und rief dreimal. Da kam ein Knabe zu ihm gelaufen, und fragte ihn, was er wünsche. Er befahl ihm zu warten, bis er wiederkehre. In einer Weile brachte er ein goldenes Spinnrad, und sprach: »Mit diesem Spinnrad wirst Du in die Stadt gehen, in das fürstliche Schloß. Dort wirst Du Dich mit ihm hinsetzen, und fragt Dich jemand, was es koste, so sagst Du: ‚Zwei Augen,‘ und giebst es Niemandem, der Dir nicht zwei Augen bringt.« Mit diesem Auftrag sandte er den Knaben fort, und kehrte zu Dobrunka zurück.
Der Knabe schritt zur Stadt und gerad‘ in das Schloß, wo er sich mit dem Spinnrad beim Thore niedersetzte, eben als Zloboha mit ihrer Mutter von einem Spaziergang zurückkam.
»Seht doch, Mutter,« rief sie, »welch prachtvolles Spinnrad! Auf dem könnt‘ ich selbst spinnen. Wartet, ich will fragen, ob es feil ist.« Sie trat näher zu dem Knaben, und fragte, was das Spinnrad koste. »Zwei Augen, Frau!« – »Zwei Augen?« – »Ja.« – »Das ist sonderbar. Warum gerade zwei Augen?« – »Das weiß ich nicht. Der Vater hat es so befohlen, und darum darf ich’s nicht für Geld verkaufen.« Zloboha besah sich das Spinnrad in einem fort, und je mehr sie sich’s besah, um desto mehr gefiel’s ihr. Auf einmal erinnerte sie sich an Dobrunka’s Augen. »Seht, Mutter, als Fürstin muß ich doch etwas haben, was sonst Niemand hat. Kommt der Fürst nach Hause, so wird er haben wollen, daß ich spinne, und bedenkt, wie schön, wenn ich dann auf goldenem Spinnrad spinne. Wir haben Dobrunka’s Augen verwahrt, geben wir sie ihm dafür; uns bleiben ja noch die Füße und Hände!«
Die Mutter, leichtsinnig wie die Tochter, willigte ein. Zloboha brachte die Augen der Schwester, und gab sie für das Spinnrad hin.
Der Knabe eilte mit den Augen zum Wald. Als er zu der Höhle kam, übergab er sie dem Greise und ging. Dieser begab sich mit ihnen zu Dobrunka und setzte sie sanft in ihre Augenhöhlen ein. Plötzlich sah sie wieder. Sie sah einen Greis vor sich, dessen weißer Bart bis über die Brust floß. Ein graues Gewand umhüllte seine hohe Gestalt vom Haupt bis zum Fuße. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fielen durch den schmahlen Eingang auf sein ehrwürdiges und freundliches Antlitz, und übergossen es mit rosigem Glanz. Dobrunka war’s, als ob ein Gott vor ihr stände. »Wie,« sprach sie, »Du heiliger Mann, werd‘ ich im Stande sein, Dir Deine Liebe zu vergelten? Ach vermöcht‘ ich nur Deine Hände zu küssen!« – »Sei still,« unterbrach sie der Greis, »und warte alles ruhig ab!« Hierauf entfernte er sich, brachte Dobrunka auf einem Holzteller schmackhaftes Obst, und stellte es auf ihr Lager aus duftendem Laub und Moos; dann suchte er rothe Erdbeeren aus, und wie die besorgte Mutter ihr Kind, so ätzte er Dobrunka und gab ihr auch aus einem Holzbecher zu trinken.
Des anderen Tags zeitig früh stand der Greis wieder vor der Höhle, und rief dem Knaben. Als Der gelaufen kam, gab er ihm eine goldne Spindel und sprach: »Mit dieser Spindel wirst Du wieder ins fürstliche Schloß gehen und Dich beim Thore niedersetzen. Fragt Dich, jemand, was sie koste, so sagst Du: ‚Zwei Füße,‘ und giebst sie Niemandem früher, als bis er Dir zwei Füße bringt.«
Der Knabe ging mit der Spindel davon und der Greis kehrte in die Höhle zurück. Zloboha stand am Fenster, und sah in den Hof, eben als sich der Knabe mit der Spindel zeigte. Sogleich lief sie zur Mutter, und sagte zu ihr: »Kommt doch und seht! Beim Thore sitzt wieder der Knabe, und hat eine wunderschöne Spindel!« Sie begaben sich zu ihm. »Was kostet die Spindel?« fragte sie den Knaben. »Zwei Füße, Frau!« – »Zwei Füße?« – »Ja.« – »Sag‘ an, was macht Dein Vater damit?« – »Das kann ich Euch nicht sagen, denn ich frage den Vater nie, warum dies oder jenes zu geschehen habe. Was er befiehlt, das thu‘ ich, und so kann ich Euch die Spindel für nichts Anderes lassen als für zwei Füße.« – »Hört Mutter, da ich das Spinnrad habe, so ziemte sich’s doch, daß ich die Spindel gleichfalls hätte. Wir haben Dobrunka’s Füße verwahrt: wie, wenn ich sie ihm dafür gäbe? Uns bleiben ja noch die Hände.« – »Thu‘, wie Du willst,« entgegnete die Mutter. Zloboha brachte also die Füße, die verhüllt waren, und gab sie dem Knaben für die Spindel hin. Hierauf kehrte sie freudenvoll in ihre Gemächer zurück, und der Knabe eilte zum Wald.
 
Als er zur Höhle kam, übergab er die Füße dem Greise, und ging fort. Dieser begab sich mit ihnen in die Höhle, nahm eine Salbe, bestrich Dobrunka’s Wunden, und setzte ihr die Füße wieder an. Sie wollte von ihrem Lager aufspringen, der Greis aber gestattete es nicht. »Bleib‘ jetzt ruhig liegen, bis Du ganz gesund bist; dann will ich Dir erlauben, daß Du aufstehest!« Sie mußte sich zufrieden geben, was sie auch gern that; denn sie war überzeugt, daß ihr der Greis nichts Arges rathe.
Am dritten Tage zeitig früh rief der Greis dem Knaben, gab ihm einen goldenen Rocken und sprach: »Trag auch den Rocken zum Verkauf in’s fürstliche Schloß. Fragt Dich jemand, was er koste, so sage: ‚Zwei Hände,‘ und wer Dir zwei Hände giebt, dem gieb den Rocken.«
Als der Knabe mit dem Rocken in’s Schloß kam, und sich beim Thore niedersetzte, lief Zloboha zu ihm, die sich gerade mit der Mutter im Hof erging. »Was kostet denn der Rocken, Knabe?« fragte sie ihn. »Zwei Hände, Frau!« – »Das ist doch sonderbar, daß Du nichts für Geld verkaufst!« – »Ich kann nicht anders, hohe Frau, als wie mir befohlen ist.« Jetzt war Zloboha im Zweifel. Der Rocken war allerliebst, und sie hätte ihn gar zu gern zu dem Spinnrad gekauft, um damit prahlen zu können. Das jedoch verdroß sie, daß sie zwei Hände dafür geben sollte, und daß ihr dann nichts von Dobrunka übrig bleibe. »Sagt mir doch, Mutter, muß ich etwas von Dobrunka haben, daß mich der Fürst so liebe, wie sie?« – »Nun,« versetzte die Mutter, »besser wär’s, wenn Du etwas behieltest; ich wenigstens hörte immer, das sei ein gutes Mittel, sich des Gatten Liebe zu bewahren. Doch meinethalben thu‘, wie Du willst.« Zloboha bedachte sich ein Weilchen, dann aber lief sie, verführt von dem Vertrauen auf ihre Schönheit und von ihrer Eitelkeit, um die zwei Hände zu holen, und gab sie dem Knaben hin. Der Rocken, an dem ein Flachs erglänzte, feiner als Seide und mit einem rothen Band umwunden, war von gediegenem Gold. Voll Freude über das prachtvolle Geräth ging sie, um es zum Spinnrad und zur Spindel hinzustellen; die Mutter aber schüttelte den Kopf und war verdrießlich über die Thorheit der Tochter.
Der Knabe war indeß schon wieder zurück. Als er dem Greise die Hände übergeben hatte, verschwand er. Dieser ging mit ihnen zu Dobrunka, und nachdem er ihre Wunden bestrichen, wie Tags zuvor, fügte er sie an ihren Leib. Kaum vermochte Dobrunka die Hände zu bewegen, so ließ sie sich nicht länger auf dem Lager halten. Sie sprang empor, und dem Greise zu Füßen fallend, küßte sie die Hände, die ihr so viel Gutes erwiesen hatten. »Tausendfält’gen Dank Dir, Du mein Wohlthäter!« rief sie unter Freudenthränen. »Vergelten kann ich Dir’s nie, das weiß ich; aber begehre von mir, was Du willst, und wenn’s das Schwerste wäre, so will ich’s gern, vom Herzen gern thun für Dich.«
»Ich begehre nichts von Dir,« erwiderte der Greis, und erhob sie sanft vom Boden. »Was ich für Dich gethan, thät‘ ich für jeden andern; das ist meine Pflicht. Nun bleib‘ so lange hier, bis jemand um Dich kommt. Um Nahrung sei unbesorgt, ich schicke sie Dir.« Dobrunka wollte ihm noch etwas sagen, doch er verlor sich vor ihren Augen, und sie sah ihn nie mehr. Sie lief aus der Höhle, um sich Gottes Welt wieder anzuschauen. Nun erst kannte sie den Werth der Gesundheit. Und sie warf sich auf die Erde und küßte sie; bald hüpfte sie und umarmte die schlanken Tannen, bald streckte sie sehnsuchtsvoll mit Thränen die Arme nach der Stadt aus. Vielleicht wäre sie dahin geeilt, hätten sie nicht des Greises Worte an den Ort gefesselt.
Inzwischen trugen sich im Schlosse sonderbare Dinge zu. Reisende nämlich brachten die Nachricht, daß der Fürst aus dem Kriege heimkehre. Alle freuten sich auf den guten Herrn, denn sie waren mit der Frau nicht sehr zufrieden. Zloboha und ihrer Mutter ward doch ein wenig angst, wie es ausfallen werde. In einigen Tagen kam der Fürst. Mit freudigem Antlitz lief ihm Zloboha entgegen, und er drückte sie mit Inbrunst an sein Herz. Nun hatte sie keine Angst mehr, daß er sie erkennen werde.
Es wurde ein Festmahl bereitet; denn mit dem Fürsten waren viele Gäste gekommen, die bei ihm ausruhen und einige Tage in heitrer Lust zubringen wollten. Zloboha, die an Dobromil’s Seite saß, konnte ihn nicht genug betrachten; der stattliche Fürst gefiel ihr, und sie war froh, daß ihr der Streich mit der Schwester so wohl gelungen.
Als das Fest vorüber war, fragte Dobromil seine vermeintliche Gemahlin. »Wie hast Du die Zeit zugebracht, meine Liebe? Gewiß hast Du gesponnen?«
»Du hast’s errathen,« antwortete Zloboha gleißnerisch. »Aber mein altes Spinnrad ist verdorben. Es kam ein Knabe her, und bot ein wunderschönes goldenes Spinnrad feil: das hab‘ ich mir statt des frühern gekauft.«
»Das mußt Du mir zeigen,« sprach der Fürst, nahm sie bei der Hand und führte sie aus dem Saal. Sie ging mit ihm in das Gemach, wo sie das Spinnrad aufbewahrt hatte, und zeigte es ihm. Dobromil gefiel das Spinnrad sehr. »Setz‘ Dich, Dobrunka,« sprach er, »und spinn darauf! Ich möchte Dich gern wieder einmal spinnen sehen.« Sie ließ sich nicht lange nöthigen, und setzte sich geschwind zum Spinnrad. Sie drückt mit dem Fuße auf den Tritt, um das Rad in Schwung zu bringen; da schallt es aus dem Spinnrad heraus:

»Herr, miß ihr keinen Glauben bei,
Sie ist voll Trug und Gleißnerei.
Dein wahres Weib, sie war es nie,
Dein Weib ist ermordet, gefallen durch sie.«

Zloboha war wie vom Donner gerührt. Der Fürst fuhr zusammen, und verwundert durchflog er mit seinen Blicken das ganze Gemach, um zu sehen, woher das Lied komme; doch als er Niemand erblickte, befahl er, daß Zloboha weiter spinne. Zitternd gehorchte sie. Kaum jedoch begann sich das Rad zum zweiten Mal zu drehen, erscholl es wieder:

»Herr, miß ihr keinen Glauben bei,
Sie ist voll Trug und Gleißnerei.
Erschlagen hat sie ihr Schwesterlein,
Und schleppt‘ in den Wald hinein.«

Ganz außer sich wollte Zloboha vom Spinnrad hinwegeilen; doch der Fürst, der plötzlich an ihren angstentstellten Zügen erkannte, daß dies nicht seine holde Dobrunka sei, faßte sie bei der Hand, zwang sie, sich niederzusetzen, und gebot ihr mit strenger Stimme, daß sie weiter spinne. Noch einmal drehte sich das Rad, und es erscholl zum dritten Male:

»Herr schwinge auf Dein Roß Dich bald,
Und eil‘ hinaus zum grünen Wald!
Dein Weib sitzt in der Höhle dort,
Und sehnet nach Dir sich fort und fort.«

Jetzt verließ Dobromil die schändliche Zloboha, stürzte aus dem Gemache auf den Hof, und befahl, man solle ihm augenblicklich das schnellste Roß satteln. Die Diener, erschrocken über das fürchterliche Aussehen ihres Herren, rannten, was sie konnten, um seinen Befehl zu erfüllen. Alsbald stand ein gesatteltes Roß vor Dobromil, und kaum fühlte es dessen Sporen, so flog es über Berg und Thal, daß es mit seinen Hufen die Erde kaum berührte.
Als der Fürst in den Wald gelangte, wußte er nicht, wo die Höhle zu suchen. Er ritt geraden Weges. Als er jedoch ein Stück geritten war, setzte plötzlich ein weißes Reh über den Weg; das Pferd erschrickt, springt rechtshin ab und rennt mit seinem Herrn durch Dick und Dünn, bis es an einem Felsen stehen bleibt. Dobromil steigt vom Rosse, und bindet es an einen Baum, in der Absicht, Dobrunka zu Fuß im Walde zu suchen. Er klettert zuerst auf den Felsen; da sieht er zwischen den Bäumen etwas blinken. Begierig zu erfahren, was es sei, klettert er weiter, und steht auf einmal vor einer Höhle. Doch welche Freude für ihn, als er hineintritt, und seine Dobrunka erblickt! Er fällt ihr um den Hals, umarmt und küßt sie, und nachdem er lange genug ihr liebreizendes Antlitz betrachtet hat, ruft er; »Wo hatt‘ ich nur meine Augen, daß ich Dich, Du Engel, von Deiner teuflischen Schwester nicht unterschied!«
»Was weißt Du von meiner Schwester? Wer sagt Dir Etwas?« fragte Dobrunka, die von dem Spinnrad nicht das Geringste wußte. Da erzählte ihr der Fürst alles, und sie berichtete wieder ihm, was sich nach seinem Abzug mit ihr zugetragen. »Von der Zeit an, wo mich der Greis verließ,« schloß sie, »bringt mir täglich ein kleiner Knabe zu essen.«
Hierauf ließen sie sich zusammen auf dem Rasen nieder, und sie brachte ihm auf einem Holzteller Obst zur Labung. Nachdem sie gegessen und ein wenig geplaudert, nahmen sie den Holzteller und den Holzbecher zum Andenken mit sich, und stiegen den Felsen hinab. Dobromil setzte sein wahres Weib vor sich auf’s Pferd, und jagte mit ihr heim.
Seine Diener harrten schon auf ihn, um ihm zu melden, was sich in seiner Abwesenheit begeben; aber sie sahen einander wie verwirrt an, als sie gewahrten, daß ihr Herr dieselbe Frau mit sich bringt, die erst kurz vorher sammt deren Mutter der böse Geist vor ihren Augen in der Luft davon getragen. Der Fürst, der bemerkte, was sie verwirre, erzählte ihnen kurz das Ereigniß mit seiner Gemahlin. Da gönnten Alle einhellig der gottlosen Schwester die wohlverdiente Strafe.
Das goldene Spinnrad war verschwunden, Dobrunka suchte ihr altes hervor, und spann fleißig Hemden für ihren lieben Gatten. Niemand im ganzen Lande hatte so feine Hemden, und Niemand war so glücklich, als Fürst Dobromil.

[Tschechien: Joseph Wenzig: Westslawischer Märchenschatz]

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