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Es waren einmal zwei Brüder, von denen war der eine, der älteste, nicht auf den Kopf gefallen, vielmehr anstellig und pfiffig über alle Maßen; der jüngere aber hatte, wie man so sagt, ein Brett vor dem Kopf. Das machte dem Vater große Sorge, ihm aber keine, denn er lebte ganz sorglos und arglos in die Welt hinein, wie die Dummen leben, und er mochte wohl, ohne daß er’s wußte, das Sprüchlein im Kopfe haben: Hänschen lerne nicht zu viel, du mußt sonst zu viel tun. Wenn der Vater etwas verrichtet haben wollte, so mußte er’s allemal dem ältern, dem Matthes sagen, denn der andre, das Hänschen, richtete alles verkehrt aus, zerbrach den Ölkrug und die Branntweinflasche, oder blieb eine Ewigkeit aus. Matthes dagegen machte alles gut, nur einen Fehler hatte er, er war furchtsamer Natur, es gruselte ihn gar zu sehr. Wenn er abends am Kirchhof vorbeiging, so gruselte ihn, und wenn er eine Gespenstergeschichte erzählen hörte, so bekam er vom eitel Gruseln eine Gänsehaut wie ein Reibeisen, und klagte: „Ach, ach, ach, es gruselt mich gar zu sehr.“ Sein Bruder aber, das dumme Hänschen, lachte ihn oft deshalb aus, und sagte: „Hä, hä, wie kann es einen nur gruseln? Die Kunst möcht ich können, mich gruselt’s all mein Lebtage nicht – möchte wahrlich das Gruseln lernen!“
„Du siehst aus, wie einer, der was lernen möcht!“ schalt der Vater auf Hänschen. „Zeit wär’s freilich, du wirst ein großer starker Lümmel – aber mit dem Gruselnlernen, du Hans Dampf, da ist’s nichts, das ist keine Kunst, damit verdienst du kein Körnlein Salz zum lieben Brote. Und weißt du denn auch, wie man das Gruseln lernt? Was gilt die Wette, daß du auch dazu zu dumm bist?“
Während der Vater und der Bruder noch das dumme Hänschen auslachten, kam der Nachbar Küster und Schulmeister herüber zum Besuch, und hörte noch, wie das Hänschen verlacht wurde, und bekam erzählt, daß der Bube gern das Gruseln lernen wolle. „Das kann er bei mir prächtig lernen!“ sprach der Küster. „Mein Schulhaus ist das allerelendeste Nest von einem Hause im ganzen Orte, mich gruselt’s den ganzen Tag, daß mir’s über dem Kopf zusammenfällt, und einmal die hoffnungsvollen Rangen miteinander erschlägt. Gebt mir das Hänschen herüber, ich muß ja so manchem Dummbart Wissenschaften beibringen, werd ihm doch wohl auch das Gruseln anlehren können!“ Der Vater war den Vorschlag zufrieden und das Hänschen folgte dem Küster hinüber in das alte wackelige Schulhaus. Ihn gruselte das aber mitnichten, es war ihm gerade so einerlei, daß das Haus der Einsturz drohte, wie es dem Schulzen und der ehrsamen Gemeinde einerlei war.
Nun sann der Küster auf ein andres Stücklein, das dem Hänschen auf alle Fälle das Gruseln beibringen sollte. Er hieß ihn die Abendglocke läuten, schlüpfte aber noch vor ihm heimlich hinauf in die Glockenstube, und als Hänschen zur Treppe hinauf war und den Strang zur Abendglocke faßte, hörte er von der Treppe her einen dumpfen stöhnenden Laut. Wie er sich umsah, stand dort eine große weiße Schleiergestalt starr und unbeweglich. „Wer bist du? Was willst du?“ fragte Hänschen, ohne daß ihn nur im mindesten gegruselt hätte. Keine Antwort. „Ich frage dich, wer du bist?“ rief Hänschen mit stärkerer Stimme. Keine Antwort. „Hast du kein Maul, Schneemann? noch einmal: was willst du?“ Keine Antwort. Mein Hänschen, nicht faul, springt mit einem Satz auf die Gestalt los, wie der Kasper im Puppenspiel auf den Teufel und rennt sie, die sich solcher Herzhaftigkeit nicht versah, pardauz! über den Haufen, daß sie ein ganz Stück die Stiegen hinunter kollert, und was für Stiegen? Stiegen von so einziger Art, wie sie nur auf alten Dorfkirchtürmen anzutreffen sind, ausgetreten, verrottet, eng, voll jahrhundertalten Staubes. Drunten lag das Gespenst und ächzte und krächzte, Hänschen aber läutete zum Abendgebet, und schwang gar wacker den Glockenstrang, als wäre eben nichts vorgefallen; dann kletterte er wohlgemut die Stiege hinab, und ging aus dem Turme, dessen Türe er hinter sich zu schloß. Die Küsterin wußte gar nicht, wo ihr Mann blieb. „Wo ist denn Er?“ fragte sie Hänschen. „Wer?“ fragte Hänschen. „Er!“ sagte die Küsterin. „Er ist ja vor dir hinüber auf den Turm.“ „So“, sagte Hänschen: „ist er das gewesen? Es stand ein weißer Labutzel an der Treppe, der wollte mir nicht Red und Antwort geben, da hab ich ihn die Treppe hinab gestoßen, er liegt noch drüben und krächzt.“ – „Galgenstrick!“ schrie die Küsterin, riß Hänschen den Schlüssel aus der Hand, und sprang auf den Turm, da lag ihr Mann in seinem Betttuch, und hatte ein Bein gebrochen.
Jetzt erging es Hänschen gar nicht gut; die Küsterin verklagte ihn bei seinem Vater, und der wurde ganz wild, und schrie: „Ein Taugenichts ist der Junge, aus den Augen soll er mir! Fort marsch! Hier ist Geld – geh, laß dich henken wo du willst – mir kommst du nimmermehr vor die Augen. Schimpf und Schande und Schaden hat man von dir, du Nichtsnutz!“
„Geh mit Gott, Hänschen!“ spottete Matthes; „sorge fein, daß du das Gruseln lernest, das Gruseln soll jetzt Mode sein, und den Menschen draußen in der Welt gruselt’s vor allerhand, da wirst du schon vom Gruseln auch deinen Teil bekommen!“
Hänschen ging, er hatte Geld, und wenn einer Geld hat, braucht’s ihn erst recht nicht zu gruseln. Unterwegs sprach er öfter vor sich hin: „Wenn mich doch nur gruselte, wenn mich doch nur gruselte!“ Das hörte ein Mann, der hinter Hänschen kam, und sprach zu ihm: „Schau dorthin – dort steht der Dreibein, da hängt eine schöne Gesellschaft dran – gerade ihrer sieben, was man so sagt: ein Galgen voll. Dort nimm unter den sieben dein Nachtlager, da lernst du das Gruseln.“
„Wenn das wahr wäre“, sprach Hänschen, „so wollt ich dir morgen früh all mein Geld geben. Kannst zu mir kommen und es holen, oder du kannst ja auch gleich bei mir bleiben!“
„Daß ich ein Narr wäre und unterm lichten Galgen bei dir bliebe!“ antwortete jener. „Nein, mein guter Gesell, das Gruseln lernt sich viel besser, wenn einer allein, als wenn er zu zweien ist. Gute Nacht – auf Wiedersehen morgen in der Frühe!“ Hänschen setzte sich unter den Galgen, machte sich, weil es kalt war, ein Feuerchen an, das schien hübsch hell hinauf zu den Gehenkten, und der scharfe Nachtwind bewegte ihre schlotternden Körper hin und her, hin und her.
„Ei, ihr gar armen Teufel!“ rief Hänschen hinauf. „Euch friert ja, daß ihr schnappert und klappert. Wartet ich will euch herunter holen, sollt euch wärmen an meinem Feuer.“ Und Hänschen, nicht faul, fand eine Galgenleiter, stieg hinauf, knüpfte die Gehenkten los und setzte sie an sein Feuer, das er nun stärker und größer machte. Jene aber schauten gottserbärmlich aus, grün, gelb und jämmerlich, blitzblau, abscheulich, wie das Sprichwort sagt, und regten und rührten sich nicht; das Feuer fraß um sich, und begann die Lumpen und Fetzen anzukohlen, welche um die toten Leichname herum hingen. „Na?“ sagte Hänschen, „laßt ihr ja eure Kleider verbrennen! Da heißt’s recht bei euch: gleiche Lumpen, gleiche Lappen! Wartet – ich will euch helfen so unachtsam sein!“ Nahm sie, einen nach dem andern und hing sie wieder hinauf, hüllte sich in seinen Mantel, streckte sich an sein Feuer und schlief ein. So fand ihn der Mann, mit dem er gestern gegangen, und der heute kam, das Geld zu holen. Da er aber Hänschen so ruhig schlafen sah, wuchs ihm wenig Hoffnung, daß es das Gruseln über Nacht gelernt haben möchte, und als Hänschen nun aufwachte, und ihm erzählte, was er vorgenommen habe, da wandte sich der Mann zum Gehen und sprach: „Dein Geld hab ich das Mal nicht verdient, du lernst das Gruseln nimmermehr.“
Wie Hänschen nun auch weiter und seines Weges ging, sprach er vor sich hin: “ ’s ist doch alleweil schade, daß ich das Gruseln nicht erlernen kann, muß wohl zu dumm dazu sein. Ei, ei – wenn ich doch nur das Gruseln könnte.“
Das hörte ein Fuhrmann, der desselben Weges daher schritt, der sprach zu Hänschen: „Ei, kannst du das Gruseln nicht? Da kehre nur dort in dem Wirtshaus am Weg ein, wenn du nämlich Geld hast, der Wirt macht hautschaudrige Zechen, mich hat’s noch jedesmal überlaufen, wenn ich hab in dessen Haus einkehren müssen.“ „Das wollen wir sehen!“ sprach Hänschen, dankte dem Fuhrmann und schritt auf dasselbige Wirtshaus zu.
„Was schaffens?“ fragte der Wirt. „Möchts Gruseln lernen“, antwortete Hänschen. „Die Leute auf der Landstraße sagen, bei Euch wär’s leicht zu lernen. Ihr machtet so grusliche Rechnungen und führt eine so grusliche Kreide!“ „Warte Lecker!“ dachte der Wirt, „dir will ich wohl was lehren, daß dich das Gruseln ankommt!“, und zu Hänschen sprach er: „Mein lieber Wandergesell, Ihr seid mit Unwahrheit berichtet worden; in meinem Hause kann man das Gruseln keineswegs lernen, und ich bediene meine Gäste nicht so, wie Euch irgendein Schalksnarr erzählt und vorgelogen hat. Ist’s Euch um Gruseln zu tun, so geht dort hinauf auf das alte verwünschte Schloß da droben und seht zu, daß Ihr die Königstochter zur Frau bekommt, die ihr Vater dem versprochen hat, der das Schloß von seinen Poltergeistern befreit; da gibt’s was zu gruseln und reich zu werden.“
„Ich will so tun, wie Ihr mir ratet“, sagte Hänschen, und der Wirt sprach wieder: „Damit, daß Ihr hinauf geht, ist’s noch nicht getan. Erst müßt Ihr beim König um Erlaubnis bitten, und müßt drei Nächte lang droben bleiben. Kommt Ihr mit dem Leben davon, so ist die Prinzessin Eure Frau.“
„Und wenn ich nicht mit dem Leben davon komme, was dann?“ fragte Hänschen – und der Wirt lachte ihm ins Gesicht, und sprach: „Ich merke schon, Ihr seid ein Schlaukopf, Ihr hättet sicher das Pulver erfunden, wenn’s noch nicht erfunden wär!“
Und Hänschen ging eilend zu dem König, bat um die Erlaubnis und erhielt sie, auch sprach der König: „Mein Sohn, du darfst dir auch dreierlei mitnehmen, aber nur nichts Lebendiges.“ Nun hatte Hänschen schon in seiner Jugend immer gar zu gern Feuer angemacht, an der Schnitzelbank gesessen und auch bisweilen an der Drehbank, und verstand mit solchen Dingen umzugehen. Darum begehrte er weiter nichts mit auf das Schloß zu nehmen, als ein gutes Feuerzeug, eine Schnitzelbank und eine Drehbank, „damit mich nicht friert“, sagte er: „und ich mir die Zeit vertreiben kann.“ Das ward dem Hänschen gern gegeben, und er schlug seinen Sitz in einem hübschen Zimmer mit großem Kamin im alten Schloß auf. Als es Nacht wurde, machte Hänschen ein helles Feuer an, das wärmte und leuchtete sehr schön. Auf einmal kamen zwei kohlschwarze Katzen, die hatten Augen wie von grünem Feuer, und schrien: „Miau, miau, uns friert!“ „Ei wenn euch friert, so wärmt euch doch; hier ist ein Feuer!“ sprach Hänschen. Das taten die Katzen auch, dann sagten sie, „die Zeit wird uns zu lang, wir wollen zu dritt Karte spielen, Dreiblatt oder Pochens.“ „Meinetwegen Pochens“, sagte Hänschen, „wenn ihr Karten mitgebracht habt.“ Die Katzen hatten wirklich ein Kartenspiel, und zeigten es Hänschen und da sah Hänschen, daß sie fürchterliche Krallen an ihren schwarzen Pfoten hatten, und sagte: „Mit Verlaub, eure Frau Mutter hat euch die Nägel recht lange nicht geschnitten, schämt euch was, kommt, ich will sie euch putzen!“ und packte die Katzen und klemmte ihnen die Pfoten in die Drehbank. Da bissen sie nach ihm und so nahm er sein Schnitzmesser und schnitzte ihnen die Köpfe ab, und warf Katzenköpfe und Leiber aus dem Fenster in den Schloßgraben. Als er wieder zum Feuer kam, saß ein großer Hund dort und bleckte ihm die Zähne und hatte eine feurige Zunge armslang zum Halse heraushängen. Dies gefiel Hänschen wieder nicht, er nahm abermals sein Schnitzmesser und hieb damit dem Hund gerade zwischen die Zähne in den Rachen, da fiel die Zunge herunter und der obere Kopf nahm Abschied von seinem Unterteil. Nun meinte Hänschen Ruhe zu haben und wollte sie auch genießen; in der Ecke stand ein Bett, da legte er sich hinein und deckte sich zu. Er war aber noch nicht eingeschlafen, da fing das Bett an zu fahren wie ein Dampfwagen, und fuhr im ganzen Schloß herum, Trepp auf, Trepp ab, durch Säle und Zimmer – aber Hänschen sagte: „Schau, nun spür ich doch, wie’s tut, wenn die großen Herren fahren. Fahre du nur immer zu.“ Endlich mochte das Bett des Fahrens müde sein, es rollte wieder in Hänschens Zimmer, wo das Feuer noch lustig brannte, da stand es still, und Hänschen schlief ein und schlief wie ein Toter.
Am andern Morgen stand der König an seinem Bett, und sagte: „Na das heiß ich einen gesunden Schlaf, wenn ich den hätte! So gut schläft kein König. Freut mich daß der Junge noch lebt und schnarcht. Heda! Hänschen!“ „Schön guten Morgen Herr König! Schon so frühe?“ fragte Hänschen. „Wünsche wohl geruht zu haben!“ sprach der König. „Danke, gleichfalls!“ sprach Hänschen. „Kannst auf meine Rechnung drunten beim Wirt frühstücken und zu Mittag essen, aber abends bist du wieder hier oben, magst du?“ sprach und fragte der König. „Ei freilich wohl“, sagte Hänschen; „drei Nächte müssen’s sein.“
Wie Hänschen zum Wirte kam, wunderte der sich sehr und fragte: „Nun? noch lebendig? Aber das Gruseln wird man doch gelernt haben in heutiger Nacht?“ „Nicht rühran!“ erwiderte Hänschen. Da fing es dem Wirt selber an, vor Hänschen über und über zu gruseln. Hänschen ließ sich’s wohl sein auf des Königs Rechnung und sorgte sich nicht um diese, und als es Abend wurde, war er schon wieder oben im Spukschloß, und machte sich sein Feuer an. Auf einmal prasselte es droben im Schornstein, als breche alles in tausend Trümmer und da kam ein Kerl herunter gefahren, der war aber nur halb. „Na“, sagte Hänschen, „was soll denn das sein? Da fehlt ja noch eine Halbschied, anderthalb Mann sind doch noch keine Gesellschaft.“ Kaum hatte Hänschen das gesagt, bautz! kam die andre Hälfte nachgefallen, mitten in das Feuer. Hänschen nahm die beiden Hälften, warf sie aus dem Kamin in die Stube, und brachte sein Feuer wieder in Ordnung. Wie er damit zu Stande war und umschaute, war aus den beiden Hälften ein einziger Kerl geworden, aber kein schöner, der saß auf Hänschens Stuhl.
„Platz da!“ schrie Hänschen, „hier sitze ich, marsch, oder ich halbier dich mit dem Schnitzelmesser!“
Auf einmal polterte es wieder im Schornstein, Totenbeine und Schädel prasselten herab, und noch einige Männer vom greulichsten Aussehen. „Guten Abend, meine Herren!“ sagte Hänschen; „Sie sind doch ganze Männer, das laß ich mir gefallen. Gehören vielleicht in die Familie Schön? Ach, wie schade, daß kein Spiegel im Zimmer hängt. Womit könnt ich Ihnen denn eigentlich dienen?“ Die Männer sahen Hänschen mit furchtbaren Blicken an, einer nahm die Totenbeine, es waren gerade neun, und stellte sie als Kegel auf, die andern nahmen die Schädel und rollten sie nach den Kegeln.
„Kegelschieben tu ich für mein Leben gern!“ sagte Hänschen: „erlauben Sie nicht, daß ich auch mit spiele? Spielen Sie Brettspiel oder Partens? Ums Partiegeld, wie?“
„Hast du Geld?“ fragten die Männer grimmig.
„Oui!“ sagte Hänschen, und fuhr in die Tasche und klimperte.
„Nun so schieb an!“ schrie einer der Männer, und reichte ihm einen Totenschädel dar.
„Mit Verlaub, das ist eine eckige Kugel. Gebt her, da hab ich eine Drehbank stehen, wollen sie hübsch rund drehen, damit wir gut alle neun treffen.“ Sprach’s und setzte sich, und drehte die Schädel rund. Dann ging das Spiel an, Hänschen schob gut, aber die Männer schoben noch besser, Hänschen verlor etwas, und das Spiel fing wieder an, Hänschen schob und rief freudig: „Alle neun!“ – „Nein, zwölf!“ riefen die Männer mit dumpfen Ton, und verschwanden mit Knochen und Schädeln, und die alte Uhr auf dem Schloßturm schlug zwölf. „Nun so was!“ rief Hänschen. „Ist das auch eine Manier? Erst locken sie mir mein bißchen Geld ab, und nun ich gut schiebe, machen sie sich aus dem Staube.“ Darauf legte er sich wieder in das Bett, das heute ganz ruhig blieb, und schlief bis an den hellen Morgen.
„Heute wird er wohl nicht mehr am Leben sein“, sprach der König, als er auf Hänschens Zimmer zuging, ich höre ihn nicht wie gestern schnarchen, wird wohl aus sein mit ihm.“ Aber Hänschen ermunterte sich sehr schnell, und sprach: „Wünsche wohl geruht zu haben, Majestät!“ – „Gleichfalls, danke schön!“ antwortete der König. „Wie ging es diese Nacht?“ „Recht hübsch, danke der gütigen Nachfrage, Herr König!“ antwortete Hänschen. „Es war eine Sorte Schlotfeger da, sie kamen zum Schornstein heruntergefahren und wir haben mit Totenbeinen gekegelt.“ Dem König schauerte die Haut, und er sagte: „Aber das ist ja ganz gruselig!“ – „Was denn, Herr König?“ fragte Hänschen. „Das – eben!“ erwiderte der König. „Nun Glück zu, zur dritten Nacht!“
“ ’s ist doch recht fatal, daß ich nimmermehr das Gruseln lerne!“ sprach Hänschen zu sich selbst, als die dritte Nacht herbei kam. Auf einmal entstand ein großer Rumor, sechs Männer traten in das Zimmer, die trugen eine Totenlade auf der Bahre, stellten sie vor Hänschen hin und verschwanden. Hänschen dachte: „Wer mag da drinnen liegen?“ und öffnete den Sarg. Da lag einer drin, der war steif und eiskalt. „Ach den friert, er ist ganz steif vor Frost“, sagte Hänschen, „den muß ich wärmen!“ hob den Toten aus dem Sarge, und trug ihn an sein Feuer, aber er blieb kalt. „Der muß ins Bette, da wird er schon erwärmen“, und nahm ihn und legte ihn ins Bette, und sich dazu. Nach einer Weile wurde der Tote warm und wachte auf, und machte sich breit und sagte: „Wer hat dir geheißen mich in meiner Ruhe stören? Jetzt sollst du sterben!“ „Ist das eilig?“ fragte Hänschen, packte jenen rasch an, warf ihn in die Totenlade, den Deckel darauf, und schraubte denselben schnell zu. Da kamen gleich die sechs Männer wieder, die hoben den Sargkasten auf und trugen ihn fort.
Bald darauf trat ein greulicher Riese herein, mit großem langem Bart, der schrie: „Wurm, jetzt mußt du sterben! Du mußt mit mir!“ „Ich gehe nicht mit dir!“ sagte Hänschen. „Es pressiert mir nicht; ich habe noch zu tun, wie du siehst!“ und setzte sich an die Drehbank, und trat das Rad, und drehte die Spindel, und hielt den Meißel an das Werkholz. Der Riese bog sich über das Rad her, und wollte Hänschen fassen. Mit einem Male schrie er aber laut: „Au! au! mein Bart, mein Bart!“ Es war das Ende des Bartes zwischen die Darmsaite, die das Rad umschwingen half, gekommen, und hatte sich durch das schnelle Drehen fest gewickelt, und zog nun den ganzen Kopf nach sich, und Hänschen trat frisch darauf los, und sagte; „Kerl, hab Acht, jetzt drehe ich dir deine große Nase ab, und drehe dir die Augen aus, und drehe aus deinem dicken Kopf eine Kegelkugel, so wahr ich Hänschen heiße!“ Da gab der Riese die besten Worte, Hänschen solle ihn gehen lassen, er wolle ihm auch die drei Kisten voll Gold zeigen, eine sei dem König, die zweite sei den Armen bestimmt, die dritte wolle er ihm schenken. „Nun wohl“, sagte Hänschen, „gib das Ding her, aber bis ich’s habe, bleibst du in den Bock gespannt, und trägst die Drehbank auf den Schultern.“
Das war ein sehr unbequemes Tragen, die Bank auf den Schultern, und den Bart ins Rad verflochten, das zog. Der Riese ging nun in ein andres Zimmer voran und zeigte Hänschen die Kisten voll Gold. Indem schlug es zwölfe, und da verschwand er, und die Drehbank stand ohne Träger. Hänschen war es, als ob die Kisten auch Miene machten zu verschwinden, da rief er: „Halt, halt!“ und faßte sie und hielt sie fest, und zog sie hinüber in sein Zimmer, worauf er sich schlafen legte, wieder ohne Gruseln.
Am andern Morgen kam der König, und fragte: „Nun, diese Nacht war dir’s doch ganz gewiß recht gruselig?“
„Wie so denn, Herr König?“ fragte Hänschen. „Ich habe eine Kiste voll Gold geschenkt bekommen, auch eine für Euch, und eine für die Armen. Muß es einem gruselig werden, wenn man Gold geschenkt bekommt?“
„Du hast Großes vollbrachtl“ sprach der König. „Durch deine Furchtlosigkeit hast du das Schloß von den Poltergeistern befreit, und den verzauberten Schatz an das Licht gezwungen. Du sollst auch deinen Lohn haben, und meine Tochter heiraten!“
„Obligiert, Herr König!“ sagte Hänschen, „es ist aber doch schade, daß ich heiraten soll, und bin noch so dumm, daß ich noch nicht das Gruseln gelernt habe.“
„O mein lieber Sohn und Schwiegersohn!“ erwiderte der König. „Heirate du nur, da wird sich alles finden. Es hat schon mancher das auch nicht gekonnt, und hat geheiratet, und da ist er außerordentlich gruselig geworden, und hat die Gänsehaut nicht wieder los werden können.“
„Selbige Hoffnung freut mich, Herr König!“ rief Hänschen vergnügt aus.
Bald war herrliche Hochzeit, Hänschen war sehr glücklich, sehr reich, und hatte eine wunderschöne Frau, doch sagte er: „Weiß nicht, wie lange es noch dauern soll, bis ich’s Gruseln lerne.“
Nun warte Hänschen! Dich soll es doch noch gruseln, sprach zu sich selbst die junge Königin, Hänschens Gemahlin, ließ einen Eimer Wasser mit kleinen Gründlingen und Elritzen herbeischaffen, und da Hänschen schlief, nahm sie ihm die Bettdecke weg, und schüttete den Eimer voll Wasser und Fischlein über Hänschen her. „Brrr!“ fuhr er auf und schnapperte vor Kälte. „Mir träumte, ich wäre in den Fisch teich gefallen – brrr! Es gruselt mich, es gruselt mich! Hab eine Gänsehaut, wie ein Reibeisen! Siehst du, liebe Frau? Endlich nun – nun kann ich das Gruseln, nun kann ich das Gruseln.“
„Du siehst aus, wie einer, der was lernen möcht!“ schalt der Vater auf Hänschen. „Zeit wär’s freilich, du wirst ein großer starker Lümmel – aber mit dem Gruselnlernen, du Hans Dampf, da ist’s nichts, das ist keine Kunst, damit verdienst du kein Körnlein Salz zum lieben Brote. Und weißt du denn auch, wie man das Gruseln lernt? Was gilt die Wette, daß du auch dazu zu dumm bist?“
Während der Vater und der Bruder noch das dumme Hänschen auslachten, kam der Nachbar Küster und Schulmeister herüber zum Besuch, und hörte noch, wie das Hänschen verlacht wurde, und bekam erzählt, daß der Bube gern das Gruseln lernen wolle. „Das kann er bei mir prächtig lernen!“ sprach der Küster. „Mein Schulhaus ist das allerelendeste Nest von einem Hause im ganzen Orte, mich gruselt’s den ganzen Tag, daß mir’s über dem Kopf zusammenfällt, und einmal die hoffnungsvollen Rangen miteinander erschlägt. Gebt mir das Hänschen herüber, ich muß ja so manchem Dummbart Wissenschaften beibringen, werd ihm doch wohl auch das Gruseln anlehren können!“ Der Vater war den Vorschlag zufrieden und das Hänschen folgte dem Küster hinüber in das alte wackelige Schulhaus. Ihn gruselte das aber mitnichten, es war ihm gerade so einerlei, daß das Haus der Einsturz drohte, wie es dem Schulzen und der ehrsamen Gemeinde einerlei war.
Nun sann der Küster auf ein andres Stücklein, das dem Hänschen auf alle Fälle das Gruseln beibringen sollte. Er hieß ihn die Abendglocke läuten, schlüpfte aber noch vor ihm heimlich hinauf in die Glockenstube, und als Hänschen zur Treppe hinauf war und den Strang zur Abendglocke faßte, hörte er von der Treppe her einen dumpfen stöhnenden Laut. Wie er sich umsah, stand dort eine große weiße Schleiergestalt starr und unbeweglich. „Wer bist du? Was willst du?“ fragte Hänschen, ohne daß ihn nur im mindesten gegruselt hätte. Keine Antwort. „Ich frage dich, wer du bist?“ rief Hänschen mit stärkerer Stimme. Keine Antwort. „Hast du kein Maul, Schneemann? noch einmal: was willst du?“ Keine Antwort. Mein Hänschen, nicht faul, springt mit einem Satz auf die Gestalt los, wie der Kasper im Puppenspiel auf den Teufel und rennt sie, die sich solcher Herzhaftigkeit nicht versah, pardauz! über den Haufen, daß sie ein ganz Stück die Stiegen hinunter kollert, und was für Stiegen? Stiegen von so einziger Art, wie sie nur auf alten Dorfkirchtürmen anzutreffen sind, ausgetreten, verrottet, eng, voll jahrhundertalten Staubes. Drunten lag das Gespenst und ächzte und krächzte, Hänschen aber läutete zum Abendgebet, und schwang gar wacker den Glockenstrang, als wäre eben nichts vorgefallen; dann kletterte er wohlgemut die Stiege hinab, und ging aus dem Turme, dessen Türe er hinter sich zu schloß. Die Küsterin wußte gar nicht, wo ihr Mann blieb. „Wo ist denn Er?“ fragte sie Hänschen. „Wer?“ fragte Hänschen. „Er!“ sagte die Küsterin. „Er ist ja vor dir hinüber auf den Turm.“ „So“, sagte Hänschen: „ist er das gewesen? Es stand ein weißer Labutzel an der Treppe, der wollte mir nicht Red und Antwort geben, da hab ich ihn die Treppe hinab gestoßen, er liegt noch drüben und krächzt.“ – „Galgenstrick!“ schrie die Küsterin, riß Hänschen den Schlüssel aus der Hand, und sprang auf den Turm, da lag ihr Mann in seinem Betttuch, und hatte ein Bein gebrochen.
Jetzt erging es Hänschen gar nicht gut; die Küsterin verklagte ihn bei seinem Vater, und der wurde ganz wild, und schrie: „Ein Taugenichts ist der Junge, aus den Augen soll er mir! Fort marsch! Hier ist Geld – geh, laß dich henken wo du willst – mir kommst du nimmermehr vor die Augen. Schimpf und Schande und Schaden hat man von dir, du Nichtsnutz!“
„Geh mit Gott, Hänschen!“ spottete Matthes; „sorge fein, daß du das Gruseln lernest, das Gruseln soll jetzt Mode sein, und den Menschen draußen in der Welt gruselt’s vor allerhand, da wirst du schon vom Gruseln auch deinen Teil bekommen!“
Hänschen ging, er hatte Geld, und wenn einer Geld hat, braucht’s ihn erst recht nicht zu gruseln. Unterwegs sprach er öfter vor sich hin: „Wenn mich doch nur gruselte, wenn mich doch nur gruselte!“ Das hörte ein Mann, der hinter Hänschen kam, und sprach zu ihm: „Schau dorthin – dort steht der Dreibein, da hängt eine schöne Gesellschaft dran – gerade ihrer sieben, was man so sagt: ein Galgen voll. Dort nimm unter den sieben dein Nachtlager, da lernst du das Gruseln.“
„Wenn das wahr wäre“, sprach Hänschen, „so wollt ich dir morgen früh all mein Geld geben. Kannst zu mir kommen und es holen, oder du kannst ja auch gleich bei mir bleiben!“
„Daß ich ein Narr wäre und unterm lichten Galgen bei dir bliebe!“ antwortete jener. „Nein, mein guter Gesell, das Gruseln lernt sich viel besser, wenn einer allein, als wenn er zu zweien ist. Gute Nacht – auf Wiedersehen morgen in der Frühe!“ Hänschen setzte sich unter den Galgen, machte sich, weil es kalt war, ein Feuerchen an, das schien hübsch hell hinauf zu den Gehenkten, und der scharfe Nachtwind bewegte ihre schlotternden Körper hin und her, hin und her.
„Ei, ihr gar armen Teufel!“ rief Hänschen hinauf. „Euch friert ja, daß ihr schnappert und klappert. Wartet ich will euch herunter holen, sollt euch wärmen an meinem Feuer.“ Und Hänschen, nicht faul, fand eine Galgenleiter, stieg hinauf, knüpfte die Gehenkten los und setzte sie an sein Feuer, das er nun stärker und größer machte. Jene aber schauten gottserbärmlich aus, grün, gelb und jämmerlich, blitzblau, abscheulich, wie das Sprichwort sagt, und regten und rührten sich nicht; das Feuer fraß um sich, und begann die Lumpen und Fetzen anzukohlen, welche um die toten Leichname herum hingen. „Na?“ sagte Hänschen, „laßt ihr ja eure Kleider verbrennen! Da heißt’s recht bei euch: gleiche Lumpen, gleiche Lappen! Wartet – ich will euch helfen so unachtsam sein!“ Nahm sie, einen nach dem andern und hing sie wieder hinauf, hüllte sich in seinen Mantel, streckte sich an sein Feuer und schlief ein. So fand ihn der Mann, mit dem er gestern gegangen, und der heute kam, das Geld zu holen. Da er aber Hänschen so ruhig schlafen sah, wuchs ihm wenig Hoffnung, daß es das Gruseln über Nacht gelernt haben möchte, und als Hänschen nun aufwachte, und ihm erzählte, was er vorgenommen habe, da wandte sich der Mann zum Gehen und sprach: „Dein Geld hab ich das Mal nicht verdient, du lernst das Gruseln nimmermehr.“
Wie Hänschen nun auch weiter und seines Weges ging, sprach er vor sich hin: “ ’s ist doch alleweil schade, daß ich das Gruseln nicht erlernen kann, muß wohl zu dumm dazu sein. Ei, ei – wenn ich doch nur das Gruseln könnte.“
Das hörte ein Fuhrmann, der desselben Weges daher schritt, der sprach zu Hänschen: „Ei, kannst du das Gruseln nicht? Da kehre nur dort in dem Wirtshaus am Weg ein, wenn du nämlich Geld hast, der Wirt macht hautschaudrige Zechen, mich hat’s noch jedesmal überlaufen, wenn ich hab in dessen Haus einkehren müssen.“ „Das wollen wir sehen!“ sprach Hänschen, dankte dem Fuhrmann und schritt auf dasselbige Wirtshaus zu.
„Was schaffens?“ fragte der Wirt. „Möchts Gruseln lernen“, antwortete Hänschen. „Die Leute auf der Landstraße sagen, bei Euch wär’s leicht zu lernen. Ihr machtet so grusliche Rechnungen und führt eine so grusliche Kreide!“ „Warte Lecker!“ dachte der Wirt, „dir will ich wohl was lehren, daß dich das Gruseln ankommt!“, und zu Hänschen sprach er: „Mein lieber Wandergesell, Ihr seid mit Unwahrheit berichtet worden; in meinem Hause kann man das Gruseln keineswegs lernen, und ich bediene meine Gäste nicht so, wie Euch irgendein Schalksnarr erzählt und vorgelogen hat. Ist’s Euch um Gruseln zu tun, so geht dort hinauf auf das alte verwünschte Schloß da droben und seht zu, daß Ihr die Königstochter zur Frau bekommt, die ihr Vater dem versprochen hat, der das Schloß von seinen Poltergeistern befreit; da gibt’s was zu gruseln und reich zu werden.“
„Ich will so tun, wie Ihr mir ratet“, sagte Hänschen, und der Wirt sprach wieder: „Damit, daß Ihr hinauf geht, ist’s noch nicht getan. Erst müßt Ihr beim König um Erlaubnis bitten, und müßt drei Nächte lang droben bleiben. Kommt Ihr mit dem Leben davon, so ist die Prinzessin Eure Frau.“
„Und wenn ich nicht mit dem Leben davon komme, was dann?“ fragte Hänschen – und der Wirt lachte ihm ins Gesicht, und sprach: „Ich merke schon, Ihr seid ein Schlaukopf, Ihr hättet sicher das Pulver erfunden, wenn’s noch nicht erfunden wär!“
Und Hänschen ging eilend zu dem König, bat um die Erlaubnis und erhielt sie, auch sprach der König: „Mein Sohn, du darfst dir auch dreierlei mitnehmen, aber nur nichts Lebendiges.“ Nun hatte Hänschen schon in seiner Jugend immer gar zu gern Feuer angemacht, an der Schnitzelbank gesessen und auch bisweilen an der Drehbank, und verstand mit solchen Dingen umzugehen. Darum begehrte er weiter nichts mit auf das Schloß zu nehmen, als ein gutes Feuerzeug, eine Schnitzelbank und eine Drehbank, „damit mich nicht friert“, sagte er: „und ich mir die Zeit vertreiben kann.“ Das ward dem Hänschen gern gegeben, und er schlug seinen Sitz in einem hübschen Zimmer mit großem Kamin im alten Schloß auf. Als es Nacht wurde, machte Hänschen ein helles Feuer an, das wärmte und leuchtete sehr schön. Auf einmal kamen zwei kohlschwarze Katzen, die hatten Augen wie von grünem Feuer, und schrien: „Miau, miau, uns friert!“ „Ei wenn euch friert, so wärmt euch doch; hier ist ein Feuer!“ sprach Hänschen. Das taten die Katzen auch, dann sagten sie, „die Zeit wird uns zu lang, wir wollen zu dritt Karte spielen, Dreiblatt oder Pochens.“ „Meinetwegen Pochens“, sagte Hänschen, „wenn ihr Karten mitgebracht habt.“ Die Katzen hatten wirklich ein Kartenspiel, und zeigten es Hänschen und da sah Hänschen, daß sie fürchterliche Krallen an ihren schwarzen Pfoten hatten, und sagte: „Mit Verlaub, eure Frau Mutter hat euch die Nägel recht lange nicht geschnitten, schämt euch was, kommt, ich will sie euch putzen!“ und packte die Katzen und klemmte ihnen die Pfoten in die Drehbank. Da bissen sie nach ihm und so nahm er sein Schnitzmesser und schnitzte ihnen die Köpfe ab, und warf Katzenköpfe und Leiber aus dem Fenster in den Schloßgraben. Als er wieder zum Feuer kam, saß ein großer Hund dort und bleckte ihm die Zähne und hatte eine feurige Zunge armslang zum Halse heraushängen. Dies gefiel Hänschen wieder nicht, er nahm abermals sein Schnitzmesser und hieb damit dem Hund gerade zwischen die Zähne in den Rachen, da fiel die Zunge herunter und der obere Kopf nahm Abschied von seinem Unterteil. Nun meinte Hänschen Ruhe zu haben und wollte sie auch genießen; in der Ecke stand ein Bett, da legte er sich hinein und deckte sich zu. Er war aber noch nicht eingeschlafen, da fing das Bett an zu fahren wie ein Dampfwagen, und fuhr im ganzen Schloß herum, Trepp auf, Trepp ab, durch Säle und Zimmer – aber Hänschen sagte: „Schau, nun spür ich doch, wie’s tut, wenn die großen Herren fahren. Fahre du nur immer zu.“ Endlich mochte das Bett des Fahrens müde sein, es rollte wieder in Hänschens Zimmer, wo das Feuer noch lustig brannte, da stand es still, und Hänschen schlief ein und schlief wie ein Toter.
Am andern Morgen stand der König an seinem Bett, und sagte: „Na das heiß ich einen gesunden Schlaf, wenn ich den hätte! So gut schläft kein König. Freut mich daß der Junge noch lebt und schnarcht. Heda! Hänschen!“ „Schön guten Morgen Herr König! Schon so frühe?“ fragte Hänschen. „Wünsche wohl geruht zu haben!“ sprach der König. „Danke, gleichfalls!“ sprach Hänschen. „Kannst auf meine Rechnung drunten beim Wirt frühstücken und zu Mittag essen, aber abends bist du wieder hier oben, magst du?“ sprach und fragte der König. „Ei freilich wohl“, sagte Hänschen; „drei Nächte müssen’s sein.“
Wie Hänschen zum Wirte kam, wunderte der sich sehr und fragte: „Nun? noch lebendig? Aber das Gruseln wird man doch gelernt haben in heutiger Nacht?“ „Nicht rühran!“ erwiderte Hänschen. Da fing es dem Wirt selber an, vor Hänschen über und über zu gruseln. Hänschen ließ sich’s wohl sein auf des Königs Rechnung und sorgte sich nicht um diese, und als es Abend wurde, war er schon wieder oben im Spukschloß, und machte sich sein Feuer an. Auf einmal prasselte es droben im Schornstein, als breche alles in tausend Trümmer und da kam ein Kerl herunter gefahren, der war aber nur halb. „Na“, sagte Hänschen, „was soll denn das sein? Da fehlt ja noch eine Halbschied, anderthalb Mann sind doch noch keine Gesellschaft.“ Kaum hatte Hänschen das gesagt, bautz! kam die andre Hälfte nachgefallen, mitten in das Feuer. Hänschen nahm die beiden Hälften, warf sie aus dem Kamin in die Stube, und brachte sein Feuer wieder in Ordnung. Wie er damit zu Stande war und umschaute, war aus den beiden Hälften ein einziger Kerl geworden, aber kein schöner, der saß auf Hänschens Stuhl.
„Platz da!“ schrie Hänschen, „hier sitze ich, marsch, oder ich halbier dich mit dem Schnitzelmesser!“
Auf einmal polterte es wieder im Schornstein, Totenbeine und Schädel prasselten herab, und noch einige Männer vom greulichsten Aussehen. „Guten Abend, meine Herren!“ sagte Hänschen; „Sie sind doch ganze Männer, das laß ich mir gefallen. Gehören vielleicht in die Familie Schön? Ach, wie schade, daß kein Spiegel im Zimmer hängt. Womit könnt ich Ihnen denn eigentlich dienen?“ Die Männer sahen Hänschen mit furchtbaren Blicken an, einer nahm die Totenbeine, es waren gerade neun, und stellte sie als Kegel auf, die andern nahmen die Schädel und rollten sie nach den Kegeln.
„Kegelschieben tu ich für mein Leben gern!“ sagte Hänschen: „erlauben Sie nicht, daß ich auch mit spiele? Spielen Sie Brettspiel oder Partens? Ums Partiegeld, wie?“
„Hast du Geld?“ fragten die Männer grimmig.
„Oui!“ sagte Hänschen, und fuhr in die Tasche und klimperte.
„Nun so schieb an!“ schrie einer der Männer, und reichte ihm einen Totenschädel dar.
„Mit Verlaub, das ist eine eckige Kugel. Gebt her, da hab ich eine Drehbank stehen, wollen sie hübsch rund drehen, damit wir gut alle neun treffen.“ Sprach’s und setzte sich, und drehte die Schädel rund. Dann ging das Spiel an, Hänschen schob gut, aber die Männer schoben noch besser, Hänschen verlor etwas, und das Spiel fing wieder an, Hänschen schob und rief freudig: „Alle neun!“ – „Nein, zwölf!“ riefen die Männer mit dumpfen Ton, und verschwanden mit Knochen und Schädeln, und die alte Uhr auf dem Schloßturm schlug zwölf. „Nun so was!“ rief Hänschen. „Ist das auch eine Manier? Erst locken sie mir mein bißchen Geld ab, und nun ich gut schiebe, machen sie sich aus dem Staube.“ Darauf legte er sich wieder in das Bett, das heute ganz ruhig blieb, und schlief bis an den hellen Morgen.
„Heute wird er wohl nicht mehr am Leben sein“, sprach der König, als er auf Hänschens Zimmer zuging, ich höre ihn nicht wie gestern schnarchen, wird wohl aus sein mit ihm.“ Aber Hänschen ermunterte sich sehr schnell, und sprach: „Wünsche wohl geruht zu haben, Majestät!“ – „Gleichfalls, danke schön!“ antwortete der König. „Wie ging es diese Nacht?“ „Recht hübsch, danke der gütigen Nachfrage, Herr König!“ antwortete Hänschen. „Es war eine Sorte Schlotfeger da, sie kamen zum Schornstein heruntergefahren und wir haben mit Totenbeinen gekegelt.“ Dem König schauerte die Haut, und er sagte: „Aber das ist ja ganz gruselig!“ – „Was denn, Herr König?“ fragte Hänschen. „Das – eben!“ erwiderte der König. „Nun Glück zu, zur dritten Nacht!“
“ ’s ist doch recht fatal, daß ich nimmermehr das Gruseln lerne!“ sprach Hänschen zu sich selbst, als die dritte Nacht herbei kam. Auf einmal entstand ein großer Rumor, sechs Männer traten in das Zimmer, die trugen eine Totenlade auf der Bahre, stellten sie vor Hänschen hin und verschwanden. Hänschen dachte: „Wer mag da drinnen liegen?“ und öffnete den Sarg. Da lag einer drin, der war steif und eiskalt. „Ach den friert, er ist ganz steif vor Frost“, sagte Hänschen, „den muß ich wärmen!“ hob den Toten aus dem Sarge, und trug ihn an sein Feuer, aber er blieb kalt. „Der muß ins Bette, da wird er schon erwärmen“, und nahm ihn und legte ihn ins Bette, und sich dazu. Nach einer Weile wurde der Tote warm und wachte auf, und machte sich breit und sagte: „Wer hat dir geheißen mich in meiner Ruhe stören? Jetzt sollst du sterben!“ „Ist das eilig?“ fragte Hänschen, packte jenen rasch an, warf ihn in die Totenlade, den Deckel darauf, und schraubte denselben schnell zu. Da kamen gleich die sechs Männer wieder, die hoben den Sargkasten auf und trugen ihn fort.
Bald darauf trat ein greulicher Riese herein, mit großem langem Bart, der schrie: „Wurm, jetzt mußt du sterben! Du mußt mit mir!“ „Ich gehe nicht mit dir!“ sagte Hänschen. „Es pressiert mir nicht; ich habe noch zu tun, wie du siehst!“ und setzte sich an die Drehbank, und trat das Rad, und drehte die Spindel, und hielt den Meißel an das Werkholz. Der Riese bog sich über das Rad her, und wollte Hänschen fassen. Mit einem Male schrie er aber laut: „Au! au! mein Bart, mein Bart!“ Es war das Ende des Bartes zwischen die Darmsaite, die das Rad umschwingen half, gekommen, und hatte sich durch das schnelle Drehen fest gewickelt, und zog nun den ganzen Kopf nach sich, und Hänschen trat frisch darauf los, und sagte; „Kerl, hab Acht, jetzt drehe ich dir deine große Nase ab, und drehe dir die Augen aus, und drehe aus deinem dicken Kopf eine Kegelkugel, so wahr ich Hänschen heiße!“ Da gab der Riese die besten Worte, Hänschen solle ihn gehen lassen, er wolle ihm auch die drei Kisten voll Gold zeigen, eine sei dem König, die zweite sei den Armen bestimmt, die dritte wolle er ihm schenken. „Nun wohl“, sagte Hänschen, „gib das Ding her, aber bis ich’s habe, bleibst du in den Bock gespannt, und trägst die Drehbank auf den Schultern.“
Das war ein sehr unbequemes Tragen, die Bank auf den Schultern, und den Bart ins Rad verflochten, das zog. Der Riese ging nun in ein andres Zimmer voran und zeigte Hänschen die Kisten voll Gold. Indem schlug es zwölfe, und da verschwand er, und die Drehbank stand ohne Träger. Hänschen war es, als ob die Kisten auch Miene machten zu verschwinden, da rief er: „Halt, halt!“ und faßte sie und hielt sie fest, und zog sie hinüber in sein Zimmer, worauf er sich schlafen legte, wieder ohne Gruseln.
Am andern Morgen kam der König, und fragte: „Nun, diese Nacht war dir’s doch ganz gewiß recht gruselig?“
„Wie so denn, Herr König?“ fragte Hänschen. „Ich habe eine Kiste voll Gold geschenkt bekommen, auch eine für Euch, und eine für die Armen. Muß es einem gruselig werden, wenn man Gold geschenkt bekommt?“
„Du hast Großes vollbrachtl“ sprach der König. „Durch deine Furchtlosigkeit hast du das Schloß von den Poltergeistern befreit, und den verzauberten Schatz an das Licht gezwungen. Du sollst auch deinen Lohn haben, und meine Tochter heiraten!“
„Obligiert, Herr König!“ sagte Hänschen, „es ist aber doch schade, daß ich heiraten soll, und bin noch so dumm, daß ich noch nicht das Gruseln gelernt habe.“
„O mein lieber Sohn und Schwiegersohn!“ erwiderte der König. „Heirate du nur, da wird sich alles finden. Es hat schon mancher das auch nicht gekonnt, und hat geheiratet, und da ist er außerordentlich gruselig geworden, und hat die Gänsehaut nicht wieder los werden können.“
„Selbige Hoffnung freut mich, Herr König!“ rief Hänschen vergnügt aus.
Bald war herrliche Hochzeit, Hänschen war sehr glücklich, sehr reich, und hatte eine wunderschöne Frau, doch sagte er: „Weiß nicht, wie lange es noch dauern soll, bis ich’s Gruseln lerne.“
Nun warte Hänschen! Dich soll es doch noch gruseln, sprach zu sich selbst die junge Königin, Hänschens Gemahlin, ließ einen Eimer Wasser mit kleinen Gründlingen und Elritzen herbeischaffen, und da Hänschen schlief, nahm sie ihm die Bettdecke weg, und schüttete den Eimer voll Wasser und Fischlein über Hänschen her. „Brrr!“ fuhr er auf und schnapperte vor Kälte. „Mir träumte, ich wäre in den Fisch teich gefallen – brrr! Es gruselt mich, es gruselt mich! Hab eine Gänsehaut, wie ein Reibeisen! Siehst du, liebe Frau? Endlich nun – nun kann ich das Gruseln, nun kann ich das Gruseln.“
Quelle:
(Ludwig Bechstein 1857)