Viola, Viola, sag‘ mir auch,
Wieviel Blätter hat der Lavendelstrauch?
Sie wußte es nicht, und ganz beschämt lief sie zur Lehrerin. Die fragte: »Was hast du?« Und Viola antwortete: »Der Königssohn hat mir eine Frage vorgelegt und gesagt:
Viola, Viola, sag‘ mir auch,
Wieviel Blätter sind am Lavendelstrauch?«
»Höre, mein Kind«, antwortete die Lehrerin, »sollte er dich wieder fragen, so sprich nur:
Herr König, Herr König, sagt mir an,
Wieviel Sterne am Himmel stahn.«
So geschah es, und als der Königssohn am nächsten Morgen wieder ans Fenster trat und seine Frage that, rief Viola dagegen:
Herr König, Herr König, sagt mir an,
Wieviel Sterne am Himmel stahn.
Der Königssohn wußte nicht zu antworten und es schien ihm das eine rechte Schande zu sein. So sann er darauf, sich an Viola zu rächen. Er ging im geheimen zur Lehrerin und sagte ihr: »Wenn du mich diesen Abend unter Viola’s Bett verstecken läßt, so gebe ich dir, was du willst.« Die Lehrerin sagte Ja, und als es Nacht geworden war und Viola im tiefen Schlafe lag, nimmt der Königssohn eine lange spitze Nadel und sticht sie durch die Kissen hindurch hier und dort. Viola erwacht, wird unruhig und klagt der Lehrerin, wie sie vor Flöhen und Wanzen nicht schlafen könne. Immer wieder fragte die Lehrerin: »Viola, warum schläfst du nicht?« Und immer wieder antwortete Viola: »Ach, weil mich Floh und Wanze sticht.«
Wie sich die zwei am andern Morgen wiedersahen, rief der Königssohn herüber:
Viola, Viola, sag‘ mir auch,
Wieviel Blätter sind am Lavendelstrauch?
Und sie dagegen:
Herr König, Herr König, sagt mir an,
Wieviel Sterne am Himmel stahn.
Dann lachte jener und sagte:
Viola, warum schläfst du nicht?
Ach, weil mich Floh und Wanze sticht.
Da lief Viola zu der Lehrerin und sagte: »Ihr habt mir da einen bösen Streich gespielt, und ich mag nicht länger bei Euch bleiben.« Sie kehrt also zu ihrem Vater zurück, klagt ihm weinend ihr Leid und erzählt ihm die Geschichte vom Königssohne und dem Verrath der Lehrerin. Der Vater tröstet sie und spricht: »Sei ruhig, meine Tochter, der Königssohn soll nicht über dich triumphiren. Laß mich nur machen.« Er kauft jetzt ein wunderbares Pferd, und bei dem Goldschmiede läßt er einen Gürtel aus lauterm Golde machen. Beides bringt er zu der Tochter und sagt ihr: »Setze dich zu Pferde, nimm den Gürtel und reite am Schlosse des Königs auf und ab.« Wie sie unter den Fenstern war, wo der Prinz herausschaute, ließ sie den Gürtel in der Sonne blitzen und rief:
Wer mein Rößlein küßt unterm Schwanz,
Hat den Gürtel von Golde ganz!
Jenem stach das Gold in die Augen, er ließ sich herbei und sagte zur Reiterin: »Komm nur her, ich thue es wohl!« Und wirklich that er’s, dann aber sprengte das Mädchen spornstreichs davon und ließ den Prinzen, ohne ihm den Gürtel gegeben zu haben, zurück, ihm noch aus der Ferne zurufend:
Den Kuß, den gab der Königssohn,
Der Gürtel ward ihm nicht zum Lohn.
Am nächsten Morgen schickte der Vater sie wieder zur Lehrerin. Doch kaum zeigte sie sich am Fenster, als auch der Königssohn drüben heraussah. Er grüßte sie und sprach: »Wie geht’s der Viola? Es ist lange, daß ich sie nicht gesehen habe. Nun soll sie mir auch Red‘ und Antwort stehen:
Viola, Viola, sag‘ mir auch,
Wieviel Blätter hat der Lavendelstrauch?«
Sie war schnell mit der Gegenfrage bereit:
Herr König, Herr König, sagt mir an,
Wieviel Sterne am Himmel stahn.
Da höhnte er sie aufs neue und sprach:
Viola, warum schläfst du nicht?
Ach, weil mich Floh und Wanze sticht.
Doch schnell gab sie ihm zurück:
Den Kuß, den gab der Königssohn,
Der Gürtel ward ihm nicht zum Lohn.
Da zog sich der Königssohn beschämt zurück und dachte nach, wie er der Viola einen neuen Tort anthun könne. Er kleidete sich als Fischer, nahm einen Korb voll Fische und rief durch die Straße: »O, welch schöne Fische! O, welch schöne Fische!« Viola fragte, was er für die Fische wolle, und er rief hinauf: »Meine Fische sind für Geld nicht feil, aber für einen Kuß mögt ihr sie wol haben!« Viola verwunderte sich wol, daß man Fische um Küsse verkaufe, und glaubte, er scherze nur. »Ich scherze nicht«, sagte er, und dann:
Für einen Kuß, o Mägdelein,
Sind alle meine Fische dein.
Viola dachte, auf einen Kuß soll mir’s nicht ankommen, ging hinab und gab ihm den Kuß, worauf er mit seinen Fischen davonlief. Am andern Morgen begann das Spiel aufs neue. Frage hier, Antwort da. Als aber Viola gesagt hatte:
Den Kuß, den gab der Königssohn,
Der Gürtel ward ihm nicht zum Lohn –
antwortete jener:
Am Kusse hab‘ ich mich gelabt,
Die Fischlein hast du nicht gehabt.
Viola ging ärgerlich zu ihrem Vater, erzählte ihm alles, und der beschloß, sie nicht mehr zur Lehrerin zu schicken. Der Königssohn mochte jetzt hinüberblicken so oft er wollte, Viola erschien nicht mehr am Fenster. Da wurde er vor Kummer ganz krank. Wie sein Vater, der König, zu ihm kam, bat er ihn und sprach: »Ach Vater, Vater, ich bin so krank, ich bitte Euch, laßt die Aerzte kommen, ob sie mich wol gesund machen.« Die Aerzte kamen, aber keiner wußte, was dem Königssohn fehle, und die Krankheit wurde immer schlimmer und schlimmer. Da ließ der König Botschaft in alle Lande tragen und alle Aerzte der Welt auffordern, seinen Sohn zu heilen. Das hörte auch Viola, kleidete sich alsbald wie ein fremder Arzt und ging in das Schloß. Sie wurde vor den König geführt und sprach: »Herr König, ich bin gekommen, Euern kranken Sohn gesund zu machen. Wo ist er?« Der König führte sie in die Kammer des Königssohnes, und sie sprach: »Höret, was ich Euch sage. Laßt alle Fensterläden schließen, und ich verschließe die Thür von innen, denn nur im Finstern kann ich ihn besuchen. Hört Ihr dann Stimmen, so ist das ein Zeichen von Besserung, und Ihr braucht nicht etwa herbeizulaufen.« Der König that alles, was ihm dieser Arzt sagte, denn er hoffte, seinen Sohn zu retten. Kaum war Viola allein, so lief sie durch die Kammer des Kranken, rasselte mit Ketten und rief:
Es kommt der Tod, das Klapperbein,
O Königssohn, du bist jetzt sein.
Das wiederholte sie vielemal, und der arme Königssohn fing an aus Angst zu schwitzen. Nun ging sie fort, trat vor den König und sprach: »Euer Sohn ist geheilt. Morgen in der Frühe aber setzt ihn an das Fenster, dem gegenüber wohnt ein schönes Mädchen, Viola, das liebt er über die maßen, so hat er mir gebeichtet, und hat er es gesehen, so wird er ganz genesen sein.« Der König versprach, die Vorschriften des Arztes zu erfüllen, denn er hatte seinen Sohn zu lieb.
Andern Tages war Viola bei der Lehrerin, und da saß auch schon der Königssohn und fragte: »Viola, bist du endlich wieder da?« Sie sagte, daß sie mit ihrem Vater eine Reise gemacht habe, und fragte ihn, wie es ihm gehe. Er seufzte und that sofort seine alten Fragen wieder, und Viola blieb ihm keine Antwort schuldig. Kaum hatte er diesmal gesagt:
Am Kusse hab‘ ich mich gelabt,
Die Fischlein hast du nicht gehabt –
antwortete Viola schon:
Es kommt der Tod, das Klapperbein,
O Königssohn, du bist jetzt sein!
Das hatte auch der König gehört, er ließ das Mädchen zu sich kommen, und sie mußte ihm ihre Geschichte erzählen, und wie er diese wußte, ließ er sie wieder nach Hause. Da fing der Sohn an zu klagen und zu weinen, er wolle Viola zur Frau, und klagte so lange, bis der König und die Königin sich entschlossen, zu Viola’s Vater zu gehen und ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Der Vater war bereit, sagte aber, daß er zuvor noch mit seiner Tochter sprechen müsse, und die verlangte vierzig Tage Zeit. In dieser Zeit formte sie aus einer mächtig großen Flasche, aus Mehl und Honig eine Puppe, so groß wie sie selber und ihr ähnlich. Darauf wurde die Hochzeit gefeiert.
In der Nacht, wo sie sich schlafen legen wollten, legte sie an ihrer Statt die Puppe ins Bett, band einen Faden daran, dessen Ende sie in der Hand hielt, und trat hinter die Thür. Wie der Königssohn hereintrat, begann er: »Viola, gedenkst du des Tages, da ich dich fragte:
Viola, Viola, sag‘ mir auch,
Wieviel Blätter hat der Lavendelstrauch?«
Die Puppe nickte mit dem Kopfe.
»Denkst du weiter daran, wie ich dir die Fische um einen Kuß verkaufen wollte?«
Wieder neigte die Puppe ihr Haupt.
»Erinnerst du dich daran, wie du mich mit dem Tode genarrt? Ja? Nun so frage ich dich, thut es dir leid, daß du mir solches gethan?«
Jetzt schüttelte die Puppe mit dem Kopfe. Kaum sah er dies, so zog er sein Schwert und gab ihr einen Hieb in den Hals. Die Flasche brach und der Honig floß heraus. Er leckt das Schwert ab und ruft verwundert: »Ei, wie süß ist das Blut meiner Frau! Und eine so süße Frau hab‘ ich umgebracht? Ach, so will ich mich auch umbringen!« Er zückt das Schwert gegen seine Brust … da tritt Viola hinter der Thür hervor und ruft: »Halt! Ich lebe! Ich lebe!« Sie umarmten und küßten sich.
Die Puppe aus Zucker und Honig, schau,
Aßen sie auf als Mann und Frau.
[Italien: Waldemar Kaden: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen]