Es war einmal ein Mann, der hatte drei Töchter. In ihrem Dorf wurde eine Versammlung abgehalten, und man warf das Los. Es traf den Vater, und er mußte daher unter die Soldaten gehn. Er kam nach Hause und sagte: »Liebe Töchter, das Los hat mich dazu bestimmt, Soldat zu werden!« Da sprach die älteste Tochter: »Väterchen, erlaube mir, für dich unter die Soldaten zu gehn!« – »Was denkst du dir, Töchterchen? Kannst du denn als Soldat dienen?« – »Ach, Väterchen, es wird schon gehn!« Und sie nahm das Gewehr, den Tornister und den Mantel mit und wanderte fort. Und wie sie so ihres Weges ging, kam ihr ein Hase entgegen. Da erschrak sie und kehrte heim.
Nun sprach die zweite Tochter: »Väterchen, laß mich für dich in den Dienst ziehen!« Sie zog die Stiefel und die Kleider an, schnallte den Tornister um und ging fort. Da kam ihr aber ein Wolf entgegen. Sie erschrak und kehrte um.
Dann sagte jedoch die dritte Tochter: »Väterchen, laß mich für dich dienen gehn!« – »Die beiden Ältesten haben es versucht und Furcht gehabt, da wirst du dich ganz und gar in Schrecken jagen lassen!« – »Macht nichts, Väterchen; vielleicht erschreck ich mich auch nicht!« Sie nahm die Flinte, den Ranzen und den Mantel mit und wanderte fort. Da kam ihr ein Bär entgegen. Sie lud das Gewehr, gab Feuer und schoß ihm einen Finger ab, wickelte ihn in ein Tuch und steckte ihn in die Tasche. Dann zog sie für den Vater in den Dienst.
So viele Jahre sie auch diente, immer lebte sie mit den Kameraden in Eintracht, und niemand kam darauf, daß sie ein Weib war. Eines Tages aber marschierten sie in ein Dorf und bezogen ihre Quartiere. Da sprach die Hausfrau zu einem der Kameraden: »Hör mal, Soldat! das ist doch wohl ein Frauenzimmer, das da mit dir zusammen dient?« – »Nein«, antwortete der Soldat, »es ist ein Mann.« – »Wir wollen sie auf die Probe stellen«, sagte die Wirtin, »nimm mal ein wenig Heu und steck es ihr ins Bett; unter einem Frauenzimmer wird es schwarz, aber unter euch bleibt es grün.« So tat der Soldat, und dann legten sie sich schlafen. Früh am Morgen stand die Tochter auf und kehrte ihr Heu um. Der Soldat aber sagte zur Hausfrau: »Nichts ist dabei herausgekommen, das Heu ist bei ihr genau so wie bei mir!« – »Na, dann wart nur, wir wollen die Badstube heizen. Geht beide zusammen ins Bad!« Und sie schickte die beiden in das Bad. Als sie hineingegangen waren, zog sich der Soldat aus, aber die Tochter sagte zu ihm: »Ach, wir haben ja die Seife vergessen! Lauf und hole sie!« Der Soldat ging ins Quartier und kam mit der Seife zurück, da war sein Kamerad aber schon fertig mit Baden. »He, Bruder! Ich hab lange auf dich gewartet und derweil schon gebadet!« Der Soldat kam zurück und sagte: »Ach, Wirtin, während ich nach der Seife lief, hat er sich schon fertig gebadet!«
Danach bekamen die Soldaten ihren Abschied, und die Tochter wanderte in die Heimat zurück. Sie kam nach Hause; der Vater begrüßte sie und war sehr froh: »He, Mütterchen! wie ist dir der Dienst bekommen?« – »Gut, Väterchen!« – »Wie bist du denn beim Regiment angelangt?« fragte er. »Ich ging so meines Weges, und da kam mir ein Bär entgegen, dem hab ich einen Finger abgeschossen. Hier ist er!« Da sprach der Vater: »Das ist mein Finger!« Also hatte er sich in einen Bären verwandelt und sie erschreckt.
Die Tochter saß nun daheim, plauderte mit dem Vater und erzählte ihm vom Dienst; ihr Kamerad aber, der mit ihr zusammen im Dienst gewesen war, hatte sich in eine Katze verwandelt, stand unter dem Fenster und miaute. Da sagte der Vater: »Meine Liebe, mach auf das Fenster und laß die Katze herein!« Die Tochter öffnete das Fenster; die Katze aber packte die Tochter, nahm sie auf den Rücken und trug sie davon. Und als die Katze das Mädchen über die Oka trug, zog es einen Ring vom Finger, warf ihn in den Fluß und sprach: »Wird mein Ring einst mit grünem Gras bewachsen, dann will ich die Schwiegereltern kennen, dich aber meinen Gatten nennen.«
Und er heiratete sie, und sie kamen zu seinem Vater. Die Schwiegereltern waren freundlich zu ihr, doch sie kümmerte sich nicht um sie. Da begann die Schwiegermutter sie an die Arbeit zu treiben und befahl ihr: »Marsch, in den Wald, und scher die grauen Schafe!« Ihre grauen Schafe waren aber Wölfe. Die Tochter machte sich auf in den Wald, doch ihr Mann sprach zu ihr: »Mein liebes Herz! sie schickt dich nicht Schafe scheren, sondern Wölfe!« Sie ging nun in den Wald, setzte sich auf eine Eiche und rief:
»Ach, ihr Wölfchen,
Ach, ihr Grauen!
Versammelt euch, kommt alle zu mir,
Tut eure Wolle ins Körbchen hier!«
Die Wölfe liefen zusammen und taten ihre Wolle in den Korb aus Birkenrinde, und sie brachte die Wolle heim; doch die Schwieger dachte im stillen: »Ach, dieser Nichtsnutz, nicht einmal die Wölfe fressen sie auf!« Und dann befahl sie: »Marsch, du Galgenstrick, du Nichtsnutz! Hier hast du einen Melkeimer; melk meine schwarzbraunen Kühe!« Ihr Mann aber sagte wieder: »Mein liebes Herz! sie schickt dich nicht Kühe melken, sondern Bären.« Sie ging nun in den Wald, setzte sich auf eine Eiche und rief:
»Ach, ihr Bärchen,
Ach, ihr Guten!
Versammelt euch, kommt alle zu mir,
In einen Eimer melkt euch hier!«
Sie kamen herbei und molken den ganzen Eimer voll. Die Tochter ging heim und stellte den Melkeimer auf die Bank. Die Schwieger aber sagte wiederum: »Ach, dieser Galgenstrick, dieser Nichtsnutz! Nicht einmal die Bären fressen sie auf!«
Und dann befahl sie: »Geh zu meiner Schwester und bitte sie um einen Weberkamm!« Der Mann aber sagte zu ihr: »Mein liebes Herz, sie schickt dich nicht zu ihrer Schwester, sondern zur Baba-Jaga! Hier hast du ein Stück Butter, einen Kamm, eine Bürste und Steinchen! Gib die Butter dem Kater, er wird dir dafür den Weberkamm geben.«
So wanderte sie nun dahin. Da stand ein Hüttchen mitten auf dem Felde auf Hühnerfüßchen, auf Spindelbeinchen. Sie kam heran und klopfte ans Fenster. Die Baba-Jaga fragte: »Wer ist da?« – »Tantchen, gib Mütterchen einen Weberkamm!« – »Komm herein, liebe Nichte, setz dich her; ich will gehn und den Weberkamm holen!« Sie lief aber fort, um ihre Zähne zu schleifen. Da warf die Tochter dem Kater die Butter hin, und der Kater sprach: »Spuck auf die Schwelle; dein Speichel wird für dich antworten!« Sie spuckte auf die Schwelle, steckte den Weberkamm der Baba- Jaga zu sich und lief fort. Doch die Baba-Jaga schliff und schliff ihre Zähne. »Nichte, bist du da?« Der Speichel antwortete: »Ich bin hier, Tantchen, ich bin hier!« Endlich hatte die Baba-Jaga ihre Zähne scharf geschliffen, ging in die Hütte, aber die Nichte war nicht mehr dort. »Wo ist denn die Nichte?« fragte sie den Kater. Und der Kater antwortete: »Ich weiß nicht.« Da setzte sich die Baba-Jaga auf ihren eisernen Mörser, trieb ihn mit einem eisernen Stößel an und machte sich auf die Verfolgung. Schon hatte sie sie fast erreicht. Da warf jene die Bürste hinter sich, und auf einmal entstand dichtes Schilfrohr! Die Baba- Jaga fing an, mit den Zähnen das Rohr zu durchbeißen, und mähte es ganz ab. Wieder eilte sie nach. Da warf jene den Kamm hin, und es entstand mit einemmal ein Birkenwäldchen! Die Baba-Jaga fällte aber das ganze Wäldchen mit den Zähnen, setzte sich wieder auf den eisernen Mörser und trieb ihn mit dem eisernen Stößel an. Und wieder jagte sie nach. Da warf jene die Steinchen aus. Plötzlich entstand ein Fluß. Die Baba-Jaga warf sich hinein und trank; sie trank und trank, bis sie zerplatzte, die Baba-Jaga.
Nun brachte die Tochter den Weberkamm nach Hause und legte ihn auf die Bank. Da sprach die Schwieger: »Ach, so ein Galgenstrick, ach, so ein Nichtsnutz! weder fressen sie die Wölfe, noch fressen sie die Bären, noch frißt sie die Baba-Jaga! Marsch, du unnützes Weibsbild, geh mit deinem Mann Fische fangen!« Kaum waren sie in den Fluß gestiegen und machten sich ans Fischefangen, als sie ihren Ring herausfischte. »Ach«, sagte sie, »ich hab meinen Ring gefangen: er ist ganz mit grünem Gras bewachsen!« Da gingen sie nach Hause und lebten fortan glücklich und in Frieden.
[Rußland: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]