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Märchenbasar

Das Mädchen im Erdkeller

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Es war einmal ein kleines Mädchen namens Anna, dem waren Vater und Mutter gestorben. Eigentlich sollte Anna nun zu ihren Großeltern ziehen, doch die waren so arm, dass sie die Kleine nicht mit dem Nötigsten versorgen konnten. So mussten sie das Mädchen bei ihrem Vetter, einem reichen Handelsherren in den Dienst geben. Dieser lebte zusammen mit einer Frau und drei Töchtern, die viel größer als Anna waren. Die Familie behandelte Anna sehr schlecht. Sie musste den ganzen Tag vom frühen Morgen bis späten Abend harte Arbeit tun, wurde von den Eltern geschlagen und von den Töchtern gehänselt. Zu essen bekam sie nur die Abfälle vom Tisch und durfte nicht einmal mit im Haus wohnen. Stattdessen schlief sie in einem Kellerloch hinter dem Haus unter einem alten, verfallenen Gemäuer, in dem sonst Kohlen aufbewahrt wurden und das der Erdkeller genannt wurde.

Totmüde fiel Anna stets abends ins Bett und schlief tief und fest, doch einmal wachte sie mitten in der Nacht auf und dachte, sie habe ein Geräusch gehört. Sie setzte sich im Bett auf und bemerkte sogleich ein Licht im Keller. Müde rieb sich das Mädchen die Augen und sah dann, dass das Licht eine Kerze war. Diese wurde gehalten von einem anderen kleinen Mädchen in ihrem Alter und mit einem langen weißen Hemdchen bekleidet. Da bekam Anna Angst, doch das Mädchen sprach: „Fürchte dich nicht, es wird dir nichts Böses geschehen. Ich bin gekommen, um dich um deine Hilfe zu bitten.“ Anna betrachtete das Kind vorsichtig. Es war schmutzig, doch sonst wirkte es freundlich, so beruhigte sie sich und hörte zu was es zu sagen hatte.

„Um mir zu helfen, musst du mir in den nächsten drei Nächten drei Dinge hierher bringen. Mit diesen wirst du ein großes Unrecht wieder gut machen und dafür belohnt werden.“
„Welche Dinge sollen das sein, fremdes Mädchen? Warum soll ausgerechnet ich dir helfen können? Ich besitze nichts und darf hier nur die Arbeit der niedrigsten Dienerin tun.“
„Nur du kannst hier helfen, weil nur du reinen Herzens bist. Auch wirst du wissen, was du bringen sollst. Ich werde morgen wieder zu dir kommen.“ Nach diesen Worten verlöschte die Kerze in der Hand des fremden Mädchens und als Anna ihre eigene Kerze am Bett angezündet hatte, war es verschwunden. Stattdessen fiel ihr Blick auf eine Tür in der Kellerwand, vor der das Mädchen gestanden hatte und die ihr vorher nie aufgefallen war. Anna ging zu ihr hin und drückte die Klinke, doch sie war verschlossen. Die Pforte war im Gegensatz zu all den anderen Brettern im Keller aus stabilem Holz gemacht. Vor der Tür aber stand ein Kästchen auf einem Tischchen doch wie es Anna auch drehte und wendete, sie konnte nicht herausfinden, wie man es öffnete. So stellte sie es hin, dachte an den harten Tag, der ihr bevorstand, ging wieder zu Bett und war schon bald eingeschlafen.

Am nächsten Abend durften die drei Töchter des Händlers auf ein Fest gehen und so musste Anna ihnen, nachdem sie tagsüber in der Küche gearbeitet hatte, abends ihre Schuhe putzen und feinsten Kleider bürsten. Das Mädchen machte seine Arbeit gut, doch immer wenn es gerade fertig war, kam eine von den Händlertöchtern herein, besah sich ihre Arbeit und machte absichtlich wieder etwas schmutzig. Als sie gerade wieder einmal am Ende war, rutschte ihr ein Schuh aus der Hand und fiel auf den Boden. Dieser war gefliest und als sie den Schuh wieder aufheben wollte, sah sie, dass die Fliese, auf die der Schuh gefallen war, lose war und hob sie auf. Auf ihr jedoch war ein Bild gemalt und als sie es genau betrachtete sah sie, dass es ein Bild vom Mädchen war, das sie in der Nacht besucht hatte. Da dachte sie, das war bestimmt das Ding, das sie heute Nacht mitbringen sollte und steckte sie in ihre Schürze.

Zurückgekehrt in den Erdkeller wollte Anna eigentlich wach bleiben, bis das andere Mädchen kam. Jedoch war sie müde von ihrem anstrengenden Tagwerk und schlief schon bald im Sitzen ein. Mitten in der Nacht erwachte sie wieder und sah das fremde Mädchen, das im gleichen weißen Hemdchen gekleidet war und ganz genauso aussah wie in der Nacht zuvor, schmutzig und mit der Kerze in der Hand. Sie sprach:

„Was du erlangtest, gib mir
Das Rätsel werde gelöst hier“

Da nahm das Waisenkind die Fliese aus seiner Schürze und reichte es dem fremden Mädchen. Dieses ging zu dem Kästchen, berührte damit seinen Deckel und er schwang auf. Dann hielt es das offene Kästchen Anna hin. Ein hölzerner Schlüssel lag darin, den Anna heraus nahm. Das fremde Mädchen deutete zur Tür und so ging Anna, steckte ihn in das Schloss und sperrte auf. Mit einem Quietschen öffnete sich die Pforte und dem Mädchen mit der Kerze folgend ging Anna hindurch. Drinnen war ein Gang, dessen Wände hölzern ausgeschlagen waren und am Ende des Ganges stand wieder ein Tischchen. Auf dem Tischchen lagen ein Kästchen von feinem Marmor sowie ein Scherchen und neben dem Tischchen war eine weitere Tür, die ebenfalls wie aus Marmor gemacht war. Das fremde Mädchen gab Anna das Scherchen und sagte: „Dieses wirst du morgen brauchen. Und in der Nacht werden wir uns wieder sehen.“ Dann blies es die Kerze aus und als Anna ihre eigene am Bett entzündet hatte, war es wieder verschwunden. Anna aber lief zurück zum geöffneten Gang, doch die Marmorpforte war verschlossen ebenso wie das neue Kästchen.

Am folgenden Tag musste Anna in großen Obstgärten arbeiten, die dem Handelsherren gehörten. Sie und andere Kinder pflückten unter der Aufsicht der Frau des Händlers Birnen von den Bäumen. Die Frau jedoch gab acht, dass ja kein Kind auch nur eine kleine Birne aß und wenn sie doch eines beim Stibitzen erwischte, so schlug sie es und sperrte es für den Rest des Tages in eine dunkle Scheune im Garten. Wie Anna so auf dem Baum saß, sah sie plötzlich ein Blättlein hängen, das aussah, als ob etwas darauf gezeichnet sei. Sie betrachtete es näher und wie am Tag davor auf der Fliese war ein Bild des Mädchens darauf gemalt. Anna schaute nach der Frau, die gerade einen Jungen schimpfte und so versuchte sie das Blatt abzureißen, doch es hing so fest, dass sie es nicht los bekam. Sie erinnerte sich an das Scherchen und in der Tat machte sie einmal damit schnipp und schon konnte sie das Blatt in ihre Schürze stecken.

In der Nacht erschien wieder das Mädchen mit der Kerze in der Hand an Annas Bett und sprach:

„Was du erlangtest, gib mir
Das Rätsel werde gelöst hier“

So gab Anna ihr das Blatt und das Mädchen ging zum Marmorkästchen, berührte es damit und es sprang auf. Anna nahm einen marmornen Schlüssel heraus, sperrte die Tür auf und gelangte dahinter in einen weiteren Gang, dessen Wände ganz mit Marmor ausgekleidet waren. Am Ende dieses Ganges war eine weitere Pforte, vor der ein Tischchen mit einem Kästchen und einem Messerchen darauf stand. Die Tür war ganz golden und auch das Kästchen schien aus purem Gold zu sein. Anna wollte das Mädchen gerade fragen, wie man es öffnete, da blies dieses erneut sein Kerzenlicht aus und war nach dem Entzünden von Annas Kerze wieder verschwunden. Anna steckte das Messerchen in seine Schürze und legte sich wieder ins Bett voller Erwartung, was ihr der folgende Tag bringen würde.

Am nächsten Tag musste Anna den Boden des Zimmers schrubben, in dem die große Kiste mit den wertvollsten Reichtümern des Handelsherren stand. Wie immer, wenn sich dort jemand anderes aufhielt, war der Händler da und beäugte das putzende Mädchen misstrauisch. Anna wischte gerade in einer Ecke, in der ein großer alter Schrank stand und stieß versehentlich daran. Da ging die Schranktür auf und wie sie hineinblickte, sah sie darin ein großes Gemälde liegen, das das Mädchen zeigte, das sie Nacht für Nacht im Erdkeller besuchte. Entgeistert schaute Anna das Bild an. Der Händler jedoch kam wütend zu ihr, nahm einen Stock, knallte den Schrank zu und schlug Anna mit dem Stock auf die Hände. „Du dummes Gör“, donnerte er „kannst du nicht aufpassen?“ Er schlug noch einmal auf eine Hand des Mädchens, das vor Schmerz und Kummer anfing bitterlich zu weinen. Doch der Stock zerbrach von dem harten Hieb. So lief der Händler wütend aus dem Zimmer und schrie: „Ich werde jetzt den Schrankschlüssel holen, doch mit dir bin ich noch lange nicht fertig.“ Das Mädchen schluchzte aus Angst und Schmerz, aber dachte auch an das Bild. Bestimmt wollte das fremde Mädchen, dass Anna es ihm brachte, doch wie sollte es das große Ding mit dem Rahmen aus dem Zimmer bringen? Gleich würde der Händler kommen, den Schrank verschließen und ihr damit jede Chance nehmen, jemals wieder an das Bild heranzukommen.

Mit einem leisen Quietschen schwang der Schrank noch einmal auf und gab Anna den Blick auf das Gemälde frei. Es war mit einem prächtigen Rahmen versehen, der unten sogar eine Verzierung aus Gold hatte. Anna betrachtete diese näher und es war eine echte Goldmünze und das Portrait des fremden Mädchens war darauf eingeprägt. Nun verstand Anna. Sie zückte ihr Messerchen, pullte die Goldmünze aus ihrer Umfassung und steckte sie in ihre Schürze. Da kam der böse Händler herein, knallte den Schrank zu und verschloss sie, woraufhin er Anna mit den Augen böse anfunkelte.

Abends kehrte Anna müde und sehr hungrig zurück in ihr Kellerloch. Sie hatte diesen Tag aus Strafe für das Anstoßen des Schrankes nichts mehr zu essen bekommen. Müde fiel sie auf ihr Bett, doch ihr großer Hunger und ihre schmerzenden Hände ließen sie dieses Mal nicht einschlafen. So wälzte sie sich hin und her, als sie einen sanften Lichtschein spürte. Sie öffnete die Augen und das Mädchen mit der Kerze in der Hand saß an ihrem Bett. Doch dieses mal hatte sie nicht nur die Kerze dabei, sondern ein Stück frischen Weißbrots, das Anna nach dem Aufstehen gierig herunterschlang. Danach fühlte sie sich besser und das Mädchen sprach wieder:

„Was du erlangtest, gib mir
Das Rätsel werde gelöst hier“

Anna gab dem Mädchen die Goldmünze und folgte ihr durch die Gänge zu der goldenen Tür. Das Mädchen berührte das Goldkästchen mit der Münze und wie die beiden davor sprang es auf und enthielt einen goldenen Schlüssel. Anna sperrte die Pforte auf und gemeinsam mit dem Mädchen ging sie hindurch. Da gelangten beide in einen Gang, dessen Wände waren aus purem Gold und auf einem goldenen Tischchen an der Rückwand lag ein Brief, ein Buch und ein Fläschchen. Das Mädchen ging zu dem Tisch nahm die Sachen und gab sie Anna. Dann begann es zu sprechen:

„Einstmals war dies der Keller zu einem Haus, das meinen Eltern gehörte, ebenso wie jenes daneben, in dem du jetzt Dienst tust. Der Händler aber ist mein Onkel und war damals arm. Obwohl von meinen Eltern von der Straße in das eigene Haus aufgenommen, missgönnte er uns Reichtum und Glück und wollte das Haus, unsere Ländereien und unser Gold für sich. Er heiratete eine böse Frau, die eine Hexe war und gemeinsam brauten sie ein Gift und taten es meinen Eltern ins Essen. Ich aber aß an diesem Tag nicht mit. Meine Eltern hatten mir bereits alles vermacht, was die Hexe so wütend machte, dass sie dieses Haus und mich mit einem Fluch belegte, so dass es in der Nacht in einem mächtigen Sturm einfiel und mich in den Trümmern begrub. Um sich zu schützen wirkte sie einen Zauber, der ihr dunkles Geheimnis vor jedem schützte, der nicht ihr Haus, ihre Ländereien und ihren Reichtum besaß. Diesen hast du mit deinen drei Gaben besiegt und mit jenen von mir wirst du dem Recht zu seiner Geltung verhelfen.“

So sprach das Mädchen und kurz darauf verlöschte erneut ihre Kerze und Anna wusste bereits, dass es wieder verschwunden war. Sie nahm Brief, Buch und Fläschchen und trug die Sachen noch in der gleichen Nacht zu den Wachen der Stadt. Der Brief war von dem Vater des Mädchens kurz vor seinem Tod geschrieben worden. Er äußerte seine Angst, sein Bruder und dessen Frau wollten ihn und seine Familie umbringen, um zu ihrem Besitz zu gelangen. Das Fläschchen enthielt das Gift und das Buch viele böse Rezepte für dieses und andere tödliche Gifte, die die Tante mit ihrer eigenen Handschrift aufgeschrieben hatte. Als die Wachen die Dinge sahen, war ihnen klar, wie damals der Handelsherr an den Besitz seines Bruders gekommen war. Er und seine Frau wurden verhaftet und erhielten schon bald ihre gerechte Strafe. Ihren bösartigen drei Töchtern jedoch wurde der ganze geraubte Reichtum weggenommen und sie mussten sich selbst bei anderen Leuten in den Dienst begeben und dort schwere Arbeit tun.

Der Besitz des Handelsherren jedoch fiel an dessen einzige lebende Verwandte und das waren Anna und deren Großeltern und so hatten diese endlich Reichtum im Überfluss, um zusammen leben zu können. Das Mädchen mit dem weißen Hemdchen jedoch ward von jener Nacht an niemals mehr gesehen.

Quelle: nicht angegeben

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