Eines Tages, als der Jüngling in der Ladentür saß, sah er einen Lastträger, der einen Kasten trug und rief: „Ich verkaufe diesen Kasten. Wer ihn kauft, wird es bereuen, wer ihn nicht kauft, wird es auch bereuen“ Als der Jüngling das hörte, dachte er über diese seltsamen Worte nach und fragte den Lastträger, für wieviel er den Kasten hergäbe. „Für fünfhundert Piaster“, antwortete er. Der Jüngling, der gerade so viel Geld nach und nach von seinem Lohn zusammengespart hatte, gab es dem Lastträger und bekam den Kasten. Den stellte er ohne Wissen seines Paten in einen Winkel des Ladens. Der folgende Tag war ein Sonntag, und der Jüngling ging einkaufen. Danach ging er in die Kirche und dachte daran, gleich nach seiner Rückkehr das Essen zu bereiten. Als er aus der Kirche nach Hause kam, fand er das Essen fertig vor, und zwar so gut, wie es der beste Koch nicht hätte besser machen können. Und er sprach bei sich: „Sieh an, der Pate selbst hat das Essen gekocht, als ich nicht da war.“ Sobald der Pate kam, richteten sie das Essen an und setzten sich zu Tisch. Als der Pate das gute Essen probierte, sprach er zu dem Jüngling: „Ich wette, mein Sohn, heute hat nicht einmal der König ein so gutes Mahl. Du bist der beste Koch im Lande geworden.“ Der Jüngling, der glaubte, daß der Pate das Essen selber gekocht hatte und ihn nur necken wollte, errötete und schwieg.
Am nächsten Tag kaufte er Fische ein, ließ sie zu Hause liegen und ging in den Laden. Zur Mittagszeit wollte er die Fische kochen. Als er seine Geschäfte erledigt hatte, ging er nach Hause und fand die Fische gekocht, und zwar wieder so gut, daß es in der ganzen Nachbarschaft davon duftete. „Aha“, dachte er, „der Pate hat wieder meinen Dienst verrichtet.“ Der Pate kam, sie setzten sich zu Mittag, und dem Paten gefiel das Gericht so gut, daß er nicht wußte, wie er den Jüngling noch loben sollte. Da nun der Jüngling sah, dass sein Pate offenbar nichts zubereitet hatte, geriet er in Zweifel. Am nächsten Tag trug er alles, was er eingekauft hatte, nach Hause, aber anstatt in den Laden zu gehen, versteckte er sich im Schrank. Da sah er, wie aus dem Kasten, den er gekauft hatte, ein Mädchen herauskam, das so schön war, dass das ganze Haus von ihrer Schönheit erstrahlte. Sogleich band sie sich eine Schürze um und fing an zu kochen. Er kam leise heraus, fiel ihr zu Füßen und fragte sie, ob sie ein Engel oder ein Mensch sei. Sie antwortete: „Ich bin ein Mensch, fürchte dich nicht! Ich bin die Tochter des Königs von Ägypten, und eines Tages, als ich in Smyrna den Sommer verbracht habe, sah ich dich und liebte dich sofort. Als ich wieder zu meinem Vater nach Ägypten kam, wollte er mich verheiraten. Da ich aber dich liebte und wußte, dass mein Vater mich dir niemals geben würde, sagte ich zu ihm: Ich will nicht heiraten. Da wurde er zornig und befahl einem seiner Leute, mich in einen Kasten zu stecken und mich heimlich weit weg von Ägypten zu verkaufen. Ich bat aber den Mann, er solle mich nach Smyrna bringen und an dich verkaufen. Nun wollen wir abwarten und sehen, was mein Vater tun wird, denn er hat keine anderen Kinder.“
Als der Jüngling so erfuhr, daß sie eine Königstochter sei, fiel er ihr zu Füßen, sie aber hob ihn auf und küßte ihn. Sie heirateten heimlich, ohne daß der Pate es erfuhr. Am anderen Tag suchte Konstantin, so hieß der Jüngling, ein Schiff und sprach zu dem Kapitän: „Ich werde einen Kasten bringen, gib auf ihn acht wie auf deinen Augapfel und bringe ihn meiner Mutter.“ So brachte er den Kasten mit dem Mädchen, und der Kapitän brachte ihn zu Konstantins Mutter samt einem Brief. In diesem schrieb Konstantin, daß in dem Kasten seine Frau sei. Die Mutter nahm sie freundlich auf und liebte sie sehr. Eines Tages stand ein Jude vor dem Haus der Alten, und als er das schöne Mädchen sah, ritt ihn der Teufel, sie zu gewinnen. Als er einmal sah, daß das Mädchen unter die Türe trat, kam er schnell mit Waren zum Verkauf, aber das Mädchen ging sofort hinein. Der Jude kam nun Tag für Tag vorbei, um sie zu sehen. Sie verbarg sich. Er schickte Leute, die mit ihr reden sollten, sie aber wies sie ab. Da wurde der Jude ärgerlich und schrieb einen Brief an Konstantin: „Deine Frau läßt ohne Wissen deiner Mutter junge Männer ins Haus, sie ist ein schlechtes Weib.“ Als Konstantin das gelesen hatte, geriet er in so großen Zorn, daß er sogleich Smyrna verließ und nach Hause fuhr. Das Mädchen sah ihn vom Fenster aus, kam schnell herab, machte die Tür auf und küßte ihn. Neben dem Haus floß ein großer Strom vorbei. Als nun Konstantin seine Frau sah, ward er so zornig, daß er nicht abwartete, sie zu fragen, ob es wahr wäre, was der Jude ihm geschrieben hatte, sondern er packte sie sogleich und warf sie in den Fluß. Darauf ging er hinein zu seiner Mutter und fragte sie über seine Frau aus. Die Mutter erzählte ihm dann, was der Jude alles angestellt hatte, um die Frau zu bekommen, dass sie ihn aber verhöhnt habe. Da war Konstantin so verzweifelt, daß er sich das Leben nehmen wollte. Er ging zum Fluß, stellte Leute an um nachzusehen, ob seine Frau ertrunken sei. Da man sie nirgends entdeckte, floh er wie von Sinnen in die Berge.
Als das Mädchen in den Fluß fiel, hatten Fischer gerade ihre Netze ausgeworfen, zogen sie halbtot aus dem Wasser und hüllten sie in einen Mantel. Da kam ein Türke vorbei, der Fische kaufen wollte. Die Fischer sagten ihm, daß sie nichts gefangen hätten außer einer Frau. Als der Türke sie sah, entflammte sein Herz, und er kaufte sie von den Fischern für fünfzigtausend Piaster. Als die junge Frau zu sich gekommen war, sah sie neben sich einen Türken. Sie erinnerte sich, was sie erlitten hatte, und fragte den Türken: „Was willst du jetzt mit mir machen? Wenn du mich mitnimmst und ein anderer sieht mich, der stärker ist als du, wird er mich dir wegnehmen. Weißt du, was wir machen? Gib mir Kleider von dir, daß ich mich wie ein Mann anziehe. Dann wird mich keiner als Frau erkennen, und so wirst du mich behalten.“ Er willigte ein, sie nahm seine Kleider, trat hinter einen Busch und kleidete sich um. Dort stand das Pferd des Türken, und als die Frau sich umgekleidet hatte, stieg sie auf und ritt davon. Als der Türke merkte, daß sie nicht wiederkam, ging er nachsehen. Doch sie war fort. Da ging der Arme auch von dannen, halbnackt und ohne Pferd. Die Frau aber ritt Stunde um Stunde, von Berg zu Berg, bis sie in der Nacht, ohne es zu wissen, nach Ägypten kam, wo ihr Vater regierte. Da die Tore der Hauptstadt schon verschlossen waren und es regnete, sank sie draußen vor den Toren nieder. Nun war in Ägypten in diesen Tagen gerade der König gestorben, und da er keinen Thronfolger hinterlassen hatte, versammelten sich die Minister und sandten Leute aus, die Tochter des Königs zu suchen, die verschollen war, wie der König fälschlich gesagt hatte. So suchten sie einige Tage, fanden das Mädchen aber nicht, und da das Land einen König brauchte, sprachen die Minister: „Da nun einmal kein Kind aus dem Geschlecht des Königs vorhanden ist, so soll man nach dieser schlimmen Nacht mit Wind und Regent in der jeder draußen umkommen müßte, den zum König machen, den man morgen früh zuerst außerhalb der Tore findet.“ Am anderen Morgen nun sah das als Mann verkleidete Mädchen, das von nichts wußte und halbtot vor Kälte war, wie sich das Tor auftat und die zwölf Wächter herauskamen. Da stieg sie sogleich aufs Pferd und ritt zur Seite, um sie vorbeizulassen. Die aber, als sie den schönen jungen Mann sahen, fielen ihm zu Füßen, brachten ihn in den Palast und machten ihn zum König. Sie war weise, und niemand wußte, daß sie eine Frau war. Sie regierte das Königreich so gut, daß alle sie liebten. Sie war bei dem Volk so beliebt, daß man ihr Bild an allen Quellen im Lande aufstellte, damit es alle sähen, die ans Wasser kämen. Nun befahl das Mädchen heimlich ihren Leuten, sie sollten auf jeden achten, der seufze, sobald er ihr Bild sah. Den sollten sie ergreifen und in den Palast bringen und ihn solange bewachen, wie sie es befehlen würde.
Eines Tages kam der Jude vorbei, der den Brief an ihren Mann geschrieben hatte, und als sein Blick auf das Bild fiel, seufzte er. Als die Leute des Königs das bemerkten, packten sie ihn und brachten ihn in den Palast. Am andern Tag kamen die Fischer vorbei, auch sie seufzten, als sie das Bild sahen, und man brachte sie in den Palast. Etwas später kam auch der Türke vorbei, und auch ihn ergriff man, als er seufzte. Nach einiger Zeit erschien ihr Mann an einer Quelle, und als er ihr Bild sah, rief er aus: „Ach, wie gleicht er ihr! Ach, daß ich sie verloren habe!“ Er brach in Tränen aus, und so brachte man auch ihn in den Palast.
Als nun das Mädchen sah, daß alle, die sie haben wollte, beisammen waren, befahl sie, daß die Minister zusammen kommen sollten, um den Gefangenen das Urteil zu verkünden, das sie fällen werde. Also versammelten sich alle, und sie saß als König in der Mitte. Darauf ließ sie alle Gefangenen herbringen und befahl, daß keiner reden sollte, dem sie es nicht erlaubt hatte. Nun fing der König an und fragte: ,Jude, warum hast du geseufzt, als du das Bild an der Quelle sahst? Gib acht, lüge nicht, sonst lasse ich dir sogleich den Kopf abschlagen.“ Der Jude antwortete: „Was soll ich dir sagen, o König. Ich erkannte, daß das Bild eine Frau darstellt.“ Danach erzählte er die volle Wahrheit, wie er den Brief geschrieben hatte, weil das Mädchen ihn nicht zum Manne nehmen wollte. Als er fertig war, sagte der König zu ihm: „Gut, du hast die Wahrheit gesagt, setz dich auf die Seite.“ Da wollte ihr Mann, als er aus dem Mund des Juden hörte, wie der seine Frau verleumdet hatte, auf ihn losstürzen, aber der König sagte zu ihm: „Bleib stehen und rühre dich nicht, sonst geht es dir schlecht!“ Da rührte er sich nicht mehr. Darauf fragte der König die Fischer, warum sie geseufzt hatten. Sie antworteten, daß sie diese Frau aufgefischt und an einen Türken verkauft hatten. „Und du“, sprach der König zum Türken, „was hattest du, daß du seufztest?“ – „Ich“, antwortete er, „bin der, der sie gekauft hat. Aber sie lief mir davon, noch ehe ich sie recht gesehen hatte, und nahm mir auch meine Kleider und mein Pferd weg.“ Da wurden die Minister stutzig und betrachteten den König, der aber gab ihnen ein Zeichen, sie sollten schweigen. Dann fragte sie ihren Mann: „Und warum hast du geseufzt?“ – „Ach, ich Unglücklicher“, antwortete er mit Tränen in den Augen, „ich war ihr Mann, und jetzt ist sie für mich verloren;“ – „Nein“, sagte sie, „du hast sie nicht verloren.“
Sie ging hinaus und zog sich Frauenkleider an, wie sie sie getragen hatte, als sie bei ihrem Manne war, und kam so wieder herein. Als die Männer sie erblickten, rissen alle die Augen weit auf. Die Minister erkannten die Tochter des Königs, auch ihr Mann und die übrigen erkannten das Mädchen. Zuerst kam ihr Mann, fiel ihr zu Füßen und bat sie um Verzeihung. Sie hob ihn auf, küßte ihn und setzte ihn an ihre Seite. Den Fischern gab sie Geld, dem Türken sein Eigentum zurück, und dem Juden, den die Minister hängen lassen wollten, verzieh sie, befahl ihm aber, ihr Reich binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen. Nun verkündete der Ausrufer, daß die Tochter des Königs gefunden sei. Darauf feierten sie große Feste, Konstantin wurde König, und sie aßen und tranken bis auf den heutigen Tag.
Quelle:
(Die Schöne der Erde – Albanische Märchen und Sagen)