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Märchenbasar

Das Mädchen und der sprechende Brunnen

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Es war einmal in einem fernen Land, wo die Wälder dicht und die Bäche klar waren, ein kleines Dorf, das tief in einem Tal lag. Dort lebte ein Mädchen namens Elara, deren Herz so rein war wie der erste Schnee und deren Augen die Farbe des Himmels nach einem Sommerregen hatten. Elara war fleißig und bescheiden, doch das Glück schien sie oft zu meiden, denn ihre Stiefmutter und ihre beiden Stiefschwestern behandelten sie mit Bitterkeit und Lasten.
Eines trüben Morgens, als die Sonne noch zögernd ihre ersten Strahlen über die Berge schickte, sandte die Stiefmutter Elara tief in den Wald, um Wasser aus dem alten Brunnen zu holen. „Und wehe dir“, rief sie ihr nach, „wenn du nicht den Krug bis zum Rande gefüllt und kein einziger Tropfen verschüttet ist!“ Der Weg zum Brunnen war weit und der Krug schwer, doch Elara klagte nicht.
Als sie den Brunnen erreichte, der von altem Moos bewachsen und von knorrigen Eichen beschattet war, bemerkte sie, dass das Wasser ungewöhnlich klar schien, ja, es glitzerte wie tausend Diamanten. Elara beugte sich hinab, um ihren Krug zu füllen, da hörte sie plötzlich eine sanfte Stimme aus der Tiefe des Brunnens.
„Sei gegrüßt, Elara“, sprach die Stimme. „Ich bin der Hüter dieses Wassers, und ich habe deine Güte und dein Leid vernommen. Sprich einen Wunsch aus, und er soll dir gewährt werden.“
Elara war über alle Maßen erstaunt, denn noch nie hatte sie von einem sprechenden Brunnen gehört. Sie dachte an ihre schweren Tage, an die Kälte ihrer Stiefmutter und die Hänseleien ihrer Schwestern. Doch anstatt nach Reichtum oder Macht zu verlangen, die ihr Leid beenden würden, sprach sie: „Oh, weiser Brunnen, ich wünsche mir nichts für mich selbst. Ich wünsche mir nur, dass meine Stiefmutter und meine Schwestern ein wenig mehr Güte in ihren Herzen finden, damit auch sie Glück erfahren können.“
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da stieg ein leuchtender Schimmer aus dem Brunnen auf und umhüllte Elara sanft. Sie spürte eine Wärme in ihrem Herzen, die jegliche Müdigkeit vertrieb. Der Krug in ihrer Hand war nun randvoll mit dem klarsten Wasser, das sie je gesehen hatte.
Als Elara nach Hause kam, traute sie ihren Augen kaum. Ihre Stiefmutter, die sonst stets mit finsterer Miene am Herd stand, lächelte sie an. „Elara, mein Kind“, sagte sie mit einer Stimme, die ungewohnt mild klang, „du bist ja schon zurück! Komm, setz dich und ruh dich aus. Ich habe dir eine Schale warme Milch und Brot bereitgestellt.“
Auch die Stiefschwestern, die sonst nur Spott für sie übrig hatten, blickten sie mit ungewohnter Freundlichkeit an. Sie reichten ihr Blumen, die sie am Wegesrand gepflückt hatten, und boten ihr an, beim Abwasch zu helfen.
Von diesem Tage an wandelte sich das Leben in dem kleinen Haus. Die Stiefmutter und die Stiefschwestern waren nicht mehr von Bitterkeit erfüllt, sondern fanden Freude an der Güte und der Gemeinschaft. Elara musste nicht länger schwere Lasten tragen, sondern wurde mit Liebe und Respekt behandelt.
Und so lebten sie alle fortan in Frieden und Eintracht, und die Geschichte von Elaras reinem Herzen und dem sprechenden Brunnen wurde von Generation zu Generation weitergegeben, als Mahnung, dass wahre Wünsche, die aus Güte entspringen, die größten Segnungen bringen.

© 2025 Mario Eberlein

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