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Märchenbasar

Das Märchen vom Knaben, welcher sich zurückgesetzt glaubte

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Eine Menge Volks begleitete ihn. Als er bereits die Tore des Palastes durchschritten hatte, ließ sich plötzlich eine überirdische Musik vernehmen und eine senkte sich hernieder, die ihn ganz verhüllte und ihn seinen Feinden entführte. Kurz darauf lustwandelte der König, nur von wenigen Dienern begleitet, in seinem Garten. Es war in einer hellen, linden Mondnacht, so dass man alle Gegenstände nah und fern wohl zu erkennen vermochte. Da hörte der König plötzlich die leisen Töne einer Flöte und gewahrte einen Mann, auf einem Storch reitend, der sich ihm näherte. Er glaubte, dass ein Gott ihn mit seinem Besuch beehren wolle und schickte sogleich zu einem Oberkämmerer, damit dieser die notwendige Begrüßung mache. Ehe dieser aber damit angefangen, sagte der Mann auf dem Storch:
„Fürchte dich nicht, o König, ich bin nur Hong Pansa, der dir seine Verehrung und den Dank für die Ernennung darbringen will, und ich möchte von dir selbst die Bestätigung meines Titels hören.“ Der König tat, wie Kil wünschte und sagte dann zu ihm: „Ich habe alles getan, was du begehrtest, was willst du von mir?“
„Ich will auswandern“, antwortete Kil Tong demütig, „und mich anderswo in Frieden niederlassen, gib mir dazu 3000 Sack Reis und lasse mich in Frieden ziehen.“
„Wie kannst du denn so eine große Menge Reis fortschaffen?“ meinte der König.
„Das lasse nur meine Sorge sein“, antwortete der neue Hong Pansa. „Gib nur Befehl, dass man mir den Reis ausliefere, ich will ihn schon bei Tagesanbruch fortschaffen. „Der König erließ den Befehl, und mit dem nächsten Morgengrauen erschienen einige Schiffe vor den Speichern, welche so schnell die 3000 Sack Reis verluden und dann verschwanden, dass die Leute kaum etwas davon merkten.
Kil Tong segelte nach Westen und fand bald eine unbewohnte Insel. Seine Leute lehrt er den Boden zu bearbeiten und brachte seinen ganzen, bisher im Versteck gehaltenen Reichtum auf diese Insel, wo er mit ihnen in Ruhe und Zufriedenheit lebte, bis er einen Ausflug zu einer benachbarten Insel unternahm. Auf dieser gedieh eine sehr giftige Pflanze mit deren Saft man die Spitzen der Pfeile benetzte, und dieses Gift wollte sich Kil verschaffen. Daselbst angelangt, sah er überall Proklamationen angeschlagen, in welchen bekanntgemacht wurde, dass die halbwilden Gebirgsbewohner, die einzige wunderschöne Tochter eines reichen, vornehmen Mannes geraubt und mit sich in die Berge geschleppt hätten und dass der unglückliche Vater demjenigen eine hohe Belohnung zusicherte, der ihm die Tochter wiederbrächte.
Kil Tong klomm Tag und Nacht, bis er die höchste Spitze des Gebirges erreicht hatte, auf welcher die Pfeilgiftpflanze wuchs und machte Anstalten, sich zur Nachtruhe einzurichten, um für den nächsten Tag frische Kräfte zu sammeln, als er einen Luftschimmer gewahrte.
diesem folgte er, bis er ein Haus bemerkte, aus dem das Licht hervordrang. Ersteres war unter einem Felsenvorsprung erbaut und schien sehr schwer zu erreichen. Er ging näher und näher, bis er hineinblicken konnte und eine große Anzahl schmutziger, notdürftig bekleideter Männer mit langem, schwarzem Haar bemerkte, welche rauchten und tranken und recht guter Dinge zu sein schienen. Der Älteste unter ihnen, welcher ihr Anführer sein musste, quälte ein junges Mädchen, indem er ihm den Schleier zu entreißen versuchte, mit welchem es das Gesicht verhüllt hatte. Kil Tong konnte diese Bosheit nicht ruhig mitansehen, ergriff seinen Bogen, um dem Alten einen vergifteten Pfeil ins Herz zu senden. Leider war die Entfernung zu groß, denn statt den Bösewicht zu töten, verwundete er ihn nur am Arm. Die Männer waren höchst bestürzt darüber, denn sie konnten Kil Tong nicht sehen, und in der Verwirrung, die über sie kam, gelang es dem jungen Mädchen zu entfliehen. Kil Tong suchte sich einen entlegenen Platz aus und legte sich nieder, um zu schlafen. Ganz früh am Morgen des nächsten Tages fanden ihn die wilden Männer dort noch schlafend und machten ihn zu ihrem Gefangenen. Sie fragten ihn, wer er sei und was er auf dieser Insel wolle. Da antwortete er ihnen, dass er ein Arzt sei und hierher käme, um eine Medizinpflanze zu suchen, die nur hier zu finden sein solle. Diese Antwort gefiel den Männern sehr gut, und sie erzählten Kil Tong, dass ihr Anführer von einem Pfeil verwundet sei, der aus den Wolken gefallen wäre und fragten ihn, ob er ihn wohl heilen könne. Kil Tong versprach es, es zu versuchen; man führte ihn an das Lager des Verwundeten und er sagte ihnen, in drei Tagen wollen er ihn gesund machen. Schnell nahm er etwas von dem Saft der Giftpflanze und tröpfelte es in die Wunde des Alten, der sogleich seinen Geist aufgab, denn das Gift hatte eine ganz plötzliche Wirkung. Sobald die wilden Männer den Tod ihres Häuptlings bemerkten, wurden sie sehr wütend und fielen über Kil Tong her. Doch dieser eingedenk seiner Macht über die Dämonen, rief diese ihm zu seiner Hilfe herbei. Alsbald füllte sich der ganze Raum mit sausenden Schwertern, welche so lange in der Luft umherflogen, bis kein Kopf der Wilden mehr auf ihren Schultern saß, und die ganze Bande sich in ihrem Blut wälzte. Nun sah er sich im Haus um und öffnete ein Nebengemach, in welchem er zwei verschleierte Frauen sitzend fand; annehmend, es seien die Weiber der Wilden, wollte er auch sie töten, doch da lüfteten sie ihre Schleier und baten um Gnade. Kil Tong erkannte sofort die Jungfrau, welcher er am Abend vorher gesehen, und diese erzählte ihm, sie sei mit ihren Dienerinnen von den Wilden geraubt worden und verdanke ihr Leben nur einem Gott, der den Anführer der Bande aus den Wolken mit einem Pfeil verwundet habe.
Doch als Kil Tong erzählte, dass er es gewesne sei, welcher den Alten verwundet, leuchteten die Augen des schönen Mädchens, dessen Herz dem kühnen und stattlichen Jüngling schon entgegengeschlagen hatte, in Liebe auf. Schnell versuchte sie es, das Antlitz mit dem Schleier wieder zu verdecken – aber es war zu spät. Auch sein Herz hatte sich dem holden Wesen erschlossen, sie liebten sich und fühlten, dass keiner mehr ohne das andere leben konnte. Nun erinnerte sich Kil Tong nach den Bekanntmachungen, welche er bei seiner Ankunft auf der Insel gelesen hatte und beschloss, das geraubte Mädchen dem betrübten Vater zuzuführen. Er hielt es für das Beste, wenn die Frauen, ebenso wie er selbst, Esel bestiegen und nach dem einige Stunden entfernten Wohnort ritten, wobei sie sich auch weniger der Gefahr aussetzten, mit anderen Wilden zusammenzustoßen. Der Vater seiner Geliebten war allerdings Untertan des Königs von Korea, bewohnte aber als Statthalter die Insel, welche ihm gehörte und regierte die Einwohner derselben nach eigenen milden und gerechten Gesetzen. Er war sehr gerührt und erfreut, als er seine schon verlorengeglaubte Tochter wiedersah und bereif sogleich die Großen eines Reichs zusammen. Diese waren sehr erstaunt, als sie die Kunde von der wunderbaren Rettung der Tochter ihres Regiments hörten und waren ganz damit einverstanden, dass der Vater Kil Tong mit einem hohen Beamtenposten betraute, ehe er ihm die Tochter zur Frau gab. Das junge Ehepaar lebte sehr froh und glücklich zusammen, und Kil Tong vermehrte durch seine Klugheit und Tapferkeit den Reichtum an Ländereien und Besitztümers seines Schwiegervaters. Nach einiger Zeit wurde der junge Gatte aber sehr traurig und erzählte seiner Gemahlin, die ihn mit Liebkosungen und freundlichen Worten trösten wollte, dass er mit bangen Ahnungen erfüllt sei und glaube, sein Vater läge vielleicht im Sterben oder sei sogar schon tot; er hielte es für seine Kindespflicht, nach seiner Heimat zu gehen, um sich nach dem Stand der Dinge dort zu erkundigen, obgleich es ihm sehr schwer wurde, seine Frau zu verlassen. Diese bestärkte ihn aber in seinem Vorhaben, und er machte sich sogleich bereit, seine Reise anzutreten. Er belud sein Schiff mit kostbaren Marmorplatten, aus welchen er seinem Vater ein Grabgewölbe erbauen wollte, und andere Schiffe folgten ihm, welche mit 3000 Sack Reis beladen wurden. Bald langte er in der Hauptstadt an. Nachdem er sich das Haar abgeschnitten, ging er zu dem Haus seines Vaters und wurde am Tor desselben von einem Diener empfangen, welcher ihn für einen Priester hielt, der gekommen sei, den alten Hong Pansa, der wirklich gestorben war, zu bestatten. Der Leichnam war noch nicht beerdigt, da man noch keinen Platz für das Grabmal bestimmt hatte. Kil Tong suchte also den geeigneten Ort dafür aus, gab sich zu erkennen und nahm dann den ihm gebührenden Platz unter den Leidtragenden ein. Zum Schluss der Feierlichkeit ließ er herrliche Sandsteinbilder auf dem Hügel errichten und sandte dann die 3000 Sack Reis an den König zurück, begleitet von einem erbietigen Dankesschreiben, in welchem er sein großes Bedauern darüber ausdrückte, dem König nicht persönlich seine Hochachtung ausdrücken zu können, weil er Familientrauer habe. Dann trat er die Rückfahrt an, von seiner eigenen Mutter und der rechtmäßigen Gemahlin seines verstorbenen Vaters begleitet. Hong Pansas betrübte Witwe starb bald darauf; Kil Tongs Mutter lebte aber noch viele Jahre mit ihrem Sohn, treulich gepflegt von ihm und seiner Gemahlin und den zahlreichen Enkelkinder geliebt und verehrt.

Quelle: Märchen aus Korea

 

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