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Märchenbasar

Das Märchen vom Rosenblättchen

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Der Herzog von Rosmital hatte eine sehr schöne Schwester, die er über alles liebte und der alles zu Gefallen tat. Sie hatte eine außerordentliche Liebe zu Blumen, besonders zu den Rosen, und ihr Bruder verwandelte deswegen beinahe sein ganzes Land in einen einzigen Rosengarten; außerdem hatte die noch eine andere Leidenschaft, und das war, ihre schönen Haare immer zu flechten und zu kämmen, und sie hatte zu diesem Zweck eine Menge Kammerfräulein, welche eigentlich Kammfräulein hießen und goldene Kämme anhängen hatten. Ihre ganze Beschäftigung war, sich kämmen zu lassen und dann mit den Kammfräulein in Garten herumzuspringen, bis ihre Haare wieder in Ordnung waren und sie sich von neuem kämmen ließ.
Als sie einst morgens unter den Händen ihrer sechs Kammfräulein im Garten saß, welche ihr sechs Zöpfe flochten, trat ihr Bruder, der Herzog von Rosmital, vor sie und führte ihr an der Hand des Prinzen Immerund -ewig zu und redete sie also an: „Liebe Schwester! ich habe dir schon oft von meinem vertrautesten Freund, dem Prinzen Immerundewig erzählt, und du weißt, daß ich von jeher wünschte, du möchtest dich mit ihm vermählen, damit er immer und ewig bei mir bleibe; hier stelle ich ihn dir vor und bitte dich, ihm dein Herz zu schenken.“ In diesem Augenblick raufte eines der Kammfräulein die Prinzessin Rosalina, worüber sie sehr ungeduldig wurde und gegen sie ausrief: „Du raufst mich immer und ewig!“ Das Kammfräulein entschuldigte sich fein, indem es sagte: „Ja, Prinzessin, der Prinz Immerundewig raufte Euch, denn sein Auftreten hat mich zerstreut.“ Der Prinz begann sich schon zu entschuldigen, als wieder eine andere sie raufte, so daß Rosalina ganz aus der Fassung kam und den armen Immerundewig fragte: „Mein verehrter Prinz und mein geliebter Bruder! Ich erkläre, daß ich mich ebenso wenig als ein Rosenstock mit einem Kürbis mit dem Prinzen Immerundewig vermählen werde.“
Und nach diesen Worten lief sie weg und die zopfflechtenden Kammfräulein ihr nach. Der Herzog konnte seinem Freunde keinen Trost geben, „denn“, sagte er, „ihre Worte sind unverbrüchlich.“
„Sind sie das“, sagte Immerundewig, „so will ich mein Heil versuchen“, umarmte dann denn Herzog und reiste ab zu einer Muhme, der Frau Nimmermehr, welche eine große Zauberkünstlerin war, und er holte sich Rat bei ihr. Mehrere Wochen nachher spazierte einst Rosalina im Garten umher, da sah sie eine alte Frau, die einen Rosenstock nach dem andern betrachtete und bei jedem den Kopf schüttelte. Rosalina ging zu ihr und fragte sie, warum sie immer den Kopf schüttelte.
„Weil bei allen Rosen doch die schönste fehlt“, sagte die Alte, „nämlich die immer und ewig blühende.“ – „Wer hat sie?“ fragte Rosalina, „ich muß sie haben, um jeden Preis!“ „Nun, nun“, sagt die Alte, „um ein gutes Wort steht sie Euch zu Diensten!“ und zog den Deckel von ihrem Handkorb und zeigte der Prinzessin einen Kürbis, in welchen sie das blühende Rosenreischen gesteckt hatte, damit es frisch bleiben möge.
Rosalina war in der größten Freude über das Rosenstöckchen, und als sie die Alte fragte, was sie dafür verlangte, sagte diese: „Zwei Dinge: erstens, daß du mein Gast seiest bei meinem Mittagsbrot, und zweitens, daß du alle Monate, sooft dir das Rosenstöckchen eine Rose bringt, mit deinem Kammfräulein ein Fest begehst, wobei ihr alle über das Rosenstöckchen wegspringt, ohne daß ihr ein Rosenblättchen mit Euren Kleidern abstreift, damit keines auf die Erde fällt; und bei welcher eines auf die Erde fällt, die muß ein paar tüchtige Hiebe mit Rosenzweigen auf die Hände bekommen, welche ihnen der Rosenstock geben wird, so sie zu ihm sprechen:
„Röslein! Röslein! Triff mich fein! Triff mich mit der Rut’, Weil ich sprang nicht gut; Triff mich mit der Rute recht, Röslein! weil ich sprang so schlecht!“
Die Prinzessin lachte hierüber und willigte in alles ein. Da nahm die Alte einen hölzernen Löffel aus der Tasche, trennte den Kürbis in zwei Teile und nahm einen Löffel voll von seinen Kernen, den sie der Prinzessin zum Essen vorhielt. Diese machte anfangs einen schiefen Mund, als sie es aber einmal versucht hatte, schmeckte es ihr vortrefflich, und sie aß ziemlich viel von den Kernen. Hierauf pflanzte die Alte den Rosenstock unter ihr Fenster, weil er bereits ein volles Röschen trug, sagte sie: „Fräulein Rosalina! ruft Eure Kammfräulein und beginnt das erste Fest vom Rosensprung.“ Da ging Rosalina und erzählte alles ihrem Bruder, dem Herzog; der bestellte Pauker und Trompeter und richtete das ganze Fest aus.

Als Rosalina und ihr Kammfräulein erschienen waren, losten sie, wer zuerst springen sollte, und es traf sich, daß Rosalina die Allerletzte war. Manches Fräulein sprang glücklich hinüber, aber alle jene, welche die Prinzessin gerauft hatten, als der Prinz Immerundewig um ihre Hand bat, streiften mit ihren langen Schleppen ein paar Blätter von der Rose ab und mußten ihre Hände mit den Worten: „Röslein! Röslein! Triff mich fein! riff mich mit der Rut’,Weil ich sprang nicht gut; Triff mich mit der Rute recht, Weil ich sprang so schlecht.“
dem Rosenstock darbieten, welcher ihnen zur Bewunderung aller Anwesenden mit seinen Zweigen ein paar so tüchtige Hiebe über die Finger gab, daß ihnen das Wasser in die Augen kam. Als nun die Reihe zum Sprung an Rosalina kam, nahm sie einen tüchtigen Anlauf und wäre auch glücklich hinübergekommen, wenn sich ihr im Sprung nicht die Haarflechten aufgelöst hätten, die ein Blättchen von der Rose abschlugen, welches sie aber im Sprung, ehe es zur Erde fiel, erhaschte und verschluckte, so daß ihr von der ganzen Gesellschaft Beifall zugeklatscht wurde. Hierauf ward noch lustig geschmaust und getanzt, und als gegen Ende der Tafel allerlei Gesundheiten getrunken wurden, hob die alte Frau ihr Glas in die Höhe und sprach zu Rosalina: “ Weil Kürbiskern und Rosenblatt, Dein roter Mund gesehen hat,
weil Ros’ und Kürbis sich verband, Verlierst du deine stolze Hand: An meinen Freund, den Immerundewig. Leb wohl, im Abendschimmer entschweb’ ich.“
So sprach sie, und vor den Augen aller verschwand sie plötzlich. Rosalina aber, auf welche alle Augen gerichtet waren, tat einen lauten Schrei und fiel in Ohnmacht. Man brachte sie nach ihrer Stube, und sie bedachte mit großer angst, daß sie dem Prinzen gesagt, sie wolle ihn nehmen, wenn Rose und Kürbis sich vermählten. In der Nacht hatte sie sehr wunderbare Träume: Es war ihr immer, als wüchsen ihr Rosen aus dem Munde, und sie hatte Magenweh. Diese Träume hatte sie oft und immer ängstlicher. Als der kleine Monatsrosenstock wieder eine Rose brachte und sie wieder hinübersprang, war sie ganz melancholisch und krank; Essen und Trinken schmeckten ihr nicht mehr.
Bei dem dritten Rosenfest hatte sie geträumt, sie würde ein Kürbis, und ihr Bruder mußte ihr das mit vieler Mühe ausreden. Aber gegen das vierte Rosenfest setzte sie sich den Gedanken noch viel fester in den Kopf, daß sie ein Kürbis sei, und wollte deswegen auf keine Weise mehr über den Rosenstock springen. Bei dem fünften Rosenfest war sie nicht aus der Stube zu bringen und weinte den ganzen Tag darüber, daß sie ein Kürbis geworden sei. Der Herzog war sehr betrübt über ihre Einbildung und versammelte alle Ärzte um sie; aber es war ihr nicht mehr auszureden. Das sechste Rosenfest kam, da war der Rosenstock schon so groß geworden, daß an kein Springen mehr zu denken war, und besonders, weil sie den ganzen Tag trauerte, daß sie ein Kürbis sei. Am siebenten Rosenfest guckte der Rosenstock ihr ins Fenster; am achten wuchsen seine Zweige schon um ihr Bett, und am neunten breitete er eine ganze Rosenlaube über sie. Da träumte sie so lebendig, sie sei ein Kürbis und müsse sterben, daß sie ihren Bruder zu sich rufen ließ, der mit Licht hereintrat. Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie morgens neben ihrem Lager einen halben großen, goldnen Kürbis stehen sah, in welchem wie in einer Wiege ein schönes kleines Mägdelein schlummerte. Da war die Prinzessin sehr gerührt und sagte: „Ach! wenn der gute Prinz Immerundewig da wäre, ich wollte gern seine Gemahlin werden!“ Da rauschten die Rosen um sie, und sie hörte eine Stimme: „Als Rose sterb’ ich, als Rose leb’ ich, Rose bin ich nun Immerundewig.“ Da war die Prinzessin sehr betrübt, denn sie hörte wohl, daß der gute Prinz ihr zuliebe ein Rosenstock geworden war, und sie gab dem Mägdlein den Namen Rosenblättchen und trug es mit seinem Bettchen in ihre geheimste Kammer, wo sie es erziehen wollte; denn sie hatte es so lieb, daß sie es keinem Menschen zu sehen gönnte.
Rosalina, welche bald wieder ganz lustig geworden war, saß am folgenden Tage im Bett und ließ sich von ihren Kammfräulein ihre Haare, die sie sonst in einem Kranz geflochten getragen hatte, auf eine andre Weise flechten: denn sie wollte nun die goldne Haube aufsetzen. Sie hatte kaum begonnen, als es an der Tür pochte und man ihr sagte, die Alte, welche den Kürbis und den Rosenstock gebracht, sei draußen und wolle Rosenblättchen sehen. Sie ließ ihr aber sagen, sie solle warten, bis sie gekämmt sei.

Nach einer Viertelstunde pochte die Alte wieder und erhielt dieselbe Antwort, und das noch fünfmal. Da war die Alte beim siebenmal sehr zornig und rief ihr durch das Schlüsselloch hinein: „Sieben Viertelstund’ hab’ ich geharrt, Sieben Viertelstund’ ward ich genarrt: So kämme denn noch sieben Jahr; Dann bringt dein Kamm dich in Gefahr, Du kämmst dich dann in großer Not, Und kämmst das Rosenblättchen tot.“
So sagte die Alte im Zorn und verschwand. Rosalina achtete wenig hierauf und dachte an nichts als ihr Rosenblättchen, welches täglich größer und freundlicher wurde und wie seine Mutter schöne lange Haare hatte; und diese zu kämmen war Rosalinas höchste Lust, wenn sie sich allein mit dem Rosenblättchen eingesperrt hatte. Nun war das Kind beinahe sieben Jahre alt geworden, und die Zeit nahte sich, wo der Unglückswunsch des alten Zauberweibes: „Du kämmst dich dann in großer Not. Und kämmst das Rosenblättchen tot“ wahr werden sollte; aber Rosalina dachte nicht mehr daran und kämmte das Rosenblättchen nach wie vor.
Als sie nun einst das Mägdlein zwischen ihren Beinen hatte und ihr den spitzigen goldnen Kamm durch die langen goldnen Locken zig, fühlte sie auf einmal einen großen Neid in sich erwachen, weil das Kind viel schönere Haare hatte als sie, und sagte ungeduldig; „Ach! hättest du einen kahlen Kopf. Und ich hätte all’ deine Haare im Zopf.“ Kaum aber hatte sie dieses gesagt, als sie vom Himmel gestraft wurde; denn eine unsichtbare Schere kam über sie her, und ritsch, ritsch schnitt sie ihr alle Haare vom Kopf herab, worüber sie so zusammenfuhr, daß sie mit der Hand zuckte und dem armen Rosenblättchen den spitzen Kamm so tief in das Häuptlein stieß, daß es mit einem Schrei tot zu ihren Füßen sank. Da fiel der unglücklichen Rosalina der Zauberfluch der alten Frau ein; aber es war zu spät. Ihr geliebtes Rosenblättchen lag tot an der Erde, und ihre schönen, langen Haare, die sie so lange und mit viel Eitelkeit hatte kämmen lassen, lagen abgeschnitten umher, und sie rang ihre Hände verzweiflungsvoll über ihrem kahlen Kopf. Nachdem sie so lange geweint hatte, stopfte sie ein Bettchen mit ihren langen Haaren und ein Kopfkissen mit Rosenblättern und legte das tote Rosenblättchen darauf, mit gefalteten Händen in einen Kasten von Kristallglas und ließ noch sechs andere Kasten von Kristall darüber machen und verschloß sie in der Kammer, wovon niemand etwas wußte als eine vertraute Dienerin. So lebte sie noch einige Jahre in beständiger Trauer. Der Rosenstock verdorrte auch in der Stube, und als sie fühlte, daß die Stunde ihres Todes herannahte, ließ sie ihren Bruder, den Herzog von Rosmital, zu sich kommen und sagte: „Geliebter Bruder! Das Ziel meines Lebens ist gekommen; ich wollte, ich wäre nie so eigensinnig und eitel gewesen, aber jetzt ist es zu spät; ich bitte Gott, er möge sich meiner erbarmen. Alles was ich besessen habe, gehört nun dir; aber eins schwöre mir, damit ich ruhig sterben kann.“ Der Herzog schwor ihr unter Tränen, alles zu tun, was sie verlangte; denn er liebte sie über alles. Nun gab sie ihm einen Schlüssel und sagte: „Dieser ist der Schlüssel zu der letzten Kammer meiner Wohnung; bewahre ihn gretreu und öffne diese Kammer niemals!“
Der Bruder beteuerte nochmals, sein Versprechern zu halten, und da sagte Rosalina: „Leb wohl und bete für mich“; dann wendete sie sich um und war tot, worauf sie der Herzog mit großem Gepränge beim Monatsrosenstock begraben ließ.

Einige Monate nachher vermählte sich der Herzog mit einer schönen, aber nicht gutmütigen Dame, und als er einst eine kleine Reise machen mußte, bat er seine Gemahlin, das Haus wohl in Ordnung zu halten und um alles in der Welt die letzte Kammer, deren Schlüssel er in seinem Schreibtisch verwahrt habe, nicht zu öffnen.
Sie versprach alles; aber kaum hatte er den Rücken gewendet, als sie, von Neugierde getrieben, den Schlüssel nahm und sich die verbotene Kammer öffnete.
Wie groß war ihr Zorn, da sie durch den gläsernen Kasten Rosenblättchen auf der Matratze liegen sah, die, seit sie hier von ihrer Mutter als tot eingeschlossen worden war. mitsamt dem gläsernen Kasten gewachsen war und wie ein schönes schlummerndes Fräulein von vierzehn Jahren aussah; denn das alte Zauberweib hatte sie langen Jahre hindurch im Schlafe lebend erhalten. Die böse Herzogin riß den Kasten zornig auf und sprach: „Ha, ha! darum soll ich nicht in die Kammer, damit die Jungfrau ruhig schlafen kann; aber warte! ich will das Murmeltierchen wecken“, und nun riß sie Rosenblättchen bei den Haaren hoch, so daß der Kamm, welcher noch von damals im Kopf stak, herabfiel und das arme Mägdlein aus ihrem Zauberschlaf erwachte mit dem Geschrei: „Ach, Mutter! liebe Mutter! wie hast du mir weh getan!“ – „Ich will dich muttern und vatern“, sagte die Herzogin, „daß du den Lebtag ddran denken sollst!“ und riß das zitternde und weinende Rosenblättchen aus dem Kristallkasten und schlug misshandelte sie auf alle Weise mit der Drohung, wenn sie ein Wort zu irgendeinem Menschen rede, was ihr hier geschehen sei, solle sie ins Wasser geworfen werden. Dann schnitt sie ihr die schönen langen Haare ab, machte ihr ein kurzes Kleid aus Sackleinwand, ließ sie Holz und Wasser tragen, Öfen heizen und Stuben scheuern und gab ihr täglich so viele Nasenstüber, Kopfnüsse, Ohrfeigen und Maulschellen, daß das arme Rosenblättchen so braun und blau im Gesicht aussah, als ob sie Heidelbeeren gegessen hätte. Als der Herzog von Rosmital zurückkam und die Herogin fragte, wer das arme Mädchen sei, das er täglich so gewaltig von ihr mißhandelt sehe, sagte sie: „Sie ist eine Sklavin, welche mir meine Muhme zugesendet hat: aber sie ist so boshaft und so dumm und faul, daß ich sie unaufhörlich strafen muß.“

Nach einiger Zeit reiste der Herzog auf einen großen Jahrmarkt und ließ nach seiner Gewohnheit alles, was im Schlosse lebte, bis auf die Katzen und Hunde vor sich rufen, um jeden zu fragen, was er ihm vom Jahrmarkt als Geschenk mitbringen sollte, da denn der eine dieses, der andre jenes begehrte; als endlich auch das arme Rosenblättchen in seinem groben Sklavenkittel hervortrat und der Herzog sie eben anreden wollte, unterbrach ihn seine böse Gemahlin mit den Worten: „Muß der Schmutzkittel auch überall dabeisein? Sollen wir alle mit der faulen, groben Sklavin über einen Kamm geschoren werden? Fort mit dem widerwärtigen Tölpel! Ich weiß nicht, wie du ein so niedriges Wesen solcher Auszeichnungen würdigen magst!“ – Da liefen dem armen Rosenblättchen vor Kummer die Tränen über die Wange herab, und der Herzog, der sehr gütig und mitleidig war, sagte gerührt zu ihr: „Weine nicht, du armes Kind, sondern sage mir von Herzen, was ich dir mitbringen soll, denn niemand soll mich hindern, auch dir eine Freude zu machen.“ Da sagte das Rosenblättchen: „Herzig, bringe mir eine Puppe mit und ein Messerchen und einen Schleifstein, und solltest du dieses vergessen, so wünsche ich, daß du nicht über den ersten Fluß, der dir in den Weg kommt, herübergelangen könntest.“ Der Herzog reiste nun auf den Jahrmarkt und kaufte alles ein, nur die Puppe, das Messerchen und den Schleifstein für Rosenblättchen vergaß er. Da er nun auf der Rückreise an einen Fluß kam, entstand ein solcher Sturm in den Wellen, daß kein Schiffer es wagte, ihn überzufahren; da fiel ihm die Verwünschung von Rosenblättchen ein. Er kehrte daher gleich zurück und kaufte alles, was sie bestellt hatte, und gelangte dann glücklich nach seinem Schloß. wo er alle seine Geschenke richtig austeilte. Da Rosenblättchen ihre Geschenke erhalten hatte, trug sie alles in die Küche, stellte die Puppe auf den Herd, setzte sie vor sich hin und weinte bitterlich und begann, ihr, gerade als ob sie eine lebendige Person wäre, alle ihre Leiden und Qualen, die sie von der Herzogin erdulden mußte, nach der Reihe vorzuerzählen, und sagte immer dazwischen: „Nicht wahr? Verstehst du? Hörst du? Gelt, das ist betrüblich? Nun, was sagst du dazu?“ Als aber die Puppe nicht antworten wollte, nahm Rosenblättchen ihr Messerchen und wetzte es auf ihrem Schleifstein und sagte: „Puppe, wenn du mir nicht antworten willst, so steche ich mir das Messerchen ins Herz, denn ich habe keinen Freund auf Erden als dich.“ Da schwoll die Puppe nach und nach wie ein Dudelsack, wenn man ihn aufbläst, und schnurrte endlich: „Versteh’ dich schon, versteh’ dich schon; versteh’, versteh’ dich schon viel besser als ein Tauber.“ Da nun diese Musik der Puppe und das Klagen des Rosenblättchens vor ihr mehrere Tage hintereinander von dem Herzog gehört wurden, der eine Stube dicht neben der Küche hatte, machte er sich ein Loch in die Tür, wo es sehen und hören konnte, wie Rosenblättchen weinend vor der Puppe saß und ihr erzählte: vom Prinzen Immerundewig, von den Kürbiskernen, vom Rosensprung; vom Rosenblatt, von dem Goldkürbis, worin sie gelegen, vom Kämmen der Mutter, von der Verwünschung des Zauberweibes, vom Einstoßen des Kamms in den Kopf, von ihrem Zauberschlaf, vom Liegen in den sieben Glaskästen, vom Schlüsselgeben an den Herzog und dem Verbot, die Kammer nicht zu öffnen, vom Tode der Prinzessin Rosalina, von der Reise des Herzogs, von der Neugierde der Herzogin, von der Öffnung der Kammer, dem Herausreißen des Kamms, dem Haarabschneiden und der argen Misshandlung, die sie stündlich ertragen müsse; dann sagte sie wieder: „Antworte, oder ich bringe mich um! und setzte das Messer an ihr Herz.

Aber der Herzog sprang zur Türe herein und riß es ihr aus der Hand, umarmte sie zärtlich als seine Schwestertochter und brachte sie aus dem Schlosse zu der Gemahlin seines Ministers, wo sie herrlich gekleidet und gepflegt wurde. Da sie sich nach einigen Monaten wieder recht erholt hatte von den Qualen und schweren Arbeiten, welche ihr die böse Herzogin auferlegt hatte, ließ er eine prächtige Mahlzeit in seinem Schlosse anstellen, bei welcher er Rosenblättchen, die niemand mehr in ihrem Glanze erkannte, als seine Nicht mit erscheinen ließ. Nach Tisch wurde ein Zuckerhaus aufgetragen und jedermann hätte so gern gewusst, wer drin saß. Da sagte der Herzog zur Herzogin; „Wollt Ihr wohl das Zuckerhaus öffnen?“ – und sie tat es, da lag die kleine Puppe drin in sieben Glaskästen, wie Rosenblättchen gelegen hatte, und die Herzogin erschrak sehr und schlug vor Zorn die Glaskästen entzwei und riß die Puppe heraus; aber die lief ihr weg und setzte sich auf Rosenblättchens Schulter und blies sich dick, dick auf wie ein Dudelsack und erzählte der Herzogin alle ihre Grausamkeiten ins Gesicht, und wurde immer größer und größer und stand endlich wieder als das alte Zauberweib auf dem Tisch, welches oft in der Geschichte vorkommt, und flog zum Fenster hinaus. Da ließ der Herzog seine böse Frau in eine Kutsche setzen und sie wieder zu ihren Eltern hinfahren, wo er sie einst abgeholt hatte.
Das Rosenblättchen aber wurde die Gemahlin eines vornehmen Prinzen und erhielt das ganze Herzogtum Rosmital zum Brautschatz, und da blühte der Rosenstock des Prinzen Immerundewig wieder auf. Und als Rosenblättchen eines nachts den süßen Duft roch, trat sie mit ihrem Gemahl an das Fenster und sah ihre Mutter und die Kammfräulein über den Rosenstock springen, und der Prinz Immerundewig war auch dabei.
„Ach! rief sie aus, „liebste Eltern! Gott segne Euch!“ Da riefen sie von unten wieder herauf: „Ach! liebste Kinder! Gott segne Euch!“ und verschwanden in der Luft.
Da wurde das Rosenblättchen sehr still und ließ eine Wiege machen wie einen goldnen Kürbis, da bescherte ihr der Himmel einen kleinen Prinzen hinein, und der – der hat mir alles dieses für einen einzigen Pfefferkuchen erzählt.

Quelle: Clemens Brentano

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