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Märchenbasar

Das Märchen vom silbernen Hirsch – Die Prüfungen des Herzens

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Es war einmal ein König, dessen Reich von Schatten heimgesucht wurde. Ein düsterer Nebel legte sich über die Felder, die Flüsse froren trotz des Sommers zu Eis, und seine Tochter, Prinzessin Alena, verfiel in eine tiefe Schwermut. Ihr Lächeln verblasste, und ihr Herz schien gefangen von einer unsichtbaren Dunkelheit.

Der König versprach die Hand seiner Tochter und einen Teil seines Reiches dem, der ihre Traurigkeit zu bannen vermochte. Viele wagten sich in den verzauberten Wald, wo das Heilmittel verborgen sein sollte, doch keiner kehrte zurück.

In einem abgelegenen Dorf lebte ein armer, aber mutiger Jäger namens Finn. Mit nichts als seinem alten Bogen und der Treue seines Hundes wagte er sich in den finsteren Wald. Der Nebel flüsterte von verlorenen Seelen, und im Dickicht lauerten Schatten, die sich bewegten, obwohl kein Wind wehte.

Nach Tagen voller Entbehrung begegnete Finn einem Hirsch mit silbernem Fell, dessen Augen in der Dunkelheit wie zwei Monde leuchteten. Der Hirsch sprach mit einer Stimme, die wie fernes Glockenläuten klang: „Schieße nicht, Jäger, und ich will dir den Weg zur Rettung weisen. Doch du musst drei Prüfungen bestehen, die mehr Mut als Kraft erfordern.“

Finn nickte entschlossen, und der Hirsch führte ihn zu einem verborgenen Brunnen, dessen Wasser glitzerte wie flüssiges Sternenlicht. „Nur wer mit reinem Herzen das Wasser trägt, kann das Dunkel brechen.“

Die erste Prüfung führte Finn durch einen Wald voller trügerischer Spiegel. In jedem Spiegel sah er schreckliche Bilder von sich selbst: als Feigling, Verräter, Verlorener. Doch er erkannte, dass diese Schatten nichts waren ohne seine Furcht. Mit festem Blick durchschritt er den Wald, ohne den Spiegeln Glauben zu schenken.

Die zweite Prüfung war eine schmale Brücke über einen Abgrund, in dem Stimmen von verlorenen Seelen klagten. Der Wind zerrte an ihm, doch er hielt den Krug mit Wasser fest an sich gedrückt und schritt unbeirrt voran, geführt von der Erinnerung an Alenas traurige Augen.

Die dritte Prüfung war ein Tor aus Dornen, bewacht von einer finsteren Gestalt, die in Finns Herz blickte und ihm seine größte Angst zeigte – allein zu sein, ohne Liebe, ohne Hoffnung. Doch Finn erkannte, dass wahrer Mut nicht das Fehlen von Angst ist, sondern das Überwinden derselben. Er schritt durch die Dornen, das Herz voller Entschlossenheit.

Er kehrte mit dem Wasser zurück, müde und verletzt, doch sein Geist war ungebrochen. Als die Prinzessin das Wasser trank, verließ die Dunkelheit ihr Herz, und ihr Lächeln erblühte wie die erste Blume nach einem langen Winter.

Der König hielt sein Versprechen, doch nicht Reichtum noch Macht begehrte Finn. Sein Herz hatte längst gewählt. Die Prinzessin, deren Augen nun wie Morgensonne leuchteten, erwiderte seine Liebe.

Sie heirateten und herrschten weise und gerecht. Und oft, in stillen Nächten, besuchten sie den Wald, wo der silberne Hirsch aus der Ferne wachte, sein Antlitz ein stilles Zeugnis von Mut, Liebe und der Kraft des reinen Herzens.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

 

2025 Mario Eberlein

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