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Das Rothhütchen

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Einmal war eine Alte, die hatte eine Enkelin, welche das Rothhütchen hiess. Eines Tages waren sie auf dem Felde, da sagte die Alte: »Ich gehe nach Hause, über eine Weile magst du nachkommen und mir die Suppe bringen.« Als nun Rothhütchen nach einer Weile auch heimging, begegnete es dem Orco, welcher sagte: »Ei, schönes Rothhütchen, wohin gehst du denn?« – »Ich gehe meiner Grossmutter die Suppe bringen.« »Gut«, erwiederte er, »da komm‘ ich auch mit. Aber wo gehst du, über die Steine oder über die Dornstauden?« »Ich geh‘ über die Steine«, sagte das Mädchen. »So geh‘ ich über die Dornstauden!« versetzte der Orco.
Sie gingen. Aber Rothhütchen kam auf dem Wege zu einer Wiese, da blühten viele schöne Blumen von allen Farben und das Mädchen pflückte davon nach Herzenslust. Indessen lies sich der Orco die Eile angelegen sein und kam, obwol er auf den Dornstauden ging, vor dem Rothhütchen zum Hause. Er ging hinein, erschlug und frass die Alte und legte sich selbst in das Bett; vorher hatte er aber noch die Gedärme statt des Strickes an die Thüre gehängt und das Blut, die Zähne und die Kiefern in den Küchenschrank gestellt. Kaum war er im Bette, so kam Rothhütchen und klopfte an die Thüre. »Herein«, rief der Orco mit dumpfer Stimme. Rothhütchen wollte die Thüre aufmachen; aber als es merkte, dass es an etwas Weichem ziehe, rief es: »Ei, wie weich ist das Ding da, Grossmütterchen!« – »Zieh nur und schweig, es sind ja die Gedärme deiner Grossmutter!« »Was sagst du da?« – »Zieh nur und schweige!« – Rothhütchen zog die Thüre auf, trat ein und sagte: »Grossmütterchen, mich hungert!« Der Orco erwiederte: »Geh‘ nur hinaus zum Küchenschrank, da wird noch ein wenig Reis sein.« Rothhütchen ging und nahm die Zähne heraus. »Ei, wie hart ist das Ding da, Grossmütterchen!« – »Iss und schweig, es sind ja die Zähne deiner Grossmutter!« – »Was sagst du da?« »Iss und schweige.« – Ueber eine Weile sagte Rothhütchen: »Grossmütterchen, mich hungert noch!« – »Geh‘ nur hinaus zum Schranke«, sagte der Orco, »da wirst du noch zwei Hackfleischschnittchen finden.« Rothhütchen ging und nahm die Kiefern heraus. »Ei, wie roth ist das Ding da, Grossmütterchen!« – »Iss und schweig; es sind ja die Kiefern deiner Grossmutter!« – »Was sagst du da?« – »Iss und schweige.« – Ueber eine Weile sagte Rothhütchen wieder: »Grossmütterchen, mich dürstet!« – »Sieh nur im Schranke nach,« sagte der Orco, »es muss noch ein bischen Wein da sein!« – Rothhütchen ging und nahm das Blut heraus. »Ei, wie roth ist dieser Wein da, Grossmütterchen!« – »Trink und schweig, es ist ja das Blut deiner Grossmutter!« – »Was sagst du da?« – »Trink nur und schweige.« – Ueber eine Weile sagte Rothhütchen: »Grossmütterchen, mich schläfert!« – »Zieh dich aus und komm zu mir in’s Bett!« erwiederte der Orco. Rothhütchen ging in’s Bett und merkte etwas Haariges. »Ei, wie haarig du bist, Grossmütterchen!« – »Das kommt vom Alter,« sagte der Orco. – »Ei, wie lange Beine du hast, Grossmütterchen!« – »Das kommt vom Gehen.« »Ei, wie lange Hände du hast, Grossmütterchen!« – »Das kommt vom Arbeiten.« – »Ei, wie lange Ohren du hast, Grossmütterchen!« – »Das kommt vom Horchen.« – »Ei, welch‘ grosses Maul du hast, Grossmütterchen!« – »Das kommt vom Kinderfressen!« sagte der Orco und gnaf – verschlang er Rothhütchen auf Einen Ruck.

[Italien: Christian Schneller: Märchen und Sagen aus Wälschtirol]

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