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Märchenbasar

Das Schloss des Helios

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Es war einmal ein König, der hatte vier Kinder, nämlich drei Söhne und eine Tochter. Als dieser und seine Frau gestorben waren, sagte eines Tages die Prinzessin zu ihren Brüdern, dass sie in die Ferne ziehen wolle. Sie liess sich daher ein schwarzes Kleid mit drei Streifen machen und in jeden Streif zweitausend Goldstücke einnähen. Als das geschehen war, nahm sie von ihren weinenden Brüdern Abschied und zog von dannen. Sie ging immer zu immer zu und kam endlich am Fusse eines Berges an. Den erstieg sie, und als sie dann wieder auf der andren Seite abwärts ging, begegnete sie einem Mönche, der fragte sie, wo sie hin wolle. Sie antwortete, sie ginge der Nase nach. Da sie aber in der Ferne einen weissen Gegenstand bemerkte, so fragte sie zugleich den Mönch, was das sei. ‚Das ist, mein Kind,‘ antwortete der Mönch, ‚das Schloss des Helios,2und dort befinden sich mehr als zehntausend Prinzen, die einst auf der Jagd in die Gegend kamen und von Helios versteinert worden sind. Du, mein Kind, bist ein braves Mädchen, und ich möchte nicht, dass dir Böses widerfahre, sondern vielmehr, dass dir’s gut gehe. Darum will ich dir die Sache erklären, damit du nicht nur selbst Gutes erfährst, sondern auch anderen Gutes erweisen kannst. So wisse denn! In jenes Schloss musst du hineingehen. Aber auf dem Wege dahin wirst du Lärm und Getöse und menschliche Stimmen vernehmen, die Stimmen deiner Brüder, die dir zurufen werden. Aber traue ihnen nicht und drehe dich nicht um, denn das sind Geister, und so du dich umkehrst, wirst du in Stein verwandelt werden. Bist du dann im Schlosse angekommen, so nimm rasch die grosse Flasche, die darin auf einem Tische steht, eile damit hinaus und besprenge alle die versteinerten Prinzen mit dem darin befindlichen Wasser, denn das ist Lebenswasser. Darauf wirst du einen gewaltigen Riesen vor dir sehen, der wird dich, fressen wollen. Aber verzage nur nicht, sondern sag ihm gleich, du suchtest gerade ihn. Nun wird er Wasser von dir verlangen, und du musst darum schon vorher solches in Bereitschaft haben. Sobald er das erhalten, wird er dich bei der Hand nehmen und in seinen Palast führen und sich mit dir verheirathen. Nachher wird er dich fragen, woher du das Wasser genommen habest, darauf musst du ihm antworten: »Von dort, wo es war.« Weiter wird er dich fragen, ob du seine Sklaven befreit habest. Da antworte ihm, du hättest sie ins Leben zurückgerufen. Da wird er merken, dass ich dir das alles gesagt habe, und wird dir kein Leid zufügen. Nun wirst du fortan in seinem Schlosse leben, und es werden auch deine Brüder kommen, und ihr werdet zusammen bleiben. Und an dem Tage, wo deine Brüder kommen, werden auch die von dir befreiten Prinzen erst anfangen sich zu bewegen und vollständig wieder aufzuleben.‘ Die Königstochter dankte dem Mönch für diese Mittheilungen und ging weiter. Sie kam endlich an dem Schlosse des Helios an und ging hinein. Hier ergriff sie die Flasche und besprengte mit dem Wasser die versteinerten Jünglinge, und dann füllte sie die Flasche wieder an einer in der Nähe fliessenden Quelle. Kaum hatte sie das gethan, als plötzlich der Riese vor ihr erschien. Er fragte sie, von wannen sie komme und wie sie hierher gelangt sei, und machte Miene sie zu fressen. Sie aber erwiderte, dass sie gerade ihn suche; und als er Wasser verlangte, gab sie ihm zu trinken. Da sagte Helios: ‚Du taugst für mich,‘ nahm sie mit sich hinauf in sein Schloss und verheirathete sich mit ihr. Dann fragte er sie, wo sie das Wasser geschöpft habe. ‚Dort, wo es war,‘ antwortete sie. Weiter fragte er, ob sie seine Sklaven befreit habe, und sie antwortete: ‚Ja, ich habe sie ins Leben zurückgerufen.‘ Da sagte der Riese von neuem zu ihr: ‚Du taugst für mich,‘ und setzte sie auf einen Thron.

Lassen wir jetzt die Königstochter und nehmen wir die Söhne dran, die ihre geliebte Schwester verloren hatten und sich aufmachen wollten, sie zu suchen. Der älteste sprach zu seinen Brüdern: ‚Ich will fortziehen, meine Brüder, um unsere Schwester aufzusuchen.‘ Er gürtete sich also sein Schwert um und zog von dannen. Er stieg über den Berg, über den auch seine Schwester gestiegen war, allein er begegnete keinem Mönch, der ihn gewarnt hätte, und so ward er nahe beim Schloss des Helios in Stein verwandelt. Nach geraumer Zeit machte sich auch der zweite Bruder auf den Weg, da er sah, dass sein Bruder nicht zurückkehrte. Allein es ging ihm ebenso, wie jenem. Nun brach endlich auch der dritte auf, und als er sich jenseits des Bergs befand, begegnete er dem Mönch, der sprach zu ihm: ‚Geh nur immer vorwärts, da wirst du deine zwei Brüder, in Stein verwandelt, auf dem Wege antreffen. Bleib aber nicht stehen noch kehre dich um, sondern geh immer zu, da wirst du einen Garten finden und darin deine Schwester.‘ Der Königssohn ging also weiter, fand, wie ihm der Mönch gesagt, seine beiden versteinerten Brüder, setzte jedoch seinen Weg fort, kam am Schlosse an und erblickte im Garten seine Schwester. Die fragte ihn, wie er hergekommen sei, und er erzählte ihr’s. Da sprach die Schwester: ‚Wie werden wir’s nun aber machen? Mein Mann ist Helios, und wenn er dich sieht, wird er dich fressen. Er kehrt jedoch erst Abends hierher zurück.‘ Als sich nun die Stunde näherte, wo Helios in seine Behausung zurückkehrte, da verwandelte die Königstochter ihren Bruder, um ihn vor ihrem Gemahl zu verbergen, durch eine Ohrfeige, die sie ihm gab, in einen Fingerhut. Denn als Weib des Helios hatte sie die Macht dazu. Jetzt kam Helios an und sprach sogleich zu ihr mit gewaltiger Stimme: ‚Es riecht hier nach menschlichem Blute.‘ Und er fing an zornig zu werden, aber seine Frau sagte zu ihm: ‚Und wenn nun mein Bruder angekommen wäre, würdest du den fressen wollen?‘ – ‚Nein,‘ antwortete Helios, und als er ihr das durch einen Schwur betheuert hatte, gab sie dem Fingerhute, den sie an ihre Hand gesteckt, einen Schlag, und alsbald verwandelte er sich wieder in ihren Bruder. Helios umarmte und küsste ihn und sagte zu ihm: ‚Ich weiss, dass du zwei andre Brüder hast und dass sie versteinert sind. Nimm Wasser aus dieser Flasche hier und geh und besprenge sie damit.‘ So that der Königssohn, und als die Brüder erlöst nach dem Schlosse zugingen, da lebten auch alle die andern Prinzen auf, und die drei Brüder empfingen sie. Als Helios sie alle vor sich sah, sprach er zu ihnen: ‚Bleibt ihr Brüder meines Weibes hier bei mir, und von den andern, wer Lust dazu hat, auf dass ihr glücklich lebt. Alle andern aber, die nicht hier bleiben wollen, mögen in ihre Heimath zurückkehren.‘ Da blieben die drei Brüder da, und sowohl sie, als auch die zurückkehrten, lebten nun glücklich, wir aber hier noch glücklicher.

Quelle:
(Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder)

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