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Das Sonnenroß

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Es war einmal ein Land, traurig wie das Grab, schwarz wie die Nacht, denn in ihm schien Gottes Sonne niemals. Die Menschen hätten es geflohen, und den Eulen und Fledermäusen überlassen, wenn nicht zum Glück der König ein Roß mit einer Sonne auf der Stirn besessen hätte, die, gleich der wahrhaftigen Sonne, helle Strahlen nach allen Seiten versandte. Damit also die Leute in dem finstern Lande wohnen könnten, ließ der König sein Sonnenroß durch dasselbe führen, von einem Ende zum andern; und es ging Licht von ihm aus, als ob der schönste Tag wäre, allenthalben, wo man es führte; von wo es sich aber entfernte, dort wälzte sich dichte Finsterniß hin.
Plötzlich war das Sonnenroß verschwunden. Dunkelheit, noch ärger als die Nacht, lagerte sich über das ganze Land, und nichts vermochte sie von dieser Zeit an zu verscheuchen. Unzufriedenheit und Schrecken verbreitete sich unter den Menschen, Noth begann sie zu drängen, denn sie konnten nichts arbeiten, nichts erwerben, und es entstand zuletzt furchtbare Verwirrung. Selbst der König gerieth in Angst, und um die Gefahr zu beseitigen, zog er mit seinem ganzen Heere aus, das Sonnenroß zu suchen.
Durch dichte Finsterniß zog der König bis an die Grenze seines Reiches. Hinter tausendjährigen Wäldern in einem andern Lande begann hier Gottes Sonne wie durch Morgennebel hervorzudringen. So weit das Auge reichte, war nichts zu sehen als Wald, ringsum nichts als Wald und wieder Wald.
In diesen Wäldern kam der König mit seinem Heere zu einer armseligen Hütte. Er trat hinein um zu erfragen, wo er sei und wohin der Weg führe. Hinter einem Tische saß ein Mann von mittleren Jahren, der aufmerksam in einem aufgeschlagenen großen Buche las. Als der König sich ihm verneigte, erhob er die Augen, dankte freundlich und stand auf. Sein Wuchs war hoch, sein Antlitz gedankenvoll, sein Blick durchdringend; das ganze Aeußere kündigte an, er sei kein gewöhnlicher Mensch, sondern ein Mensch, der sich mit außerordentlichen Dingen beschäftige.
»Eben las ich von Dir,« sprach der Mann zum König. »Du gehst das Sonnenroß suchen? Bemüh‘ Dich nicht weiter denn Du bekommst es nicht; verlaß Dich auf mich ich will es finden. Kehr‘ zurück nach Hause, dort bist Du nöthig; nimm auch Dein Heer mit Dir, ich bedarf keines Heeres, laß mir nur einen Krieger zu meinen Diensten.« – »Wahrlich, Du unbekannter Mann, ich will Dich reichlich belohnen,« antwortete der König, »wenn Du mir das Sonnenroß wiederbringst.« – »Ich begehre keine Belohnung. Kehr‘ nach Hause zurück, dort bist Du nöthig, und gönn‘ mir Ruhe, daß ich mich zur Reise rüste,« sprach der Mann. Der König entfernte sich, trat mit seinem ganzen Heere den Rückweg an, und hinterließ nur einen Krieger, dem bereitwilligen Manne zu seinen Diensten. Der Seher – denn das war der Mann – setzte sich wieder zu seinem Buche, und las darin bis zum späten Abend.
Des andern Tages begab sich der Seher sammt seinem Diener auf den Weg. Der Weg war weit, denn schon sechs Länder hatten sie durchzogen, und noch mußten sie weiter. Im siebenten Lande blieben sie bei dem königlichen Palaste stehen. Drei gewaltthätige Brüder herrschten über dieses Land, und hatten drei Schwestern zu Gemahlinnen, deren Mutter, eine böse Zauberin, Striga hieß. Als die Beiden vor dem Palaste standen, sprach der Seher zu seinem Diener: »Du warte hier, ich will in den Palast gehen, mich zu überzeugen, ob die Könige zu Hause sind; denn sie haben das Sonnenroß geraubt, der jüngste reitet darauf.« In dem Augenblicke verwandelte er sich in einen grünen Vogel, flog zu dem Erker der ältesten Königin, und flatterte dort umher, und klopfte so lange mit seinem Schnabel, bis sie öffnete und ihn in’s Zimmer ließ. Sie ließ ihn gern herein und freute sich über ihn, wie ein Kind, weil er so schön war, und ihr so süß zu schmeicheln wußte. »Ach Schade, Schade, daß mein Gemahl nicht zu Hause ist, der Vogel würde gewiß auch ihm gefallen! Doch er kommt erst Abends, denn er ist fortgeritten, ein Dritttheil des Landes zu mustern.« So sprach die Königin und spielte mit dem kleinen Vogel.
Plötzlich trat die alte Striga ins Zimmer, gewahrte den Vogel, und schrie: »Erwürg den verfluchten Vogel, sonst wird er Dich blutig machen!« – »Ei mich blutig machen! Sieh doch, wie unschuldig, wie lieb er ist! entgegnete die junge Königin.« Aber Striga schrie: »Trügerische Unschuld! Her mit ihm, daß ich ihn erwürge!« und schon stürzte sie auf ihn los. Allein der Vogel verwandelte sich klug in einen Menschen, und flugs war er zur Thür hinaus. Sie wußten nicht, wohin er gerathen.
Hierauf verwandelte sich der Seher abermals in einen grünen Vogel, flog zu dem Erker der jüngeren Schwester, und klopfte so lange, bis sie ihm öffnete. Als sie ihn hereingelassen, setzte er sich ihr auf die weiße Hand, flog ihr von der Hand bald auf die eine, bald auf die andre Schulter, und dann blieb er ruhig sitzen, und blickte ihr zutraulich ins Auge. »Ach Schade, Schade, daß mein Gemahl nicht zu Hause ist,« rief die Königin vergnüglich lächelnd, »Der Vogel würde gewiß auch ihm gefallen! Doch er kommt erst morgen Abends, denn er ist ausgeritten, zwei Dritttheile des Landes zu mustern.«
Plötzlich trat die alte Striga ins Zimmer. »Erwürg‘ den verfluchten Vogel, sonst wird er Dich blutig machen!« schrie sie, kaum daß sie den Vogel gewahrte. – »Ei mich blutig machen! Sieh doch, wie unschuldig, wie lieb er ist!« entgegnete die junge Königin. Aber Striga schrie: »Trügerische Unschuld! Her mit ihm, daß ich ihn erwürge!« und schon stürzte sie auf ihn los. Allein der Vogel verwandelte sich alsbald in einen Menschen, flugs war er zur Thür hinaus und blitzschnell verschwunden, so daß sie gar nicht wußten, wohin er gerathen.
Nach einer Weile verwandelte sich der Seher nochmals in einen grünen Vogel, flog zu dem Erker der jüngsten Königin, und flatterte dort umher, und klopfte so lange mit seinem Schnabel, bis sie ihm öffnete. Er flog gerade auf ihre weiße Hand, und schmeichelte ihr so, daß sie eine kindische Freude hatte, indem sie mit ihm spielte. »Ach Jammerschade,« rief die Königin in ihrer Freude, »daß mein Gemahl nicht zu Hause ist, der Vogel würde gewiß auch ihm gefallen! Doch er kommt erst übermorgen Abends, denn er ist ausgeritten, alle drei Theile des Landes zu mustern.«
Da stürzte die alte Striga ins Zimmer. »Erwürg‘ den verfluchten Vogel,« schrie sie noch in der Thür. »erwürg‘ ihn, sonst wird er Dich blutig machen!« – »Ei mich blutig machen, Mutter! Sieh doch, sieh, wie unschuldig, wie schön er ist!« entgegnete die Königin; aber die Mutter steckte die dürren Hände nach ihm aus: »Trügerische Unschuld! Her mit ihm, daß ich ihn erwürge!« Allein in dem Augenblicke verwandelte sich der Vogel in einen Menschen, und flugs war er zur Thür hinaus, daß ihn Niemand weiter gewahrte.
Der Seher wußte jetzt, wo die Könige seien, und auf welchem Wege sie kommen würden. Er begab sich schnell zu seinem Diener, befahl ihm, auf drei Tage Nahrung zu kaufen, und eilte dann aus der Stadt. Vor der Stadt im Walde erwartete er ihn, und dann gingen sie hurtigen Schrittes weiter, bis sie zu einer Brücke gelangten, über welche die Könige kommen mußten. Unter der Brücke harrten sie bis zum Abend.
Als sich Abends die Sonne hinter die Wälder neigte, ließ sich auf der Brücke Roßgestampf hören. Der älteste König kehrte nach Hause zurück. Auf der Brücke stolperte sein Roß zufällig über einen Balken. »An den Galgen mit dem Taugenichts, der die Brücke gezimmert hat!« rief erzürnt der König. Da sprang der Seher unter der Brücke hervor, und stürzte auf den König los: »Wie kannst Du es wagen, einen Unschuldigen zu verdammen?« Und er zog sein Schwert, und auch der König zog sein Schwert, konnte aber den mächtigen Streichen des Sehers nicht widerstehen. Nach kurzem Kampfe sank er todt vom Rosse. Der Seher band den todten König an das Roß, und trieb es an, daß es seinen todten Herrn nach Hause trage. Dann verbarg er sich unter der Brücke, und harrte bis zum zweiten Abend.
Als sich des andern Tags der Abend näherte, kam der jüngere König zur Brücke, und als er das Blut gewahrte, rief er: »Gewiß, daß Jemand hier erschlagen ward! Welcher Gauner hat sich erfrecht, mein Königsamt zu üben?« Auf diese Worte sprang der Seher unter der Brücke hervor, und stürzte mit gezücktem Schwerte auf den König los: »Wie kannst Du es wagen, mich so zu schelten! Du bist ein Kind des Todes! Wehr‘ Dich, wie Du’s vermagst!« Der König wehrte sich, doch vergebens, nach kurzem Widerstand erlag er dem mächtigen Schwerte des Sehers. Der band den Leichnam wieder an das Roß, und trieb es an, daß es seinen todten Herrn nach Hause trage. Dann verbarg er sich unter der Brücke und harrte dort mit dem Diener bis zum dritten Abend.
Am dritten Abend, schon nach Sonnenuntergang, kam der jüngste König auf dem Sonnenroß geritten; er ritt schnell, denn er hatte sich irgendwo verspätet. Als er das rothe Blut auf dem Boden gewahrte, hielt er an und rief: »Ein Schurke, der sich unterfangen, meinem Königsarm ein Opfer zu entreißen!« Kaum hatte er die Worte gerufen so stand der Seher mit gezücktem Schwerte vor ihm, und drang auf ihn ein. »Wohlan!« rief der König und zog gleichfalls sein Schwert, und wehrte sich mannhaft.
Die ersten zwei Brüder zu überwältigen, war für den Seher ein Spiel; nicht so leicht ging es bei dem dritten, denn dieser war von allen der Stärkste. Lange kämpften sie, daß der Schweiß von ihnen rann, und noch neigte sich der Sieg auf keine Seite. Die Schwerter zerbrachen. Da sagte der Seher: »Mit den Schwertern richten wir nichts mehr aus. Weißt Du was, verwandeln wir uns in Räder, und rollen wir bergab! Welches Rad zerschmettert, der ist besiegt.« – »Gut,« versetzte der König, »ich will ein Wagenrad sein. Du sei was immer für eins!« – »Nicht doch, Du sei was immer für eins; ich will ein Wagenrad sein,« sagte der Seher klug, und der König ging darauf ein. Sie bestiegen einen Berg; dort verwandelten sie sich in Räder, und rollten hinab. Das Wagenrad flog, und mit Gekrach stieß es in das andere, daß dieses in Stücke zerbrach. Aus dem Wagenrad ward sogleich der Seher, und rief freudig: »Du bist dahin! Mein ist der Sieg!« – »Nicht doch, Freund!« rief der König, indem er wieder vor dem Seher stand. »Du hast mir blos die Finger zerschmettert. Weißt Du was, verwandeln wir uns in Flammen, und welche Flamme die andre verbrennt, der ist Sieger! Ich will eine rothe Flamme sein, Du sei eine weiße!« – »Nicht doch,« versetzte der Seher, »Du sei eine weiße Flamme, ich will eine rothe sein.« Der König ging darauf ein. Sie stellten sich auf den Weg zur Brücke, verwandelten sich in Flammen, und einer begann den andern unbarmherzig zu brennen. Lange brannten sie sich ohne Erfolg. Da kam ein alter Bettler daher, mit langem, weißem Bart, mit kahlem Haupt, eine große Tasche an der Seite, gestützt auf einen dicken Stock. »Alter«, rief die weiße Flamme, »bring‘ Wasser und gieß‘ es auf die rothe Flamme! Ich will Dir einen Pfennig schenken.« Aber die rothe Flamme schrie: »Alter, ich will Dir einen Ducaten schenken, wenn Du auf die weiße Flamme Wasser gießest.« Dem Bettler war der Ducaten lieber als der Pfennig; er brachte Wasser und goß es auf die weiße Flamme. So war der König dahin. Aus der rothen Flamme ward der Seher, fing das Sonnenroß am Zügel, schwang sich darauf, rief den Diener, dankte dem Bettler und ritt davon.
Im königlichen Palaste herrschte tiefe Trauer ob den getödteten König. Der ganze Palast war mit schwarzem Tuche belegt, und erscholl von lauten Klagen. Striga ging unruhig aus einem Zimmer in das andere. Plötzlich blieb sie stehen, stampfte mit dem Fuße auf den Boden, ballte die Faust und rollte die blitzenden Augen; dann setzte sie sich auf eine Ofenkrücke, faßte die drei Töchter unter dem Arm, und husch war sie mit ihnen in der Luft.
Der Seher und sein Diener hatten schon ein gut Stück Weges zurückgelegt, denn sie beeilten sich, da sie Striga’s Rache fürchteten. Sie zogen durch öde Wälder, über nackte Haiden. Die Nahrung, die sie in der Stadt gekauft, begann ihnen auszugehen. Hunger plagte sie, besonders den Diener, und sie fanden Nichts, womit sie ihn hätten stillen können.
Da kamen sie zu einem Apfelbaum. Es hingen Aepfel daran, deren Last die Aeste zur Erde beugte, und die lieblich rochen und schön gefärbt waren, so daß sie die Eßlust reizten. »Gott sei Dank!« rief erfreut der Diener, und schon lief er zu dem Apfelbaum. – »Pflück‘ nicht von dem Baume!« rief der Seher, zog sein Schwert, hieb tief in den Apfelbaum und rothes Blut quoll aus ihm hervor. »Siehst Du, es wäre Dein Verderben gewesen, hättest Du von den Aepfeln gegessen; denn dieser Apfelbaum war die älteste Königin, welche ihre Mutter hierher pflanzte, um uns aus der Welt zu schaffen.« Der Diener war betrübt über die Täuschung, doch der Rettung seines Lebens froh, schritt er weiter hinter dem Seher, in der Hoffnung, bald ein anderes Labsal zu finden.
Er brauchte nicht lange zu warten, denn bald kamen sie zu einer Quelle. Es sprudelte das reinste, frische Wasser aus ihr, und lockte die Reisenden zum Trinken. »Ach,« sagte der Diener, »ist nichts Festeres zu haben, so können wir wenigstens von diesem Wasser trinken und unseren Hunger täuschen.« – »Trink‘ nicht von dem Wasser!« rief der Seher, hieb mit seinem Schwerte mitten in das Wasser hinein, und es färbte sich mit Blut, das in starken Wellen dahinfloß. »Das war die jüngere Königin, von ihrer Mutter hierher versetzt, um uns aus der Welt zu schaffen!« sprach der Seher, und der Diener dankte ihm für die Warnung, und folgte trotz Hunger und Durst dem Seher, wohin er wollte.
Nach einer Weile kamen sie zu einem Rosenstrauch. Der war roth von lauter schönen Rosen, und erfüllte mit seinem Duft die ganze Umgegend. »O was für schöne Rosen,« sagte der Diener, »noch nie in meinem Leben hab‘ ich deren so schöne gesehen! Ich will einige abreißen, und mich mindestens an ihnen erquicken.« – »Reiß‘ keine Rose ab!« rief der Seher, hieb mit seinem Schwerte in den Rosenstrauch, und es spritzte Blut aus ihm hervor, als ob sich eine Menschenader öffnete. »Das war die jüngste Königin,« sprach der Seher zum Diener, »die ihre Mutter hierher pflanzte, um uns durch die Rosen aus dem Leben zu tilgen.«
So zogen sie weiter. Indem sie weiter zogen, sprach der Seher zum Diener: »Die ärgste Gefahr haben wir überstanden, wir sind aus Striga’s Bereiche. Doch dürfen wir nicht trauen, denn Striga wird andere Mächte anstiften.« Kaum hatte er die Worte gesprochen, so kam ein kleiner Knabe des Weges daher, der einen Zaum in der Hand trug. Er sprang unter das Roß, berührte es mit dem Zaume, und in demselben Augenblicke war der Seher von dem Sonnenroß unten und der Knabe saß oben, und sprengte pfeilschnell von dannen. »Sagt‘ ich es nicht?« sprach der Seher. – »Was für ein Knabe ist das?« rief der Diener. »Wer hätte sich eines solchen Streiches versehen! Machen wir, daß wir ihn einholen!« – »Laß nur,« entgegnete der Seher, »ich will ihn selbst einholen! Geh‘ indessen des Weges weiter, geh‘ getrost durch sechs Länder, bis Du an die Grenze Deines Landes gelangst, ich werde Dir schon nachkommen.«
Der Seher verließ den Diener und eilte dem kleinen Zauberer nach. In einer Weile holte er ihn ein, und ging langsam, indem er die Gestalt eines gewöhnlichen Wandersmannes annahm. Der Zauberer sah sich eben um. »Woher Freund?« fragte er den Wandersmann. »Aus weiter Ferne.« – »Und wohin?« – »Einen Dienst suchen.« – »Einen Dienst suchen? Verstehst Du Pferde zu warten?« – »Ei ja wohl.« – »So komm zu mir und warte mit dies Pferd. Ich will Dich gut bezahlen.« – »Warum nicht!« meinte der Wandersmann, und so war der Seher des Zauberers Diener.
Sie kamen zu Hause an. Der Seher wartete das Sonnenroß trefflich, so daß sein Herr mit ihm zufrieden war. Nur verdroß es den Seher, daß er keine Gelegenheit zu entfliehen fand; denn der Zauberer verhinderte es durch seine Zauberkünste. Gleichwohl entdeckte dieser nicht wer sein Diener sei, weil er zu sehr damit beschäftigt war, wie er eine schöne Prinzessin zur Gemahlin bekommen könnte, die in einem Schlosse wohnte, das auf einer Pappel im Meere stand. Er hatte schon Verschiedenes versucht, Gutes und Schlimmes, doch fruchtete Alles nichts.
»Auf!« sprach er einst zu seinem Diener, »geh‘ zum Meere. Im Meere wirst Du eine ungeheuer hohe Pappel sehen, auf der Pappel ein schönes Schloß. In dem Schlosse wohnt eine Prinzessin; bringst Du sie mir, will ich Dich reichlich belohnen, wenn nicht, wird es Dir schlimm ergehen.« Der Herr befahl’s; und der Diener mußt‘ es vollziehen, wenigstens versuchen. Er schaffte sich einen Kahn, belud ihn mit bunten Bändern und Stoffen, und fuhr als Kaufmann zu dem Schlosse auf der Pappel.
Als er sich der Pappel näherte, hing er die schönsten Stoffe und Bänder aus, damit man sie vom Schlosse sehen könnte. Die schönen Stoffe und Bänder lenkten bald die Aufmerksamkeit der Prinzessin auf sich, die aus dem Erker schaute. »Geh‘ doch hinab zu dem Kahne,« befahl sie ihrer Zofe, »und forsche, ob sie Dir von den schönen Stoffen und Bändern nicht verkaufen möchten.« Die Zofe ging und forschte. »Ich verkaufe nichts,« entgegnete der Kaufmann, »außer wenn die Prinzessin selbst herab kommt, und sich selbst auswählt.«
Die Zofe richtete die Worte aus, und die Prinzessin kam, wählte unter den schönen Stoffen und Bändern, wählte und feilschte, und bemerkte nicht, daß der kluge Kaufmann den Kahn abstieß und zum Ufer fuhr. Als sie aus dem Kahn hinauswollte, da erst bemerkte sie, was geschehen war. »Ich weiß, wohin Du mich schiffst,« sagte sie. »Du schiffst mich zu dem Zauberer, der sich schon so oft vergebens um mich bemüht hat. Nun, Gott befohlen!«
Da der Seher sah, daß die Prinzessin dem Zauberer nicht gewogen sei, begann er ihr sanft zuzureden, sie möchte sich dessen Zutrauen erwerben, damit sie erführe, worin seine Kraft liege; er wolle ihr dann zur Freiheit verhelfen.
Als der Diener dem Herrn die Prinzessin brachte, war dessen Freude unaussprechlich, und als sie ihm Liebe zeigte, war er ganz von Sinnen. Er hätte ihr Alles gegeben, ihr Alles zu Willen gethan; kein Wunder also, daß er ihr auf vieles Bitten auch sein Geheimniß verrieth. »In dem Walde dort,« sprach er, »ist ein großer Baum; unter dem Baume weidet ein Hirsch, in dem Hirsch ist eine Ente, in der Ente ist ein goldenes Ei und in dem Ei ist meine Kraft; denn in ihm ist mein Herz.« Als der Zauberer dies seiner Gemahlin unter dem Siegel des strengsten Geheimnisses vertraut hatte, erzählte sie’s dem Seher.
Der Seher bedurfte nicht mehr. Er bewaffnete sich und begab sich in den Wald. Er fand den großen Baum, fand den Hirsch, der unter dem Baume weidete. Er zielte schoß, und der Hirsch stürzte nieder. Dann sprang er hinzu, nahm aus ihm die Ente heraus, aus der Ente das Ei, trank das Ei aus, und des Zauberers Kraft war dahin. Der Zauberer ward schwach, wie ein Kind, denn all seine Kraft war in den Seher übergegangen. Dieser kam, schenkte der Prinzessin die Freiheit zur Rückkehr in ihren Palast, nahm das Sonnenroß, schwang sich darauf und eilte mit ihm zu dem König, dem es gehörte.
Er mußte einen guten Theil der Welt durcheilen, bevor er zu der Grenze des dunkeln Königreichs gelangte, wo er auch den vorausgeschickten Diener traf. Als sie die Grenze überschritten, ergossen sich ringsum die Strahlen des Sonnenrosses, erleuchteten weit und breit das Land, das schon so lange in undurchdringliche Finsterniß gehüllt war, und erfreute die Herzen der geplagten Menschen. Alles lebte neu auf, die Fluren lachten im Frühlingsschmuck, und die Menschen strömten herbei, um ihrem Wohlthäter für die Rettung zu danken. Der König wußte nicht, wie er den Seher belohnen solle; er wollte ihm die Hälfte seines Königreichs schenken. Allein dieser sprach: »Ich begehre keinen Lohn, um so weniger die Hälfte Deines Königreichs. Sei Du König und herrsche, wie es sich gebührt, ich will in meine einsame, friedliche Hütte zurückkehren.«
Und er schied, und kehrte in seine Hütte zurück.

[Slowakei: Joseph Wenzig: Westslawischer Märchenschatz]

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