Da kamen die beiden Brüder zu einem reichen Bauer zum Nachtlager, und der Bauer fing an, mit dem reichen Bruder zu essen, zu trinken und sich zu belustigen, und sie ladeten den armen nicht zu sich ein. Der arme lag auf der Ofenbank, blickte dann und wann auf sie, und fiel plözlich von der Ofenbank und zerdrückte ein Kind in der Wiege. Und der Bauer ging zu dem Richter Schemjaka, den armen zu verklagen.
Es traf sich, daß auf dem Wege zur Stadt der reiche Bruder mit dem Bauer und dem armen, der ihnen folgte, über eine Brücke gehen mußte, und der arme, der mit ihnen ging, dachte, daß er von dem Richter Schemjaka nicht lebendig wegkommen würde, und stürzte sich von der Brücke, um sich zu tödten; aber unter der Brücke fuhr ein Sohn seinen kranken Vater in die Badstube, und er fiel gerade auf ihn in den Schlitten und zerdrückte den alten Mann. Der Sohn ging klagen, daß er seinen Vater getödtet habe.
Der reicht Bruder kam zu dem Richter Schemjaka, um gegen seinen Bruder zu klagen, daß er seinem Pferde den Schweif ausgerissen habe. Und der Arme nahm einen Stein und band ihn in ein Tuch, und ließ ihn sehen, hinter dem Bruder stehend, in der Absicht, den Richter zu erschlagen, wenn er nicht für ihn entscheiden würde. Der Richter bedachte, daß er hundert Rubel erhalten könne, und befahl dem Reichen, er solle dem Armen das Pferd zurückgeben, bis ihm der Schweif wieder gewachsen sei.
Dann kam der Bauer und klagte wegen Ermordung seines Kindes, und fing an, zu bitten. Der Arme aber nahm denselben Stein heraus und zeigte ihn dem Richter hinter dem Bauer stehend. Der Richter dachte, daß er ihm noch hundert Rubel für den zweiten Prozeß geben würde, und befahl dem Bauer, dem Armen seine Frau zu geben, bis er ihm wieder ein Kind erzeugt hätte. »Und du wirst dann die Frau mit dem Kinde zurücknehmen.«
Da kam der Sohn und klagte, daß der Arme seinen Vater todt gedrückt habe, und überreichte eine Klageschrift gegen den Armen. Und der Arme nahm denselben Stein heraus und zeigte ihn dem Richter. Der Richter glaubte, daß er ihm für diesen Prozeß noch hundert Rubel geben würde. Da befahl er dem Sohn, sich auf die Brücke zu stellen, und dem Armen unter dieselbe, und der Sohn sollte eben so auf den Armen herunterspringen und ihn zerdrücken.
Da kam der arme Bruder zu dem reichen, um von ihm nach dem Befehle des Richters das Pferd ohne Schweif zu holen, und so lange zu behalten, bis der Schweif wieder gewachsen sei. Der Reiche wollte nicht gern das Pferd abgeben, und deßwegen schenkte er ihm fünf Rubel Geld, drei Tschetwert Getreide und eine milchende Ziege, und versöhnte sich mit ihm auf ewig.
Da kam der arme Bruder zu dem Bauer, und fing an, nach richterlichem Befehl seine Frau zu verlangen, um mit ihr ein solches Kind zu zeugen. Der Bauer aber fing an, sich mit ihm zu versöhnen und gab dem Armen fünfzig Rubel, eine Kuh mit einem Kalbe, eine Stute mit einem Füllen, vier Tschetwert Getreide, und versöhnte sich mit ihm auf ewig.
Da kam der Arme zu dem Sohn. »Du mußt dich nach dem richterlichen Ausspruch auf die Brücke stellen, und ich mich unter die Brücke, und du mußt dich auf mich stürzen und mich zerdrücken. Da dachte der Sohn bei sich: »Wie soll ich mich von der Brücke stürzen, ihn werde ich vielleicht nicht zerdrücken, aber mich zerschlagen.« Und er suchte sich mit dem Armen zu versöhnen, und gab ihm zwei hundert Rubel, ein Pferd und fünf Tschetwert Getreide.
Aber der Richter Schemjaka schickte seinen Diener zu dem Armen, um drei hundert Rubel zu verlangen. Der Arme aber zeigte ihm den Stein und sprach: »Wenn der Richter nicht für mich entschieden hätte, so würde ich ihn getödtet haben.« – Der Diener kam zu dem Richter und sagte von dem Armen, wenn er nicht für ihn entschieden hätte, so würde er ihn mit dem Steine getödtet haben. Der Richter fing an, sich zu bekreuzen und sprach:
»Gott sei Dank, daß ich zu seinem Besten entschieden habe.«
Anton Gotthelf Dietrich (Russische Volksmärchen)