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Das Wunderkind

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Es war einmal ein Paar Leute, die waren arm und hatten keine Kinder; als sie nun eines Tages traurig vor ihrem Hause saßen, kam ein alter Mann, dem klagten sie ihre Not; der tröstete sie und sprach: „Nach einem Jahr werdet ihr ein Söhnlein haben.“ Und so geschah es auch, und da der Alte wieder hinkam, riefen die Eltern freudig: „Guter Mann, wie sollen wir dir’s danken?“ – „Tut, was ich euch sage“, sprach der Alte, „so wird es euer Glück sein!“ – „Das wollen wir gerne“, sagten die beiden. „So heizet den Ofen recht gut!“ Als das geschehen war und der Ofen in voller Glut stand, rief der Mann:

„Nun gebt mir euer Söhnchen!“ Die Eltern entsetzten sich, allein sie taten es doch; der Mann nahm den Knaben, setzte ihn in den Ofen und schob das Eisen vor.

Nach einiger Zeit sagte er: „Jetzt wird es sein!“ und nahm das Eisen vom Ofenloch weg; da trat ein großer Knabe heraus, der war frisch und gesund, hatte goldne Haare und war schön wie der Tag. Die Eltern weinten vor Freude und wussten nicht, wie sie dem Mann danken sollten. Der Alte aber sprach: „Lasset den Knaben jetzt mit mir, so wird es sein und euer Glück sein!“ Wie weh es den Armen auch tat, dass sie ihr einziges Kind, von dem sie gehofft hatten, es sollte ihnen eine Freude sein, so schnell verlieren sollten, so ließen sie es dennoch geschehen.

Der alte Mann zog mit dem Knaben in einen tiefen Wald, wo seine Wohnung war, und er lehrte ihn allerlei Künste; der

Junge gewann den Alten lieb und nannte ihn Großvater. Als jener nun ein stattlicher Jüngling geworden, sagte eines Tages der alte Mann: „Nun will ich dich drei Dinge lehren, merke auf; du sollst dreierlei werden können, wie du es jedes mal wünschest; eine goldne Taube, ein Löwe und ein Fisch; so wie du dich einmal überschlägst, bist du, was du von diesen drei Dingen gewünscht, und überschlägst du dich wieder, so bist du ein Jüngling! Versuche denn einmal!“

Der Junge überschlug sich und wurde eine goldne Taube und flog fort und sah alle Herrlichkeiten, die über der Erde sind, und verstand auch die Sprache aller Vögel; dann kehrte er zu seinem Großvater zurück, überschlug sich und wurde ein Jüngling. Jetzt machte er den zweiten Versuch; er überschlug sich und wurde ein Löwe und rannte weit weg und sah alle Herrlichkeiten, die auf der Erde sind, und verstand zugleich die Sprache der Waldtiere; dann kehrte er zurück, überschlug sich und wurde ein Jüngling. Nach kurzem machte er den dritten Versuch; er überschlug sich und wurde ein Fisch und schwamm im Meere überall herum und sah alle Herrlichkeiten, die unten im Meere sind, und verstand die Sprache aller Fische und Seetiere.

„Nun musst du in die Welt gehen und dein Glück versuchen“, sprach der Alte zum Jungen, „aber hüte dich, bei einem Rotbärtigen in den Dienst zu treten!“ Der Knabe war traurig, dass er seinen Großvater verlassen sollte; allein da er’s nicht ändern konnte, fügte er sich und zog fort. Kaum war er aus dem Walde hinaus, so kam des Königs Jäger mit rotem Bart und suchte einen Burschen. „Wohin des Weges?“ fragte er den Jungen. „Ich will dienen gehen“, sagte der Knabe. „Willst du mir dienen?“ fragte der Jäger. „Nein“, sprach der Junge, „denn mein Großvater sagte mir, ich solle keinem Rotbärtigen dienen“ und ging damit weiter. Der Jäger aber kam in anderer Kleidung ihm wieder entgegen und fragte ihn: „Wohin?“ – „Dienen!“ sagte der Junge. „Willst du mir dienen?“ – „Nein“, sagte der Junge wieder, „denn mein Großvater hat mit verboten, bei einem Rotbärtigen zu dienen!“ – „Willst du denn dem alten Narren folgen?“ sprach der Jäger. Der Junge aber ging weiter, ohne darauf zu erwidern. Es dauerte nicht lange, so trat der Jäger, der auf einem Nebenwege vorangeeilt war, dem Knaben in veränderter Kleidung wieder entgegen und fragte: „Wohin des Weges?“ – „Dienen gehe ich“, sprach der Junge. „Willst du mir dienen?“ fragte der Jäger. „Nein“, sagte der Junge, „mein Großvater hat mir verboten, einem Rotbärtigen zu dienen!“ – „Ha, ha!“ lachte der Jäger, „was weiß dein alter Großvater; hierzulande sind lauter Rotbärtige.“ Der Junge glaubte, weil er schon drei Rotbärtigen begegnet, das wäre die Wahrheit, und ließ sich überreden, bei dem Jäger Dienste zu nehmen, und dieser führte ihn in das Schloss des Königs. Nach kurzer Zeit geschah es, dass der König eine große Jagd veranstaltete. Als man im besten Jagen war, ging nur einmal das Pulver und Blei aus. Da sprach der König zu den Jägern: „Wer mir in einer Stunde Pulver und Blei zur Stelle schafft, und zwar aus meinem Schlosse, und zum Zeichen dessen von meiner Tochter eine Rose bringt, der soll sie zum Gemahl haben!“ Das sagte er aber, weil er glaubte, das sei gar nicht möglich auszuführen, weil das Schloss zwölf Stunden weit war. Der rotbärtige Jäger des Königs hatte gute Lust, die Königstochter zu erwerben, denn er diente eigentlich nur ihretwegen; darum rief er sogleich: „Mein Herr König, das will ich versuchen!“ Er ging etwas seitwärts, dass niemand ihn sehen konnte, und verwandelte sich in einen Raben (denn er war der Teufel), flog zum Königsschloss, verwandelte sich hier wieder in den Jäger und machte schnell eine Kiste mit Pulver und Blei zusammen. Aber wie sollte er jetzt die Rose bekommen? Das war eine schwere Sache, denn die Königstochter war noch ein reines Unschuldskind, und die sind gegen alle Listen des Teufels geborgen. Er kam zu ihr als Jäger und bat im Namen und Auftrag ihres Vaters um die Rose; allein das war umsonst; sie sprach: „Das wird nie und nimmer geschehen!“ Was half ihm nun Pulver und Blei ? Er ließ zornig die Kiste da und flog als Rabe in den Wald zurück und kam zuerst zu seinem Jungen. „Bringt Ihr die Sachen?“ fragte dieser. „Nein!“ sprach der Jäger kurz und ärgerlich. „So erlaubt mir, dass ich auch den Versuch mache!“ Der Jäger ließ das gerne geschehen, denn er dachte: „Gelingt es, so weißt du schon, was dann weiter zu tun ist.“ Der Knabe lief eine Strecke fort, bis ihn der Jäger nicht mehr sehen konnte, dann verwandelte er sich in eine goldne Taube und flog zum Königsschloss. Es lag aber gerade die Königstochter im Fenster; er flog in ihr Zimmer hinein; die Königstochter freute sich sehr; sie schlug das Fenster zu, fing den Vogel und rupfte ihm eine Feder aus; die Taube aber verwandelte sich in einen schönen Jüngling mit goldnen Haaren. Da liebten sich die beiden sehr, und der Jüngling erzählte nun, dass er sich auch in einen Löwen und in einen Fisch verwandeln könne. Das musste er ihr auch zeigen, und sie nahm sich von jeder Verwandlung etwas, ein Haar vom Löwen, eine Schuppe vom Fisch. Als er sie um die Rose bat, gab sie dieselbe willig, und er verwandelte sich nun wieder in eine Taube, nahm die Rose in den Mund, die Kiste mit dem Pulver und Blei verwandelte er in ein Steinchen, das nahm er in die Krallen, flog fort und war bald bei dem Jäger.

Der freute sich sehr, als er den Jüngling kommen sah; denn schon am Anfang des Waldes hatte in diesen sich die Taube verwandelt. Er nahm die Kiste und die Rose, packte den Jüngling und warf ihn in einen tiefen Abgrund; er aber ging mit der Kiste und der Rose zu dem König und sprach: „Herr, die Stunde ist noch nicht vorüber, da bringe ich, was Ihr befählet!“ Der König erschrak sehr; allein das war umsonst; er musste sein Wort halten. Als er daheim anlangte, sagte er seiner Tochter, sie gehöre dem Jäger so und so, und morgen solle die Hochzeit sein. Da ward sie traurig und zornig, weil sie ahnte,

dass dem Jungen ein Unglück geschehen und dass der Jäger der Urheber sei; allein was sollte sie machen?

Der arme Jüngling aber lag im Abgrund und wusste sich nicht zu helfen; er hatte die Macht, sich zu verwandeln, verloren. Da kam der alte Mann, sein Großvater, hin und sagte: „Du hast mir nicht gefolgt, und darum hast du gebüßt; nun will ich dir wieder die Macht geben, die der böse Jäger dir genommen hat; du sollst dich wieder verwandeln können.“ Da flog der Knabe als goldne Taube empor und hin zum Königsschloss in das Zimmer der Königstochter; die aber war gerade voll Trauer und Kummer. Als sie die goldne Taube und bald den Jüngling mit den goldnen Haaren sah, wurde sie wieder fröhlich, und sie besprachen sich nun darüber, was zu tun sei. Am andern Tage, als der Bräutigam und die Hochzeitsgäste da waren, trat die Königstochter vor ihren Vater und sprach:

„Dem ich die Rose gab, der konnte sich in eine goldne Taube, in einen Löwen und [in] einen Fisch verwandeln“ und zeigte die Feder, das Löwenhaar und die Schuppe; „wenn es der Jäger gewesen, so soll er das hier gleich beweisen.“ Der Jäger wurde unruhig und sah herum, wie er leicht davonkommen könnte; denn er konnte sich wohl in einen Raben, in eine Katze und eine Kröte verwandeln, aber in jene Tiere nicht. Endlich trat der Jägerjunge hervor und sprach: „Das will ich alles tun“ und verwandelte sich gleich nacheinander in eine Taube, einen Löwen und einen Fisch, und man sah, dass die Feder, das Löwenhaar und die Schuppe gerade passten. Da befahl der König, dass man den Jäger schnell ergreife; der aber verwandelte sich in einen Raben und flog fort.

Nun sollte die Hochzeit des Jungen mit der Königstochter gefeiert werden; er aber sprach: „Nein, ehe das geschieht, müssen meine armen Eltern und mein guter Großvater auch hier sein!“ Da verwandelte er sich wieder in die goldne Taube und flog zu seinen Eltern; die hatten indes großen Kummer gehabt um ihren Sohn. Eben war der alte Mann bei ihnen und tröstete sie, wie er es schon oft getan hatte; da trat nur einmal der Jüngling mit den goldnen Haaren ein, und sie erkannten ihn gleich, und ihre Freude war über die Maßen groß, und er erzählte ihnen von seinem Glück und er sei gekommen, um sie zur Hochzeit abzuholen, denn sie müssten auch da sein. Da fielen die Armen auf ihre Knie vor dem alten Manne und wollten ihm danken; der aber verschwand nur einmal vor ihren Augen. Sie zogen nun mit ihrem Sohne in das Königsschloss, und nachdem die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert worden, lebten sie zusammen noch lange glücklich und zufrieden.

Quelle: (Josef Haltrich – Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen)

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