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Märchenbasar

Das Wunderschiff

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Es war einmal ein reicher König, der hatte die seltsamsten Wünsche. Eines Morgens befahl er: „Man baue mir ein Schiff, mit dem ich zu Wasser und zu Lande fahren kann!“ Noch am selben Tage ließ sein Kanzler im ganzen Reich durch Herolde verkünden: „Wer es vermag, dem König ein Schiff zu bauen, mit dem er zu Wasser und zu Lande fahren kann, der bekommt seine Tochter zur Frau und soll nach ihm König werden!“

Diese Kunde hörte auch ein reicher Sägmüller, der drei Söhne hatte. Er rief sie zu sich und sagte: „Ich will gern alles aufwenden, was ich habe. Versucht’s, ob einer von euch ein solches Schiff zuwege bringt!“ Die Söhne waren gleich bereit dazu; als sie sich aber darum stritten, wer es mit dem Bau zuerst versuchen dürfe, bestimmte der Vater, daß der älteste den Anfang machen solle.

Der zog auch gleich mit den Knechten hinaus in den Wald, um das nötige Holz zum Schiffsbau zu fällen. Sie hatten schon eine stattliche Anzahl Tannen gehauen, da kam ein alter Mann den Waldweg daher und bat um ein Stück Brot. Der junge Sägmüller aber sagte: „Ich habe nur Brot für mich und meine Leute und kann dir nichts abgeben!“ „Was willst du denn da mit deinen Leuten machen?“ fragte der Alte. – „Ein Schiff mit dem man zu Wasser und zu Lande fahren kann!“ schnarrte ihn der Junge an. – „Das werdet ihr wohl bleibenlassen !“ entgegnete der Mann und ging weiter. Und wie er gesagt hatte, so geschah es auch. Sie arbeiteten lange und konnten das Schiff doch nicht zustande bringen.

Als der älteste Sohn unverrichteter Dinge nach Hause kam, zog der zweite aus. Die Sonne sank, und er wollte mit den Knechten gerade Feierabend machen, als wieder der alte Mann dahergestockt kam und um ein Stück Brot bat. „Für fremde Leute haben wir kein Brot!“ bekam er zur Antwort. Darauf fragte der Mann: „Was wollt ihr denn hier machen?“ – „Ein Schiff das zu Wasser und zu Lande fahren kann!“ – „Das werdet ihr wohl bleibenlassen!“ sagte der Alte und ging weiter. Und er behielt recht. Auch der zweite Sohn mußte nach vergeblicher Mühe wieder umkehren.

Jetzt kam die Reihe an Hans, den jüngsten. Er rief die Arbeiter zusammen, zog in den Wald hinaus und legte hurtig Hand ans Werk. Gegen Abend kam auch zu ihm der alte Mann und bat um ein Stückchen Brot. – „Gerne“, sagte Hans. „Setzt Euch nur her zu mir.“ Und er reichte ihm Brot und Käse und füllte ihm einen Becher mit Wein. Der Alte bedankte sich und fragte nach einer Weile : „Was wollt ihr denn da machen?“ – „Ein Schiff, mit dem man zu Wasser und zu Lande fahren kann“, antwortete Hans. – „So, so“, sagte der Mann. – „Meine zwei Brüder haben es schon vor mir versucht, aber es ist ihnen nicht gelungen“, erzählte Hans. Der Alte nickte: „Ich weiß es. Auch du würdest es nicht zuwege bringen. Weil du aber der beste von euch drei Brüdern bist, sollst du das Glück haben, die schöne Königstochter zu freien. Komm zu dieser Stunde über drei Tage hierher an diesen Platz, so will ich dir das Schiff mitbringen. Pünktlich zur ausgemachten Stunde erschien der Alte und übergab dem Hans das Wunderschiff, das zu Wasser und zu Lande fahren konnte. Wie staunte da der junge Bursche und kannte sich fast nicht mehr vor Freude. „Nun, steig ein!“ sagte der Mann. „Und fahr mit Glück!“ – Ehe Hans sich aber umsah, seinem Helfer zu danken, war der Fremde verschwunden. Da stieg er ins Schiff und machte sich ohne Aufenthalt auf den Weg in die Hauptstadt und zum Palaste des Königs.

Wie er so mit seinem Schiff über Land und Wasser dahinsegelte, sah er vor einem Wald einen Jäger stehen. Der hatte das Gewehr angelegt und zielte ins Blaue hinein. Da hielt Hans sein Schiff an und fragte: „Wonach zielst du denn?“ – Der Jäger sagte: „Ich will den Spatzen schießen, der in dem Dorf hinterm Wald auf der Kirchturmspitze sitzt.“ – Hans meinte: „Das ist doch nicht möglich!“ – Der Schütze aber behauptete: „Mit diesem Gewehr kann ich auf vierhundert Stunden weit jeden Vogel treffen!“ – „Willst du nicht mitfahren?“ fragte Hans. – „Das möchte ich schon gerne; aber ich habe kein Geld.“ – „Das tut nichts!“ sagte Hans. Da setzte sich der Jäger zu ihm in das Schiff und sie fuhren miteinander weiter.

Sie waren noch nicht lange unterwegs, da trafen sie einen Mann, der hatte auf der rechten Seite ein ungeheuer langes Ohr. Es reichte bis auf den Boden. Hans hielt sein Schiff an und fragte den Mann: „Was fängst du denn mit deinem langen Ohr an?“ – „Damit kann ich auf vierhundert Stunden weit alles hören, was gesprochen wird“, entgegnete er. – „Ei, so horeh einmal, was man im Königsschloß spricht!“ sagte Hans. Da horchte der Langohr ein Weilchen hin und sagte: „Man spricht dort gerade von dem Wunsch des Königs, der ein Schiff haben will, das zu Wasser und zu Lande fahren kann. Aber die Minister sagen, es sei nicht möglich, ein solches zu bauen.“ – „Willst du nicht mitfahren?“ fragte Hans. „Ja, das möchte ich schon gerne, aber ich habe kein Geld.“ – „Das tut nichts!“ sagte Hans, ließ ihn einsteigen und fuhr weiter.

Bald begegneten sie wieder einem Mann; der hatte ganz gewaltig große Stiefel an den Yüßen. Hans hielt sein Schiff an und fragte ihn: „Was machst du denn mit den großen Stiefeln?“ – Der Mann antwortete: „In diesen Stiefeln komme ich schneller voran als der Wind!“ – „Ei, willst du nicht mitfahren?“ fragte Hans. – „Dazu hätte ich schon Lust, aber ich habe kein Geld, um die Fahrt zu bezahlen.“ – „Das tut nichts!“ sagte Hans, und so fuhr der Schnelläufer auch mit.

Über eine Weile sahen sie noch einen vierten Mann am Wege stehen. Dem ragte ein großer Holzzapfen aus seinem Hosenboden. Darüber wunderte sich Hans sehr und hielt darum sein Schiff an. Er fragte den Mann: „Warum hast du dahinten einen Zapfen stecken?“ – „Das hat seinen guten Grund“, antwortete der Mann; „denn wenn ich den Zapfen herausziehen würde, könnte ich das ganze Königreich voll machen!“ – „Ei!“ sagte Hans, „willst du nicht mitfahren?“ – „Ich möchte schon“, antwortete der Mann, „aber ich habe kein Geld und ich brauche auch sehr viel zu essen.“ – „Das tut nichts!“ sagte Hans. „Fahr nur mit!“ So stieg auch der Zapfenmann ins Schiff und fuhr mit an den Königshof.

Als Hans vor dem Schloß ankam, übergab er das Schiff mit den vier Männern der Obhut der Wache und ging geradeswegs zum König. Er verbeugte sich höflich und sprach: „Herr König, drunten habe ich ein Schiff, das zu Wasser und zu Lande fahren kann!“ Da fragte der König: „Hast du es auch selbst gemacht?“ – „Ja!“ sagte Hans. „So säge einmal ein Stück aus dem Schiff heraus und setze es dann wieder ein!“ gebot der König. Da sagte Hans: „Ich habe ein ganzes und heiles Schiff gebaut; warum soll ich`s mutwillig zerstören und hernach wieder flicken? Das tu ich nicht!“ Als der König den Hans auf diese Art nicht loswerden konnte, ließ er seinen Kanzler kommen und beriet mit ihm, was hier zu machen sei. Denn er meinte, diesem dummen Burschen könne er doch nicht seine Tochter zur Frau geben.

Der schlug ihm vor: „Stellt ihm eine unlösbare Aufgabe; sagt, daß Ihr ihm Tochter und Reich erst abtreten könnt, wenn er auch diesen Auftrag erfüllt habe.“ – „Und welches, meinst du, wäre diese unlösbare Aufgabe?“ fragte der König. – „Schickt ihn nach dem Brunnen, der dreihundertfünfzig Stunden von hier liegt, er soll daraus binnen drei Stunden einen Krug Wasser holen. Ich denke, das wird der Hans wohl bleibenlassen!“ Dieser Rat gefiel dem König. Er ließ Hans zu sich rufen und sagte: „Höre einmal, du mußt mir erst noch einen Krug Wasser aus dem Brunnen an der Grenze meines Reiches holen. Bist du in drei Stunden wieder hier, so sollst du meine Tochter bekommen und König werden.“ – „Soll geschehen!“ sagte Hans und eilte zu seinem Schiff und seinen Leuten.

„Zieh schnell deine großen Stiefel an!“ rief er dem Schnelläufer zu und fuhr ihn übers Wasser. Der Schnellläufer flog wie der Wind zum Brunnen, füllte daraus den Krug und wollte sich gleich wieder auf den Rückweg machen. Dann dachte er aber: „Du hast ja noch Zeit und kannst dich erst ein wenig ausruhen“, legte sich unter einen Baum und schlief ein. Zwei Stunden waren schon vergangen, und Hans stand auf seinem Schiff und wartete und wartete; doch der Läufer kam nicht. Da sagte Hans zu dem Langohr: „Horch doch einmal hin, wo der Läufer steckt!“ Der Langohr legte sein Ohr an die Erde und lauschte eine Weile. „Der ist bei dem Brunnen eingeschlafen, ich höre ihn dort schnarchen!“ sagte er. Da nahm der Scharfschütze seine Büchse, lud einen Kieselstein hinein und schoß ihn dem Schläfer so dicht am Kopf vorbei, daß es nur so pfiff. Davon erwachte der Schnelläufer, lief weiter und kam gerade noch zur rechten Zeit mit seinem Krug Wasser an.

Hans brachte ihn dem König und verlangte nun seine Tochter und das Königreich. Nun war der König wieder in Not, denn er hatte nicht gedacht, daß Hans das Wasser aus dem fernen Brunnen so schnell herbeischaffen könnte. Weil er aber gar keinen Ausweg mehr wußte, fragte er endlich den Hans: „Ist es dir nicht einerlei, wenn ich dir anstatt der Prinzessin und meinem Reich Gold gebe?“ Hans sagte: „Mir kann es gleich sein. Aber ich will so viel Gold, als mein Schiff tragen kann.“ Der König sagte ihm dies zu, ließ aber sogleich wieder seinen Kanzler rufen und sprach: „Sobald der Hans weggefahren ist, soll ihm ein halbes Regiment roter Husaren nachreiten und ihm das Gold wieder abnehmen!“

Nun wurde von den Dienern des Königs eine Tonne Gold nach der andern auf das Schiff gebracht. Als es voll beladen war, trat Hans mit seinen Gehilfen die Rückreise an. Während sie zum Stadttor hinausfuhren, sagte Hans zum Langohr: „Horche einmal, was sie jetzt im Schloß sprechen!“ Da horchte er auf und sagte: „Der König schickt soeben ein halbes Re- giment rote Husaren aus, die sollen dir das Gold wieder abnehmen und dem König zurückbringen. “ Es dauerte auch nicht lange, da kamen die Rotjacken dahergesprengt. Als sie nahe genug waren, sagte Hans zum Zapfenmann: „Was meinst du, nun könntest du einmal den Husaren deine hintere Seite zeigen und den Zapfen herausziehen!“ Der war mit Freuden bereit dazu. Er zog den Zapfen heraus – und da ging`s wie aus einer Feuerspritze auf die roten Husaren los, daß sie gar nicht wußten, was ihnen geschah. Als sie aber alle so übel zugerichtet waren, daß sie`s nicht mehr länger aushalten konnten, wandten sie ihre Pferde um und ritten so schnell sie konnten aufs Schloß zurück.

Als der König sie zurückkommen sah und hörte, daß sie dem Hans das Gold nicht abgenommen hatten, wurde er sehr zornig und sprach: „Das habe ich schon zum voraus gewußt, daß die gelben Husaren nichts ausrichten würden! Deshalb habe ich ausdrücklich die roten dazu bestimmt! Aber so geht`s, wenn meine Befehle nicht pünktlich ausgeführt werden!“

Unterdessen segelte Hans mit seinen Gefährten ungestört der Heimat zu und gab jedem seinen Teil von dem Golde, so daß sie alle mehr bekamen, als sie jemals in ihrem Leben verbrauchen konnten.

Quelle:
(Schwäbisches Volksmärchen – Franz Georg Brustgi)

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